Er kann es sich gemütlich machen und die Kriege der Vergangenheit vor seinem inneren Auge Revue passieren lassen. Dabei wird ihm natürlich auffallen, daß mancher Krieg besser früher geendet hätte und manch anderer vielleicht aber auch bis zum bitteren Ende hätte ausgefochten werden müssen. Hinterher ist man immer schlauer. Für den Politiker und Feldherrn stellt sich die Situation im Krieg ganz anders dar. Er hat es mit unvollständigen Informationen zu tun und muß abwägen, denn von seiner Entscheidung hängt die unbekannte Zukunft ab.
Der Historiker Jörn Leonhard, der vor allem mit zwei dicken Wälzern zum Ersten Weltkrieg und Versailles hervorgetreten ist, weiß um diese Einschränkung der retrospektiven Betrachtung:
Geschichte wiederholt sich nicht, und sie liefert auch keine Blaupause für Entscheidungen. Aber sie zeigt in einem großen Reservoir über Zeiten und Räume, welche Konstellationen warum zu welchen Ergebnissen führen.
Er hat seine diesbezüglichen Ergebnisse in einem schmalen Band zusammengetragen (Über Kriege und wie man sie beendet). Der Vorzug liegt in der thesenartigen Zuspitzung, die Leonhard dann durch zahlreiche Beispiele aus der Kriegsgeschichte zu belegen versucht.
Wenn man die zehn Thesen Leonhards zusammenfaßt, kommt ein relativ realistisches Bild vom Krieg zustande, das allerdings sein Verhaftetsein im bundesrepublikanischen Moralismus nicht verleugnen kann. Wie das Ende eines Krieges aussieht, hängt davon ab, wer worum darin kämpft. Ein Weltanschauungskrieg hat einen Erlösungsanspruch, der sich nur mit dem totalen Sieg einlösen läßt, wohingegen der gehegte Krieg der europäischen Monarchen nach Erreichen eines begrenzten Zieles beendet war. Daher waren diese auch wesentlich kürzer und kannten Entscheidungsschlachten. Der langdauernde Krieg entwickelt dagegen eine eigene Dynamik, die sich nicht mehr kontrollieren läßt.
Das erschwert natürlich auch die Suche nach einem Ende. Das hängt laut Leonhard von den Chancen, die sich die Akteure auf dem Schlachtfeld aufrechnen, und den verfügbaren Ressourcen ab. Das Schwinden von beidem muß aber nicht das Ende des Krieges bedeuten, da die Verschleierung der eigenen Lage ein ganz wesentlicher Teil der Kriegsführung ist. Jede ausgestreckte Hand könnte daher vom Gegner zum Anlaß genommen werden, seine Anstrengungen zu verstärken, was den Krieg zunächst nicht beendet, sondern verlängert.
Die Suche nach dem Frieden ist auch dann nicht einfach, wenn sich die Kriegsparteien auf einen Waffenstillstand verständigt haben. Denn dann geht es darum, einen Kompromiß zu finden, mit dem alle leben können, der also nicht gleich den nächsten Krieg provoziert. Die Demütigung des Besiegten und die Überforderung des Friedens durch hochgesteckte Erwartungen erschaffen in der Regel eine Situation, in der für zumindest die eine Seite der neue Krieg als einzig möglicher Ausweg erscheint.
Hier spielt auch die letzte These von Leonhard eine Rolle:
Nicht jeder Sieg ist ein Gewinn, und manche Niederlage wird zur Chance.
Von dieser Paradoxie haben gerade die Russen und die Deutschen aus den letzten beiden Jahrhunderten einiges zu berichten.
Was ist mit solchen Einsichten insbesondere im Hinblick auf den Krieg in der Ukraine anzufangen? Sie können den Blick für die verfahrene Lage schärfen, was allerdings voraussetzt, daß alle Beteiligten Willens sind, einen für alle akzeptablen Kompromiß zu finden. Das wird nach Lage der Dinge erst dann der Fall sein, wenn einer Seite die Mittel zur Kriegsführung ausgehen. Vorher zu einem Frieden zu finden, wird nahezu unmöglich, weil beide Seiten mittlerweile einen Weltanschauungskampf führen, der die Gegenseite verteufelt. Die Beendigung dieses Krieges hängt damit von der Bereitschaft beider Seiten ab, sich vom „diskriminierenden Kriegsbegriff“ (Carl Schmitt) zu lösen.
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Jörn Leonhard: Über Kriege und wie man sie beendet. Zehn Thesen, 2023, 208 S., 18 € – hier bestellen.
Dr Stoermer
Der Krieg in der Ukraine dürfte nur eine Schlacht in einem anderen, größeren Kriege sein, womit nicht auf die Bezeichnung "militärische Spezialoperation" angespielt werden soll. In jenem Kriege wird eine "Weltanschaung" als Grund seitens der westlichen Staatsführungen vorgetragen, womit das alternativlose Sein oder Nichtsein für die Menschen da draußen gleich mitschwingen soll ("Unsere Werte", "Für Israel sterben"). Dieses Weltanschauungs-Opium für's Volk verhüllt aber nur das knallharte Überlebensinteresse der Hinterzimmerherrschaft, die für sich selbst keine gehegten Kriege führen lässt bzw. jetzt nicht mehr führen kann, weil es zu spät für sie ist. Für die stellt sich das wahre Sein oder Nichtsein, von daher ist für keines der noch rauchenden Schlachtfelder ein Separatfrieden zu erwarten. Das alles endet hoffentlich, sobald ihr letztes Ringen beendet ist.