Götzendämmerung? FPÖ und BZÖ

pdf der Druckfassung aus Sezession 10 /Juli 2005

sez_nr_10von Lothar Höbelt

Die FPÖ unter Jörg Haider hat in den letzten anderthalb Jahrzehnten des vergangenen Jahrhunderts eine in Europa, dem „alten Europa“ zumindest, ziemlich einzigartige Stellung eingenommen: Sie war die einzige Partei auf der Rechten, der es gelang, das Protestpotential, das sich anderswo in neuen Bewegungen sammelte, von der Lega Nord im Süden bis zur norwegischen Fortschrittspartei im hohen Norden, mit dem Charakter einer altetablierten Traditionspartei zu verbinden, die seit Jahrzehnten ins politische Getriebe eingebunden war. (Allenfalls in Italien findet sich dazu mit dem MSI/AN eine Parallele – und mit der Forza Italia eine neue Bewegung, deren explosionsartige Dynamik alle anderen in den Schatten stellt.) Im Vergleich zur BRD, wo es von derlei neuen „rechtspopulistischen“ Bewegungen keine so recht geschafft hat, obwohl oder gerade weil sich seit 1989 so viel änderte wie sonst nirgendwo, war die FPÖ damit ein Außenseiter. Betrachtet man sie jedoch als Traditionspartei, so stellt der „Bürgerblock“, den es in der BRD seit Adenauer immer wieder gegeben hatte, in Österreich aber 2000 tatsächlich zum ersten Mal, ein bloßes Nachziehverfahren dar.

Die­sem Janus­ge­sicht der frei­heit­li­chen Bewe­gung ent­spra­chen auch die bei­den inhalt­li­chen Schwer­punk­te, die ihren Auf­stieg kenn­zeich­ne­ten: zum einen die damals noch meist als „neo­kon­ser­va­tiv“ bezeich­ne­te Strö­mung, die in den acht­zi­ger Jah­ren mit That­cher und Rea­gan in der angel­säch­si­schen Welt ihre Tri­um­phe gefei­ert hat­te, auf dem Kon­ti­nent und zumal in Öster­reich aber nur sehr zöger­lich rezi­piert wor­den war. Mit der Gro­ßen Koali­ti­on, der Schat­ten­re­gie­rung der Sozi­al­part­ner­schaft, einem über­gro­ßen Ver­staat­lich­ten­an­teil und einer ziem­lich ein­ma­li­gen Durch­drin­gung des öffent­li­chen Lebens mit Par­tei­buch­wirt­schaft gab es gegen ent­spre­chen­de Vor­stö­ße in Öster­reich auch Wider­stän­de in einem über­durch­schnitt­li­chen Ausmaß.
Aus­ge­löst durch die mas­si­ve Ein­wan­de­rungs­wel­le der Jah­re 1990–93, beglei­tet auch von einer Ver­schär­fung der Pola­ri­sie­rung, wie sie mit Hai­ders Abwahl als Kärnt­ner Lan­des­haupt­mann 1991 ein­setz­te, schob sich dann aber in den neun­zi­ger Jah­ren das The­ma Zuwan­de­rung in den Vor­der­grund, das als Kata­ly­sa­tor dien­te, um die FPÖ 1999 zur mit Abstand stärks­ten Arbei­ter­par­tei zu machen. Eine gewis­se Span­nung zwi­schen bei­den Stoß­rich­tun­gen war unver­kenn­bar, aber nicht unüber­brück­bar. Die Zuwan­de­rungs­fra­ge war hier nur ein Indiz dafür, daß die sozi­al­de­mo­kra­ti­sche Arbei­ter­be­we­gung zum Teil von „Alt-68ern“ und „Nadel­streif­so­zia­lis­ten“ geka­pert wor­den war, wäh­rend sich die Gewerk­schaf­ten in den öffent­li­chen Sek­tor zurück­ge­zo­gen hat­ten – und bei­de dem „Lohn­ab­hän­gi­gen“, des­sen Arbeits­platz von der Kon­kur­renz­fä­hig­heit sei­ner Betrie­be abhing, immer weni­ger Ant­wor­ten zu geben ver­moch­ten. Ob von der Umver­tei­lung, wie sie der moder­ne Wohl­fahrts­staat prak­ti­ziert, aber tat­säch­lich „der Arbei­ter“ pro­fi­tiert, zumal der jun­ge Fach­ar­bei­ter, wie er in der FPÖ-Kli­en­tel stark ver­tre­ten war, muß ohne­dies äußerst frag­lich erscheinen.
Die sozi­al aus­ge­wo­ge­ne Zusam­men­set­zung der FPÖ-Wäh­ler­schaft ver­hielt sich kom­ple­men­tär zur Mit­glie­der­struk­tur der ÖVP, mit ihren Schwer­punk­ten bei Bau­ern und Beam­ten. Die­ser Cha­rak­ter der „Aller­welts­par­tei“ war in Zei­ten der poli­ti­schen Kon­junk­tur ein Vor­teil, weil man den Geg­ner belie­big atta­ckie­ren und stets auf dem fal­schen Fuß erwi­schen konn­te. In der Defen­si­ve erweist sich die­ser Man­gel von Kern­schich­ten hin­ge­gen als Nach­teil. Bei öko­no­mi­schen Ver­tei­lungs­kämp­fen waren Ero­si­ons­er­schei­nun­gen da gera­de­zu vor­pro­gram­miert – was wohl mit ein Grund dafür sein dürf­te, war­um die Gro­ße Koali­ti­on und ihr gro­ßer Geg­ner bei­de lie­bend gern auf „Kul­tur­kämp­fe“ auswichen.

Bei den Wah­len im Herbst 1999 wur­de die FPÖ zweit­stärks­te, Anfang 2000 in Umfra­gen sogar stärks­te Par­tei: Dann kam die Regie­rungs­be­tei­li­gung. Die Abkehr von der Gro­ßen Koali­ti­on wur­de meis­ter­haft insze­niert; die inter­na­to­na­le Empö­rung ver­schaff­te der neu­en Regie­rung Schüs­sel unge­ahn­ten Rück­halt durch einen „natio­na­len“ Schul­ter­schluß. Davon pro­fi­tier­te – kei­nes­wegs über­ra­schend – die Kanz­ler­par­tei ÖVP. Die über­höh­ten und zum Teil wider­sprüch­li­chen Erwar­tun­gen, die auf die FPÖ pro­ji­ziert wor­den waren, konn­ten nicht alle erfüllt wer­den – die inhalt­li­chen nur mit Abstri­chen, die per­sön­li­chen, die so man­cher klamm­heim­lich gehegt hat­te, in Zei­chen des Per­so­nal­ab­baus im öffent­li­chen Dienst schon gar nicht.
Ver­lus­te bis zu einem Drit­tel der Wäh­ler­schaft müs­se man ein­kal­ku­lie­ren, gab sich Hai­der anfangs rea­lis­tisch. Doch die Lei­dens­fä­hig­keit ent­sprach nicht der Erkennt­nis. Hai­der hat­te im Früh­jahr 1999 eben erst sei­nen per­sön­li­chen Tri­umph in Kärn­ten erlebt, wo er zwei­und­vier­zig Pro­zent errang und wie­der zum Lan­des­haupt­mann gewählt wur­de. Eine Koali­ti­on auf Bun­des­ebe­ne war nur mög­lich, wenn die FPÖ auf den Kanz­ler ver­zich­te­te – Hai­der tat es, leg­te sogar den Par­tei­vor­sitz nie­der, mit wel­chen Hin­ter­ge­dan­ken auch immer. Das war sein his­to­ri­scher Moment – mit Bei­spiel­wir­kung für Euro­pa, wo in den nächs­ten Jah­ren gleich meh­re­re Regie­run­gen mit direk­ter und indi­rek­ter Unter­stüt­zung der gesam­ten Rech­ten ins Amt traten.
Doch dann for­der­te das Mensch­lich-All­zu­mensch­li­che sei­nen Tri­but. Nicht daß man hier eine neue Allein­schuld-The­se bemü­hen müß­te. Wie Cäsar in Gal­li­en hat­te auch Hai­der sei­nen Koch dabei. Aber was immer ent­täusch­te Kar­rie­ris­ten, als gesin­nungs­tüch­ti­ge hard­li­ner getarnt, auch intri­gier­ten, vom Unwe­sen der Sekre­tä­re und Pres­se­spre­cher auf allen Sei­ten ganz zu schwei­gen, ohne sein Zutun (und das mag man als letz­tes Kom­pli­ment wer­ten) wäre die kata­stro­pha­le Ent­wick­lung der letz­ten Jah­re nicht denk­bar. Der Ex-Obmann deck­te der Regie­rungs­frak­ti­on nicht den Rücken, son­dern mach­te sich in eklek­ti­zis­ti­scher Manier zum Spre­cher des Unmuts. Den „Jörg, der sich was traut“ (so der Slo­gan der Früh­zeit) über­fiel die Angst vor der eige­nen Cou­ra­ge. Sorg­sam dar­auf bedacht, sich von allen Maß­nah­men, die unpo­pu­lär hät­ten sein kön­nen, zu distan­zie­ren. Struk­tu­rell räch­te sich das lean manage­ment und die Kon­zen­tra­ti­on auf Augen­blicks­er­fol­ge. Hai­der war der Rom­mel sei­ner Par­tei – ein genia­ler Tak­ti­ker mit Instinkt, aber ohne Sinn für lang­fris­ti­ge stra­te­gi­sche Planungen.
Die Ent­la­dung folg­te im Spät­som­mer 2002. Anlaß war die Flut­wel­le, die in der BRD Schrö­der ins Amt zurück­spül­te. In Öster­reich hin­ge­gen schwemm­te sie bei­na­he die Regie­rung weg, die aus die­sem Anlaß die Ver­le­gung einer Steu­er­re­form ankün­dig­te, um den Flut­op­fern zu hel­fen. Hai­der – sein Kärn­ten war von der Flut ja nicht betrof­fen – mobi­li­sier­te eine Mehr­zahl der Par­tei­tags­de­le­gier­ten gegen die Regie­rungs­frak­ti­on und die Vize­kanz­le­rin Susan­ne Riess-Pas­ser. Deren Sturz war ver­mut­lich nicht sein Ziel, aber doch eine Insze­nie­rung, die urbi et orbi sei­ne Unent­behr­lich­keit demons­trie­ren soll­te. Sei­nen sym­bo­li­schen Höhe­punkt erreich­te der inner­par­tei­li­che Rosen­krieg auf der Ver­samm­lung in Knit­tel­feld, als einer von Hai­ders Ver­trau­ten ein Kom­pro­miß­pa­pier, das Hai­der am Abend zuvor mit Riess-Pas­ser aus­ge­han­delt hat­te, vor aller Augen zer­riß und kon­fu­se Dele­gier­te dem Finanz­mi­nis­ter erklär­ten, die Schul­den­po­li­tik der Sozia­lis­ten sei ihnen lie­ber als sein aus­ge­gli­che­nes Budget.

Vize­kanz­le­rin, Finanz­mi­nis­ter und Gene­ral­se­kre­tär tra­ten zurück; der Kanz­ler schrieb Neu­wah­len aus. Wäh­rend gelern­te Öster­rei­cher schon mit dem Rück­fall in die Gro­ße Koali­ti­on rech­ne­ten, behielt Schüs­sel die Ner­ven: Er zog mehr als die Hälf­te der ehe­ma­li­gen FPÖ-Wäh­ler an sich, ver­hin­der­te eine Rot-Grün-Mehr­heit und bil­de­te im Früh­jahr 2003 mit der Rest-FPÖ, die gera­de noch zehn Pro­zent erreicht hat­te, neu­er­lich eine Koalition.
Die „Knit­tel­fel­der“ haben mit ihrer Unbe­herrscht­heit die Hal­bie­rung der Par­tei pro­vo­ziert und machen seit­her in einer Serie von Ver­schwö­rungs­theo­rien Gott und die Welt, die Waf­fen­lob­by oder den Kanz­ler für die Resul­ta­te ihrer Dumm­heit ver­ant­wort­lich. Erstaun­lich war ja nicht, daß die Par­tei seit­her unter einer Rei­he von kalei­do­sko­pisch wech­seln­den Vor­sit­zen­den, zuletzt Hai­ders Schwes­ter Ursu­la Haub­ner, alle­samt ehr­lich bemüht, aber von dem Spa­gat zwi­schen den Lau­nen Hai­ders und den Anfor­de­run­gen der Regie­rungs­be­tei­li­gung sicht­lich gezeich­net, kein Ter­rain gut­ma­chen konn­te – erstaun­lich und ein Indiz für die resi­dua­le Behar­rungs­kraft der Lager war, daß Umfra­gen der FPÖ trotz kata­stro­pha­ler Optik wei­ter­hin etwa acht Pro­zent gaben. Hai­der selbst sicher­te sich 2004 mit einer teu­ren Kam­pa­gne gegen wür­di­ge, aber infe­rio­re Geg­ner noch ein­mal die Wie­der­wahl in Kärn­ten und brach dann 2005 mit sei­nen Kum­pa­nen unter den Knit­tel­fel­dern – wobei er sich aus­ge­rech­net Möl­zer zur Ziel­schei­be erkor, der selbst wen­dig genug ist und mit sei­nem EU-Wahl­kampf gera­de erst einen unbe­streit­ba­ren per­sön­li­chen Erfolg erzielt hat­te. Nach einem Hin und Her, das jede Spur der alten tak­ti­schen Bril­lanz ver­mis­sen ließ, zog er die­ses Früh­jahr schließ­lich eine neue Par­tei, das „Bünd­nis Zukunft Öster­reich“ (BZÖ) aus dem Hut. Zwin­gen­der Grund für die­se Flucht nach vor­ne ist kei­ner ables­bar. Was er sich dabei genau gedacht hat, muß man der Spe­ku­la­ti­on über­las­sen – wenn man sich in sei­ner Umge­bung denn über­haupt viel dabei gedacht hat, Den­ken näm­lich im Sin­ne ratio­na­len Pla­nens und nicht bloß schwam­mi­ger Wunsch­vor­stel­lun­gen betrach­tet. (Die­se Rat­lo­sig­keit ver­lei­tet Kom­men­ta­to­ren zu aller­lei Ver­schwö­rungs­theo­rien – wenn Möl­zer und die Zeit­geist­me­di­en dabei viel­fach die­sel­ben alten Hüte bemü­hen, spricht das Bän­de, doch für kei­nen von bei­den.) Ohne das Blei­ge­wicht der müh­sa­men Funk­tio­närs­ka­der bes­ser abzu­schnei­den, war plau­si­bel allen­falls in Zei­ten der Hoch­kon­junk­tur; im Abschwung erweist sich gera­de die Orga­ni­sa­ti­on als Sicher­heits­netz: Sogar die sprich­wört­li­che Blind­darm­frak­ti­on – stän­dig erregt und zu nichts nüt­ze – fin­det da einen Rest von Exis­tenz­be­rech­ti­gung. Ver­mut­lich war alles auch mehr auf einen Eti­ket­ten­schwin­del ange­legt, einen PR-Gag, der über­dies die Chan­ce bot, eini­ge läs­ti­ge Kri­ti­ker los­zu­wer­den – und wie­der eine Zeit­lang im Licht der Kame­ras zu baden.
Die blau­en, jetzt „oran­gen“ Regie­rungs­mit­glie­der und die Mehr­heit des Par­la­ments­klubs (der for­mal bis heu­te sei­ne Ein­heit bewahrt hat!) wie­der­um sahen in dem Manö­ver des inner­par­tei­li­chen les extrè­mes se tou­ch­ent die Chan­ce, ihre Kri­ti­ker zu spal­ten, den Teu­fel mit Beel­ze­bub aus­zu­trei­ben, und gegen die publi­zis­tisch agi­le, aber im Natio­nal­rat bes­ten­falls mit ein oder zwei Man­da­ten ver­tre­te­ne Grup­pe um Möl­zer die gefähr­li­che­ren Kärnt­ner aus­zu­spie­len, die mit ihren vier oder fünf Abge­ord­ne­ten tat­säch­lich die Regie­rungs­mehr­heit in Gefahr brin­gen könn­ten. Die­se Arith­me­tik erklärt auch das gott­er­ge­be­ne Geba­ren des Koali­ti­ons­part­ners Hai­ders Lau­nen gegenüber.

Doch Hai­ders Nim­bus war außer­halb Kärn­tens schon zu sehr ange­schla­gen. Nur „sein“ Kärn­ten folg­te Hai­der; zwei wich­ti­ge Län­der (Ober­ös­ter­reich und Vor­arl­berg) erklär­ten sich für neu­tral bezie­hungs­wei­se bis auf wei­te­res selb­stän­dig; sechs von neun ver­blie­ben bei der alten FPÖ. Gelun­gen ist ihm tat­säch­lich, die Fron­ten des Jah­res 2002 – pro und con­tra Regie­rungs­be­tei­li­gung – auf­zu­bre­chen. Das Resul­tat erin­nert an den Vers über die Spal­tung der DDP 1930: „Koch schlug, was übrig war, ent­zwei / und nann­te es die Staats­par­tei.“ Die inner­par­tei­li­chen Fron­ten sind von Bun­des­land zu Bun­des­land ver­schie­den. Die „alte“ FPÖ gibt sich seit­her belei­digt und oppo­si­tio­nell, weil nicht mehr im Kabi­nett ver­tre­ten, doch alle ihre Abge­ord­ne­ten (bis auf eine) ste­hen treu zur Regie­rung; die oran­ge BZÖ gibt sich regie­rungs­freund­lich „kon­struk­tiv“ – und doch lau­ern alle Jour­na­lis­ten bloß auf den Tag, wo die Kärnt­ner wie­der der Kol­ler über­fällt. All die­se selt­sa­men Alli­an­zen stel­len poli­to­lo­gisch eine höchst inter­es­san­te Ver­suchs­an­ord­nung dar – ob sie die Glaub­wür­dig­keit beim nicht ein­schlä­gig inter­es­sier­ten Wäh­ler erhö­hen, ist schon nicht ein­mal mehr die Fra­ge. Alle Ver­su­che, das Cha­os ideo­lo­gisch zu behüb­schen, fal­len dabei wenig über­zeu­gend aus: Das BZÖ ist wenigs­tens ehr­lich genug, nicht ein­mal ein Pro­gramm auf­zu­stel­len – wer weiß schließ­lich, was Hai­der bis zur Druck­le­gung wie­der­um neu­es ein­fällt. Die FPÖ ver­läßt sich im Zwei­fels­fall auf EU-The­men – die ohne­dies nicht in Öster­reich ent­schie­den wer­den, was ihre Rele­vanz umso mehr in Fra­ge stellt. Ord­nungs­po­li­tisch wären Möl­zers Leit­ar­ti­kel in einem Auf­satz­wett­be­werb der Ebert-Stif­tung durch­aus preis­ver­däch­tig. „Hard­li­ner“ und „Umfal­ler“ kaschie­ren dabei nur not­dürf­tig das ver­zwei­fel­te Bemü­hen, irgend­wo wie­der­um poli­ti­schen Boden unter den Füßen zu bekommen.
Das BZÖ wird, so oder so, mit Hai­der ver­glü­hen. Die FPÖ könn­te theo­re­tisch an die Hono­ra­tio­ren­par­tei der Vor-Hai­der-Ära anknüp­fen – müß­te dazu frei­lich an die gesam­te Brei­te des natio­nal­li­be­ra­len Spek­trums anknüp­fen. Ihr jun­ger, nicht unta­len­tier­ter Obmann Heinz- Chris­ti­an Stra­che hat anfangs eini­ge Zei­chen in die­se Rich­tung gesetzt, doch inzwi­schen domi­niert Bun­ker­stim­mung: Man erlaubt dritt­klas­si­gen Appa­rat­schiks – nomi­na, und nicht nur die­se, sunt odio­sa – der BZÖ durch Schi­ka­nen und Aus­schlüs­se gegen alle noch Schwan­ken­den über­flüs­si­ger­wei­se Anhän­ger und Abge­ord­ne­te zuzu­trei­ben und führt mit Win­kel­ad­vo­ka­ten und Schlos­ser­werk­stät­ten vor dem klei­nen Bezirks­ge­richt Krieg um Par­tei­lo­ka­le und Schul­den. Der Ver­su­chung, sich als duro e puro zu sti­li­sie­ren, als die ein­zig Gesin­nungs­treu­en mit Cha­rak­ter und Rück­grat, die end­lich ihren Weg durch­set­zen, von dem sie bloß nicht wis­sen, wo er hin­führt, erscheint offen­bar unwi­der­steh­lich. Hält die­se Ten­denz an, so droht der FPÖ als Kom­bi­na­ti­on fin­di­ger natio­na­ler Devo­tio­na­li­en­händ­ler mit bie­der-apo­li­ti­schen Tol­pat­schen ein Schick­sal in der Nach­fol­ge der bun­des­deut­schen Möchtegern-Rechtsparteien.
Einen mög­li­chen Aus­weg könn­ten die Regio­nal­wah­len im Okto­ber zei­gen, die fast die Hälf­te der öster­rei­chi­schen Wäh­ler erfas­sen. Vor allem wer­den sie eine Klä­rung der Grö­ßen­ver­hält­nis­se brin­gen, die man­gels Mas­se in der Demo­sko­pie nicht mehr prä­zi­se wahr­ge­nom­men wer­den kön­nen. Die Wah­len fin­den auf für die BZÖ ungüns­ti­gem Ter­rain statt; sei­ne über­eif­ri­gen Wie­ner Anhän­ger haben Hai­der da in Zug­zwang gebracht. Die Nie­der­la­ge müß­te der BZÖ den Rest geben – wenn Hai­der nicht den Trumpf im Ärmel hät­te, daß sei­ne BZÖ sich um die vier-Pro­zent-Klau­sel – wie sie in Öster­reich gilt – nicht zu küm­mern braucht, weil sie in Kärn­ten auf ein Direkt­man­dat hof­fen darf.

Die FPÖ könn­te den Wie­der­ein­zug in die Land­ta­ge schaf­fen. Ob man ihr das wün­schen soll? Im Prin­zip: ja – wenn sie es einem nicht gar zu schwer macht: Der Appell an die Lager­so­li­da­ri­tät tut sei­ne Wir­kung nur, solan­ge man ihre Par­tei­zei­tung (oder ihren Gene­ral­se­kre­tär) nicht zu Gesicht bekommt. Viel­leicht bedarf es schal­len­der Ohr­fei­gen für bei­de Tei­le – als Anlaß zur Wie­der­ver­ei­ni­gung, für die im Hin­ter­grund so ziem­lich alle Elder Sta­tes­men der Par­tei ein­tre­ten. Wenn eini­ge Haupt­prot­ago­nis­ten der jüngs­ten Gra­ben­kämp­fe dabei auf der Stre­cke blie­ben, wäre der Ver­lust zu ver­schmer­zen. Als vor genau fünf­zig Jah­ren die Vor­gän­ger­par­tei der FPÖ, der „Ver­band der Unab­hän­gi­gen“, vor einer ähn­li­chen Lage stand, fan­den die Kon­flik­te wenigs­tens noch hin­ter ver­schlos­se­nen Türen statt, nicht im Haupt­abend­pro­gramm. Auf dem Höhe­punkt der Kri­se sperr­te die Indus­tri­el­len­ver­ei­ni­gung damals die Gel­der. Das wirk­te Wun­der. Ein ähn­li­cher Deus ex machi­na läßt sich der­zeit nicht aus­ma­chen. Als Ansatz könn­ten allen­falls die bei­den Lan­des­or­ga­ni­sa­tio­nen die­nen, die sich aus den Kon­flik­ten her­aus­zu­hal­ten ver­su­chen. Doch knab­bern an der maß­geb­li­chen in Ober­ös­ter­reich auch schon alle mög­li­chen Spalter.
Ob hier ein poli­ti­sches Lager zugrun­de geht? Wenn es denn so sein soll­te, ist das zwar scha­de – for­dert frei­lich die Fra­ge her­aus: wie­viel Sub­stanz denn tat­säch­lich noch vor­han­den war. Die Kul­tur­kampf­fron­ten des neun­zehn­ten Jahr­hun­derts, wie sie in ganz Euro­pa einst die poli­ti­schen Lager getra­gen haben, sind nun tat­säch­lich inhalt­lich aus­ge­dünnt – vor Kle­ri­kal-Kon­ser­va­ti­ven haben sich Frei­heit­li­che der Jahr­tau­send­wen­de zual­ler­letzt zu fürch­ten. Faßt man den Begriff ein wenig wei­ter und gän­gi­ger, so mag man die pole­mi­sche Fra­ge dar­an knüp­fen: Was ist eine (deutsch-)nationalliberale Par­tei wert, die gegen Neo-Libe­ra­lis­mus wet­tert und „Öster­reich zuerst“ skan­diert? Frei­lich, sach­lich gehen die wesent­li­chen Fra­gen ohne­hin schon längst quer durch alle Par­tei­en – die sozio­lo­gisch dann in einem ange­sichts die­ses Befun­des erstaun­li­chen Aus­maß doch wie­der­um zusammenhalten.
Ein­zi­ger demo­sko­pi­scher Licht­blick für all unse­re trau­ri­gen Hel­den ist ja immer­hin, daß fünf­zehn Pro­zent auch wei­ter­hin fin­den, eine Par­tei wie die FPÖ soll­te es geben. Prin­zi­pi­ell zumin­dest. Die Leu­te sind nicht plötz­lich für unkon­trol­lier­te Zuwan­de­rung und poli­ti­cal cor­rect­ness, ja – bei aller däm­li­chen Pole­mik gegen „Neo-Libe­ra­lis­mus“ – Gott sei dank auch nicht wirk­lich für Sozia­lis­mus und Schul­den­po­li­tik. Aber sie miß­trau­en dem Per­so­nal, das sich zum Gau­di­um der Lin­ken so ein­zig­ar­tig dane­ben­be­nom­men hat. Das kann ihnen nun wirk­lich kei­ner übelnehmen.
Für Öster­reich stellt sich bei all den selt­sa­men Meta­mor­pho­sen des Hai­der­schen Cha­mä­le­ons auch die Fra­ge, ob mit der FPÖ nicht zwangs­läu­fig die Idee einer bür­ger­li­chen Koali­ti­on stirbt oder zumin­dest wie­der­um auf Jahr­zehn­te ein­ge­mot­tet wird. Ideen ver­mö­gen „meta-poli­tisch“ auch ohne Par­tei­en wei­ter­zu­le­ben, wer­den durch sie gele­gent­lich sogar kom­pro­mit­tiert; aber Koali­tio­nen sind ohne Par­tei­en schwie­rig. Und die EU ist nun ein­mal ein Kar­tell der Regie­run­gen. Das, was sich durch klei­ne Par­tei­en in der rea­len Poli­tik eines Klein­staa­tes inner­halb der EU noch ver­än­dern läßt, schlägt jeden­falls mehr ins Fach der klei­nen Koali­tio­nen als der gro­ßen Ideen. Die Alter­na­ti­ven, die sich da anbie­ten – ent­we­der die läh­men­de Gro­ße Koali­ti­on oder aber die Grü­nen als Züng­lein an der Waa­ge – sind alle­samt wenig attrak­tiv. Kein Regie­rungs­chef in Euro­pa hat die Rech­te so ein­ge­bun­den wie Schüs­sel und Ber­lus­co­ni; bei­de haben wider alle Anfech­tun­gen ihr bes­tes getan, die­ses Bünd­nis zusam­men­zu­hal­ten. Wer ihr Sys­tem mut­wil­lig stürzt, hat das, was nach­kommt, auch tat­säch­lich verdient.

Dar­an ist in ers­ter Linie Hai­der schuld, zwei­fel­los. Das ist ein rich­ti­ger, aber nicht hin­rei­chen­der Schluß. Denn wäre Hai­der nicht ein so begabt-beses­se­ner Selbst­dar­stel­ler, hät­te er eben auch sei­ne Erfol­ge nicht erzie­len kön­nen. Daß sich ein sol­ches Natu­rell für das gedul­di­ge Boh­ren har­ter Bret­ter nicht eig­net, ist mehr als nur Zufall, son­dern Dilem­ma jeg­li­cher Poli­tik im TV-Zeit­al­ter. Der­lei cir­cen­ses, wie man sol­che cam­paigns frü­her nann­te, sind jedoch not­wen­dig, sobald die machi­ne poli­tics nicht mehr grei­fen, weil die panes, die zur Ver­tei­lung kom­men soll­ten, nicht mehr in hin­rei­chen­dem Aus­maß vor­han­den sind. Es ist eine Fik­ti­on, daß Bür­ger sich unab­läs­sig für das öffent­li­che Wohl begeis­tern. Da müs­sen schon Zusatz­rei­ze her – Künst­ler­pech frei­lich, wenn die Dar­stel­ler dar­über die Haupt­sa­che vergessen.
Das bringt uns zum sprin­gen­den Punkt: der man­geln­den Poli­tik­fä­hig­keit der bür­ger­li­chen Rech­ten, die als Impuls­ge­ber für die kon­ser­va­ti­ve Rou­tin­ever­wal­tung sozia­lis­ti­schen Erbes so not­wen­dig wäre, doch sich in geschmäck­le­ri­schen Res­sen­ti­ments ergeht, seit ihr mit dem rea­len Sozia­lis­mus das über­grei­fen­de Feind­bild ver­lo­ren­ge­gan­gen ist. (Es ist wohl kein Zufall, daß es damit in Ita­li­en am bes­ten bestellt ist, wo die Kom­mu­nis­ten noch ein Hauch von Real­prä­senz umgibt.) Dabei zeigt es sich, daß gera­de Recken, die gern preu­ßi­sche Tugen­den beschwö­ren und bis zum Über­druß von Cha­rak­ter­stär­ke schwär­men, lei­der meist der Selbst­ver­wirk­li­chung frö­nen, dem Prin­zip der instant gra­ti­fi­ca­ti­on ver­fal­len sind und poli­tisch über die eige­nen Füße stol­pern, weil sie sich über ent­le­ge­ne Cau­sen erei­fern und die Macht (bezie­hungs­wei­se den Zip­fel davon, der zur Dis­po­si­ti­on steht) hic et nunc den ande­ren überlassen.

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