Diesem Janusgesicht der freiheitlichen Bewegung entsprachen auch die beiden inhaltlichen Schwerpunkte, die ihren Aufstieg kennzeichneten: zum einen die damals noch meist als „neokonservativ“ bezeichnete Strömung, die in den achtziger Jahren mit Thatcher und Reagan in der angelsächsischen Welt ihre Triumphe gefeiert hatte, auf dem Kontinent und zumal in Österreich aber nur sehr zögerlich rezipiert worden war. Mit der Großen Koalition, der Schattenregierung der Sozialpartnerschaft, einem übergroßen Verstaatlichtenanteil und einer ziemlich einmaligen Durchdringung des öffentlichen Lebens mit Parteibuchwirtschaft gab es gegen entsprechende Vorstöße in Österreich auch Widerstände in einem überdurchschnittlichen Ausmaß.
Ausgelöst durch die massive Einwanderungswelle der Jahre 1990–93, begleitet auch von einer Verschärfung der Polarisierung, wie sie mit Haiders Abwahl als Kärntner Landeshauptmann 1991 einsetzte, schob sich dann aber in den neunziger Jahren das Thema Zuwanderung in den Vordergrund, das als Katalysator diente, um die FPÖ 1999 zur mit Abstand stärksten Arbeiterpartei zu machen. Eine gewisse Spannung zwischen beiden Stoßrichtungen war unverkennbar, aber nicht unüberbrückbar. Die Zuwanderungsfrage war hier nur ein Indiz dafür, daß die sozialdemokratische Arbeiterbewegung zum Teil von „Alt-68ern“ und „Nadelstreifsozialisten“ gekapert worden war, während sich die Gewerkschaften in den öffentlichen Sektor zurückgezogen hatten – und beide dem „Lohnabhängigen“, dessen Arbeitsplatz von der Konkurrenzfähigheit seiner Betriebe abhing, immer weniger Antworten zu geben vermochten. Ob von der Umverteilung, wie sie der moderne Wohlfahrtsstaat praktiziert, aber tatsächlich „der Arbeiter“ profitiert, zumal der junge Facharbeiter, wie er in der FPÖ-Klientel stark vertreten war, muß ohnedies äußerst fraglich erscheinen.
Die sozial ausgewogene Zusammensetzung der FPÖ-Wählerschaft verhielt sich komplementär zur Mitgliederstruktur der ÖVP, mit ihren Schwerpunkten bei Bauern und Beamten. Dieser Charakter der „Allerweltspartei“ war in Zeiten der politischen Konjunktur ein Vorteil, weil man den Gegner beliebig attackieren und stets auf dem falschen Fuß erwischen konnte. In der Defensive erweist sich dieser Mangel von Kernschichten hingegen als Nachteil. Bei ökonomischen Verteilungskämpfen waren Erosionserscheinungen da geradezu vorprogrammiert – was wohl mit ein Grund dafür sein dürfte, warum die Große Koalition und ihr großer Gegner beide liebend gern auf „Kulturkämpfe“ auswichen.
Bei den Wahlen im Herbst 1999 wurde die FPÖ zweitstärkste, Anfang 2000 in Umfragen sogar stärkste Partei: Dann kam die Regierungsbeteiligung. Die Abkehr von der Großen Koalition wurde meisterhaft inszeniert; die internatonale Empörung verschaffte der neuen Regierung Schüssel ungeahnten Rückhalt durch einen „nationalen“ Schulterschluß. Davon profitierte – keineswegs überraschend – die Kanzlerpartei ÖVP. Die überhöhten und zum Teil widersprüchlichen Erwartungen, die auf die FPÖ projiziert worden waren, konnten nicht alle erfüllt werden – die inhaltlichen nur mit Abstrichen, die persönlichen, die so mancher klammheimlich gehegt hatte, in Zeichen des Personalabbaus im öffentlichen Dienst schon gar nicht.
Verluste bis zu einem Drittel der Wählerschaft müsse man einkalkulieren, gab sich Haider anfangs realistisch. Doch die Leidensfähigkeit entsprach nicht der Erkenntnis. Haider hatte im Frühjahr 1999 eben erst seinen persönlichen Triumph in Kärnten erlebt, wo er zweiundvierzig Prozent errang und wieder zum Landeshauptmann gewählt wurde. Eine Koalition auf Bundesebene war nur möglich, wenn die FPÖ auf den Kanzler verzichtete – Haider tat es, legte sogar den Parteivorsitz nieder, mit welchen Hintergedanken auch immer. Das war sein historischer Moment – mit Beispielwirkung für Europa, wo in den nächsten Jahren gleich mehrere Regierungen mit direkter und indirekter Unterstützung der gesamten Rechten ins Amt traten.
Doch dann forderte das Menschlich-Allzumenschliche seinen Tribut. Nicht daß man hier eine neue Alleinschuld-These bemühen müßte. Wie Cäsar in Gallien hatte auch Haider seinen Koch dabei. Aber was immer enttäuschte Karrieristen, als gesinnungstüchtige hardliner getarnt, auch intrigierten, vom Unwesen der Sekretäre und Pressesprecher auf allen Seiten ganz zu schweigen, ohne sein Zutun (und das mag man als letztes Kompliment werten) wäre die katastrophale Entwicklung der letzten Jahre nicht denkbar. Der Ex-Obmann deckte der Regierungsfraktion nicht den Rücken, sondern machte sich in eklektizistischer Manier zum Sprecher des Unmuts. Den „Jörg, der sich was traut“ (so der Slogan der Frühzeit) überfiel die Angst vor der eigenen Courage. Sorgsam darauf bedacht, sich von allen Maßnahmen, die unpopulär hätten sein können, zu distanzieren. Strukturell rächte sich das lean management und die Konzentration auf Augenblickserfolge. Haider war der Rommel seiner Partei – ein genialer Taktiker mit Instinkt, aber ohne Sinn für langfristige strategische Planungen.
Die Entladung folgte im Spätsommer 2002. Anlaß war die Flutwelle, die in der BRD Schröder ins Amt zurückspülte. In Österreich hingegen schwemmte sie beinahe die Regierung weg, die aus diesem Anlaß die Verlegung einer Steuerreform ankündigte, um den Flutopfern zu helfen. Haider – sein Kärnten war von der Flut ja nicht betroffen – mobilisierte eine Mehrzahl der Parteitagsdelegierten gegen die Regierungsfraktion und die Vizekanzlerin Susanne Riess-Passer. Deren Sturz war vermutlich nicht sein Ziel, aber doch eine Inszenierung, die urbi et orbi seine Unentbehrlichkeit demonstrieren sollte. Seinen symbolischen Höhepunkt erreichte der innerparteiliche Rosenkrieg auf der Versammlung in Knittelfeld, als einer von Haiders Vertrauten ein Kompromißpapier, das Haider am Abend zuvor mit Riess-Passer ausgehandelt hatte, vor aller Augen zerriß und konfuse Delegierte dem Finanzminister erklärten, die Schuldenpolitik der Sozialisten sei ihnen lieber als sein ausgeglichenes Budget.
Vizekanzlerin, Finanzminister und Generalsekretär traten zurück; der Kanzler schrieb Neuwahlen aus. Während gelernte Österreicher schon mit dem Rückfall in die Große Koalition rechneten, behielt Schüssel die Nerven: Er zog mehr als die Hälfte der ehemaligen FPÖ-Wähler an sich, verhinderte eine Rot-Grün-Mehrheit und bildete im Frühjahr 2003 mit der Rest-FPÖ, die gerade noch zehn Prozent erreicht hatte, neuerlich eine Koalition.
Die „Knittelfelder“ haben mit ihrer Unbeherrschtheit die Halbierung der Partei provoziert und machen seither in einer Serie von Verschwörungstheorien Gott und die Welt, die Waffenlobby oder den Kanzler für die Resultate ihrer Dummheit verantwortlich. Erstaunlich war ja nicht, daß die Partei seither unter einer Reihe von kaleidoskopisch wechselnden Vorsitzenden, zuletzt Haiders Schwester Ursula Haubner, allesamt ehrlich bemüht, aber von dem Spagat zwischen den Launen Haiders und den Anforderungen der Regierungsbeteiligung sichtlich gezeichnet, kein Terrain gutmachen konnte – erstaunlich und ein Indiz für die residuale Beharrungskraft der Lager war, daß Umfragen der FPÖ trotz katastrophaler Optik weiterhin etwa acht Prozent gaben. Haider selbst sicherte sich 2004 mit einer teuren Kampagne gegen würdige, aber inferiore Gegner noch einmal die Wiederwahl in Kärnten und brach dann 2005 mit seinen Kumpanen unter den Knittelfeldern – wobei er sich ausgerechnet Mölzer zur Zielscheibe erkor, der selbst wendig genug ist und mit seinem EU-Wahlkampf gerade erst einen unbestreitbaren persönlichen Erfolg erzielt hatte. Nach einem Hin und Her, das jede Spur der alten taktischen Brillanz vermissen ließ, zog er dieses Frühjahr schließlich eine neue Partei, das „Bündnis Zukunft Österreich“ (BZÖ) aus dem Hut. Zwingender Grund für diese Flucht nach vorne ist keiner ablesbar. Was er sich dabei genau gedacht hat, muß man der Spekulation überlassen – wenn man sich in seiner Umgebung denn überhaupt viel dabei gedacht hat, Denken nämlich im Sinne rationalen Planens und nicht bloß schwammiger Wunschvorstellungen betrachtet. (Diese Ratlosigkeit verleitet Kommentatoren zu allerlei Verschwörungstheorien – wenn Mölzer und die Zeitgeistmedien dabei vielfach dieselben alten Hüte bemühen, spricht das Bände, doch für keinen von beiden.) Ohne das Bleigewicht der mühsamen Funktionärskader besser abzuschneiden, war plausibel allenfalls in Zeiten der Hochkonjunktur; im Abschwung erweist sich gerade die Organisation als Sicherheitsnetz: Sogar die sprichwörtliche Blinddarmfraktion – ständig erregt und zu nichts nütze – findet da einen Rest von Existenzberechtigung. Vermutlich war alles auch mehr auf einen Etikettenschwindel angelegt, einen PR-Gag, der überdies die Chance bot, einige lästige Kritiker loszuwerden – und wieder eine Zeitlang im Licht der Kameras zu baden.
Die blauen, jetzt „orangen“ Regierungsmitglieder und die Mehrheit des Parlamentsklubs (der formal bis heute seine Einheit bewahrt hat!) wiederum sahen in dem Manöver des innerparteilichen les extrèmes se touchent die Chance, ihre Kritiker zu spalten, den Teufel mit Beelzebub auszutreiben, und gegen die publizistisch agile, aber im Nationalrat bestenfalls mit ein oder zwei Mandaten vertretene Gruppe um Mölzer die gefährlicheren Kärntner auszuspielen, die mit ihren vier oder fünf Abgeordneten tatsächlich die Regierungsmehrheit in Gefahr bringen könnten. Diese Arithmetik erklärt auch das gottergebene Gebaren des Koalitionspartners Haiders Launen gegenüber.
Doch Haiders Nimbus war außerhalb Kärntens schon zu sehr angeschlagen. Nur „sein“ Kärnten folgte Haider; zwei wichtige Länder (Oberösterreich und Vorarlberg) erklärten sich für neutral beziehungsweise bis auf weiteres selbständig; sechs von neun verblieben bei der alten FPÖ. Gelungen ist ihm tatsächlich, die Fronten des Jahres 2002 – pro und contra Regierungsbeteiligung – aufzubrechen. Das Resultat erinnert an den Vers über die Spaltung der DDP 1930: „Koch schlug, was übrig war, entzwei / und nannte es die Staatspartei.“ Die innerparteilichen Fronten sind von Bundesland zu Bundesland verschieden. Die „alte“ FPÖ gibt sich seither beleidigt und oppositionell, weil nicht mehr im Kabinett vertreten, doch alle ihre Abgeordneten (bis auf eine) stehen treu zur Regierung; die orange BZÖ gibt sich regierungsfreundlich „konstruktiv“ – und doch lauern alle Journalisten bloß auf den Tag, wo die Kärntner wieder der Koller überfällt. All diese seltsamen Allianzen stellen politologisch eine höchst interessante Versuchsanordnung dar – ob sie die Glaubwürdigkeit beim nicht einschlägig interessierten Wähler erhöhen, ist schon nicht einmal mehr die Frage. Alle Versuche, das Chaos ideologisch zu behübschen, fallen dabei wenig überzeugend aus: Das BZÖ ist wenigstens ehrlich genug, nicht einmal ein Programm aufzustellen – wer weiß schließlich, was Haider bis zur Drucklegung wiederum neues einfällt. Die FPÖ verläßt sich im Zweifelsfall auf EU-Themen – die ohnedies nicht in Österreich entschieden werden, was ihre Relevanz umso mehr in Frage stellt. Ordnungspolitisch wären Mölzers Leitartikel in einem Aufsatzwettbewerb der Ebert-Stiftung durchaus preisverdächtig. „Hardliner“ und „Umfaller“ kaschieren dabei nur notdürftig das verzweifelte Bemühen, irgendwo wiederum politischen Boden unter den Füßen zu bekommen.
Das BZÖ wird, so oder so, mit Haider verglühen. Die FPÖ könnte theoretisch an die Honoratiorenpartei der Vor-Haider-Ära anknüpfen – müßte dazu freilich an die gesamte Breite des nationalliberalen Spektrums anknüpfen. Ihr junger, nicht untalentierter Obmann Heinz- Christian Strache hat anfangs einige Zeichen in diese Richtung gesetzt, doch inzwischen dominiert Bunkerstimmung: Man erlaubt drittklassigen Apparatschiks – nomina, und nicht nur diese, sunt odiosa – der BZÖ durch Schikanen und Ausschlüsse gegen alle noch Schwankenden überflüssigerweise Anhänger und Abgeordnete zuzutreiben und führt mit Winkeladvokaten und Schlosserwerkstätten vor dem kleinen Bezirksgericht Krieg um Parteilokale und Schulden. Der Versuchung, sich als duro e puro zu stilisieren, als die einzig Gesinnungstreuen mit Charakter und Rückgrat, die endlich ihren Weg durchsetzen, von dem sie bloß nicht wissen, wo er hinführt, erscheint offenbar unwiderstehlich. Hält diese Tendenz an, so droht der FPÖ als Kombination findiger nationaler Devotionalienhändler mit bieder-apolitischen Tolpatschen ein Schicksal in der Nachfolge der bundesdeutschen Möchtegern-Rechtsparteien.
Einen möglichen Ausweg könnten die Regionalwahlen im Oktober zeigen, die fast die Hälfte der österreichischen Wähler erfassen. Vor allem werden sie eine Klärung der Größenverhältnisse bringen, die mangels Masse in der Demoskopie nicht mehr präzise wahrgenommen werden können. Die Wahlen finden auf für die BZÖ ungünstigem Terrain statt; seine übereifrigen Wiener Anhänger haben Haider da in Zugzwang gebracht. Die Niederlage müßte der BZÖ den Rest geben – wenn Haider nicht den Trumpf im Ärmel hätte, daß seine BZÖ sich um die vier-Prozent-Klausel – wie sie in Österreich gilt – nicht zu kümmern braucht, weil sie in Kärnten auf ein Direktmandat hoffen darf.
Die FPÖ könnte den Wiedereinzug in die Landtage schaffen. Ob man ihr das wünschen soll? Im Prinzip: ja – wenn sie es einem nicht gar zu schwer macht: Der Appell an die Lagersolidarität tut seine Wirkung nur, solange man ihre Parteizeitung (oder ihren Generalsekretär) nicht zu Gesicht bekommt. Vielleicht bedarf es schallender Ohrfeigen für beide Teile – als Anlaß zur Wiedervereinigung, für die im Hintergrund so ziemlich alle Elder Statesmen der Partei eintreten. Wenn einige Hauptprotagonisten der jüngsten Grabenkämpfe dabei auf der Strecke blieben, wäre der Verlust zu verschmerzen. Als vor genau fünfzig Jahren die Vorgängerpartei der FPÖ, der „Verband der Unabhängigen“, vor einer ähnlichen Lage stand, fanden die Konflikte wenigstens noch hinter verschlossenen Türen statt, nicht im Hauptabendprogramm. Auf dem Höhepunkt der Krise sperrte die Industriellenvereinigung damals die Gelder. Das wirkte Wunder. Ein ähnlicher Deus ex machina läßt sich derzeit nicht ausmachen. Als Ansatz könnten allenfalls die beiden Landesorganisationen dienen, die sich aus den Konflikten herauszuhalten versuchen. Doch knabbern an der maßgeblichen in Oberösterreich auch schon alle möglichen Spalter.
Ob hier ein politisches Lager zugrunde geht? Wenn es denn so sein sollte, ist das zwar schade – fordert freilich die Frage heraus: wieviel Substanz denn tatsächlich noch vorhanden war. Die Kulturkampffronten des neunzehnten Jahrhunderts, wie sie in ganz Europa einst die politischen Lager getragen haben, sind nun tatsächlich inhaltlich ausgedünnt – vor Klerikal-Konservativen haben sich Freiheitliche der Jahrtausendwende zuallerletzt zu fürchten. Faßt man den Begriff ein wenig weiter und gängiger, so mag man die polemische Frage daran knüpfen: Was ist eine (deutsch-)nationalliberale Partei wert, die gegen Neo-Liberalismus wettert und „Österreich zuerst“ skandiert? Freilich, sachlich gehen die wesentlichen Fragen ohnehin schon längst quer durch alle Parteien – die soziologisch dann in einem angesichts dieses Befundes erstaunlichen Ausmaß doch wiederum zusammenhalten.
Einziger demoskopischer Lichtblick für all unsere traurigen Helden ist ja immerhin, daß fünfzehn Prozent auch weiterhin finden, eine Partei wie die FPÖ sollte es geben. Prinzipiell zumindest. Die Leute sind nicht plötzlich für unkontrollierte Zuwanderung und political correctness, ja – bei aller dämlichen Polemik gegen „Neo-Liberalismus“ – Gott sei dank auch nicht wirklich für Sozialismus und Schuldenpolitik. Aber sie mißtrauen dem Personal, das sich zum Gaudium der Linken so einzigartig danebenbenommen hat. Das kann ihnen nun wirklich keiner übelnehmen.
Für Österreich stellt sich bei all den seltsamen Metamorphosen des Haiderschen Chamäleons auch die Frage, ob mit der FPÖ nicht zwangsläufig die Idee einer bürgerlichen Koalition stirbt oder zumindest wiederum auf Jahrzehnte eingemottet wird. Ideen vermögen „meta-politisch“ auch ohne Parteien weiterzuleben, werden durch sie gelegentlich sogar kompromittiert; aber Koalitionen sind ohne Parteien schwierig. Und die EU ist nun einmal ein Kartell der Regierungen. Das, was sich durch kleine Parteien in der realen Politik eines Kleinstaates innerhalb der EU noch verändern läßt, schlägt jedenfalls mehr ins Fach der kleinen Koalitionen als der großen Ideen. Die Alternativen, die sich da anbieten – entweder die lähmende Große Koalition oder aber die Grünen als Zünglein an der Waage – sind allesamt wenig attraktiv. Kein Regierungschef in Europa hat die Rechte so eingebunden wie Schüssel und Berlusconi; beide haben wider alle Anfechtungen ihr bestes getan, dieses Bündnis zusammenzuhalten. Wer ihr System mutwillig stürzt, hat das, was nachkommt, auch tatsächlich verdient.
Daran ist in erster Linie Haider schuld, zweifellos. Das ist ein richtiger, aber nicht hinreichender Schluß. Denn wäre Haider nicht ein so begabt-besessener Selbstdarsteller, hätte er eben auch seine Erfolge nicht erzielen können. Daß sich ein solches Naturell für das geduldige Bohren harter Bretter nicht eignet, ist mehr als nur Zufall, sondern Dilemma jeglicher Politik im TV-Zeitalter. Derlei circenses, wie man solche campaigns früher nannte, sind jedoch notwendig, sobald die machine politics nicht mehr greifen, weil die panes, die zur Verteilung kommen sollten, nicht mehr in hinreichendem Ausmaß vorhanden sind. Es ist eine Fiktion, daß Bürger sich unablässig für das öffentliche Wohl begeistern. Da müssen schon Zusatzreize her – Künstlerpech freilich, wenn die Darsteller darüber die Hauptsache vergessen.
Das bringt uns zum springenden Punkt: der mangelnden Politikfähigkeit der bürgerlichen Rechten, die als Impulsgeber für die konservative Routineverwaltung sozialistischen Erbes so notwendig wäre, doch sich in geschmäcklerischen Ressentiments ergeht, seit ihr mit dem realen Sozialismus das übergreifende Feindbild verlorengegangen ist. (Es ist wohl kein Zufall, daß es damit in Italien am besten bestellt ist, wo die Kommunisten noch ein Hauch von Realpräsenz umgibt.) Dabei zeigt es sich, daß gerade Recken, die gern preußische Tugenden beschwören und bis zum Überdruß von Charakterstärke schwärmen, leider meist der Selbstverwirklichung frönen, dem Prinzip der instant gratification verfallen sind und politisch über die eigenen Füße stolpern, weil sie sich über entlegene Causen ereifern und die Macht (beziehungsweise den Zipfel davon, der zur Disposition steht) hic et nunc den anderen überlassen.