1. Das Potsdam-Treffen und die durch das Recherche-Portal „Correctiv“ inszenierte Kampagne könnten einerseits innerhalb des noch unentschlossenen oder ungebundenen Wählerpotentials mit AfD-Wahlabsicht einen Schock ausgelöst haben, der zunächst eine gewisse Distanzschwelle zur Partei aufbaut.
2. Die Diffamierungskampagne könnte jedoch auch zu einem Demobilisierungseffekt geführt haben. Innerhalb des Spektrums der im Bundestag vertretenen Parteien gibt es keine nennenswerten Verschiebungen, die auf Wählerwanderungen von der AfD zu einer der etablierten Parteien hindeuten. Dennoch könnte die „Bekenntnislust“ für eine AfD-Wahl einen Dämpfer erleiden, da weniger Menschen (aus Angst oder Scham) bereit sind, hier ihre Wahlpräferenzen zu äußern.
Normalerweise werden solche unbekannten Variablen in den statistischen Modellierungen der Institute wieder neutralisiert. Doch vielleicht sollen sinkende Umfragewerte für die AfD auch einen psychologisch-autosuggestiven Effekt auf das eigene Milieu haben. Schließlich soll sich nach dem Willen der Kampagnenakteure die Wirksamkeit der Demonstrationen nicht nur auf ein großes Selbstvergewisserungsritual beschränken. Die Hoheit über Methodik und Publikation der Zahlen haben immer noch die Institute selbst.
3. Das Bündnis-Sarah-Wagenknecht (BSW) ist aus seinem politischen Phantomschatten herausgetreten und wird nicht mehr nur als reine Potentialgröße gemessen. Daß BSW auch auf AfD-Wählerpotentiale zugreifen würde, war erwartbar, doch die Schreckensszenarien von möglicherweise der Hälfte der aktuellen AfD-Wähler, die zu BSW wandern würden, scheinen sich vorerst nicht zu bewahrheiten. Die aktuelle Wählerschaft des BSW verortet sich laut INSA verstärkt links der Mitte und dürfte damit vor allem auch ein klassisch linkskonservatives Milieu in der Linkspartei und der SPD einsammeln.
Angesichts der Gleichzeitigkeit dieser politischen Entwicklungen wird es schwer, einfache Kausalitäten für die sinkenden Umfragewerte auszumachen. Möglicherweise kostet jeder Faktor für sich genommen auch den ein oder anderen Prozentpunkt. Dennoch ist das Verfallen in eine defätistische Katerstimmung unangebracht. Es war abzusehen, daß das Establishment im Wahljahr 2024 alle repressiven und politischen Ressourcen mobilisiert, die den Erfolgskurs der AfD zu stoppen versuchen. Die Akzeptanz und Einbindung der AfD als normale „Mitte-Rechts-Partei“ in einer pluralistischen Demokratie ist für die Altparteien als Denkhorizont gar nicht mehr möglich. Die Stoßrichtung ist jetzt klar vorgegeben und sollte auch dem letzten bewußt werden.
Das Parteienkartell und das daran angeschlossene linksliberale mediale und kulturelle Vorfeld setzen auf maximale Polarisierung und schlußendlich die Eliminierung rechtskonservativer Ideen und Botschaften. Partei- und Organisationsverbote, Ein- und Ausreisesperren für rechte Protagonisten und die infrastrukturelle Zerschlagung mithilfe von Zensur und finanziellen Druckmitteln werden jetzt deutlich zunehmen. Der politische Wetteinsatz dafür ist enorm. Denn auch wenn man jetzt rechte Strukturen schwächen und zerschlagen will, ist völlig unklar, wie man dann mit der weiterhin großen demoskopischen Zustimmungsbasis umgehen will. Die Probleme im Land von der ungebremsten Massenzuwanderung, Deindustrialisierung, Wirtschaftskollaps und Co verschwinden dann ja nicht, sondern werden das Frustrationslevel weiterhin auf hohem Niveau halten.
Blicken wir etwas tiefer in die aktuellen Umfrageerhebungen, dann wird deutlich, daß der vom Establishment totale AfD-Einbruch keineswegs so stark ausfällt wie erhofft. Das erweiterte Wählerpotential liegt beim Umfragendienstleister YouGov seit Juli 2023 unverändert bei 10%.
Bei der Frage, ob die aktuelle Berichterstattung zur AfD das Bild gegenüber der Partei eher positiv oder negativ beeinflusst hat, gibt eine deutliche Mehrheit der AfD-Anhänger laut YouGov an, daß die Medienkampagne ihr positives Bild von der Partei sogar eher gefestigt oder gar nicht verändert hat.
51% der AfD-Wähler können sich grundsätzlich nicht mehr vorstellen, bei der nächsten Bundestagswahl eine andere Partei außer der AfD zu wählen. Ein Plus von 12%. Auch im INSA-Meinungstrend bleibt die Partei mit 17% gefestigtem Wählerstamm immer noch die zweitstärkste Kraft in den Umfragen. Beim Anteil derjenigen, die eine AfD-Wahl kategorisch ausschließen, bleibt der Wert weiterhin stabil zwischen 55–58%. Vor zwei Jahren waren es noch bis zu über 70%.
Hieraus können wir bereits ablesen, daß sich um die Partei auch der feste Wählerschaftskern erweitert hat und in Richtung eines Normalisierungstrends zeigt. Die 22–24% der letzten Monate könnten womöglich Ausdruck eines vorläufigen Mobilisierungsmaximums gewesen sein, welches vor allem durch die hohe Unzufriedenheit und die günstige Themenlage bedingt war. Dennoch scheint die Partei sowohl bei ihrer Stammwählerbasis und dem erweiterten Potential die Fallhöhe verringert zu haben.
Fassen wir zusammen:
Die reinen Umfragewerte bilden aktuell nur ein kleines Spektrum innerhalb der verschiedenen Zustimmungsparameter zur AfD ab. In den ostdeutschen Bundesländern liegt die Partei weiterhin bei deutlich über 30% und kann immer mehr administrative Ämter besetzen. Die Kernwählerschaft hat sich über das letzte Jahr auf 17–19% stabilisiert. Das erweiterte Wählerpotential bleibt konstant. Die AfD dominiert nach wie vor den überwiegenden Teil des Wählerraumes rechts der Mitte. Das kann ihr auch BSW nicht so schnell streitig machen, da Wagenknecht und Co sich immer auch einen programmatischen Spagat zwischen ihrer eher links verorteten Kernanhängerschaft und ihrem vagen rechten Potential leisten müssen. Die Themenlage und die Unzufriedenheit mit der Regierung verschaffen der AfD auch weiterhin ein günstiges Momentum. Migration und Inflation bleiben die Dauerbrenner.
Zusätzlich ist das Stimmungsbild zu noch härteren Repressionsmaßnahmen gegen die AfD und ihr Vorfeld eindeutig. Eine klare Mehrheit von 65% wünscht sich laut Infratest DIMAP Umfrage eine stärkere politische Auseinandersetzung mit der AfD. Nur 37% aller Deutschen befürworten tatsächlich auch ein Parteiverbotsverfahren.
Auch im realen Stimmungstest läßt sich das Wachstum und die Normalisierung nachvollziehen. Bei der am letzten Wochenende stattgefundenen Teil-Wiederholungswahl in Berlin konnte die AfD in den meisten Bezirken zwischen 4–5% zulegen und dadurch trotz einer generell niedrigen Wahlbeteiligung das Gesamtergebnis nochmals um 1% steigern. Auffällig ist dabei, daß die Partei vor allem in jenen Wahlbezirken am stärksten zulegen kann, wo sie auch schon bei der Bundestagswahl 2021 vergleichsweise gut abgeschnitten hatte.
Dies deckt sich auch mit den Erkenntnissen einer bisher noch unveröffentlichten Studie der Bertelsmann-Stiftung, aus der bereits einige Medien zitiert haben. Mithilfe einer großflächigen Befragung innerhalb der verschiedenen Sinus-Milieus konnten die Politikwissenschaftler Kai Unzicker und Robert Vehrkamp zeigen, daß insbesondere in den gesellschaftlichen Milieus mit einem geringeren materiellen und finanziellen Polster die Zustimmung für die Ampel-Parteien um mehr als die Hälfte abgenommen hat. Vehrkamp stellt fest, daß die Gewinne für die AfD in den unteren sozioökonomischen teilweise viermal so hoch sind wie jene der Union. Neben dieser Zuwachsdynamik kommt hier ein stabilisierendes Element hinzu. Vehrkamp sagt:
Das bröckelt gerade und in einzelnen Milieus ist die Ablehnung der Grünen sogar schon etwas stärker ausgeprägt als die Ablehnung der AfD.
Das Phänomen AfD als demoskopischer Faktor reicht inzwischen deutlich tiefer und ist mehr als nur eine reine Protestdynamik. Die Normalisierung und Festigung der Partei verläuft entlang verschiedener Entwicklungsstränge, die für sich genommen auch eine gewisse Resilienz gegenüber Hetz- und Diffamierungskampagnen entwickelt haben.
Klaus Kunde
Die AfD dürfte ein verläßliches Stammwählerpotential von vielleicht 10% mobilisieren, weltanschaulich Gefestigte, weitgehend resistent gegen mediale Beeinflussung. Hinzu kommen unkalkulierbare Boni, politisch heimatlose Hardcorekonservative, die wegen der Linksverschiebung der Union und mangels Alternative über ihren Schatten springen müssen. Dann gibt es noch die, die man langläufig Protest- oder Wechselwähler nennen könnte, unsichere Kantonisten eben, anfällig für Wirrungen im metapolitischen Raum. Summa summarum vielleicht 20 - 25%. In der Heterogenität für Wahlforscher ein toxisches Derivat, schwer einschätzbar und interpretierbar.