Der Vlaams Blok ging 1979 aus der „Vlaamse Volkspartij“ und der „Vlaams Nationale Partij“ hervor. Gründer und langjähriger Vorsitzender der Partei war der Flame Karel Dillen. Die Hafenstadt Antwerpen galt als Hochburg des Blok. Unter dem Antwerpener Vorsitzenden und Spitzenkandidaten für die Kommunalwahlen Filip Dewinter richtete die Partei sich seit den neunziger Jahren verstärkt gegen die Einwanderung und die liberale belgische Integrationspolitik. In Wallonien, dem frankophonen Süden Belgiens, spielte der Blok keine bedeutende Rolle. Im niederländischsprachigen Flandern hingegen wählt in den Städten Antwerpen, Gent und Mechelen bis zu einem Drittel der Bevölkerung die Partei Dewinters.
In den letzten Jahren wurde die Partei verstärkt zum Ziel einer juristischen Gegenkam-pagne. Belgiens Grüne und Sozialisten versuchten, die Parteienfinanzierung gezielt zu reformieren, um so „verfassungsfeindliche“ Parteien von öffentlichen Steuermitteln fernzuhalten. Die juristische Grundlage für diese Initiative bildete ein belgisches Gesetz aus dem Jahr 1999. Problematisch war allerdings, daß in diesem Gesetz die entsprechenden Durch-führungsbestimmungen fehlten. Die Grünen und Sozialisten wußten im Oktober 2003 das Parteiengesetz aber entsprechend zu „reparieren“: eine Änderung, die vor allem den Vlaams Blok traf.
Daß es eine Partei, die sich nicht nur gegen die Schattenseiten der „multikulturellen Gesellschaft“ ausspricht, sondern dazu noch für die Rechte der Flamen eintritt, nicht leicht hat, erfuhr der Vlaams Blok am 9. November 2004. An diesem Tag befand der belgische Hohe Gerichtshof, daß der Vlaams Blok sich schwerer Verstöße gegen belgische Antirassismusgesetze schuldig gemacht habe. Die Entscheidung des Gerichts kam einem Parteiverbot gleich. Dem Blok standen durch das Urteil keine staatlichen Gelder mehr zu, was umso problematischer war, als private Parteienfinanzierung in Belgien weitgehend verboten ist. Außerdem drohte Mitarbeit in der Partei mit dem Entscheid strafbar zu werden.
Die nüchterne Reaktion des Parteivorsitzenden Frank Vanhecke – „auch wenn wir juristisch als Kriminelle gelten, werden wir wiederkommen“ – hat sich mittlerweile als erfolgreich erwiesen. In Erwartung des Urteils wurden von der Parteispitze bereits Vorbereitungen getroffen, den Blok aufzulösen und eine Nachfolgepartei zu schaffen. Diese Neugründung wurde am 14. November letzten Jahres unter der Bezeichnung „Vlaams Belang“ (Flämisches Interesse) vollzogen.
Hat diese Namensänderung zu einer inhaltlichen Neuorientierung geführt? Hat der Vlaams Belang sich von den politischen Auffassungen des Vlaams Blok entfernt? Oder ist alles beim alten geblieben? Die Neugründung Vlaams Belang ist eindeutig als Nachfolgepartei des Vlaams Blok zu erkennen. Doch ist unübersehbar, daß Dewinter und die Seinen Änderungen in den Parteistandpunkten durchgeführt haben. Sie haben die Chance genutzt, die Partei in den Augen vieler salonfähiger zu machen. Durch den Abschied von Vorstellungen, die vom Gerichtshof als „rassistisch“ bezeichnet wurden, will die Führungsspitze der Partei künftigen Prozessen vorbeugen. Außerdem hätte ein salonfähiger Vlaams Belang mehr Chancen auf eine künftige Zusammenarbeit mit rechten Liberalen und wertekonservativen Christdemokraten aus den anderen flämischen Parteien.
Es ist denn auch keineswegs überraschend, daß der Vlaams Belang ein entschärftes Parteiprogramm verabschiedet hat, aus dem die Forderung, alle nichteuropäischen Ausländer sollten abgeschoben werden, gestrichen wurde. Der Abschied von diesem Plan stellt einen deutlichen Bruch mit einstmals vertretenen, als extremistisch kritisierten Standpunkten dar.
Parteigründer Dillen hatte 1979 als Grundsatz seiner Partei „die Rückkehr der übergroßen Mehrheit der nicht-europäischen Gastarbeiter nach ihrem eigenen Vaterland“ innerhalb eines „vertretbaren Termines“ angekündigt. Dieses Vorhaben wurde 1992 von Filip Dewinter auf dem Kolloquium „Immigration – Der Westen vor der Wahl“ bestätigt, indem er einen „70-Punkte-Plan“ vorlegte, in dem die konkrete Umsetzung der Immigrantenrückkehr präsentiert wurde. Dieser Plan wurde, wie die ursprünglichen Grundsätze der Partei, für den Hohen Gerichtshof zum durchschlagenden Beweis für die Berechtigung der Klage des flämischen „Centrum voor Rassismebestrijding“ (Zentrum für Rassismusbekämpfung) und der „Liga voor de mensenrechten“ (Liga für die Menschenrechte), es handle sich beim Vlaams Blok um eine „rassistische Partei“, die sich auf „Ethnie“ statt auf „Nationalität“ berufe.
Daß die Partei keineswegs geneigt ist, sich gänzlich von ihren Grundsätzen zu verabschieden, macht der Wahlspruch deutlich, mit dem der Vlaams Belang ebenso wie der einstige Vlaams Blok seine Wähler mobilisiert. Es ist ein Spruch, der nichts an Deutlichkeit zu wünschen übrigläßt: „Aanpassen of terugkeren“ (Anpassung oder Rückkehr). Nach wie vor setzt die Partei auf konservative Werte wie Familie, Heimat und eigene Identität. In den wirtschaftlichen Vorstellungen des Vlaams Belang ist eine verstärkte Orientierung am marktwirtschaftlichen Denken zu beobachten, die sich an amerikanischen konservativen think tanks wie dem Intercollegiate Studies Institute orientiert. Die Partei hat den Anti-Amerikanismus der belgischen Sozialisten wiederholt kritisiert. In der belgischen Politik macht sich die Partei nach wie vor für die Unabhängigkeit des wirtschaftlich stärkeren Flanderns stark. Auch plädiert sie, wie der Vlaams Blok, für einen direkten Emigrationsstopp. Obwohl der Vlaams Belang keine konfessionelle Partei ist, setzt sie auf christliche Werte und spricht sich als einzige belgische Partei gegen Abtreibung und Sterbehilfe aus.
Gegner des Vlaams Belang werfen der Partei aber immer noch vor, das Recht auf freie Meinungsäußerung zu mißbrauchen. Nach wie vor versuchen die fl ämische und wallonische Linke, auf den „rassistischen Charakter“ der Partei zu verweisen. Ihnen reicht es dabei, wenn der Vorsitzende Frank Vanhecke über die Unvereinbarkeit von westlicher Demokratie und Islam spricht. Sollte der belgische Hohe Gerichtshof sich von dieser Anschuldigung überzeugen lassen, stünde allerdings eine bunte Reihe von prominenten Politikern und Intellektuellen vor Gericht: der syrisch-libanesische Dichter Adonis, die niederländische Islamkritikerin Ayaan Hirsi Ali, der britische Philosoph Roger Scruton, der Harvard-Politologe Samuel Huntington, der ehemalige deutsche Bundeskanzler Helmut Schmidt und der niederländische Parlamentarier Geert Wilders.
Die belgische etablierte Politik ist ohne Zweifel von einem cordon sanitaire geprägt, von einem cordon médiatique kann aber nicht die Rede sein: Die fl ämische Presse berichtet überwiegend sachlich über die Partei. Und es sind gerade die aufl agenstärksten Zeitungen wie De Gazet van Antwerpen und Het Laatste Nieuws, die nicht selten sympathisierend über die Vorschläge der Partei schreiben. Lediglich die ausgesprochen linke Zeitung De Morgen greift den Vlaams Belang in ihrer Berichterstattung stark an – daran hat auch die Transformation von Vlaams Blok zu Vlaams Belang wenig geändert.
Darüber hinaus gibt es Grund für die Annahme, daß auch Teile der belgischen Politik eine Revidierung des cordon sanitaire anstreben. So hat der Genter Professor und liberale Politiker Boudewijn Bouckaert neulich für einen „rechten Aufwind“ im Land plädiert. Der Vlaams Belang gehöre nach Bouckaerts Ansicht in eine belgische Mitte-Rechts-Regierung.
Auch das Ausland scheint einer inhaltlichen Zusammenarbeit mit Dewinters Partei immer offener gegenüberzustehen. So kündigte Hilbrand Nawijn, ehemaliger Integrationsminister der Niederlande und bislang Abgeordneter der „Liste Pim Fortuyn“, im letzten Monat eine verstärkte Zusammenarbeit mit Dewinter an. Im Wohnhaus des 2002 ermordeten rechten Politikers Pim Fortuyn gründeten beide Politiker eine Stiftung, die in Europa für die Rechte der Niederländischsprachigen eintreten und sich mit den Themen nationale Identität, Ausländerpolitik, Kultur und wirtschaftlicher Zusammenarbeit befassen soll. Dewinter hat eine verstärkte Zusammenarbeit verschiedener rechtsgerichteter Parteien wiederholt befürwortet und die Deutschen ausdrücklich dazu eingeladen.