Kindererziehung ist kein Ponyhof. Immer noch nicht.

Meine Tochter hat mir ein „lustiges“ Kurzvideo einer Influencerin gezeigt. Die junge Frau läßt knapp und selbstironisch Revue passieren, was sie während ihrer Schwangerschaft plante – und wie es dann ausging.

Ellen Kositza

Ellen Kositza ist Literatur-Redakteurin und Mutter von sieben Kindern.

Sie plan­te zwei zucker­freie ers­te Jah­re. Sie plan­te, ihren Buben selbst zu betreu­en in die­ser Zeit. Sie plan­te eine bild­schirm­freie Kleinkindzeit.

Natür­lich sind all die­se Plä­ne geschei­tert, und die Influen­cer-Mom stellt es so lus­tig dar, als sei „es heu­te eben so“: Logisch wer­den Kin­der­scho­ko­la­de-Pro­duk­te gevöl­lert („was wills­te machen?“), logisch wird der Jun­ge („Ich ging psy­chisch auf dem Zahn­fleisch“) mit 14 Mona­ten für sie­ben Stunden/Tag in die „Kita“ gescho­ben, und logisch fin­det er die Bild­schirm­me­di­en „super­in­ter­es­sant“. Er kann schon her­um­tip­pen!! Und wie er sich dabei freut!

Es gibt zehn­tau­sen­de Vide­os, wo Kleinst­kin­der gewieft mit dem Smart­phone inter­agie­ren. Wer das süß fin­det, ist nicht ganz bei Trost.

Klei­ne Kin­der müs­sen ent­wick­lungs­psy­cho­lo­gisch ler­nen, zu begrei­fen. Das ist ganz hap­tisch gemeint. Das mehr­di­men­sio­na­le, vir­tu­el­le Inter­net ist für sie die rei­ne Hölle!

Klei­ne Kin­der müs­sen eine Kar­tof­fel anfas­sen, eine Kas­ta­nie oder eine Wal­nuß. Sie müs­sen das Unmit­tel­ba­re sinn­lich erfah­ren: Gerü­che, Geräu­sche, Anbli­cke. Ich glau­be, für heu­ti­ge Jung­müt­ter ist die­se not­we­ni­ge Geduld und Lang­sam­keit noch schwie­ri­ger, als es damals für mich bereits war. Minu­ten­lang vor einem Hau­fen Laub oder einem Pfer­de­ap­fel­hau­fen zu ver­har­ren – ja bit­te, wie läßt sich denn das mit der weib­li­chen Eman­zi­pa­ti­on ver­bin­den? Gar nicht! Man muß schon wis­sen, was man will. Und dann muß man sich am Rie­men rei­ßen. Kin­der­er­zie­hung ist kein Ponyhof.

Klei­ne Kin­der haben rein gar nichts zu suchen in vir­tu­el­len Räu­men. Nein, nicht mal für die zehn Minu­ten, in denen man „nur mal in Ruhe“ das Wasch­be­cken rei­ni­gen oder die Nägel lackie­ren will. Man­fred Spit­zer hat in sei­nen Büchern über die Toxi­zi­tät der Gerä­te für das Kin­der­hirn dies alles ja haar­ge­nau beschrieben.

Ich selbst rau­che gele­gent­lich. Ich rau­che nie, wenn Kin­der anwe­send sind. Das glei­che soll­te sogar für unse­re Smart­phone-Nut­zung gel­ten. Macht es ihnen nicht dau­ernd vor! Daß es da die­se „ande­re Welt“ gibt! Daß sie für uns anschei­nend bedeut­sam ist!

Nein, die­se netz­frei­en Kin­der wer­den kei­ne kul­tu­rell „Zurück­ge­blie­be­nen“ sein, wenn sie (min­des­tens) ihr ers­tes Lebens­jahrs­iebt völ­lig abs­ti­nent erle­ben. (Da wir eher streng sind, gibt es bei uns sogar bis zum 12. Lebens­jahr kei­nen elek­tro­ni­schen Medi­en­kon­sum. Bei den grö­ße­ren Kin­dern war die Gren­ze noch bei 14 Jah­ren. Es sind „den­noch“ groß­ar­ti­ge Erwach­se­ne gewor­den – die übri­gens in jeder Hin­sicht „mit­re­den“ kön­nen.) Im Gegen­teil, sie wer­den sich der vir­tu­el­len Welt mit weit­aus sta­bi­le­rer Gesund­heit stel­len können.

Par­don, ich mag mich nicht über­he­ben – aber ich weiß ziem­lich genau, woher es kommt, wenn Viert­kläß­ler „sich rit­zen“ und Vier­zehn­jäh­ri­ge ein „Trans­ge­fühl“ bekom­men. Das kommt nie „aus sich selbst“. Es wird durch frü­hen Medi­en­kon­sum induziert.

Es gibt für unse­re klei­nen Kin­der eine ers­te, eine zwei­te und eine drit­te Welt. Die Theo­rien vom „Ler­nen in kon­zen­tri­schen Krei­sen“ (Pes­ta­loz­zi) und die Päd­ago­gik der Anschau­ung (Come­ni­us) mögen Jahr­hun­der­te auf dem Buckel haben – es sind aber jene ewig­gül­ti­gen Ansät­ze, die heu­te noch im Recht sind.

Ich weiß genau, wie schwie­rig es ist, sich nicht vom Zeit­geist kor­rum­pie­ren zu las­sen. Selbst ich sehe heu­te eini­ge Sachen ent­spann­ter als noch vor zehn Jah­ren – oft weiß ich nicht genau, ob das nach­las­sen­de Anspan­nung oder Alters­weis­heit ist …

Die ers­te Welt ist das direkt Erleb­te. Daher sind die ers­ten acht­zehn Mona­te (min­des­tens!) so wich­tig. Kei­ne Kita-Betreue­rin der Welt kann die­sen wert­vol­len Erst­be­zug zu den umge­ben­den Din­gen leisten.

Die zwei­te: die unmit­tel­bar tra­dier­ten Wer­te und Nor­men. Sagen wir: der Mar­tins­zug, der Niko­laus, der Oster­ha­se (oder Ver­gleich­ba­res in nicht­christ­li­chen Zusam­men­hän­gen). Auch das Guten-Tag-Sagen, das Platz-frei-machen für Ältere.

Die drit­te Welt ist das Über­ge­stülp­te: die post­ko­lo­nia­len Zusam­men­hän­ge, das ver­knif­fe­ne Über­schrei­ben alter Kin­der­bü­cher, die umfas­sen­de Umer­zie­hung, der Diri­gis­mus! Das also, was „im Inter­net“ statt­fin­det. Die­se Sozia­li­sa­ti­ons­agen­ten sind bereits im aller­frü­hes­ten Alter aktiv und adap­tie­ren früh in „kind­ge­rech­ten“ Formen.

Hal­ten wir die­se drit­te Welt lie­ber fern von unse­ren Kindern!

Ellen Kositza

Ellen Kositza ist Literatur-Redakteurin und Mutter von sieben Kindern.

Nichts schreibt sich
von allein!

Das Blog der Zeitschrift Sezession ist die wichtigste rechtsintellektuelle Stimme im Netz. Es lebt vom Fleiß, von der Lesewut und von der Sprachkraft seiner Autoren. Wenn Sie diesen Federn Zeit und Ruhe verschaffen möchten, können Sie das mit einem Betrag Ihrer Wahl tun.

Sezession
DE58 8005 3762 1894 1405 98
NOLADE21HAL

Kommentare (24)

Deutsche Frau

19. Februar 2024 14:06

Ich hatte im vergangenen Jahr in einer Gaststätte miterleben müssen, wie ein Elternpaar (beide bereits älteren Semesters) ihrem schätzungsweise 2,5jährigem Sohn während des gesamten Aufenthaltes ein Smartphone vor die Nase setzten, auf dem die kleinen Finger wischten und tippten und aus welchem es permanent kreischte. Anwesend war auch die Oma des Kindes. Die drei Erwachsenen redeten kaum. Auch beim Essen hatte man dem Kleinen das Smartphone hinter dem Teller aufgebaut, damit er beim In-den-Mund-schaufeln den Blick vom Wischkasten nicht abwenden musste.Es tat mir so weh, daß ich beinahe körperliche Schmerzen erlitt und mir der Appetit komplett vergangen war. Mein Mann konnte das nicht wirklich verstehen. Und doch hatte ich nicht den Mut, an den Tisch zu gehen und ihnen mitzuteilen,  was mir so zu schaffen machte, aber diesen Eltern offenbar nicht im geringsten bewußt war.Meine heute erwachsenen Kinder sind in den ersten Lebensjahren komplett fernsehfrei aufgewachsen, gerade auch in den ersten Monaten, in denen man annehmen könnte, daß sie als Säuglinge ja von dem Geflimmer nichts mitbekämen. Ihr wichtigster Spielplatz war die Natur, der Wald, mit Freunden und Eltern. Sie haben heute im Erwachsenenalter nicht einmal einen Fernseher. Ich hoffe, daß der kleine Junge das echte Leben noch erfahren und seinen Weg gehen darf.    

Kositza: Ich habe diese Smartphone-hinter-dem-Kinderteller-Szenen schon so häufig erlebt, daß ich es fast als "neue Normalität" einschätze...

Laurenz

19. Februar 2024 15:13

Da ich keine lebenden Kinder habe, kann ich das aus Eltern-Sicht schlecht beurteilen. Kann mich aber an meine Kindheit bis ins Alter von 2,5 Jahren erinnern. Man braucht als Kind nichts virtuelles. Ein paar Klötze, Kreisel reichen, um sich zu beschäftigen. Alles andere verhindert die zu entwickelnde Kreativität. Bin zwar kein Ingenieur geworden, dafür wurde schon als Kind meine Welt viel zu groß. Vielleicht durfte ich schon zu früh Karl May lesen (mit 8 etwa), was nicht unbedingt kindergerechte Literatur darstellt. Ich wurde aber weder schwul noch Krimineller, was Karl May mutmaßlich zu Seinen zu verarbeitenden Lebenserfahrungen zählte. Meine Mutter (85) ist Zeit Ihres Lebens sehr mädchenhaft & Geduld nicht Ihre Stärke. Dafür ist Sie liebvoll, je nach weiblicher Stimmung. Ihre Mutter, meine Oma, war geduldig. Sie führte mich durch die wichtigen Dinge des Lebens, Wald, Garten, Einkauf, Hinternabwischen, Kochen, Waschen. Es war nie langweilig. Als Kind spürte ich haargenau, wann ich still sein mußte, wenn die Tätigkeit meiner Oma höchste Konzentration erforderte. Es hat nie eine schönere Kindheit gegeben, ähnlich wie die HBs.

RMH

19. Februar 2024 15:27

Geht ja schon los damit, dass die Kleinen im Kinderwagen nicht mehr das Gesicht ihrer Mutter oder der Person, die gerade den Wagen schiebt, sehen, sondern jemanden, der eine kleine, eckige Tafel sich vor das Gesicht hält und komplett darauf fixiert ist, manchmal auch noch Stöpsel in den Ohren hat. Es sagt alles über diese Gesellschaft aus, wenn Frau Kositza hier solche Selbstverständlichkeiten niederschreiben muss und das schlimme ist, sie werden nur von Leuten gelesen, die sie ohnehin teilen. Was wir erleben, ist das Verschieben des Erwachsenseins bis ins Pflegeheim, angezeigt auch durch junge Paare, die denken, Kinder sind nur Verzicht und wenn man Kinder hat, muss man es so organisieren, dass möglichst alles so wie vorher bleibt (vom Luftdruck schreiende Babies im Flieger gehören bei dieser "Verabredung" auch dazu). Reiferückstand allerorts, erwachsen wird offenbar keiner mehr oder keiner will es mehr sein. Evtl. kann Frau Frieda Helbig bereits von den ersten großen Babies berichten, die mit den kompletten Reiferückständen, die eine Nachkriegsbiografie ermöglichte, nun im Pflegeheim aufschlagen und dort sicher schnell zu den Lieblingen des Personals avancieren. 

Mauerbluemchen

19. Februar 2024 15:42

Den einschneidensten Untergangsmoment hatte ich vor wenigen Jahren als beim nachmittäglichen Vorspiel am Ende des sogen. Streichertages unserer Musikschule gespenstische Stille herrschte. Bislang ging es im Publikum immer etwas unruhig, quengelig und wuselig zu, weil die jüngeren Geschwister der kleinen und größeren Streicher auf der Bühne schon seit Jahren verläßlich das typische Verhalten für Kleinkinder an den Tag legten. Diesmal lag Totenstille über dem dichtgedrängten Publikum, weil die Mittelstandseltern durch die Bank weg ihre mitgeschleppten Kleinen mit digitalen Endgeräten sediert hatten. Man kam sich vor wie im Horrorfilm oder gar in der Apokalypse - überall um einen herum diese kleinen Gesichtchen im Dunkeln, die angestrengt-ernst auf die bläuliche Bildschirme vor ihrer Nase starrten und nur von ihnen erleuchtet wurden. 

Gimli

19. Februar 2024 18:07

Der individuelle Smartphone-"Konsum" ist meiner Beobachtung nach recht unabhängig von Bildung und Einkommen. Meiner ist hoch. Weniger wegen Facebook & Co., sondern aus beruflichen Gründen sowie wegen Podcasts, Audiobooks, gelegentlich ebooks, Zeitungen.  Die Kinder von Besserverdienern bzw Höhergebildeten sehe ich hingegen seltener am Smartphone als "die andern". Ob man das Ding mehr verteufeln muss als die vielen elektronischen Spielzeuge, die seit Jahrzehnten gefühlt häufiger und nervtötender werden und selten anhaltenden Spielspaß schenken, weiß ich nicht. Es gibt sie ab wenigen Monaten und findet das Ende in der Konsole. 
Forschungsergebnisse zu angeblichen Demenzerscheinungen oä durch Smartphones sind mWs unbewiesen. 

ofeliaa

19. Februar 2024 18:28

Toller Beitrag. Ich kann auch nur Unmut äussern. 1. Internet- und Fernsehkonsum stehen in Korrelation mit einer verminderten Gehirnentwicklung und zwar vor allem im Bereich der Amygdala, sie steuert u.a. Gefühlsregulation und Empathiefähigkeit. Dies deutet darauf hin, dass „Screen time“ zur Entwicklung einer antisoz. Persönlichkeitsstörung beiträgt = im Volksmund Psychopathie. 2. Ein weiterer Effekt des Internets: Eltern teilen dort „lustige“ Videos ihrer vulnerablen Kinder. Und zwar, wenn diese „verrückte“ Dinge tun, wie mit Dreck spielen oder den Vater mit ihren zahnlosen kleinen Mündern in die Wange beissen. Keiner scheint zu wissen, dass es eine orale und anale Phase gibt. Wichtigstes dabei aber: Einem Kind muss man Alternativen bieten. Das ist, was Eltern heute nicht verstehen. WENN mein Kind nicht mit dem eigenen Kot spielen soll, dann muss ich Sachen anbieten wie: sich dreckig machen, Sandkasten, Knetmasse, Essen mit den Händen, Fingerfarben. NUR DANN wird mein Kind keine "verückten Sachen" machen. Es geht um natürliche Befriedigung und Vermeidung von Frustration. Auch für Beissattacken des Kindes gilt, diese nicht lustig ins Internet zu stellen, sondern zu verstehen, warum das Kind das tut und was es braucht, zb Beissringe. Diese Art des: „Mein Kind ist so lustig, gemein, dumm“, etc online - obwohl das Kind völlig normale kindliche Entwicklungsphasen durchläuft, regt mich masslos auf. Das Kind wird als „verrückt“ dargestellt, obwohl die Eltern einfach nicht wissen, WAS EIN KIND IST!

ofeliaa

19. Februar 2024 18:33

Eine Sache muss ich noch schreiben. Ein Kind schreien zu lassen, ist NICHT harmlos. Es beeinflusst die Gehirnentwicklung. Eine massive Menge an Stresshormonen wird ausgeschüttet, die wiederum die Plastizität und Aufnahmefähigkeit des kindlichen Gehirns vermindern. Dies prädestiniert ein Kind dafür, später (oder bereits im Kindesalter) Depressionen, Angststörungen und Persönlichkeitsstörungen zu entwicklen. Und auch hier kommt wieder der Aspekt der heutzutage nicht mehr verstandenen Natürlichkeit ins Spiel. Kinder sind die natürlichsten Wesen. Sie schreien nicht, weil sie gemein oder dumm sind - sie schreien, weil dies die einzige angeborene physisch mögliche Aktion ist, die sie tätigen können, wenn sie Schmerzen, Hunger oder ähnliches erleben. Auch auf Kleinkinder trifft das noch zu. Und auch hier gilt: Ein Kind KANN beruhigt werden. Es ist nicht unmöglich - wie diese Eltern dann immer behaupten. Singen zum Beispiel - wissenschaftlich erwiesen - beruhigt Kinder. Wer singt heute noch für sein Kind, wenn es in Bahn, Bus oder Flugzeug schreit - niemand. Die Mütter ignorieren ihre Kinder! Und nebenbei müssen es alle anderen Fahrgäste ertragen. Und ich betone nochmal: 1. Schreien lassen macht ihr Kind dumm und krank. 2. Man kann Kinder einfach beruhigen, es ist kein Ding der Unmöglichkeit. 3. Wenn man Passant ist, der soetwas miterlebt - etwas sagen! Es geht, wie auch hier in Ellens Beitrag darum, was ein Kind ist, was es kann und nicht kann, womit es überfordert ist, und was man tun kann, um dem Kind ein natürliches Aufwachsen zu bieten. 

Der Sinnierer

19. Februar 2024 19:43

Mich frustriert diese Welt zunehmend und obwohl ich mich seit Jahrzehnten tagtäglich um die Belange vieler Menschen kümmere, viele davon im regelrechten Sinne bessern kann, beobachte ich immer wieder, meiner Meinung nach immer vermehrter, daß die Menschen in ihrem Suhl leben wollen: Früher sprach ich von der Verhausschweinung des Menschen, heute nenne ich es resigniert nur noch das Sofakleben. Wenn man seinen Kindern einen Bildschirm, Schokolade oder sonstige für sie schädliche Dinge gibt, wird kein besserer Mensch aus ihnen, sondern die eigene Lethargie nur ausgelebt, zu Ungunsten der eigenen Brut. Ich sehe das ja an meinen Kindern, wie "weit", "geschickt" oder "intelligent" sie wirken im Gegensatz zu den XBox-Opfern und Tablett-Abhängigen in ihrem Umfeld und ich bin schockiert wie leicht es z.B. einem meiner Söhne fiel in die Junioren-Nationalmannschaft zu gelangen, vor allem deshalb, weil so viele andere Kinder dick, faul und träge sind... Wir haben eine Pandemie der zur Unnützlichkeit erzogenen Menschen, was ich als sehr tragisch empfinde, denn was für einen Staat kann mit uns Unnützen noch gemacht werden?

Isarpreiss

19. Februar 2024 21:11

Man müsste vielleicht ein wenig mehr differenzieren. Ein Smartphone mit ständig reinkommenden und rausgehenden Nachrichten ist wirklich die Pest, so schlimm wie Alkohol oder Zigaretten wegen des Suchtfaktors und fürs Hirn wahrscheinlich ebenso schädlich. Und das sollte entsprechend für Jugendliche bis 16 oder so ganz verboten sein.
Die Rumwischerei auf einem Tablet ist zwar auch doof, aber es ist doch ein Unterschied, wenn, sagen wir, ein 8-Jähriger darauf mal Michel aus Lönneberga anschauen darf, weil wir keinen Fernseher im Haus haben.
Zu Ihrer "dritten Welt" am Ende des Artikels: Da kritisieren Sie ja nicht den Medienkonsum an sich, sondern die linke Hegemonie im Internet - hieße das, wenn das Kind oder der Jugendliche nur auf Rechtstwitter unterwegs wäre, wäre das ok?

Franz Bettinger

19. Februar 2024 23:17

Das Gegenteil der smart-phone-Generation: Ein Freund (ein in der Nähe wohnender Zahnarzt, Mitte 60) erlebt durch mich gerade seine 2. Kindheit und freut sich riesig über sich. Er kannte sich gar nicht richtig, er wusste nicht, was in ihm steckte und wozu er Lust hatte und fähig war. Er entdeckt gerade das Abenteuer, das wir nicht suchen, vielerorts  dennoch zufällig antreffen und angehen, statt es zu umgehen. Wenn ein ausgedehnter Erdrutsch den Pfad unterm Ridge der Wainui Bay für unsere MTBs weggeputzt hat und die Tour in mühsame Kraxelei ausartet, willigt er nicht ein in den vorgeschlagenen (vernünftigen) Rückzug, sondern sagt „Komm, wir versuchen’s!“ & wir schaffen’s dann zerkratzt, erschöpft. Will sagen: Mein Freund erlebt neue Freiheits-Grade. Nichts ist beglückender. Eine Devise im Leben sollte sein: Sich so weit wie möglich unabhängig machen. Kapieren, worauf’s ankommt.  

Joerg

20. Februar 2024 06:25

Was mir auch auffällt: 
Es laufen immer mehr Menschen, vor allem auch junge Frauen, mit großen Brillen auf der Nase herum. So als ob es völlig normal wäre, dass man schlechte Sehkraft bereits in jungen Jahren hätte.
 

AndreasausE

20. Februar 2024 07:52

Mir flimmerte eben wieder ein Bild vor geistigem Auge, "aufgenommen" vergangenen Sommer beim Blick auf die Straße (ich habe hier vom PC-Platz aus sehr guten Überblick). Kind, junge Frau, Hund, Oma. Das Kind hatte an einer Hand den Hund, Typ verwöhnter Kleinkläffer, an anderer Hand Oma. Und mutmaßliche Mutti? War intensiv mit Wischgerät beschäftigt, selbstverständlich mit Ohrstöpseln, wäre fast noch vor ein Auto gelaufen. Zum Glück ist das hier Langsamfahrzone, so kam es nicht unmittelbar zum Unglück.
Ziel des Ausflugs war wohl nahegelegene Filiale einer bekannten Eisdielenkette, denn halbe Stunde später kamen die zurück. Den Hund hielt nun die Oma, Kind war mit dem Eis beschäftigt - und Mutti? Natürlich mit dem Wischgerät, ohrbestöpselt.
Tja...

AndreasausE

20. Februar 2024 08:15

Ach, was ich noch zum Rauchen bemerken wollte: Hier um die Ecke ist Grundschule, mit dem üblichen Fahrbetrieb ("Hausfrauenpanzer"). Da wird im Auto munter gequalmt, und dort, wo meist abgeholt wird, ist der Boden mit Kippen übersät.
Ich qualme phasenweise selbst wie ein Schlot, aber möglichst nicht vor Kindern. Leider kann es darüber auch zu Streit kommen: Ein befreundetes Ehepaar mit Kindern, an sich sehr nett, beendete den Kontakt, nachdem ich mal vorsichtig angemerkt hatte, daß gewisse Entwicklungsstörungen möglicherweise mit Cola, dem dauernd flimmerndem TV, den dauernd benutzten Handys und dem Salzgebäck zusammenhängen könnten.
Fluch und Gekeife über mich - ich bin die nie wieder besuchen gewesen.
Die Tochter rauchte übrigens schon mit 13 in Gegenwart der Mutter, wurde mit 14 schwanger, der Sohn wird morgens zur Förderschule gekarrt und näßt mit 8J. noch ein.
Den Vater treffe ich noch gelegentlich. Er ist betrübt, aber als Fernfahrer meist außer Haus. Früher nannte man sowas asoziale Verhältnisse, heute ist das normal, fast schon vorbildlich, denn immerhin gehen die Leute liebevoll miteinander um.

Adler und Drache

20. Februar 2024 08:52

Interessanterweise beobachte ich das häufiger bei Ausländern als bei Deutschen. Wenn ich mit deutschen Eltern spreche, ganz unabhängig von politischen Positionen, so stelle ich doch zumindest ein gewisses Unbehagen fest. Habe mich mit noch keinem unterhalten, der sagte: "Die Kinder brauchen das so früh wie möglich. Sie sollen sich gleich daran gewöhnen." - Ausländer scheinen viel weniger von diesem Unbehagen angekränkelt zu sein. Ob das etwas mit dem deutschen Wesen, der Volksseele zu tun hat? Romantischen Technikskepsis?

Laurenz

20. Februar 2024 09:17

@Gimli ... Smartphone-Konsum ... ich hänge viel vor dem Rechner ab, um zu lesen oder zu recherchieren. Aber ein Rechner mit großem Bildschirm & richtiger Tatstatur ist komfortabel. Kann die Schrift auch größer stellen, als in jedem Buch, was entspanntes Lesen generiert (ganz anders als bei Krah). Mein smartes Telefon nutze ich nur zum telefonieren, selten unterwegs zur Recherche einer Örtlichkeit & Was Affe-Nachrichten beantworte ich meist per Epost, wenn mehr als ein Satz zu einer Antwort erforderlich ist (geht auch in der WasAffen-Rechner-App). Man kann also die Nutzung des popeligen Smartphones durchaus als dumm klassifizieren.
@Ofeliaa ... Sie haben Recht, Säuglinge sind Könige, sie brauchen nur zu schreien & alle springen. Wie auch sonst, sollte man als Säugling auf die nasse, vollgeschissene Windel oder erforderlichen Kalorien-Nachschub reagieren?

Umlautkombinat

20. Februar 2024 10:31

Das Gejammer hilft doch nicht weiter. Ich meine jetzt weniger den Artikel als das Kommentariat. Das ist doch alles schon x-mal gesagt worden. Auch zu den Gegenmassnahmen. Die beiden Kinder, die hier bei mir noch im Zugriff sind machen das auch vernuenftig. Die smarten Geraete beduerfen immer wieder explizit neu erteilter Erlaubnis, die Zeiten sind sehr begrenzt, persoenliche Kontakte werden bevorzugt. Aktivitaeten ohne auch.
 
Soweit, so gut. Der wesentliche Punkt ist aber die Einbettung. Das Erziehungsthema von Kindern ist ein kleiner Teil davon. Die Geraete sind wie die Infrastruktur dahinter aus der Tube und die gehen nicht mehr rein. Man muss sie verstehen, um den negativen Teilen zu entkommen und den Honig herauszuziehen (wozu man uebrigens gewillt sein muss, diesen ueberhaupt sehen zu wollen). Dazu sind die Spezifika herauszuschaelen. Dabei helfen Vergleiche zu elektrischen Spielzeugen oder Fernsehen nicht. Die neue Qualitaet ist die Interaktivitaet und deren Ausnutzung durch einen weitgehend professionell handelnden Komplex, der nicht einmal politisch und wirtschaftlich zusammengenommen schon ausreichend charakterisiert ist. Das teilen die Gerate mit den Konglomeraten aus NGOs, ueberstaatlichen Akteueren, Riesenunternehmen und usw.. Die passen zueinander wie Topf und Deckel. Auch im Umgang aehnlich als kaum formal (Verbote beim Smartphone, Wahlen in der Politik) angreifbar.
 

Monika

20. Februar 2024 14:25

In Frankreich will ein kleines Dorf ( Seine-Port) die Smartphones aus der Öffentlichkeit verbannen. Es will durch das Verbot vor allem Kinder schützen. Siehe: WELT "Frankreich, Ein Dorf will Smartphones verbannen". Ob das gelingt ? Ich denke, eher nicht. Ich hasse diese Dinger. Mindestens 60 Prozent der Leute laufen hier in der Stadt mit den Teilen rum, bei den Jüngeren noch mehr. Eine normale Kommunikation ist überhaupt nicht mehr möglich. Letzten Herbst war ich im Elsass auf dem Odilienberg, saß auf der Terrasse und wartete in aller Ruhe auf den Sonnenuntergang, den ich schon öfters dort in himmlischer Beschaulichkeit genießen konnte. Als das Naturschauspiel begann, sprangen plötzlich die Leute wie die Bekloppten auf und vor meine Sicht, um mit dem Smartphone zu filmen. Da wußte ich, dass meine Zeit gekommen ist langsam abzutreten. Die Smartphonenutzung durch nur  einen Ehepartner würde ich inzwischen auch als einen Scheidungsgrund ansehen :) Mehr Mißachtung seines Gegenübers ist nicht möglich. Nicht mehr meine Welt. Meine Kinder sind mit der "Entdeckung der Langsamkeit" aufgewachsen". Der jüngere Sohn besitzt ebenfalls kein Smartphone.

Herr K aus O

20. Februar 2024 17:14

Ich verdiene mit/im Internet mein Geld. Viele Informationen bekomme ich über das  Internet schnell und prompt. Ich habe meine Lebensgefährtin über das Internet kennen gelernt, buche meinen Urlaub, tätige meine Bankgeschäfte usw über das Internet, kennen wir alle, oder?
Und doch sehe ich es mittlerweile als Fluch. Höre ich zurück in die Zeit ohne Internet, höre ich: Nichts. Stille. Die Welt ist laut geworden, schreiend laut. Und unsere Köpfe rattern wie die Registerkassen. Wenn ich diese Zeilen hier schreiben darf - und vielleicht einige diese auch lesen - dann kann ich mich zwar ausdrücken und bemerkbar machen. Aber: Ist es den Preis wert?

Franz Bettinger

20. Februar 2024 20:40

Der Maler Edgar Degas wurde Ende des 19. Jahrhunderts von einem reichen Freund eingeladen, der ihm eine spektakuläre Neuerwerbung vorführen wollte. Als stolzer Besitzer eines damals noch sehr seltenen Telefons ließ sich der Gastgeber während des Essens anrufen, um dem Maler mit seiner Novität zu imponieren. Degas kommentierte dieses Technik-Wunder ungerührt: "Das ist also das Telefon... Man klingelt ihnen, und Sie rennen hin."

Oderint

20. Februar 2024 20:44

"Die Kinder sind für die Welt von morgen gemacht, nicht für die Welt von heute."
Wir haben unseren Nachwuchs sehr spät an die schlauen Telefone gelassen, so mit 12, 13; einen markanten Unterschied zu Jugendlichen, die schon in der Volksschule durften, kann ich nicht erkennen. Vielleicht hat man schlicht die eigenen Vorbehalte - ich bin selbst erst wenige Jahre Smartphone-Nutzer - auf die Kinder projiziert.
Das Smartphone ist in jeder Hinsicht ein Fortschritt gegenüber der Glotze, man sollte nicht vergessen, dass die ach so furchtbare Jugend nicht mehr fernsieht - freuen wir uns doch darüber.
Als eine Art Hirnanhang wird das Smartphone wird zum Leben der heute Jungen gehören wie die Hafermilch, ob es uns passt oder nicht. Dümmer macht es sie kaum, aber besserwisserisch;  es ist schon anstrengend für Eltern, die den Kindern die Welt erklären wollen, fast unmittelbar faktengecheckt zu werden.
Viel mehr als Jugendliche, die ständig auf das Gerät starren, stören mich Erwachsene, die mitten in der angeregten Diskussion das Smartphone zücken, um damit ein Argument zu fundieren oder zu delegitimieren. Was das betrifft, würde ich die Wiedereinführung der Todesstrafe befürworten.
Zum Schluss ein tröstlicher Satz eines Erziehungswissenschaftlers für Eltern, die Angst haben, ihren Kindern durch Erziehungsfehler zu schaden: "Die Natur rechnet nicht mit perfekten Eltern".

Fonce

20. Februar 2024 23:36

Wenigstens in einer Hinsicht ist das Smartphone aber doch smart: Es hat im Gegensatz zum Fernseher (Halbierung der Geburtenrate von 1965 -1970) keinen Einfluss auf die Geburtenrate.

Laurenz

21. Februar 2024 00:26

@Oderint ... Besserwisserisch ... Was ist, wenn der Strom ausfällt? Bei unserem aktuellen Regime ist das nicht abwegig, in der Ukraine ganz normal. Das gilt übrigens auch für das Wasser, allerdings nicht in Kiew. Und wenn die Russen nicht wären, ginge das Licht in der Ukraine ganz aus.

RMH

21. Februar 2024 07:58

@Oderint,
gibt einen richtigen Hinweis. Es ist wie eine Kulturtechnik, wie das Feuer, dessen Gebrauch man auch erst lernen muss, der aber voran bringen kann - und kleinen Kindern gibt man Feuer bekanntermaßen auch nicht zum spielen. Meine Kinder haben ein Smartphone erst ab Übertritt ins Gymnasium bekommen, davor gabs als Medienkonsum allenfalls mal ein bisschen TV, in der Regel DVDs auf kindgerechtem Niveau (wie bspw. Augsburger Puppenkiste, die Schwarz-Weiß Aufnahmen davon etc.). Als kleinen Trost kann ich nur mitteilen, dass meine Kinder (mittlerweile Jugendliche) die AfD immerhin kennen und insbesondere Dr. Krah ist ihnen via TikTok bekannt. Von meiner Frau oder mir hören sie keinen einzigen parteipolitischen Ton und selbstredend keine Namen von Politikern, wir politisieren nicht in der Familie (war schon bei meinen Eltern und bei denen von meiner Frau so). Und meine Kinder sind da nicht alleine ... einer meiner Söhne (darf dann auch schon bei der EU-Wahl mitwählen) schätzt in seiner Klasse, dass die klare Mehrheit etwas gegen Grüne hat und die AfD, die CSU und die FDP (die hatte einmal guten Zuspruch bei Jugendlichen, wird aber mehr und mehr von AfD und CSU verdrängt) präferieren (vermutlich auch, um sich vom Lehrkörper abzusetzen). Insbesondere seine Mitschüler mit Migrationshintergrund, welche die Mehrheit in der Klasse bilden (ja, auch auf dem Gymnasium), ätzen eigentlich nicht gegen die AfD, gehen auch nicht zu Anti-Rechts Demos und scheinen da eher wohlwollend zu sein, da ihnen das Geschwuchtele der anderen Parteien und insbesondere des Lehrkörpers nicht genehm ist.

Olmo

21. Februar 2024 08:47

Das Smartphone entzaubert die Welt auch um ein weiteres Stück. Mein Schwiegervater brachte mir noch allerhand bei, er ist ein begabter Handwerker und Tüftler mit schönen und kräftigen Händen, welche so gar nicht zu seinem Smartphone passen. Wenn ihn heute seine Enkelkinder etwas fragen, zeigt er ihnen ein Tutorial auf youtube. Es macht mich traurig. 
 

Für diesen Beitrag ist die Diskussion geschlossen.