Man legt sie gern an zeitlichen Epochenschwellen vor, so Karl Jaspers in seiner 1931 erschienenen Darstellung in der Sammlung Göschen und Jürgen Habermas fast 50 Jahre später in einem zweibändigen Sammelband (Stichworte zur »Geistigen Situation der Zeit«). Dessen Beiträge beleuchten primär die Auswirkungen von »1968«.
In den letzten Jahren ist eine größere Zahl von zeitdiagnostischen Publikationen auf den Markt gekommen, die beabsichtigen, zu dechiffrieren, was Code-Wörter wie »Great Reset« und »Green Deal« konkret bedeuten. Thematisiert werden in diesen Abhandlungen vor allem die globalen Auswirkungen von Großereignissen, die unter Schlagworten wie »Klimawandel« und »Corona« verkündet werden. Auf jeden Fall tangieren sie unser aller Leben. Summarisch ist auf die Analysen von Raymond Unger, Michael Esfeld, Fritz Söllner und Günther Vogl hinzuweisen.
In die Reihe solcher den Zeitgeist erhellenden Schriften ist das Buch der österreichischen Historikerin und Publizistin Gudula Walterskirchen einzuordnen. Ihr Ziel ist es, unter der Überschrift »Systemversagen« die Kumulierung von Krisen und deren Konsequenzen zu erörtern. Der Inhalt der Untersuchung umfaßt die geopolitische Lage, konkretisiert vornehmlich im Ukrainekrieg, die Vieldeutigkeit des Komplexes »Corona«, Demokratieabbau und Zensurbestrebungen, Energiekrise und ökodiktatorische Folgen sowie die Wohlstandszerstörung im Rahmen der sogenannten Klimarettung und im Kontext der Migration.
Im Zusammenhang der systemischen Verschiebungen der letzten Jahre, die allzu offenkundig sind, registriert die Autorin (und nicht nur sie!) einen deutlichen Machtzuwachs globaler Eliten. Exemplarisch läßt sich dieser Trend eindringlich am Beispiel der Weltgesundheitsorganisation (WHO) zeigen. Deren Protagonisten ist es sogar gelungen, trotz evidenter Unfähigkeit während der Corona-Krise und umstrittener Aktivitäten in den Jahren vor 2020, nach dieser Zäsur weitere Kompetenzen an sich zu ziehen. Ein künftiger Pandemie-Vertrag wurde in den letzten Monaten intensiv diskutiert. Walterskirchen exemplifiziert in diesem Kontext einleuchtend, welche Konturen eine absehbare »Weltregierung« gerade auf einem so existentiellen Feld wie der Gesundheitspolitik künftig haben könnte. Die nationalen Regierungen würden bei einer künftigen globalen Krise, die selbst beim Vorliegen schwammigster Kriterien ausgerufen werden könnte, auch offiziell entmachtet sein.
Ein weiteres trauriges Kapitel der letzten und aktuellen Krise ist das Schweigen jener Institutionen und insbesondere der Presse, die für Kontrolle, Rechtsstaatlichkeit und die Einhaltung von Bürgerrechten besonders verantwortlich sein sollten. Die Einflußnahme globaler Organisationen wie der Vereinten Nationen und ihrer Untergliederungen (etwa IPCC und WHO) führt zu einem schleichenden Verlust von Bürgerfreiheiten. Walterskirchen hat entsprechende Tendenzen schon in ihrem 2022 erschienenen Buch Wie wir unfrei werden beschrieben. Trotz der Vielzahl der Krisen-Baustellen ist der Kern des Übels schnell zu benennen: In der westlichen Welt und in Europa liegen die Schaltzentralen der Macht in den Händen von Globalisten. Diese nutzen aus, daß es zuwenig nationale Widerlager gibt, die sich für die Interessen und Rechte der eigenen Völker einsetzen.
Die in den letzten Jahren an Boden gewinnenden populistischen und rechten Strömungen, auf die Walterskirchen zuwenig eingeht, fungieren als Antidot. Sie werden aber durch den politmedialen Komplex im allgemeinen und durch die internationalen Kampagnen gegen rechts im besonderen (weit über Europa hinaus) wirkmächtig bekämpft, zumindest noch. Walterskirchen nennt viele Mißstände deutlich beim Namen, etwa die sich ausbreitende Bandenkriminalität infolge ungesteuerter Massenmigration und die nötige Reform von EU und UN. Damit hat sie sich als Vertreterin des mitunter leisetreterischen liberalkonservativen Establishments weit aus dem Fenster gelehnt.
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Gudula Walterskirchen: Systemversagen. Warum wir in eine multiple Krise geraten sind, Wien: Seifert Verlag 2023. 357 S., 27 €
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