Nicht nur der Körperbau der Tiere, sondern auch ihre Verhaltensweisen seien erblich, womit Lorenz die klassische Evolutionslehre um eine wesentliche Dimension erweiterte. Sein Ansatz, von der »Gans aufs Ganze«, also auch auf den Menschen zu schließen, löste Widerspruch aus. Er war ein moderner Franz von Assisi, einer, der mit den Tieren sprach und vor der Zerstörung der Natur warnte – ein Kämpfer und Prediger gegen die Werteblindheit der modernen Zivilisation.
Ohne ihn wäre die Umweltschutzbewegung in Österreich und Deutschland nicht denkbar. Sein Name polarisiert. Manche halten ihn als Forscher für überholt und überdies für einen Parteigänger der Nationalsozialisten. Das hier vorgestellte Buch, das sich mit der Lebens- und Wirkungsgeschichte des großen Biologen befaßt, hat selbst eine Vorgeschichte:
2003 veröffentlichten die Wiener Wissenschaftsjournalisten Klaus Taschwer und Benedikt Föger eine Lorenz-Gesamtschau. Es war die erste große Biographie über den Vater der Graugänse, gestützt auf damals neue Erkenntnisse und bis dahin unveröffentlichtes Material. Bereits zwei Jahre zuvor hatten sie sich mit ihrer Publikation Die andere Seite des Spiegels (2001) als Lorenz-Experten erwiesen, einer Studie, die das Verhalten des Verhaltensbiologen während der Zeit des Nationalsozialismus untersuchte. Darin brachten sie Belege für seine Mitarbeit beim Rassenpolitischen Amt der NSDAP und auch den Beweis für seine NSDAP-Mitgliedschaft, die Lorenz bis zu seinem Tod geleugnet hatte.
Nun hat das Autoren-Duo zum 120. Geburtstag des großen Wissenschaftlers und zum 50. Jahrestag der Nobelpreisverleihung eine aktualisierte Neuauflage der Biographie vorgelegt. Neue archivarische Funde gibt es keine, auch keine Enthüllungen, und doch habe man, so Taschwer, eine etwas modifizierte Sicht auf die Dinge gewonnen. Es sei der Eindruck entstanden, daß Österreich in den letzten zwei Jahrzehnten seine »langjährigen Versäumnisse im Umgang mit der NS-Vergangenheit« an der Prominenz von Konrad Lorenz »überkompensiert« habe. Ein Beispiel dafür sei die Aberkennung der Ehrendoktorwürde in Salzburg 2013 gewesen. Dabei sei es wünschenswert, meinen die Autoren, die Widersprüchlichkeiten einer so faszinierenden Persönlichkeit auszuhalten.
Was putzig ist, denn gerade sie haben ja mit ihren Büchern dazu beigetragen, daß die ohnehin kritische Einschätzung seiner Person noch unerbittlicher wurde. In ihrem zweiten Anlauf versprechen Taschwer und Föger, eine »unvoreingenommene Sicht« zu wahren. Gelungen ist ihnen vor allem eines: das facettenreiche Leben eines Forschers, der wie kein anderer »sein eigenes Fach verkörperte«, fesselnd nachzuzeichnen. Eine paradiesische Kindheit in Luxus, ein weltweit gefeierter Vater. Eine romantische Liebe, die alle Höhen und Tiefen übersteht. Schule, Studium, dunkle Jahre, die gar nicht als so dunkel empfunden werden. Russische Kriegsgefangenschaft. Danach die glänzende Karriere. Wohlstand, Reichtum, Ruhm. Zum Schluß die höchste aller wissenschaftlichen Ehrungen. Die letzten Jahre seines bewegten Lebens verbringt Lorenz da, wo es seinen Anfang nahm: in jenem Märchenschlößchen in Altenberg, das in seinem eigenen Geburtsjahr fertiggestellt worden war.
Den Biographen gelingt eine überaus faire und überzeugende Auseinandersetzung mit der nicht einfachen Materie, ganz ohne Polemik, niemals bösartig oder auch nur annähernd feindselig. Trotzdem wird sich eifrig abgegrenzt: Taschwer und Föger bemühen sich sehr, ihr Idol gegen die Buhlschaft von seiten der Falschen zu verteidigen. So ist es ihnen wichtig, darauf hinzuweisen, daß das Fach Ethologie von Kritikern immer wieder dem rechten oder rechtsextremen Spektrum zugeordnet werde. Dies führen sie darauf zurück, daß spätestens mit den Acht Todsünden und bis in die Gegenwart hinein die extreme Rechte versuche, Lorenz und sein Werk für sich zu vereinnahmen.
Detailliert wird jene Geschichte geschildert, wie es Alain de Benoist in den 1970er Jahren gelang, Lorenz für das Unterstützerkomitee seiner Zeitschrift Nouvelle École zu gewinnen. Und wie dieser, Jahre später und erst nach der Intervention eines »Aufklärungsartikels« des Spiegels, seinen Irrtum einsah und sein Mitwirken im Komitee einstellte. Damit versuchen die Autoren nun ihrerseits, den großen Meister für sich zu beanspruchen und jedem Unbefugten den Zugriff auf ihn streitig zu machen.
Lesenswert ist dieser biographische Bilderbogen allemal.
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Klaus Taschwer, Benedikt Föger: Konrad Lorenz. Biografie, Wien: Czernin 2023. 480 S., 32 €
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