Sven Brajer: Die (Selbst)Zerstörung der deutschen Linken

Der Weg zum »Bündnis Sahra Wagenknecht« (BSW) ist gepflastert mit innerlinken Eskalationen.

Benedikt Kaiser

Benedikt Kaiser ist Politikwissenschaftler und arbeitet als Verlagslektor.

Über Jah­re hin­weg zer­strit­ten sich die unter­schied­li­chen Strö­mun­gen der Par­tei Die Lin­ke ent­lang von Schlüs­sel­fra­gen: NATO oder Über­win­dung der West­bin­dung (außen­po­li­tisch), extrem woke, woke oder nicht woke (gesell­schafts­po­li­tisch), Gren­zen auf für alle oder star­ker Sozi­al­staat mit Migra­ti­ons­be­schrän­kung (innen­po­li­tisch), Waf­fen für die Ukrai­ne oder sou­ve­rä­ner Pazi­fis­mus (ver­tei­di­gungs­po­li­tisch) usw. usf.

Einer, der seit Jah­ren nicht abseits steht, son­dern ins Hand­ge­men­ge lin­ker Ant­ago­nis­men ein­taucht, ist der 1984 gebo­re­ne His­to­ri­ker und Poli­tik­wis­sen­schaft­ler Sven Bra­jer. Als Betrei­ber des Blogs »imosten.org« ist der Ober­lau­sit­zer par­tei­ischer Teil­neh­mer der lin­ken Bin­nen­dis­kur­se. Wo er sich selbst ver­or­tet, wird bei sei­nem neu­en Buch Die (Selbst)Zerstörung der deut­schen Lin­ken schon im Titel deut­lich. Im Unter­ti­tel ver­rät Bra­jer denn auch, wohin die par­tei­lin­ke Rei­se ging, näm­lich Von der Kapi­ta­lis­mus­kri­tik zum woken Establishment.

Man kann bei der Lek­tü­re eitel die Stirn run­zeln und dar­auf ver­wei­sen, daß dies für Leser der Sezes­si­on kal­ter Kaf­fee sei: Wie sich die Par­tei Die Lin­ke (Ex-SED, Ex-PDS, Ex-Links­par­tei / WASG) von einer bie­de­ren, sozi­al­kon­ser­va­ti­ven und tra­di­ti­ons­mar­xis­ti­schen ost­deut­schen »Küm­me­rer­par­tei« zu einer grün­lin­ken, urba­nen und volks­ver­nei­nen­den LGBTQ-Pro­pa­gan­da­trup­pe trans­for­mier­te und dabei einen »links­kon­ser­va­ti­ven« Wagen­knecht-Flü­gel erst von mög­li­chen Bünd­nis­part­nern iso­lier­te, dann in zahl­lo­sen Par­tei­tags­feh­den besieg­te, her­nach aus­spie, wird über­dies im kapla­ken-Band Blick nach links detail­liert begrün­det und anti­zi­piert. Aber Eitel­keit ist auch bei poli­ti­scher Ana­ly­se­ar­beit ein schlech­ter Rat­ge­ber und so emp­fiehlt es sich, Bra­jers Detail­stu­die der Ver­fall­s­lin­ken kon­zen­triert zu lesen; man wird dafür mit inter­es­san­ten Ein­bli­cken belohnt.

Zwar ist Bra­jers poli­tisch-his­to­ri­sche Bewer­tung lin­ker Trans­for­ma­tio­nen und ideo­lo­gi­scher Häu­tun­gen im gro­ßen und gan­zen zutref­fend, und auch sei­ne Ana­ly­se des Wegs in den Main­stream anti­deut­scher Prot­ago­nis­ten trifft den Kern. Doch eini­ge Wider­sprü­che bzw. Inkon­se­quen­zen wer­den auch bei ihm augen­fäl­lig. Eine Aus­wahl: Ers­tens wirft er der heu­ti­gen Mehr­heits­lin­ken vor, nicht die Arbei­ter­schaft und das Klein­bür­ger­tum, son­dern städ­ti­sche Intel­lek­tu­el­le zu ver­tre­ten. Das stimmt, aber war das bei der – von ihm idea­li­sier­ten – frü­hen PDS anders? Auch die Vor­den­ker die­ser ver­bli­che­nen Par­tei kamen aus staats­eli­tä­ren Fami­li­en Ost-Berlins.

Zwei­tens zitiert Bra­jer zustim­mend den eins­ti­gen PDS- und Jun­ge Welt-Kader Tho­mas Falk­ner, der sich gegen eine Ein­la­dungs­po­li­tik »an die ver­arm­ten Mas­sen des Südens« aus­sprach, da dies sowohl den Her­kunfts­län­dern als auch den Auf­nah­me­län­dern scha­de. Doch weicht ­Bra­jer der Fra­ge aus: Wer wür­de dies links der Mit­te heu­te so for­mu­lie­ren? Bis auf Wagen­knechts und Han­nes Hof­bau­ers Migra­ti­ons­kri­tik domi­nie­ren auch in der Natio­nal­staats­lin­ken die Migrationsapologeten.

Drit­tens bemerkt Bra­jer zwar mit eini­ger Berech­ti­gung, daß die »trans­at­lan­ti­sche Anti­se­mi­tis­mus-Keu­le« der Tür­öff­ner zu Macht­po­si­tio­nen im Estab­lish­ment ist, schweigt aber zur Anti­fa­schis­mus-Keu­le, die auch sei­ne Leu­te gut schwin­gen können.

Neben die­sen drei Aspek­ten könn­ten wei­te­re genannt wer­den, etwa Bra­jers eige­ne Abgren­zungs­be­dürf­nis­se. So lobt er Wagen­knechts Sym­pa­thien für die jüngs­ten Groß­de­mons­tra­tio­nen in Prag, wo Natio­na­lis­ten, Kon­ser­va­ti­ve, Reform­so­zia­lis­ten und Kom­mu­nis­ten Schul­ter an Schul­ter mit bis zu 100000 Teil­neh­mern gegen Coro­na-Maß­nah­men und Ruß­land­sank­tio­nen demons­trier­ten. Aber wie weit wür­den ­Bra­jer und die von ihm erhoff­te Wagen­knecht-Par­tei gehen, wenn es hier­zu­lan­de um the­men­be­zo­ge­ne, quer zu den klas­si­schen Lagern ver­lau­fen­de Koope­ra­tio­nen gin­ge? Dar­an wird man ihn und die Sei­nen messen.

Sven Bra­jer: Die (Selbst)Zerstörung der deut­schen Lin­ken. Von der Kapi­ta­lis­mus­kri­tik zum woken Estab­lish­ment, Wien: Pro­me­dia 2023. 232 S., 22 €

 

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Benedikt Kaiser

Benedikt Kaiser ist Politikwissenschaftler und arbeitet als Verlagslektor.

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