Es zeigt Max Weber stehend dozierend in einer Diskussion inmitten junger Leute, von denen einer der spätere Räterepublikaner Max Toller ist. Aufgenommen wurde das Bild im September 1917 auf Burg Lauenstein. Damals fand die zweite der insgesamt drei Lauensteiner Kulturtagungen statt, an der noch zahlreiche andere Intellektuelle, Künstler und Pädagogen teilnahmen, aber Weber war dort zweifellos die herausragende Persönlichkeit.
Auch wenn diesen Tagungen in den letzten Jahrzehnten einige Publikationen gewidmet wurden, unternimmt Meike G. Werner, eine in den Vereinigten Staaten lehrende Literaturwissenschaftlerin, einen weiteren Versuch, die Brisanz dieser Tagungen herauszuarbeiten. Sie stützt sich dabei auf eine herausragende Quelle, nämlich zwei Fotoalben, in denen der Initiator der Tagungen, der Verleger Eugen Diederichs, das Ganze fotografisch dokumentieren ließ.
Werner nimmt sich die einzelnen Bilder, es sind 53 Stück, vor und versucht mit ihnen die Konstellationen der Gespräche und Vorträge zu entschlüsseln, von denen keine Manuskripte, nur ein paar protokollarische Mitschriften überliefert sind. Da die Tagungen als informelle, vertrauliche Runden mit etwa 50 Teilnehmern angelegt waren, drang damals nicht allzuviel davon an die Öffentlichkeit.
Die Idee stammte von Eugen Diederichs, der einer der wichtigsten Multiplikatoren der Lebensreformbewegung war und der in diesem Sinne eine Debatte über die Neuordnung Deutschlands nach dem Ersten Weltkrieg anregen wollte. Ursprünglich sah er Jena als Austragungsort vor, entschloß sich aufgrund verschiedenster Probleme für eine Variante ganz im Abgeschiedenen, auf der fränkischen Burg Lauenstein, die einem Bekannten gehörte. Dort sollte über alle beruflichen Grenzen hinweg debattiert werden. Insgesamt fanden drei Tagungen statt, Pfingsten und September 1917 sowie Pfingsten 1918; eine weitere Tagung gab es aufgrund der sich zuspitzenden Situation im Reich nicht. Schon Pfingsten 1918 waren die Reihen stark ausgedünnt, unter anderem fehlte Max Weber, der Verpflichtungen in Wien wahrnehmen wollte.
Die Tagungen fanden vor dem Hintergrund des anhaltenden und sich verschärfenden Krieges, der Debatten um eine Demokratisierung des preußischen Wahlrechts und der angespannten Versorgungslage statt. Den Tagungen waren Oberthemen, »Staatsidee im Volksstaat«, »Führerproblem in Staat und Kultur« und die »Frauenfrage«, vorgegeben, die dann allerdings oftmals auch verlassen und durch Tanz und Rezitationen ergänzt wurden, was Professoren wie Weber und Werner Sombart zu kritischen bis despektierlichen Bemerkungen Anlaß gab.
Aber nicht nur in der Form war man sich nicht einig, sondern auch in weltanschaulicher Hinsicht zeichnete sich ab, daß der große Konsens von 1914 zerbrach und auch nicht wieder erneuert werden konnte. Dennoch ist es erstaunlich, wie offen dort trotz kriegsbedingter Zensur debattiert wurde.
Das Buch ist eine unterhaltsame Hinführung zu den Lauensteiner Tagungen, die allerdings eine starke Neigung zum Namedropping hat, was natürlich auch der starken Bezugnahme auf die Fotos geschuldet ist. Dadurch geraten die verhandelten Inhalte ins Hintertreffen, auch wenn es der Autorin gelingt, die einzelnen Teilnehmer auf knappe Art zu charakterisieren, so daß der Leser einen Überblick über die verschiedenen Personen und ihren Standort bekommt.
Als schöner Nebeneffekt wird an heute weitgehend vergessene Denker erinnert, so an Max Maurenbrecher, der sich als national gesinnter Politiker und eine der Hauptfiguren hinter den Tagungen heftige Wortgefechte mit Weber lieferte.
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Meike G. Werner: Gruppenbild mit Max Weber. Gespräche über die Zukunft Deutschlands nach dem Krieg, Göttingen: Wallstein 2023. 244 S., 30 €
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