Otfried Höffe: Die hohe Kunst des Verzichts

Den Verzicht haben wir in den letzten Jahren alle kennengelernt: den Verzicht auf Souveränität in der sogenannten Flüchtlingskrise, den Verzicht auf menschliche Kontakte während der Corona-Maßnahmen und den Verzicht auf warme Büros während der anhaltenden Energiekrise.

Erik Lehnert

Erik Lehnert ist promovierter Philosoph.

Der Ver­zicht steht, da auf alle die­se Din­ge nicht frei­wil­lig ver­zich­tet wur­de, daher in einem schlech­ten Ruf, von dem ihn der bekann­te Phi­lo­soph Otfried Höf­fe (geb. 1943) mit sei­ner klei­nen Phi­lo­so­phie des Ver­zichts befrei­en möch­te. Denn Ver­zicht ist nur dann etwas, aus dem etwas Posi­ti­ves erfolgt, wenn er frei­wil­lig, auf­grund von Ein­sicht oder Ver­trau­en, erfolgt. Der frei­wil­li­ge und der erzwun­ge­ne Ver­zicht, das ist der Unter­schied zwi­schen Ein­topf­sonn­tag und Lebens­mit­tel­mar­ke. Beim ers­ten hat­te man die Wahl, beim zwei­ten nicht.

An sich ist gegen die­ses Vor­ha­ben, den Ver­zicht zu reha­bi­li­tie­ren, nichts ein­zu­wen­den, mit dem ja auch immer eine Kri­tik am Hedo­nis­mus und am Lust­prin­zip ver­bun­den ist. Das ist auch bei Höf­fe der Fall, der das The­ma mit leich­ter Hand und mit vie­len erhel­len­den his­to­ri­schen und sys­te­ma­ti­schen Bezü­gen über­zeu­gend zu ent­fal­ten weiß.

Drei sei­ner fünf Ver­zichts­mus­ter sind all­ge­mein­mensch­li­cher Natur und betref­fen die Grund­la­gen des Mensch­seins. Da ist der Ver­zicht in der Sphä­re des Rechts, zum Bei­spiel auf Rache, der eine Gesell­schaft erst ermög­licht, dann der Hin­weis auf die zu erwer­ben­den Kar­di­nal­tu­gen­den, die immer irgend­ei­nen Ver­zicht nahe­le­gen, und schließ­lich das Mus­ter der Stei­ge­rung des Mensch­seins im selbst­auf­er­leg­ten Verzichten.

Die bei­den ande­ren Ver­zichts­mus­ter sind aktu­el­ler Natur: »Aktu­el­le Kri­sen bewäl­ti­gen« und »Den Pla­ne­ten ret­ten«, und da wird es pro­ble­ma­tisch (neben­bei nicht nur, weil er die Coro­na-Impf­stof­fe als hoch wirk­sam bezeich­net). Denn Höf­fe, der die kon­sti­tu­tio­nel­le Demo­kra­tie für die bes­te Staats­ver­fas­sung hält, kann nicht schlüs­sig erklä­ren, wie er den Sou­ve­rän dazu brin­gen will, den für die Welt­ret­tung (»Kli­ma­wan­del«!) not­wen­di­gen Ver­zicht zu üben. Er lehnt eine Öko­dik­ta­tur eben­so ab wie die Gewalt­an­wen­dung durch Kli­ma­ter­ro­ris­ten, besteht aber dar­auf, daß die Welt geret­tet wer­den muß.

Wie aber soll man die Bür­ger hier­zu­lan­de dazu krie­gen, auf ihren gewohn­ten Lebens­stan­dard zu ver­zich­ten und ihr Land »kli­ma­neu­tral« zu machen, wenn Deutsch­lands Aus­stoß an CO2 im Welt­maß­stab zu ver­nach­läs­si­gen ist? Man muß sie umer­zie­hen. Das Buch ist ein sub­ti­ler Ver­such in die­se Richtung.

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Otfried Höf­fe: Die hohe Kunst des Ver­zichts. Klei­ne Phi­lo­so­phie der Selbst­be­schrän­kung, Mün­chen: C. H. Beck 2023. 192 S., 20 €

 

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Erik Lehnert

Erik Lehnert ist promovierter Philosoph.

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