Elmar Schenkel: Wahre Geschichten um ­Friedrich Nietzsche

Was für ein entzückendes Büchlein! Köstliche Anekdoten rund um den genialischen Zivilversager Friedrich Nietzsche (1844 – 1900)!

Ellen Kositza

Ellen Kositza ist Literatur-Redakteurin und Mutter von sieben Kindern.

Zwar: der Nietz­sche-Ken­ner weiß um (fast) alle, dem ­Nietz­sche-Anfän­ger wären als Pro­pä­deu­ti­kum womög­lich zunächst ande­re Schrif­ten zu emp­feh­len, ad fon­tes! Inso­fern ist dies ein Lieb­ha­ber­buch und eines zum Schmö­kern. Autor ­Elmar Schen­kel ist (jüngst eme­ri­tier­ter) Pro­fes­sor für bri­ti­sche Lite­ra­tur und les­bar Nietz­sche-­Afi­ci­o­na­do, er arbei­tet gele­gent­lich als Muse­ums­wär­ter und Grab­wäch­ter an Nietz­sches Geburts- und Begräb­nis­stät­te in Röcken. (Daß Nietz­sche Sach­se war, Röcken heu­te aber sach­sen-anhal­ti­sches Gefil­de ist, unser Nach­bar­kreis!, fin­det hier kei­ne Erwähnung.)

Elmar Schen­kel hat tol­le Din­ge auf­ge­tan – wohl am bedeut­sams­ten sind die vie­len, wenig bekann­ten Foto­gra­fien und ihre Ein­ord­nung. Das Para­gu­ay-Aben­teu­er von Nietz­sches anti­se­mi­ti­scher Schwes­ter Eli­sa­beth Förs­ter-Nietz­sche dürf­te geläu­fig sein, Schen­kel bringt hier­zu inter­es­san­te Details zuta­ge: Relik­te der geschei­ter­ten, nur angeb­lich alko­hol­abs­ti­nen­ten und vege­ta­ri­schen Kolo­nie »Nue­va Ger­ma­nia« gibt es bis heu­te – nur sei­en die­se Möch­te­gern-Ari­er heu­te längst von Inzucht gezeich­net. Tat­säch­lich gibt es im ehe­ma­li­gen Sied­lungs­biet der Nietz­sche­schwes­ter noch heu­te eine Stra­ße, die nach »Eliza­beth Nigtz-Chen« benannt ist!

Hübsch ist der Hin­weis, daß Nietz­sche, früh schwer seh­be­hin­dert, einer der ers­ten Nut­zer der frisch­erfundenen »Schreib­ku­gel«, einer Schreib­ma­schi­ne in Igel­form, war. Und wie sehr er sich, avant la lett­re, nach Pod­casts sehn­te! »Vor­le­se­men­schen«, qua­si »live«, waren ihm hin­ge­gen ein Graus.

Nietz­sche war »Por­ten­ser«, also ­Schü­ler des Eli­te­inter­nats Schul­pfor­ta bei Naum­burg. ­Schen­kel über­lie­fert nied­li­che Kor­re­spon­den­zen aus die­ser Zeit: Der künf­ti­ge Phi­lo­soph bit­tet »um Erlaub­niß sich einen Krug anschaf­fen zu dür­fen«, »sich ein Reli­gi­ons­heft [aus­ge­rech­net!] anschaf­fen zu dür­fen«, eine Bade­ho­se, zwei Por­tio­nen Zucker usw. Als ein­mal ein Zir­kus in Naum­burg tag­te, befahl der Zir­kus­di­rek­tor dem Pferd­chen, sich »vor dem flei­ßigs­ten und klügs­ten Schü­ler« zu ver­nei­gen. Natür­lich war dies Fried­rich (und wir alle wis­sen um sei­ne spä­te­re Bezie­hung zu Pfer­den) sehr peinlich.

Inter­es­sant sind auch die Geschich­ten, die Schen­kel als zeit­wei­li­ger Gedenk­stät­ten­wär­ter vor­brin­gen kann: Er fand dort »Stein­chen von jüdi­schen Besu­chern«, zudem »ein Kon­dom«. Ein­mal, Neu­jahrs­mor­gen, lag »ein Japa­ner auf dem Grab«. »Rech­te« Besu­cher gebe es auch. Die Rede geht von klan­des­tin ange­brach­ten Runen (glaub­haft) und davon, wie die Frau an der Kas­se ein­mal eine fre­che Grup­pe »Iden­ti­tä­rer« abge­fer­tigt habe (wenig glaub­haft oder schlecht erzählt).

Wir haben es hier mit einer wirk­lich lie­bens­wer­ten Schrift zu tun, die weder ver­dammt noch ver­herr­licht, son­dern ein­ord­net. Die dich­te Hecke vor Nietz­sches Grab wur­de 1944 zu sei­nem 150. Geburts­tag gepflanzt. Die SS trom­mel­te. Elmar Schen­kel kann dies alles sou­ve­rän ver­kraf­ten. Er ist ja nur der Erzäh­ler, und er macht das sehr gut.

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Elmar Schen­kel: Wah­re Geschich­ten um ­Fried­rich Nietz­sche, Leip­zig: Tauch­a­er Ver­lag 2023. 157 S., 15 €

 

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Ellen Kositza

Ellen Kositza ist Literatur-Redakteurin und Mutter von sieben Kindern.

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