Horten? Ausmisten? Zwei Wege. Welcher ist konservativ?

Es gibt die Horter (im Extremfall: Messies) und die radikalen Ausmister, Wegwerfer. Und dazwischen ein breites Feld an Mischtypen. Für mich ist das keine nebensächliche Lifestylefrage, sondern existentiell.

Ellen Kositza

Ellen Kositza ist Literatur-Redakteurin und Mutter von sieben Kindern.

Für Mil­lio­nen Leu­te ist „Auf­räu­men“ offen­kun­dig eine Sache, der man Beach­tung schen­ken muß. Vor einem Vier­tel­jahr­hun­dert boom­ten die „Simplify-your-Life“-Ratgeber mit viel­fäl­ti­gen Ent­schla­ckungs-Tips, und in den letz­ten Jah­ren haben sich die Ord­nungs-Best­sel­ler der jun­gen Japa­ne­rin Marie Kon­do mil­lio­nen­fach ver­kauft. Im angel­säch­si­schen Sprach­raum ist das Verb „to kon­do“ (=aus­mis­ten) bereits etabliert.

Mög­li­cher­wei­se ist der Traum der „Kon­doer“ die­se ste­reo­ty­pisch weiß möblier­te Woh­nung mit drei präch­ti­gen Zim­mer­pflan­zen; sehr glatt, sehr trans­pa­rent, über­aus hygie­nisch – nichts steht her­um, kei­nes­falls sind da Kin­der­spiel­zeu­ge und dre­cki­ge Lätz­chen, nicht mal unor­dent­li­che Bücher­sta­pel mit Kaf­fee­fle­cken oder gar ein Aschen­be­cher – allen­falls liegt eine gepfleg­te Kat­ze auf einer grau­me­lier­ten Mohairdecke.

Das ist kei­ne Uto­pie. Ich ken­ne Leu­te, die wirk­lich genau­so leben. Ich will das nicht wer­ten. Es ist sau­ber, und was mei­ne inne­re Küchen­psy­cho­lo­gin dazu sagt, ist wirk­lich irrelevant

Ich bin hin­ge­gen lan­ge Zeit „Horte­rin“ gewe­sen; ers­tens aus öko­lo­gi­scher Über­zeu­gung, zwei­tens aus sen­ti­men­ta­len, drit­tens aus erb­li­chen Gründen.

Natür­lich haben mei­ne Kin­der hin­ter­ein­an­der alles „auf­ge­tra­gen“. (Ja, sie tun es bis heu­te. Toch­ter, 13, geht gera­de in einer Jeans, die mir anno 1993 geschenkt wur­de. Mit Schlag. Hübsch!) Spar­sam­keit spielt dabei eine Neben­rol­le. Für mich gab und gibt es kei­nen Grund, Anzieh­sa­chen, die noch intakt sind, weg­zu­wer­fen. Das „Ein­kau­fen-nach Sai­son“, das in mei­ner Kind­heit noch prak­ti­ziert wur­de (Stich­wort „Som­mer­schluß­ver­kauf“), fand bei uns nie statt.

Und: Kei­nes­falls möch­te ich von den aus­beu­te­ri­schen Näh­be­trie­ben in Kam­bo­dscha, Indi­en und Ban­gla­desch pro­fi­tie­ren. Als ich eine gro­ße Toch­ter neu­lich ertapp­te, mehr­fach beim chi­ne­si­schen Bil­lig­hei­mer „Shein“ bestellt zu haben, ras­sel­te es im Getriebe…

Nutz­ba­res zum Müll zu geben ist für mich bis heu­te eine Sün­de! Moden inter­es­sier­ten mich nie (Stil schon). In frü­he­ren Jah­ren wur­de ich (weil mein Hang bekannt war) gera­de­zu zuge­bombt mit ollen Kin­der­kla­mot­ten aus der Nachbarschaft.

Herz­haft sor­tier­te ich den Schund mit Auf­druck („Chi­ca­go 1964 Uni­ver­se Corp­se ulti­ma­te“ et. al) aus, alles ande­re wur­de getra­gen; mit Mit­leid und beson­de­rer Lie­be auch das Selbstgestrickte.

Mei­ne Enkel tra­gen nun mei­ne Stramp­ler! 70er-Jah­re-Look in oran­ge! Was für ein Zeit­raum! Wie roman­tisch ist das!

Ich selbst tra­ge gera­de diver­se Schu­he mei­ner vor 14 Mona­ten ver­stor­be­nen Mut­ter auf. Nein, nicht beim „Aus­ge­hen“, aber im All­tag. Ich begrei­fe es auch als gedank­li­che Lek­ti­on im Sin­ne eines „Try to walk in my shoes“. Mei­ne Mut­ter war so anders als ich es bin. Genau das hat sie immer geschmerzt.

Sie kam mit mei­ner Unver­zagt­heit nicht gut klar, sie sah eher das Aus­sichts­lo­se: Aus­sied­ler­schick­sal, früh ver­waist, das ers­te eige­ne Kind gestor­ben, sie: „nur geschuf­tet“. Ihre neun Paar Schu­he wer­de ich tra­gen, bis sie zer­fal­len. Nein, man müß­te es sich nicht so kom­pli­ziert machen. Ich mache es aber gern, ich mag die­se Übung.

Mei­ne Mut­ter, als Kriegs­kind, war natür­lich vom Stam­me „Horter“.  Nimm, was Du krie­gen kannst! But­ter bei REWE im Son­der­an­ge­bot – nimm gleich zehn, frie­re acht davon ein! (Erspar­nis: ein paar Pfennig.)

Natür­lich habe ich die­ses Horter-Gen geerbt. Ich besit­ze bei­spiels­wei­se Schlitt­schu­he für unge­zähl­te Enkel. Und Schwimm­hil­fen. Und natür­lich Hun­der­te Bücher. Nur: Manch­mal benei­de ich Leu­te, die in einer Drei­raum-Miet­woh­nung leben. Die müs­sen ja radi­kal umge­hen mit sol­chen Sen­ti­men­ta­li­tä­ten! Die müs­sen weg­hau­en, was gera­de nicht benö­tigt wird. Das ist auch eine Erleichterung.

Ich hin­ge­gen ver­fü­ge über vier­zehn Zim­mer und einen geräu­mi­gen Dach­bo­den. Was sich da ansam­melt! Lan­ge Zeit habe ich ange­häuft, was sich aus den Ver­stor­be­nen-Haus­hal­ten im Umfeld so anbot. Weder ich noch eines mei­ner Kin­der wird je Bett­wä­sche, Hand­tü­cher, Pfan­nen und Töp­fe ein­kau­fen müs­sen. Auch kei­ne Kof­fer, kei­ne Tup­per­waren, kei­ne Radi­os und kei­ne Arm­band­uh­ren. Es ist alles in Hül­le und Fül­le vorhanden!

Ich bin mitt­ler­wei­le aber von der Horte­rin zur Aus­mis­te­rin gewor­den. Auch, weil ich nun x‑fach gese­hen habe, was es bedeu­tet, einen Haus­halt auf­zu­lö­sen. Näm­lich – ein bit­te­res Erbe für die Hinterbliebenen.

Zu Coro­na-Maß­nah­men-Zei­ten ging es los bei mir, das gro­ße Aus­mis­ten. Die Zeit stand still, und mei­ne „Chall­enge“ war, 50 Din­ge pro Tag aus­zu­mis­ten. Ein 300-Tei­le-Puz­zle, bei dem 11 Stü­cke fehl­ten, zähl­te dabei als nur e i n  Ding.  Seit „Coro­na“ hat unser Haus sicher­lich etli­che Zent­ner Gewicht verloren.

In den Müll flo­gen näm­lich auch Bücher. Bit­te? Bücher? Ja! Wir soll­ten das Schwer­ge­wicht gesam­mel­ten Wis­sens nicht über­schät­zen. Es sind ganz weni­ge Exem­pla­re, die heu­te noch etwas wert sind. Die meis­te (wenn auch klu­ge) Ten­denz­li­te­ra­tur aus den Nuller­jah­ren nimmt der Zweit­ver­wer­ter (Mom­ox et. al.) nicht mal zum Wei­ter­ver­kauf an!

Alte Leu­te, die sich auf den Auf­bau einer gelehr­ten Biblio­thek etwas ein­bil­den, dürf­ten hier Trä­nen wei­nen. Es ist aber lei­der so: Das klu­ge Zeug hat kei­nen Wert. Im Zwei­fels­fall fängt man sich die­se neu­mo­di­schen Papier­fisch­chen ein. Aus die­sem Grund neh­men wir auch kei­ner­lei Bücher­spen­den mehr an. Nein, danke!

In den letz­ten Jah­ren war ich mit etli­chen Todes­fäl­len kon­fron­tiert. Wer will die­se Schrank­wand, damals nicht ganz bil­lig? Die­se sicher­lich wert­vol­le Stein­samm­lung? Den Glas­tisch, Ori­gi­nal­preis 590 DM? Die­se sicher­lich zu Geld zu machen­de Samm­lung an Gewei­hen? Die­ses Kon­vo­lut an Par­fü­men? Die­sen Brock­haus von anno dazu­mal? Die­se vier­und­zwan­zig Spann­bett­be­zü­ge? Die Kof­fer­samm­lung, teils unbe­nutzt? 35 Her­ren­hem­den, meist unge­tra­gen? Drei Paar Haus­schu­he, unaus­ge­packt? CD-Samm­lung, 140teilig, von Karel Gott über Roland Kai­ser bis Kel­ly Fami­ly? Arm­band­uh­ren, die nur ein­mal dem Uhr­ma­cher vor­ge­stellt wer­den müß­ten? Sie­ben­und­vier­zig Ten­nis­po­ka­le? Brief­wech­sel, die emi­nent rüh­rend sind, aber doch neben­säch­lich für die zeit­ge­schicht­li­che Forschung?

Ich bin noch nicht wirk­lich alt. Aber seit „Coro­na“ hab ich so hef­tig aus­ge­mis­tet, daß sich mei­ne Erben ganz gut zurecht­fin­den kön­nen, ohne über Matrat­zen aus dem letz­ten Jahr­tau­send zu stol­pern. Ich wer­de irgend­wann recht schlank aus die­ser Welt gehen.

Was den Haus­halt mei­nes Papas (*1940) betrifft, juckt’s mich in den Fin­gern.  Er lebt auf viel­hun­dert Qua­drat­me­tern den üppi­gen Traum der letz­ten Jahr­zehn­te. Ich gönn’s ihm so sehr.  Es sind Erin­ne­run­gen oder Erobe­run­gen. Aber es graut mich auch. Nie­mand wird all die­se Mate­rie wol­len und brauchen.

Der Punkt ist ja: Wäh­rend unse­re Alten (aus Ent­beh­rungs­er­in­ne­rung) anhäuf­ten, tun wir das glei­che: Kon­sum­gü­ter anhäu­fen, dies­mal aber aus Über­druß. Am Ende bleibt das Entsorgungsproblem.

Ich bin raus aus der Ver­brauchs-Maschi­ne. Und es tut sehr gut.

Ellen Kositza

Ellen Kositza ist Literatur-Redakteurin und Mutter von sieben Kindern.

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Kommentare (50)

Joerg

7. März 2024 17:14

Ihr sehr schöner Beitrag berührt mich. So wie es "Peggy Ophelia" tut, den ich immer wieder einmal lese.
 

Kositza: Oh, danke. Bald ist wieder Jahrestag von Peggys Suizid.

Adler und Drache

7. März 2024 17:17

Ich lasse mittlerweile nicht mehr zu, dass sich das Zeugs anstaut. Vater, Mutter, Tante, jeder will einem was aufdrängen, was er selber nicht mehr braucht, was aber noch gut und zu schade zum Wegwerfen ist. Keine Chance! Wird alles abgelehnt! Sie sollen das selber behalten oder selber wegschmeißen, ich bin nicht deren Rumpelkammer!  

Boreas

7. März 2024 18:26

Stimme voll zu. Habe die letzte Textilneuware 2020 gekauft. Leibwäsche kauft meine Holde immer mal wieder neu, weil sie denkt, es fällt auf sie zurück, wenn ich mit meinen löchrigen Buxen nach einem Unfall im Krankenhaus lande. Gleiches gilt für nichtbibliophile Bücher, die man nur einmal gelesen haben muß. Als Gabe akzeptiere ich nur Verbrauchsgüter, am liebsten liquides oder hölzernes, weil man das bei Bedarf verheizen kann. Es hat etwas befreiendes, Siedlungsabfall auf den Scherbelberg zu fahren.

JSchlaudraff

7. März 2024 19:08

Als ich noch recht jung war, wurde mir "HABEN ODER SEIN" von Erich Fromm geschenkt. Was ich damals davon für's Leben mitnahm, war, daß sich Haben in funktionelles und rein besitzendes Haben unterscheiden läßt. Ob unbenutzter Kram (Verbrauchsmateral ausgeschlossen) stört, ist sehr individuell und  hat selbstverständlich mit den eigenen Raumverhältnissen und der Sesshaftigkeit zu tun, aber als Leitfaden ist der obengenannte Gedanke eines Linken schon einiges wert.

Nemo Obligatur

7. März 2024 20:02

Kann ich von Herzen unterschreiben. Ich habe auch alles Mögliche aufgehoben. Vor allem Bücher. Jetzt werfe ich sie weg oder stelle sie in den Bücherschrank im Ort, wenn ich das Gefühl habe, sie nicht mehr lesen zu wollen. Klamotten? Tragen, bis sie zerfallen, dann weg damit. Trotzdem liegt hier noch genug herum. 
Vom Leben bleiben nur Erinnerungen. Wenn ich mal nicht mehr bin, soll nur so viel übrig sein, wie in ein Zimmer passt. Was wir weitergeben, tragen unsere Kinder im Herzen.

RMH

7. März 2024 20:06

Ordnung und bewahren (wozu auch aufbewahren gehören kann) sind beides konservativ. Bleibt jedem selber überlassen, wie er diese Spannung in Harmonie verwandelt. Nur eines ist gewiss: Das letzte Hemd hat keine Taschen. Erwischt es mich aktuell, tun mir meine Erben leid, dass alles auf- und auszuräumen (Habe gerne so einiges gesammelt, Bücher waren auch dabei - Fachliteratur habe ich aber schon immer regelmäßig ins Altpapier befördert). Sollten mir meine statistisch möglichen Lebensjahre vergönnt sein, habe ich fest vor, selber Stück für Stück tabula rasa zu machen. Vorbild ist mein Nachbar, der hat mit über 80 Jahren sein Haus komplett selber ausgeräumt, hat die Buzze ohne Makler verkauft und ist dann vom Erlös mit seiner schon etwas gebrechlicheren Frau ins örtliche Nobel-Altenheim gezogen. Für seine Kinder wird sicher auch noch was an Erbe übrig bleiben. Aber das ist auch ein Mensch mit Disziplin.

A P Weber

7. März 2024 20:17

Herrlicher Artikel, werte Frau Kositza. Er regt dazu an, auch einmal mit dem Ausmistenn anfangen zu wollen. Von einem Punkt bin ich enttäuscht: Wo soll ich mit meinem mindestens 2000 Geschichtsbüchern hin, wenn das Rittergut keine Bestände übernehmen will ? Gibts eine vertrauenswürdige Adresse für den Ernstfall?

Kositza: Ja, seit einigen Monaten reichen wir an zwei befreundete Antiquare weiter!

Dr Stoermer

7. März 2024 21:29

Sie nehmen mir eine Last: Jahrelang war ich bemüht, meinen Kindern das Wort "Anziehsachen" abzugewöhnen. Um nicht selbst schnoddrig von "Klamotten" zu sprechen, rang ich mir stets, gegen meine Natur, "Kleidung" ab. Die werden staunen, wenn ich ab jetzt ganz entspannt bleibe, es vielleicht sogar einmal selbst so formuliere: Lege Deine Anziehsachen ordentlich in den Schrank! Zack, zack!

Kositza: Haha, und Sie wissen gar nichts über die Karriere des Worts "Anziehsachen" innerhalb unserer Familie! Was für ein schönes Wort!

Eo

7. März 2024 21:40

.
Alles in allem doch mehr
ein ambivalentes Thema !  Da ich von Zeit zu Zeit gerne mal in alten Sachen krame und dann meist unverhofft reizvolle Entdeckungen mache, die einen in vergangene und teils vergessene Tage zurückkatapultieren, tue ich mich auch eher schwer mit dem Weckschmeißen.
 Vor paar Jahren aber
mußte ich quasi von jetzt auf gleich einen recht geräumigen Kellerraum  leer machen und also ausmisten -- mit viel Krempel, darunter auch kistenweise alte Zeitungen und Magazine vorwiegend aus der Wendezeit und teils noch davor. Ist mir schon ein wenig schwergefallen, da praktisch keine Zeit blieb, um noch eine Auswahl zu treffen; und so kam dann die Presse in die Presse ... Seitdem weiß ich auch, wieviel Bananenkisten problemlos in einen Golf Kombi passen, nämlich 13 -- oder warn's gar 14 ?
.

Gimli

7. März 2024 21:50

klingt alles bissi freudlos bzw nein, freudvoll im Entsagen. Kann das ehrlich sein? Kein Spaß an kitschigem und bissi überflüssigem Tand? Ne coole manuelle Alessi-Eieruhr in der Küche, selbst wenn der HomePod das Zeitmanagement auf Zuruf beherrscht? Neue quitschbunte Socken von Iris Apfel, wenn die alten fadenscheinig sind? Bloß nicht stopfen. Im Leben auch würde ich nicht die Schuhe meines Vaters auftragen wollen, sowenig wie seine "Leibwäsche". Mode ist kein Verbrechen und nicht anti-intellektuell. Egal ob beim Geschirr, den Socken, der Frisur oder der Buchgestaltung. Nen alten Jugendstil Bücherschrank vom schwulen Onkel inkl Schreibtisch gern, aber zum Ausgleich dazu usm und zB ein Regal von Moormann und italienische Leuchten. Das darf gern 30 Jahre stehen, aber mit ordentlich Tand dekoriert, der auch mal nur 1, 2 Jahre bleibt. Und Bücher? Hmmh .. Bibliophile und persönlich bedeutsame bleiben, andere gehen zu momox oder ins öffentliche Bücherregal. oder ins Altpapier. Gern auch die vergilbte TB Ausgabe der Blechtrommel in die Tonne  und mit Freude die edel geduckte von Steidl neu bei Bücher Bender besorgt. Bisschen Konsum darf doch sein, oder?

Umlautkombinat

7. März 2024 22:45

Worte sind schon eine Sache. 'Kleidung' ist mir natuerlich nicht unbekannt, aber meine sigifikant Wessi verwendet das in einer irgendwie abschmelzenden altertuemlichen Art ("Lege deine Kleidung zusammen"). Oder Dinge wie Muetze anziehen oder einen Schal. Gibts hier im Osten nicht. Da wird aufgesetzt oder umgelegt/umgebunden.

Franz Bettinger

7. März 2024 22:51

"Natürlich haben meine Kinder hintereinander alles aufgetragen.“ Herrlich! - Ich habe am Fiume Vecchio in der Wildnis Korsikas einen saarländischen Paddler am Feuer gehabt, der in einem geerbten edlen, einst teuren und mittlerweile verrauchten und fleckigen Pelzmantel mit aufgestelltem Kragen auf dem Pinien -Nadel-übersäten Boden saß und besser als andere der Kälte der Nacht trotze. Der liebe Werner (RIF) schonte nirgendwo und nie weder sich noch seine Kleider, noch seine Freunde, noch sein Ehegespons. Diese Haltung - Teures + Edles auch zu tragen & zu nutzen - versuche ich, mit wenig Erfolg, meiner Frau beizubringen, aber die glaubt, 150 Jahre alt werden zu müssen, und mit ihr die guten Kleider. 

ede

7. März 2024 23:57

Ich tu mich schwer mit wegwerfen. Es macht einfach reichlich Arbeit. Es sind Überlegungen anzustellen. 
Wir sind aber auch grad dabei, nicht wegen Umzug, hoffentlich, oder eher wahrscheinlich, zum letzten Mal. 
Es ist wie eine spirituelle Reinigung. Es stellt sich das Empfinden von Neuanfang ein. 
Ich besitze einen billigen, abgestossenen grünglasigen Aschenbecher. Er ist ein Artefakt aus meiner frühesten Kindheit in Ilmenau. In selbigen hat mein Opa immer seine Tabakpfeife ausgeklopft. Einmal gab es eine geradezu hysterische Suchaktion der ganzen Familie nach der Pfeife. Er hatte sie im Mund.
Niemals würde ich diesen Aschenbecher wegwerfen. Und natürlich sind meine Söhne mit ernster Miene über die sakrale Bedeutung des Gegenstands belehrt worden.

Liselotte

8. März 2024 01:18

Irgendwann ist es soweit, daß man wegwerfen muß, auch wenn man noch so sehr an den Sachen hängt. Ich bewundere die Leute, die die Disziplin aufbringen, immer eine alltagspraktische Ordnung zu halten, bei mir verkruschtelt es sich gern, und ich mag auch nicht zuviel glatte Funktionalität.
Nur ist es jetzt mit den Todesfällen und Erbschaften halt schon so, daß da mehr Zeug reingekommen ist, als man aufbewahren sollte - 100 Jahre alte Sammlungen von Zigarettenbildchen und ein paar Hindenburgmünzen zb wollte ich nicht gleich loswerden. Bücher, schwierig - die meisten sind nicht so uninteressant, daß man sie leichten Herzens wegwirft, und sei es nur zur Illustration des Zeitgeistkolorits; aber man kann seine Wohnung auch nicht zur Bücherhöhle machen. Am leichtesten trennt man sich noch von Kleidern in unpassender Größe oder von ausgetretenen Schuhen...

Florian Sander

8. März 2024 02:11

Ich glaube, sowas durchzuziehen klappt nur, wenn man ein gänzlich unsentimentales Naturell hat. Stichwort: "Briefwechsel, die eminent rührend sind, aber doch nebensächlich für die zeitgeschichtliche Forschung?" Bei dem Satz musste ich schmunzeln und innerlich zusammenzucken gleichzeitig, ob dieser beneidenswert fatalistischen "In your face"-Attitüde. Grüße von einem, der es nicht fertig bringt, selbst trivialste Bücher wegzuwerfen. :)

Volksdeutscher

8. März 2024 06:31

@Fr. Kositza - "Horten? Ausmisten? Zwei Wege. Welcher ist konservativ?"
Sowohl das Horten als auch das Ausmisten entspringt einer konservativen Haltung. Deshalb sollte man vielmehr fragen: Welche von beiden Handungen ist konservativer? Wie ich sehe, stehen sie sogar in einem hierarchischen Verhältnis zueinander, man kann sie zumindest in ein solches Verhältnis zueinander stellen.
Der gemeinsame Nenner des Hortens und Ausmistens ist der des Bewahrens und Erhaltens: Horten ist Konservieren im Sinne von Bewahren und Erhalten von Objekten, während Ausmisten ist Konservieren im Sinne von Bewahren und Erhalten der Ordnung. Da die Bewahrung der Ordnung durch Herstellung der Übersichtlichkeit mittels des Ausmistens dem Horten als Bewahren und Erhalten von Objekten übergeordnet ist, stellt das Ausmisten eine konservativere Handlung dar, denn es dient der Erhaltung der Ordnung und stellt damit ein höheres Prinzip dar - ab dem Punkt, wo es unbedingt angewandt werden muß.

Franz Bettinger

8. März 2024 07:40

Ich habe noch einen andere Marotte: Ich trenne an Kleidungsstücken fast immer alle Labels ab, sogar an der Unterwäsche. Erstens finde ich Labels störend und, wenn sie hochgeklappt sichtbar werden, auch hässlich. Zweitens möchte ich niemandem (keiner Firma) gehören. Drittens will ich für keine Marke Werbung machen. Und viertens: Ich bin Ich. Aber gelegentlich entwerfe ich eigene Label und lasse sie auf eine Jacke sticken: „Nomaské“ oder „2+2=5“. 

Joerg

8. März 2024 07:56

Beim Erhalt von aufgebauten Sammlungen, Buchbeständen oder gar privaten Fachbibliotheken erkennt man, dass wir uns im unteren Teil einer Zweiklassengesellschaft befinden:
Wir sammeln akribisch, liebevoll, bringen dafür Opfer. Spätestens mit dem eigenen Tod wird alles wieder zerstreut oder vernichtet. Meist unter Zeitdruck, weil für die genutzten Räume sonst unnötig weiter Miete gezahlt werden muss oder ein lukrativer Verkauf der Immobilie sich verschiebt.
Im finanziell besser situierten Teil der Gesellschaft werden dagegen solche Sammlungen über Generationen weitergeben. Irgendwann findet sich schon wieder ein Nachkomme mit Interesse zur Fortführung.  Auch konservatorische Maßnahmen werden ergriffen  Wenn etwas verkauft wird, so nicht unter Zeitdruck, sondern teilweise Jahrzehnte nach Ableben des Sammlers 
So bestehen fürstliche Bibliotheken weiterhin, ebenso wie bedeutende Kunstsammlungen.
 

Ein gebuertiger Hesse

8. März 2024 08:02

Ist die entscheidende Frage denn nicht: Hat man noch Freude an den Dingen, sieht man sie noch gerne, trägt man sie noch gerne? Wenn ja, behalten, wenn nicht, können sie weg. 

Sandstein

8. März 2024 09:03

Schöner Text!
Die Sache mit den sterilen Oberflächen triggert mich auch. Ich fahre da einen Mittelweg..ich finds fürs Auge beruhigend, wenn nicht allzu viel Kram rumsteht, aber ich möchte auch nicht in einer komplett glatten Umgebung leben. Japanisch-reduzierte Einrichtung kombiniert mit vielen Büchern und paar schönen Bildern, das gefällt mir derzeit am besten.
Meine Freundin ist definitiv Typ Horterin und bringt so flink wie ein Wiesel ständig Sachen mit Nachhause, die eigentlich niemand braucht. 
Lustigerweise bestätigt sie mir, dass ich den "besseren" Geschmack und Stil habe was Einrichtung usw. angeht, also eig ist es mein Hoheitsgebiet, wenn es darum geht eine neue Kommode zu kaufen. Sie geht trotzdem immernoch auf die Jagd nach Kram und probierts am Zoll vorbeizuschmuggeln..naja was solls heute ist Weltfrauentag. Hihi.
Danke für den schönen Artikel EK
 

Klaus Kunde

8. März 2024 09:08

Die Sogkraft von Konsumgesellschaften ist ebenso simpel wie wirksam. Das Streben, Dinge besitzen zu wollen, ergibt sich aus deren Nichtbesitz. Allerdings, der ultimative Reiz am Konsumieren, das höchste Glücksgefühl, bleibt allein der flüchtige, euphorische Moment intensiven, lustvollen Begehrens, der dem eigentlichen Aneignen von Hab und Gut unmittelbar vorausgeht. Je nach Naturel des Käufers transformiert sich das Erworbene schrittweise in die Alltäglichkeit, verzehrt seine Außergewöhnlichkeit, verkommt schließlich zum banalen Beiwerk. Allenfalls geben Neid und Mißgunst der Besitzlosen dem Kauf eine länger andauernde befriedigende Komponente. Weil Konsumieren überraschend flott seine leidenschaftliche Ingredienz verliert, muß jederzeit Ersatz für entschwundenes Interesse am Objekt verfügbar sein. So mehren sich die Heerscharen würdeloser, seelisch deformierter Neophiler mit ihren zügellosen Bedürfnisarroganzen. Das Anrecht aller auf Teilhabe wird in Folge unablässiger Projektion werbeindustrieller Trugbilder mühelos in die Seelen der Gott- und Maßlosen implantiert.

Rudolf

8. März 2024 09:37

Obwohl das Aufräumen und Wegwerfen der Hinterlassenschaften von Lebensabschnittspartnern etwas Befreiendes hat, sieht es bei Familiegerümpel mitunter anders aus. Was wenn der seit Jahrzehnten unbesehene Karton, der sein Ende im Gartenbrennfass fand, seltene Sammelkarten im fünfstelligen Bereich enthielt und man es sich nun eingestehen muss nicht nur Kinderträume sondern auch echte Werte vernichtet zu haben? Solange Platz ist, aufheben, nach mir die Sintflut, vielleicht findet dieses oder jenes Stück seine Besitzer wieder oder es findet sich ein Neuer.

RMH

8. März 2024 09:54

Habe gerade im Radio gehört, dass heute der Welttag der Frau ist. War dieser Artikel jetzt ein subtiler Beitrag zu diesem Tag mit dem Thema, dass die Frau die Hüterin des Hauses ist und mithin der häusliche Ordnungsfaktior ist, der entscheided, ob gehortet oder ausgemistet wird?
Beim Thema Kleidung dürfte auffallen, dass - grob geschätzt - alles aus dem 21 Jhdt. nicht mehr die Qualität zum Aufheben hat, also weggeschmissen  bzw. zum Recycling gegeben werden kann. An der nostalgischen Sehnsucht nach beständiger, guter Qualität der Ware ist der Versandhandel "Manufactum" groß geworden, der von einem vormals Grünen bereits Ende der 80er Jahre gegründet wurde (und jetzt zu "Otto" gehört). Mit Manuscriptum lebt ein kleiner Teil der alten Geschäftsidee weiter. Vermutlich kennt man sich von Verleger zu Verleger mittlerweile?

Franz Bettinger

8. März 2024 10:48

Wenn ich durch Verschleiß & Wetter ausgeblichene, abgekämpfte Hosen für ins Städtchen anziehen will, protestiert meine Frau. Nichts aber hat sie gegen die seltsamen, meistens jungen Leute, die für teuer Geld Fetzen-Jeans kaufen und zur Schau stellen, weil sie aussehen wollen wie Abenteurer. Das Echte? Gibt es immer weniger. 

KlausD.

8. März 2024 12:43

Ich lese immer wegwerfen, wegwerfen, wegwerfen .... Aber es gibt doch noch eine weitere Möglichkeit, die der Weiterverwertung (mal von eBay für Spezielles ganz abgesehen). Dazu bringe ich unsere gut erhaltene und saubere Kleidung/Schuhe (vor allem von meiner Frau) zu einer befreundeten ehemaligen Aussiedlerfamilie, deren Verwandte und Freunde in der alten Heimat daraus noch ihren Nutzen ziehen.

ofeliaa

8. März 2024 14:02

Eins meiner Reizthemen. Ich habe viele Sachen, bin aber eher der Typ radikaler Ausmister. Seit einiger Zeit bin ich (unfreiwillig) in der Schweiz und in WGs ist es schlimm, weil die Schweizer jeden erdenklichen Schrott aufheben. Die Müllentsorgung in der Schweiz ist leider auch bizarr, keine Entsorgungsstellen. Als ich innerhalb der CH umziehen musste, war das neue Zimmer bereits möbiliert und ich debattierte mit der Vermieterin, ob ich die uralten, wackeligen, klemmenden Möbel entsorgen und neue kaufen darf. An jedem noch so defekten u. potthässlichen Teil schien ihr Leben zu hängen. Ein hässlicher brauner Schrank musste bleiben, mit dem bin ich jetzt noch immer gestraft. Den vermüllten Wintergarten habe ich zudem restauriert. Alles gereinigt, erst jetzt kann man diesen Teil wieder nutzen. Warum bin ich diejenige, die den Impuls zur Wohnqualität geben und umsetzen muss? Jetzt ist nur noch das Problem, dass meine Schweizer Mitbewohnerin jedes Marmeladen/Senf...glas nach dem Auswaschen in den Wintergarten stellt. Ich bin schon seeeehr genervt. Bin mir sicher, wenn ich mit dem Studium fertig sein und ausziehen werde, sind diese Gläser noch ungenutzt. Sie hebt also Müll auf und versaut damit die Wohnung. Ich mag nix, was gammlig ist und ich finde die ganze Art der Schweizer eigtl. völlig gammelig. Hat aber Gründe. Mangel an: Waren, Kreativität, Hilfsbereitschaft, Eigeninitiative, Mülldeponien, staatliche Regelung. Ich handle viel freier. Was bleibt ist Mitleid mit so hilflosen, veränderungsscheuen Menschen. 

ofeliaa

8. März 2024 14:27

Ich werde es meinen Kindern nicht antun, Sachen aufzutragen. Egal, was ich dafür tun muss und wie viele Stunden pro Woche ich arbeiten muss, meine Kinder werden mit den anderen mithalten können, denn ich weiss aus eigener Erfahrung nur zu gut, was es mit einem Teenager machen kann, wenn er nicht mithalten kann. Und es spielt dabei keine Rolle, wie lieblich und selbstwertsteigernd das Elternhaus ist bzw. sich wähnt. Als junger Mensch möchte man mithalten und auch vom Körpergefühl her, fühlen sich Sachen, die man selbst ausgesucht hat, besser an. Wenn Ihre Tochter bei Shein bestellt, ist das mehr oder weniger ein Hilfeschrei. Einkaufen fahren hiesse das für mich, wenn ich denn überhaupt Mutter wäre. Freiheiten lassen. Geld ausgeben. Das Leben darf schön sein und die Werte, die die Tochter momentan vertritt (ich will schön, kreativ, individuell sein und was Neues haben und erleben) zu respektieren ist auch ein Zeichen der Liebe. Es kann eine Phase sein, es entspricht ihren derzeitigen Werten. Das wird nicht immer so bleiben, und dem darf mit Gelassenheit begegnet werden, bzw. fragen Sie doch, was sie sich von den Bestellungen erhofft hat und vielleicht steckt etwas anders beziehungsweise viel mehr dahinter. 

Monika

8. März 2024 16:23

Das ist ein schöner "Mitmachtext". Ich komme gerade aus dem Kloster, wo ich einige Tage verbrachte. Dort im Zimmer gab es ein Bett, einen Tisch, einen Stuhl, einen Schrank für die Anziehsachen. Das würde mir für den Rest des Lebens genügen. Es gibt dort aber auch ein Antiquariat. Dort gab es einige  Bücher von Sloterdijk. "Weltfremdheit" für 50 Cent. Die Psalmen in Goldschnitt, von Guardini übersetzt , sehr  gut erhalten für 2 Euro . Ein Buch mit einer Widmung von Hans Urs von Balthasar für 2 Euro. Gut, am Ende habe ich  mal wieder 2 kg Bücher mitgenommen.  Dafür, so meine Regel, muss ich andere Bücher von 2 kg entsorgen. En-sorge-n . Dieses Verb sagt doch alles: Wer entsorgt, hat weniger Sorgen. So ist es!  Man soll mit leichtem Gepäck reisen. 

Ein gebuertiger Hesse

8. März 2024 17:34

@ Bettinger
Das mit den Fetzen-Jeans ist ein schreckliches wie auch augenöffnendes Phänomen. Denn es ist ja allen klar, auch denen, die sie tragen, daß die Fetzen gefaked sind. Heißt: man trägt diese Bullshit-Hosen, die nur ein ZEICHEN des Abenteurertums aussenden, als Referenz (schade, daß Barthes nicht mehr lebt bzw. wer bitte schreibt ein "Mythen des Alltags" für unsere Zeit heute?), wobei das manufaktierte Zeichen für das "Echte" gilt, ganz gleich, wie viele junge Honks dieses Zeichen aussenden - sind das alles Abenteurer?! Leute, die Hegemonie des Abgefuckten hat es vollbracht, daß selbst das offen Falsche für das "Echte" gilt. Gab es das schon früher mal in der Menschheitsgeschichte?

Klaus Kunde

8. März 2024 18:19

Erst wenn sich nach 23 Jahren der alte Benz mit donnerndem Getöse von seinem Getriebe verabschiedet wird es Zeit für mobilen Ersatz zu sorgen. Die 32 Jahre alte BMW ist noch gut in Form, sie, die Maschine, ist Herzblut. Je älter die Dinge werden, desto mehr gewinnen sie für mich an Wert. Bücher allerdings, mehr als zwanzig Jahre nicht zur Hand genommen, wandern unbarmherzig in den Container. Möblierung stets minimalistisch und funktional, ich stehe auf den unaufdringlichen Charme der klassischen Moderne. Weniger ist mehr als Ausdruck schräger protestantischer Ethik? Erlösung durch Arbeit, nicht durch Besitz. Oder einfach Lustgewinn durch Entsagung? Und natürlich, Zeitgenossen weisen den Weg. Mein Freund, der Zen-Buddhist: Tisch, Stuhl, Schrank, Bett genügen, natürlich selbst gezimmert. Alte Zausel wie ich hatten noch Väter, die als Jugendliche Entbehrung und Hunger kannten. Noch im hohen Alter wurden Schuhe selbst besohlt, bei zunehmender Korpulenz zum Kummer meiner Mutter Stoffkeile in uralten Hosen eingenäht. Mobilität per Fahrrad, das Vehikel, Rahmen von 1936, steht als Erbstück in meinem Keller. Ich meine, Konsumverzicht ist Ausdruck meiner Identität. Wer wenig hat, braucht kaum entsorgen.

RMH

8. März 2024 21:40

"Erst wenn sich nach 23 Jahren der alte Benz mit donnerndem Getöse von seinem Getriebe verabschiedet wird es Zeit für mobilen Ersatz zu sorgen. Die 32 Jahre alte BMW ist noch gut in Form,"
@Klaus Kunde, schön zu lesen, dass hier auch noch einer ein Faible für altes Blech hat. 

Franz Bettinger

8. März 2024 21:50

@Ophelia: Schöner Beitrag! Er stößt das Fenster noch mal weiter auf, und in eine andere, ebenfalls richtige Richtung. Danke. Aus Artikeln wie diesem von EK lernt man viel über gelebtes Rechtes Sein. @K. Kunde's Geständnis "Je älter die Dinge, desto mehr gewinnen sie für mich an Wert“ kann auch ich unterschreiben.

links ist wo der daumen rechts ist

9. März 2024 00:35

Woraus entsteht das Schöne? Aus dem Mangel? Nein, aus dem Überfluß.
Seit wir seßhaft wurden, häufen wir an.
Und besagt nicht eine Theorie über den Ursprung von Museen, daß es Adelige mit viel Platz waren, die einfach Dinge aufgehoben haben. So wie ja auch die meisten Messies nur ein Problem haben: zu kleine Wohnungen. Die Bobos hingegen müssen heute alles Mögliche „auslagern“.
Ent-sorgen mag dem weiblichen Furor des saisonbedingten Großreinemachens entsprechen, Auf-heben ist aber auch eine philosophische Kategorie (und als Anekdote – bei Hegel - sehr schwäbisch).
Wer aus verwandtschaftlichen oder professionellen Gründen mit Wohnungsräumungen zu tun hat, staunt doch immer wieder über einzelne Dinge (die ihr Eigenleben haben – und uns ohnehin überdauern); die gibt es aber nur, weil es eine Über-Fülle gibt.
Und Hand aufs Herz: das mit dem „seinen Nachkommen nichts aufbürden wollen“ ist doch lächerlich; nichts ist so schnell gefüllt wie Abfall-Container, die man einen Tag mietet.
Vielleicht sehnen sich manche ja auch in die Zeiten unserer Vorfahren zurück, die als Kimbern und Teutonen jahrzehntelang durch Europa zogen auf der Suche nach fruchtbarem Land. Für Fischer-Fabian werden diese Wagenkolonnen aber „in schlechten Zeiten den Flüchtlingstrecks geglichen haben, die am Ende des Zweiten Weltkriegs die Spuren ihres Elends durch ganz Europa zogen“.
Nein, dann schon lieber ein feste Burg.

Laurenz

9. März 2024 10:30

Mein Schlüsselerlebnis hatte ich 2001, als die Mutter meiner Mutter starb, mein Ein & Alles. Die Kinder- & Schwiegerkinder meiner Oma reagierten verdrängend, nahmen nur mit, was Ihnen gefiel, obwohl das Häuschen zwangsversteigert wurde. Mit meinem kleinen Cousin füllten wir beide einen 12 Kubikmeter-Container, was mich im Herzen schmerzte. Ich kannte seit meiner Kindheit den Inhalt jeder Schublade. Wertvolle Sachen, wie Hobelbänke, Werkzeug, Apfelmost-Holzfässer, selbst-gehobelte Leitern brachte ich zu einem Freund mit Resthof in Norddeutschland, 2x mit einem 3,5 Meter-Anhänger. Mein eigener Charakter ist unfähig, Ordnung zu schaffen. Ich lasse mir von Ordnungsfetischisten helfen. In fremd angelegte Ordnungen kann ich mich einfügen.

Laurenz

9. März 2024 10:32

(2) Beim Entsorgen der Bücher trennte ich mich auch von Geschirr & Gläsern, & sonstigen Krams, um der spartanischen Einrichtung eines HB näher zu kommen. Sachen, die man über Jahre nicht benutzt, braucht man nicht. Sie fangen nur Staub & Staub kostet kostbare Zeit. Auch eigene Aufzeichnungen aus meinem Berufsleben habe ich vernichtet. Ich  nahm mich früher einfach zu wichtig. Im Älterwerden spürt man das absehbare Ende. Warum soll man einem Erben die Haushaltsauflösung von wertlosem Tand aufbürden? Digitale Hinterlassenschaften stören wenig. Meine Mutter besitzt wertvolle Kunst, wie die Europa einer Porzellan-Manufaktur in Ungarn oder das Portrait eines Großonkels väterlicherseits, von Matthias Barz. Ich nur ein paar Rosendahl-Vasen, wie ein Steinway & Sons - Klavier, Baujahr 1960. Solche Sachen kann man aufheben. Ich ziehe nur an, was ich mag & trage es auf, bis es Löcher aufweist, die auffallen. Im übrigen half mir Carlos Castaneda, die mir beim Lesen riet, mein Herz nicht an Gegenstände zu hängen.

Der Gehenkte

9. März 2024 11:51

@ „seinen Nachkommen nichts aufbürden wollen“
Vor allem ist das ein modernes Argument. Es gehört in den Denkkreis des Linken und Fortschrittlichen, der Moderne, die - nach Sloterdijk - als Entlastungs - Verwöhnungsbewegung zu verstehen sei. Deshalb schließt man heute Sterbeversicherungen ab oder läßt sich anonym begraben.  Die Menschen fangen letztlich an, ihre eigenen Spuren freiwillig zu verwischen: auch eine Form der Geschichtsvergessenheit.
Dabei kann das spurlose Leben an sich eine feine Sache sein, wenn es reflexiv oder religiöse abgefedert ist. Es aber rein materialistisch zu interpretieren, ist ein Rückschritt und ein Versuch, aus der Geschichte auszutreten. 
"Man darf nicht vergessen, dass die moderne Gesellschaft, das System im Ganzen, einen Akzentwechsel vollzogen hat vom paternalistischen Staat, also vom Staat, der streng auftreten konnte, zu einem maternalistischen Staat, der zur Verwöhnung verdammt ist. ... Hier wird der postmoderne soziale Nexus deutlich: Alle werden zur Verwöhnung aller herangezogen. Dass das spätestens in der zweiten oder dritten Generation zu Paradoxien führen muss, liegt auf der Hand."

ede

9. März 2024 12:58

Ja, alter Hesse, "...sieht man sie noch gern, braucht man sie nochmal...".
Wenn man sich sicher wäre ist damit das Problem gelöst. Aber was ist morgen?
:)

Flaneur

9. März 2024 13:21

Mein gesamter Besitz muss in einen Koffer passen. Nach diesem Motto hat eine meiner Tanten gelebt. Dass sie von ihrem Lebensstil und ihrer Erwerbsbiographie her zu den Anywheres gehörte, lange bevor es diese Bezeichnung überhaupt gegeben hat, hat diese Haltung sicherlich befördert. Etwas nervig und konfliktträchtig war, dass sie ihre Geschwister sporadisch heimgesucht und gegen deren Willen und Widerstand versucht hat, bei ihnen auszumisten, um sie "von Ballast zu befreien". Sie war da penetrant missionarisch, so dass alle erleichtert aufgeatmet haben, wenn sie wieder abgereist war.

RMH

9. März 2024 19:45

Seit heute wieder 1 Buch mehr in der Bibliothek, welche die Erben dann wegwerfen oder weitergeben können:
Remigration von M. Sellner wurde ausgeliefert und ist da. Habe vor ein paar Monaten wiederum aus einem Nachlass einige ältere Kaplaken Bände geschenkt bekommen. Das Zeug wandert also nicht auf den Müll.

Ellen Kositza

9. März 2024 20:23

@Gimli: Daß sie mir (freundlich) quasicalvinistische Entsagungstristesse unterstellen, geht nur, weil Sie mich nicht kennen... das Haus ist ja immer noch voller "Tand", nur halt ohne das seit Jahrzehnten ungenutzt aufgehobene. 

Ihre originelle Alessi-Eieruhr oder die quietschbunten Socken will ihnen auch keiner nehmen. Bloß werde i c h dergleichem keinen Platz einräumen!

@der Gehenkte, @links ist: Nein, "seinen Nachkommen nichts aufbürden wollen" mißverstehen Sie als modernes Argument. 

"In meinem Elternhaus hingen keine Gainsboroughs...", und ich werde andererseits das angesammelte Gut meines Papas auch nicht zack in zwei Container verkloppen können. Nein, ich werde mich Stück für Stück für Stück qualvoll damit auseinandersetzen, ob ich all diese ihm kostbaren Erinnerungen einfach wegwerfen darf. 

Hesperiolus

9. März 2024 20:47

I . @ Der Gehenkte – Akzentwechsel zum global verhurten (verbordellierten, wäre besser zu schreiben) novercalen Staat vielmehr, Personifikation der kybernetisch gluckenden Anti-Chthonik, vorstellbar mit einer bildungsbetrieblichen Visage, keiner superioren, aber aus einer deren  Aushäusigkeiten, z.B. der Bertelsmann Stiftung; nicht ungepierct , „maternalistisch“ dagegen; „die Frauen, die gefährliche, aber auch gefährdete Vorkämpfer der Höhle sind“ (waren), wenn man zu dem EK Text passend aus Nebels „Höhlen und Schächte“ frauentagsfeindlich zitieren darf, wofür RMH vielleicht Sinn und das Büchlein zur Hand hätte. Urväter Hausrat! 

Kositza: Sehr hübsch, Ihr Sermon - ob Sie ihn mal in "einfache Sprache" übersetzen könnten? Das kapiert doch kein Mensch.

Hesperiolus

9. März 2024 20:48

II. Oder zu einem sich aus der Kositzaschen Frage ergebenden materialästhetischen Ansatz zu konservativem Wohnen, auch zur rechten Vestemik, aus den Jüngerschen Diarien vom 4. Juni 1943 das „Tot-Mitwirkende“ bedenkt.  Auch ib. vom  18. April 1943 die „Gehäuse im Sinne höherer Zoologie“ meditierte, nostalgisch! - Ausgemistet gehört genau das, was reingemistet wurde, nicht mehr – Fabrikware (allusiv); - aus einer - sei es großbürgelichen -  Gelehrtenwohnung ante bellum fällt mir da jedoch so wenig wie nichts ein. Bis hin zum Bleistiftanspitzer aus Bakelit, der unnachgeschärft nach einem halben Jahrhundert besseren Dienst tut als ….  - Was nach einigen Saecula kultivierteren Daseins ,unzerbombt und nicht vertrieben, hierzulande übriggeblieben noch dasteht, eine stupende Erbärmlichkeit bei den Allermeisten! Gimliesk surrogiert von sozialdistinktivem Designschrott. - 10 Zigarettenschachteln weniger und ein Löffel aus einer der noch bestehenden Silberschmieden wäre generationenwert! Von Möbeln, wie Stifter sie aufruft, zu schweigen. - Entsorgbare Bücher aber sind verlorene Lese/Lebens – Zeit! - petite bourgeoisie, armes (sic! - weinend) Deutschland!

Kositza: Bitte mal "auf dem Boden" bleiben!

Laurenz

9. März 2024 21:27

@Der Gehenkte & Links ist, wo der Daumen rechts ist ... Bei den Deutsch geschriebenen Briefen meiner innig geliebten Großmutter, handelt es sich nicht um die Briefe Mozarts, von Fallerslebens oder Hölderlins, sondern um die schlichten Befindlichkeiten einer einfachen Deutschen Mutter & (Ur) Großmutter. Natürlich habe ich selektiert & Wertvolles aufgehoben. Aber der Herzschmerz beim Entsorgen vieler kleiner Gegenstände des Alltags war quasi unerträglich, mußte aber durchgezogen werden, wenn man nicht die Wochenenden der nächsten 20 Jahre auf dem Flohmarkt verbringen will. Wenn Ihnen dieses Gefühl der Trauer im Herzen bei Sichtung des materiellen Erbes nicht bekannt ist, fehlt Ihnen schlicht die emotionale Bindung zu Ihren Altvorderen, die mir wichtiger erscheint, als jedes materielle Erbe per se. Ich denke sogar desöfteren an diejenigen, für die ich zu spät geboren wurde, um Sie persönlich zu kennen. Hier entsteht der emotionale Sog aus Erzählungen.

Liselotte

9. März 2024 21:33

Das Stück-für-Stück ist aber eine sehr langwierige und zum Teil quälende Angelegenheit... zusammen mit meinem Bruder habe ich das Elternhaus geerbt, mit voller Einrichtung... voraussichtlich könnte meine Nichte dort in 2 Jahren allein wohnen, und dann das meiste davon brauchen, aber ich weiß nicht, ob das sie nicht erschlägt, und sie besser irgendwo in eine WG käme, damit sie mehr Leute kennenlernt... jedenfalls habe ich vor, sehr viele Kleider und Schuhe wegzuwerfen. Aber was macht man mit dem Pelz- und Kamelhaarmantel, und den Federkissen? Wenn mal die Heizung ausfällt, wäre man vielleicht froh drum...

Florian123

9. März 2024 21:40

Mit diesem ganzen Konsum besitzt man einfach so unglaublich viel Krempel. Wir schmeißen Gott sei Dank extrem viel weg und vermisst habe ich von dem Zeug noch nie wirklich was.
Das betrifft vor allem auch Bücher. Das ganze Corona-Aufklärungszeug ist z.B. schon weg. Bleiben tut mir wirklich Beständiges. Dadurch sieht unser Wohnzimmer inzwischen zwar aus wie ein Antaios Verkaufsraum, aber was soll's...

Olmo

10. März 2024 01:12

@ofeliaa die Schweiz mit dem adjektiv gammelig in Verbindung zu bringen, zeugt von Kreativität. Wo kommen Sie eigentlich her? Aus Singapur? 
Da Ihnen Bauhausarchitektur zusagt, müssten Sie sich in der Schweiz pudelwohl fühlen. Und wenn ich mir das Tessin so anschaue, wünschte ich, die Schweizer wären dort ein wenig veränderungscheuer gewesen. 
Doch ich verstehe schon, was Sie meinen. Ich mag es auch hell und ordentlich. Vielleicht dürfen Sie den hässlichen braunen Schrank abschleifen und lackieren? 
 
 
 
 
 

links ist wo der daumen rechts ist

10. März 2024 01:46

Der Himmel, die Wolken, die Erde…@ Der GehenkteIhre berechtigten Ergänzungen erinnern mich entfernt an Levinas' Kritik an Heidegger („Heidegger, Gagarin und wir“); hier die „Erdenschwere“, dort die „Ortlosigkeit“; man möchte sich buchstäblich aus dem Staub machen – oder empfängt scheinbare „Himmelszeichen“, wie C.G. Jung die UFO-Sichtungen deutet. Ich verstehe diesen Wunsch nach Verflüchtigung, Kafka hat ein Leben lang daran schreibend gearbeitet (sein „Hungerkünstler“ war der letzte Text), das Wolkige, die Ununterscheidbarkeit, ob seine Texte buchstäblich oder metaphorisch („Visionär oder Weiser“) zu verstehen seien, war sein Signum.Ich würde auch gerne schamanengleich mit leichtem Gepäck reisen (ohne mich in die Lüfte zu erheben wie der „Fliegende Robert“; einer der Todeswünsche des Autors im Struwwelpeter), aber es bleibt - für mich – ein Auftrag dem Vergangenen und Gewesenen gegenüber; Dinge verpflichten einen. Ob es sich um deren “Aufstand“ handelt (Erhart Kästner) ober um deren „Terror“ (Herta Müller). Und ist nicht der Begriff „Verlassenschaft“ ein doppeldeutig wunderbarer? Aber Mangel und Fülle bedingen einander natürlich wie alles Gegensätzliche, das ist halt ganz einfach die „Polarität der Wahrheit“ (Walter Hueck).So, genug Namedropping-Häppchen, ich bin nach acht Stunden Büchersortieren hundemüde. Vielleicht läßt sich ja noch was vertiefen.

SolarisPost

10. März 2024 08:23

Ich habe einen Nachlass bekommen, der mich belastet: vollgemüllt und baufällig, jetzt auch unverkäuflich. Einige in der Erbengemeinschaft haben ausgeschlagen. Brauche einen Rutengeher/Schamanen. Auch wäre angewandte Geomantie bzw. Aufspüren des geomorphologischen Feldes wichtig. Dazu kommen die negativen Energien des Erblassers und seine (familien)systemischen Verwicklungen. Das wirkt wesentlich schwerer als das Materielle. Auch hier erkenne ich die Folgen des II. Weltkrieg. 
Wie werden die Konsequenzen des nächsten Krieges in Europa sein? Fangen wir mal ernsthaft an uns damit zu beschäftigen: https://freeassange.rtde.me/meinung/198756-jahrhundert-kriege-steht-bevor-russland-atomwaffen/
https://globalbridge.ch/russland-muss-den-westlichen-mangel-an-angst-endlich-beseitigen/
 

Mike2024b

10. März 2024 10:56

Leider habe auch ich auch mit Papierfischchen zu tun und obwohl ich schon einige Gegenmaßnahmen traf, wie Schränke ab rücken, Teppiche beidseitig saugen, Ritzen versiegeln, Putzen ohne Ende ... werde ich diese „lieblichen“ Haustiere nicht los.
Für jeden guten Tipp, wäre ich sehr dankbar.

Laurenz

10. März 2024 11:45

@SolarisPost ... nehmen Sie 7 Untertassen, bilden damit ein Sechseck, eine in die Mitte. Füllen Sie alle mit einem Häufchen Salz, alles in der Mitte des ererbten Hauses. Lassen Sie das ganze 3 oder mehr Tage stehen, lassen aber niemanden das Haus betreten. Danach räumen Sie das ganze ab. Sie können Sich auch einen Familiensteller nach Bert Hellinger in Ihrer Region suchen & den Erblasser aufstellen, aber keine Aufstellung mit Stühlen oder Papierschnipseln, sondern in einer echten Gruppe. Danach dürften Sie mit dem Erblasser & dem Haus Ihren Frieden gemacht & neue Perspektiven gewonnen haben.

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