The Zone of Interest ist eine Zumutung: für denjenigen, der es gerne direkt hat, sowieso, und ein Kunstwerk für jenen, der subtile Formen schätzt. Der Fokus liegt hier, anders als in etwa Spielbergs Schindlers Liste auf dem Herausstellen von Normalität. Wer einen Täterfilm erwartet, dürfte enttäuscht sein.
Im Medienecho wurde die Frage aufgeworfen, ob man einen Verbrecher als normalen Menschen darstellen dürfe, Stichwort Hannah Arendt – „Banalität des Bösen“. Natürlich darf man das. Der Blick in den Alltag des Kommandanten eines Vernichtungslagers läßt den größten Verbrecher als relativ normalen Menschen inmitten banaler Beziehungen dastehen. Für manche unerträglich.
Aber es handelt sich nicht explizit um einen Film über den Holocaust. (Dazu später mehr.) Es wird der Versuch unternommen, das alltägliche Leben der Kommandantenfamilie Höß auszuleuchten. Ein fast gewöhnliches Leben, das einzig durch eine Betonmauer mit Stacheldraht von der Vernichtungsindustrie getrennt ist.
Das ist die eine Zumutung. Zu sehen ist der Kontrast zweier Reiche, das private, rund um das Haus und den Garten, bewohnt durch SS-Obersturmbannführer und Lagerkommandant Rudolf Höß (Christian Friedel) und seiner Frau Hedwig (Sandra Hüller), sowie deren fünf Kindern und den beiden polnischen Dienstmädchen. Unmittelbar nebenan: das Lager Auschwitz I.
Bis zu fünf fest installierte Kameras sollen laut dem Regisseur Jonathan Glazer an die 800 Stunden Filmmaterial aufgenommen haben. Diese Art des Filmens von fixen Punkten über einen längeren Zeitraum ermöglichte eine Ungestörtheit, die die Grenzen zwischen Kunst und Realität aufzuheben scheint. Die Einstellung ist stets auf Abstand, es gibt nur sehr wenige Portraitaufnahmen. Man betrachtet natürliches Verhalten und nur einen Rest an Spiel, die Kinder toben, während im Hintergrund die Schornsteine aufflammen.
Diese Ton-Bild-Arbeit muß man durchhalten können. Der Soundtrack ist herausragend, die Szenen für sich genommen unspektakulär. Es gibt keinen Spannungsbogen wie in Horrorfilmen, alles wabert und grollt ohne Unterlaß und dominiert dadurch die gezeigte Normalität. Selten fährt die Kamera durch die Kulisse.
Zwei Ereignisse sollen die Villa Höß erschüttern, zum einen durch die Figur der Großmutter. Sie findet nachts keinen Schlaf, blickt aus dem Fenster auf die feuernden Schlote und reist still und heimlich ab. Kurzer Trubel im Hause, zurück bleibt lediglich eine Nachricht auf der Kommode im Erdgeschoß. Der Zettel wird kurzerhand von Hedwig im hellgrünen Kachelofen ohne große Regung verbrannt.
Als Rudolf Höß nach Oranienburg versetzt werden soll, trifft das vor allem Hausfrau Hedwig. Es folgen Streit und Zwist. Man hatte sich als Familie eingerichtet, es sich schön gemacht, einen neuen Ort geschaffen. An dieser Stelle genießt man die Brillanz der Hauptdarstellerin. Sie dominiert die Dialoge, verkörpert Strenge und Authentizität, während die männliche Hauptfigur zwar in den Einzelszenen gut rüberkommt, aber im direkten Zusammenspiel gegenüber der Hedwig Sandra Hüllers verblaßt. Sie wirkt kälter und stärker, sie hat das Sagen und ist als Mutter die Mitte der Familie.
Höß hingegen betrachtet sich lediglich als Glied einer Befehlskette und hängt weniger an einem konkreten Ort als an seiner Karriere. Befehl ist Befehl, Abordnung bedeutet Abordnung. In Oranienburg vermag er es jedoch, die Situation zu seinen Gunsten zu beeinflussen und seine endgültige Versetzung zu verhindern. Er kann nach Auschwitz zurückkehren.
Der einzige Kritikpunkt dieses Meisterwerks ist sein Ende. Der gesamte Film zeichnet sich aus durch eine gekonnte Subtilität, die von einer sehr starken Tonarbeit und dem natürlichen Lichtspiel getragen wird. Das Grauen, das sich unmittelbar hinter der Grundstücksmauer abspielt, ließ sich nur erahnen.
Diese den gesamten Film auszeichnende Unterschwelligkeit gegenüber dem Holocaust wird schließlich durch Aufnahmen aus der heutigen Zeit durchbrochen. Man blickt über die Schultern zweier Putzkräfte mit moderner Kleidung, die die Räume und Anlagen säubern. Dann erfolgt die letzte Blende zurück zu Rudolf Höß, der, völlig allein in einem dunklen, breiten Flur stehend, sich zu übergeben und ins Nichts zu blicken scheint.
Was für ein Bruch mit dem bis dahin Gesehenen und Gefühlten! Daß man es nicht unterlassen kann (es ist eine US-Produktion), eine künstlerische Komposition zu diesem Themenkomplex abzuschließen, ohne den Zuschauer doch noch dezidiert belehrt haben zu wollen. Durch diese unnötige „Einordnung“ gegen Ende hat der Film gerade noch den Sprung geschafft in die Sparte der Lehrfilme.
Was nicht untergehen soll, sind drei Szenen, die dann einsetzen, sobald Rudolf Höß seinen Kindern vorliest. Höß Stimme wird zur Erzählstimme. Gezeigt wird ein jugendliches Mädchen, das sich nachts in die Schlammgruben des Lagers schleicht, um dort Äpfel zu verstecken. “True story”, laut dem Produzenten. Diese Darstellung erfolgt als Negativ. Wohl soll dies eine doch noch vorhandene Humanität (junge Frau / Apfel / Frucht usw.) inmitten eines Systems der Entmenschlichung charakterisieren.
Man sieht die junge Frau später am Klavier sitzen und von einem Fetzen Papier Noten spielen. Es handelt sich dabei um die Komposition „Sonnenstrahlen“ des inhaftierten Historikers Joseph Wulf, der später mehrere Bücher verfasste und zwischen 1962 und 1974 einen Briefwechsel mit Ernst Jünger unterhielt. Ihm gelang 1945 bei einem Todesmarsch die Flucht.
Darf man aktiv Beteiligte der „dunkelsten Stunde“ als liebende und sorgsame Mütter und Väter „wie Du und Ich“ darstellen? Ja bitte, das ist Kunst, und es muß trotz allen Schreckens darstellbar sein. Es ist sogar die Aufgabe der Kunst, allzu gewohnte Bilder und Darstellungsweisen zu durchbrechen.
Ich empfehle dieses Opus mit einer sehr starken weiblichen Hauptrolle und eindringlichen Tonproduktion daher sehr.
Volksdeutscher
Solche Schicksale, sowohl auf der Täterseite als auch auf der Opferseite ereigneten sich in kommunistischen Konzentrationslagern zigmillionenfach, nicht nur in der Sowjetunion, sondern überall, wo der Kommunismus an die Macht kam. Darüber werden aber keine Filme gedreht. Es gibt auch keine Verfilmung von deutschen Flüchtlingsschicksalen, auch nicht über die Bombardierung von Dresden oder dem Rheinwiesenlager. Warum nicht? In wessen Interesse steht das, wenn wir mal die deutsch- und europafeindlichen Linken weglassen?