„Viele Bücher“ bezieht sich darauf, daß ich den Rezensionenteil der Sezession betreue. Aus einer Leserumfrage, aber auch aus vielen Gesprächen mit Abonnenten wissen wir, daß die Buchbesprechungen zu den Teilen des Heftes gehören, die zunächst und gründlich gelesen und zum Kern unserer Arbeit gezählt werden.
Es bereitet mir stets ein großes Vergnügen, diese Buchbesprechungen zusammenzustellen. Ich sondiere monatlich die Neuerscheinungen aus deutschen Verlagen. Nein, nicht aus allen Verlagen – es gibt rund 4.800 in Deutschland; ich habe ein‑, zweihundert im Blick.
Dankbar bin ich, wenn mich eine Rezensentin auf eine Publikation aufmerksam macht, die mir sonst entgangen wäre. Sie will sie besprechen, weil das Thema aus ihrer Sicht Relevanz hat? Dann her damit!
Eine Art Alleinstellungsmerkmal hat die Sezession auch dadurch, daß es bei uns regelmäßig fundierte Verrisse gibt. Das ist im Vergleich zu vergangenen Jahrzehnten heute nämlich eine Seltenheit und wird sogar im Mainstream (folgenlos) beklagt. Motto: „Die eine Krähe hackt der anderen kein Auge aus.“ Der Kulturbetrieb ist ja mittlerweile eng (Spötter sagen: inzestuös) miteinander verflochten.
Glückwunsch an uns selbst, daß wir hier keine Rücksichten nehmen müssen! Rache-Rezensionen und solche, wo einer dem anderen „eins auswischen“ will, nehme ich allerdings nicht an. Das wäre unter unserem Niveau. Es gab und gibt aber Fälle, wo ein Rezensent einen (Fach-)Kollegen hart kritisiert. Das darf sein. Gelegentlich mündet so etwas in einen Mail-Wechsel oder ein heftiges Gespräch. Alles das ist in Ordnung und ein Beleg dafür, daß wir nicht auf Desinteresse stoßen.
Zuletzt etwa ging es um eine Besprechung von Tilman Nagels Buch über das islamische Pflichtgebet. Unsere kritische Rezension stieß auf Empörung, ähnlich wie vor ein paar Monaten die saftige Kritik an Matthias Matusseks jüngstem Buch.
Wer bei uns rezensiert, sollte nicht nur fachlich gut im Saft stehen – er muß auch schreiben können. Als Verlag sind wir kein Reparaturbetrieb für „eigentlich richtig gute Gedanken“. Ich muß diesen Satz, pardon, fast täglich an Leute schreiben, die ein Manuskript einreichten. (Meist geht es dabei allerdings nicht um Rezensionen.)
Was haben wir nun in der aktuellen Sezession, Heft 119, an Besprechungen zu bieten? Beginnen wir mit der Belletristik. Hier platziere ich (so gut wie) niemals Verrisse. Viel zu rar, der Platz!
Kubitschek stellt Das Philosophenschiff von Michael Köhlmeier vor, ein feines, schmales Buch über die Vorgänge auf einem jener Schiffe, die in Sankt Petersburg ablegten und mißliebige Bürger aus der jungen Sowjetunion schafften, weil man sie aus irgendeinem Grund nicht umbringen wollte! Kein Rechter von Verstand möchte sich Interwiews zur aktuellen Lage mit Köhlmeier durchlesen. Politisch ist dieser Mensch ein Narr. Aber er kann schreiben!
Heino Bosselmann stellt Tom Kristensens alkoholisches Absturz-Protokoll vor, entstanden vor knapp 100 Jahren – ein wiederentdecktes, ganz besonderes Trinker-Protokoll! Knut Hamsun hatte Absturz seinerzeit als „Geniestreich und Riesenwerk“ gewürdigt.
Weiter zu den Sachbüchern:
Für äußerst instruktiv hält Benedikt Kaiser die Neuauflage von Der nonkonformistische Intellektuelle, 25 Jahre nach der Erstveröffentlichung mit einem aktuellen Nachwort erschienen. Ah, man kann also politische Theoriearbeit betreiben, ohne in „Insiderei“ oder sperrige, milieuspezifische Sprache zu verfallen! Schwerpunkt dieses Buchs ist die Theoriearbeit von Theodor W. Adorno und Max Horkheimer – zwei Denker, die dem Sprung in die Praxis gründlich mißtrauten. Wie „nonkonform“ waren die beiden Hausgötter der „68er“ wirklich? Autor Demirovic jedenfalls verteidigt unter anderem, daß beide mit dem Bundesamt für Verfassungsschutz zusammenarbeiteten.
Kevin Naumann bespricht für uns Anton Jägers Suhrkamptitel Hyperpolitik. Zwiespältig! Jäger konstatiert eine Konvergenz der Krisen, spart jedoch die Migrations- und Demographiekrise (logisch) aus. Der Autor (*1994) erklärt, warum (linker) Aktivismus so muskulös daherkomme, aber innerlich hohl sei. Natürlich präsentiert er dies im Klageton – er triebe die Unzufriedenen gern in Scharen zurück ins linke Establishment. Wer von den potentiellen linken „Mobilisierungskontexten“ wissen will – lesen!
Wiederum Benedikt Kaiser stellt uns Mein Weg nach Rußland des K‑Gruppen-Veterans Ulrich Heyden (*1954) vor. Hochinteressant – ein gestandener Linker, der zwischenzeitlich für Mainstreamorgane wie Spiegel und DLF als Moskau- Korrespondent tätig war und nun den Schwarzweißblick auf Rußland relativieren will! In der offiziösen Berichterstattung sind Zwischentöne zum Krieg gegen die Ukraine längst unerwünscht. Daher ist dieses Buch auch eine Entfremdungshistorie vom Medienmilieu. Peinlich berührt lassen Kaiser die Aufarbeitung von Heydens Vaterkomplex und seine „Frauengeschichten“ zurück.
Ich selbst habe das Buch Konvertiten – Katholisch geworden von Alfred Sobel besprochen. Für mich war es ein Zufallsfund, es wurde mir ans Herz gelegt. (Wenn ich nach zu besprechender Literatur suche, habe ich keinen Fokus auf Bekehrungserlebnisse.) Aber was für ein großartiges, ja hinreißendes Buch! Ich wußte bis dato nichts vom jüdischen Konvertiten Leonhard Adler, der hinter der Errichtung des Flughafens Berlin-Tempelhof stand. Ich kannte zwar (fast) alle Bücher der fulminanten, vielfachdissidenten Karin Struck, hatte mich aber nie mit ihrer Konversion beschäftigt. Überaus interessant sind auch die Konversionen eines Marshall McLuhans, eines Ernst Jüngers und der jungen, hochbegabten Astrochemikerin Karin Öberg.
Unser Autor Claus Wolfschlag, Kunsthistoriker sowie promovierter Historiker, hat für uns gleich zwei Bücher zum Thema Architektur/Bauen besprochen. Eines ist ein feiner Verriß, nämlich Philipp Oswalts Bauen am nationalen Haus betreffend. Mit dem linken Betonbrutalisten Oswalt hatte sich Wolfschlag bereits in seinem kaplaken linke räume gründlich auseinandergesetzt. Ganz wunderbar hingegen findet unser Rezensent Vittorio Lampugnanis Buch Gegen Wegwerfarchitektur . Lampugnani hat sich schon des öfteren mit seiner Kritik am gegenwärtigen Bauwesen in die Nesseln gesetzt. Die modernistische Linke haßt ihn! Sein neues Buch ist ein flammender Weckruf: Gegen den Dämmwahn, gegen Neubaugebiete; für Sanierungen, für Erhalt.
In unserer aktuellen Sezession finden Sie außerdem zwei fundierte Verrisse der neuen Hannah-Arendt- und Lenin-Biographien sowie etliche andere kluge Rezensionen.
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Sezession 119 kann (und sollte) man hier bestellen.
Die Bücher finden Sie oben unter dem jeweiligen Link oder über die Suchfunktion auf antaios.de.
Nemo Obligatur
"... aus vielen Gesprächen mit Abonnenten wissen wir, daß die Buchbesprechungen zu den Teilen des Heftes gehören, die zunächst und gründlich gelesen und zum Kern unserer Arbeit gezählt werden."
In der Tat. Das ist eine richtige Fundgrube. Am liebsten sind mir immer die Hinweise auf Bücher, auf die ich von selbst nicht gekommen wäre. Ich habe allerdings an zwei, drei Beispielen bemerkt, dass ich z.B. aktuelle Bücher, also Neuerscheinungen, die von "K&K" gelobt werden, eher zäh finde (das gilt seltsamerweise nicht für "Klassiker"). Leider funktioniert es aber nicht andersrum: Manchmal ist ein Verriss auch berechtigt und keine implizite Empfehlung (für mich).
Um sog. Sachbücher mache ich dabei inzwischen lieber einen Bogen. Das zehnte Buch zur Migrationspolitik, zum 2. Weltkrieg oder zu Russland bringt mir nichts mehr.