Dem Kind die Brust geben. Bedürfnisse stillen.

Ob ich „das Ding mit dem Breastfeeding“ auf Instagram mitbekommen hätte?, fragen mich unsere jugendlichen und jungerwachsenen Kinder und rümpfen die Nasen: Es sei völlig abartig!

Ellen Kositza

Ellen Kositza ist Literatur-Redakteurin und Mutter von sieben Kindern.

Ich konn­te es mir schon den­ken. Wenn es in den Sozia­len Medi­en eine Debat­te über „Breast­fee­ding“ – also: das Stil­len eines Säug­lings – gibt, dürf­te es wohl um Bil­der von schwu­len Vätern gehen, die (wie erschöpft nach einer schwe­ren Geburt unter einer Decke lie­gend, selig lächelnd) nun das wie-auch-immer ent­stan­de­ne arme Klei­ne „an die Brust legen“.

Mir sind schon x sol­cher Pho­tos begeg­net. Jaja, das ist bekannt: Durch Hor­mon­ga­ben und bestimm­te Sti­mu­la­ti­on kann auch sol­chen Men­schen, die nie ein Kind gebo­ren haben, ein dür­res Rinn­sal aus der Brust ent­sprin­gen. Die­ses Thea­ter haben Adop­tiv­müt­ter bereits vor Jahr­zehn­ten vor­ge­führt (bzw. man­gels Ins­ta etc. damals nur beschrie­ben), spä­ter kamen die Väter dran, die auf die­se Art ver­such­ten, den „Ernäh­rer“ zu spie­len. (Wohl meist, weil sie sich für die her­kömm­li­che Ernäh­rer­rol­le außer­stan­de sahen.)

Und nun halt die Quee­ren – um (wie arm­se­lig auch immer; das Bild zählt!) das Dik­tum zu kon­ter­ka­rie­ren, daß es kein natür­li­ches Fort­pflan­zungs­le­ben im Unna­tür­li­chen gäbe.

Aber nein. Es ging mei­nen Kin­dern um etwas ganz anders! Näm­lich um Tit­ten­schau unter Still­vor­wand. Und was das bedeu­tet! Näm­lich: Insta­gram „zen­siert“ nack­te Kör­per. Da man aber (anders als Face­book frü­her – man erin­ne­re sich an schwar­ze Bal­ken an Abbil­dun­gen von anti­ken Sta­tu­en)  dort weder prü­de noch pie­tis­tisch sein will, hat man Aus­nah­men gestattet.

Dar­stel­lun­gen aus der Kunst­ge­schich­te sind eben­so vom Abbil­dungs­ver­bot aus­ge­nom­men wie das müt­ter­li­che Stillen.

Ver­ges­sen wir die Uralten, die Anti­ke– das Stil­len eines Säug­lings aller­dings ist ein Kampf­platz ers­ter Güte! Vom Stil­len gene­rell bis zum „öffent­li­chen“ Stillen!

Ich selbst bin in den mitt­le­ren Sieb­zi­ger Jah­ren gebo­ren wor­den, in denen die Stil­le­rei weit­hin als rück­stän­dig galt. Dar­in lag eine eigen­tüm­li­che Dia­lek­tik, die bis heu­te wirk­sam ist: Je höher der sozia­le Sta­tus, des­to wahr­schein­li­cher gibt die Mut­ter dem Kind die Brust!

Ich wur­de nicht gestillt, weil man mei­ner Mut­ter abriet: im Kran­ken­haus, die Heb­am­me, die Medi­en etc. Das “Fläsch­chen” war damals Gold­stan­dard für die Nor­mal­bür­ge­rin: Kauf so ein Pul­ver­päck­chen, da weißt du, was drin ist!

Das hat sich längst geän­dert. Der Kampf um die Potenz der Brust war in den ver­gan­ge­nen Jahr­zehn­ten vor allem ein femi­nis­ti­scher und ein anti-glo­ba­lis­ti­scher avant la lett­re; näm­lich gegen die Kunstmilchindustrie.

Als Jung­mut­ter hat­te ich damals die Bücher der Femi­nis­tin Bar­ba­ra Sich­ter­mann (u.a. Leben mit einem Neu­ge­bo­re­nen) ver­schlun­gen, obgleich die damals schon ordent­lich bejahrt waren und ich wuß­te, daß Sich­ter­mann aus lin­ker War­te schrieb und ich rechts war und kei­ne Femi­nis­tin. Sich­ter­mann hat­te sich gründ­lich zur „Ero­tik des Stil­lens“ geäu­ßert – eine stil­le, gehei­me, höchst­pri­va­te Ero­tik. Stil­len macht Lust, schrieb sie, und mein­te die Lust der Frau.

Ich habe weit über zehn Jah­re mei­nes Lebens gestillt, stets mit Hin­ga­be und Ehr­geiz, oft unter Schmer­zen und wenig effek­tiv. Ich war eine schlech­te Milch­ge­be­rin, mei­ne Kin­der waren nie papp­satt, aber ich woll­te es par­tout. Ich war ange­füt­tert von die­sen übli­chen Heb­am­men-The­sen: daß jede Frau es kann, wenn sie nur will!

Ich habe auch immer „öffent­lich“ gestillt. Das hat­te nichts mit Zur­schau­stel­lung zu tun und wenig mit „ich mach es halt trotz­dem“. Es war für mich ein­fach total natür­lich. Ich still­te an der Uni, im Kon­zert, im Kino – im Wirt selbst liegt ja der Effekt: trotz Klein­kind nicht stö­ren, denn es ist ge-stillt. Und bit­te: Wo kämen wir hin, wenn eine Frau mit vier, fünf Kin­dern nur durch ihren Still­job über min­des­tens ein Jahr­zehnt von der Öffent­lich­keit aus­ge­schlos­sen wäre?

Die­ser Vor­gang ging nicht mit einer groß­an­ge­leg­ten Ent­blö­ßung ein­her! Gele­gent­lich aber wur­den den­noch Zwei­fel gesät. Nicht nur von „unbe­tei­lig­ten Drit­ten“ (=kin­der­lo­sen Män­nern „mit gewis­sen Pro­ble­men“ und Beleh­rungs­be­dürf­nis). Auch Frau­en haben mir gele­gent­lich einen Man­gel an Dezenz in die­ser „hoch­in­ti­men Ange­le­gen­heit“ vor­ge­wor­fen: „Du machst das ein­fach so – aber scherst dich nicht drum, was du aus­löst!“ Nun gut, so bin ich halt.

Beim ers­ten, zwei­ten, ja, selbst drit­ten Kind gär­ten sol­che Zurecht­wei­sun­gen noch in mir. Ich muß­te viel nach­den­ken. Darf ich das? Wenn ich „instink­tiv“ agie­re, ist das dann auto­ma­tisch rich­tig? Sto­ße ich ande­re vor den Kopf? Ist es gar „unzüch­tig“, mei­nem Kind die Brust zu geben, wenn Frem­de im Raum anwe­send sind?

Die­se Fra­gen haben sich heu­te – gott­lob!- längst erle­digt. Stil­len, auch öffent­li­ches, ist mehr oder weni­ger „in“. Etli­che Frau­en benö­ti­gen für ihr Still­ge­schäft aber einen strikt geschütz­ten Raum. Nicht aus Hei­lig­tue­rei her­aus, son­dern weil sie ein ande­res Scham­ge­fühl haben. Das ist völ­lig in Ord­nung und über­haupt nicht begrübelnswert.

Heu­te stil­len in Deutsch­land 68% der Müt­ter in den ers­ten zwei Lebens­mo­na­ten ihr Kind aus­schließ­lich, nach vier Mona­ten tun es noch 40%. Je pre­kä­rer die Lebens­um­stän­de, des­to höher der Drang zur Flasche.

Die Still­quo­te ist natio­nal höchst unter­schied­lich:  Sowohl in Skan­di­na­vi­en als auch in Ungarn wird über­durch­schnitt­lich viel und lang gestillt, in Groß­bri­tan­ni­en und den USA  unter­durch­schnitt­lich wenig.

Dies war nun ein lan­ges Vor­wort, um zum Kern zu kom­men. Hier geht es nicht um die mög­lichst güns­ti­ge Mut­ter-Kind-Bezie­hung, son­dern um Klickraten.

#Breast­fee­ding tren­det nicht auf­grund treu­her­zi­ger Müt­ter, die ihr Kind aus eige­ner Kraft ernäh­ren und davon Zeug­nis geben wol­len. #Breast­fee­ding ist ein „hast­hag“, unter dem jun­ge Frau­en unzen­siert ihre Brüs­te auf Nicht-Por­no-Sei­ten zei­gen kön­nen – um dann auf ihre Only-Fans-Sei­ten umzuleiten.

Natür­lich wer­de ich hier nichts ver­lin­ken. Mei­ne Töch­ter rie­fen mir zu:

Guck mal die! Oder die! Oder, extrem krass, die! Die hier!! Oder die­se Frau, das soll wohl Per­ver­se anlo­cken! Und hier, da hast du das gan­ze Far­ben­ka­rus­sell! Und die, siehst du, wie die extra wackelt?

Wir haben uns die ers­ten drei Guck­mals ange­schaut, danach beschlos­sen, das nie wie­der zu tun. Es war wider­lich: Stark­ge­schmink­te Frau­en las­sen ihre Brüs­te sprin­gen, um ein Plas­tik­spiel­zeug in Form eines Säug­lings in die Nähe ihrer Brust­war­zen zu führen.

Wozu tun sie es? Um Klicks zu gene­rie­ren! Wozu? Um Geld zu ver­die­nen! Es gibt unge­zähl­te Bräu­te, die ernst­haft blank­zie­hen, um eine Baby­pup­pe an die Nip­pel zu hal­ten. Zig Frau­en „stil­len“ ihre Kunst­ba­bies straps­be­wehrt, um ihre „Müt­ter­lich­keit“ feil­zu­bie­ten! Mitt­ler­wei­le gibt es unge­zähl­te „Still­vi­de­os“, die ganz offen­kun­dig Por­no­stan­dards genü­gen. JEDER sieht, daß die­ses “Breast­fee­ding” ein Fake ist. Die Mut­ter als Hure – was für ein feuch­ter Traum.

Wie so oft hat sich der unge­zü­gel­te Femi­nis­mus selbst über­holt, oder?

Sie, die lin­ken Frau­en, spra­chen von Eman­zi­pa­ti­on und „Selbst­er­mäch­ti­gung“. Hier haben sie das Resul­tat: Frau­en tar­nen sich als Müt­ter, um Por­no-Regu­la­to­ri­en zu unter­lau­fen. Einst war die stil­len­de Mut­ter eine Art hei­li­ges Bild. Die Lin­ken haß­ten es. Nun ist es ein por­no­gra­phi­sches Meme gewor­den: Na, Glück­wunsch zur Dekonstruktion!

Frü­her hat­ten wir die­se Dicho­to­mie: Hei­li­ge oder Hure. Heu­te geht es in eins.

Ellen Kositza

Ellen Kositza ist Literatur-Redakteurin und Mutter von sieben Kindern.

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Kommentare (11)

Ein gebuertiger Hesse

3. April 2024 13:48

Jau. Der wichtigste und grundbödigste Aufsatz des Jahres hier bislang. KEY for everyone, der jemals eine Best-of-SiN-Kompilation erstellen möchte (macht euch mal ein Lesezeichen und sei es insgeheim, auf nem Zettel, so daß der VS es nicht mitbekommt). Dank an die Autorin und die ihren: Ihr gehört ZUSAMMEN. Deshalb bewegt ihr euch, begegnet ihr euch, aktiv, jeder für sich, in eurer Familie. Es kann gut sein, daß Gott es genau so gewollt hat.

Ruediger Plantiko

3. April 2024 17:45

Ich weiß gerade nicht, mit wem ich mehr Mitleid haben soll: mit den sich prostituierenden (= wörtlich: sich zur Schau stellenden) Frauen, oder mit ihren noch armseligeren Kunden, oder mit den geschlechtlich Verirrten, die sich - für jeden sichtbar erfolglos - das Muttersein anzueignen versuchen. 

deutscheridentitaerer

3. April 2024 20:04

Ziemlich abartig, aber nicht so abartig, wie ich nach dem ersten Drittel des Artikels vermutet hatte; immerhin handelt es sich um Puppen.
In diesem Zusammenhang möchte ich auf eine andere groteske Abartigkeit hinweisen, die quasi nie "problematisiert" wird, auch von mir nicht, aber da es nun schon mal um abartiges geht: pornographische Videos mit sichtbar (Hoch-)Schwangeren. Da kommt einem echt das Kotzen.

Beta Jas

3. April 2024 20:59

Wenn die Fortpflanzung und Schwangerschaft ein Politikum sind, dann auch natürlich wohl das Stillen. Denn dieser Vorgang symbolisiert eine Verbindung die es nicht mehr so geben sollte, mindestens nicht als Mutter-Romantik sondern nur als lästige Pflicht.
 
Barbara Sichterman war mir bisher nur ein Begriff aus der Dokumentationsserie "Was war links". Bücher kannte ich von ihr keine, das sie das Stillen mit Erotik in Verbindung aber bringt, sind diplomatisch geschrieben "fragwürdige Gedanken und Gefühle". Ich erinnere mich ein Buch aus den 80er Jahren; "Unser Körper - Unser Leben. Ein Handbuch von Frauen für Frauen", indem das Stillen mit einem Sexualität in Verbindung gemacht wurde.
 
Wenn heute wieder das Stillen positiv thematisiert wird, dann irgendwie am Rande "toxisch", meistens in Boulevard-Medien, die dann eine stillende Sportlerin in der Kabine zeigen, die warum auch immer dabei fotografiert werden muss, oder eine Polizistin die während dessen fotografiert wurde. Als ich diese merkwürdigen Berichte in der Vergangenheit sah und fragte ich mich, was das soll?! Ein subtiles provozieren? Gegen Männer? Eine Anklage?
 
Übrigens, dieses krude "Breastfeeding" gibt es schon länger bei YouTube. Eine Michele Hartranft treibt seit Jahren ihr Unwesen und wenn man sieht wie sie die Videos macht ist das ein Missbrauch von der Kindern.

Wuwwerboezer

4. April 2024 15:26

Brauche Hilfe, mein verschwörungstheoretisches  Koordinatensystem ist in Gefahr - warum fördert die UNICEF so nachdrücklich das Stillen?!
- W.

Wuwwerboezer

4. April 2024 15:37

"... Die Hebamme ..."!? Aechtjetzmaa!? Dafür gibt's doch in deutschen Landen längst die "Doula", oder?!
- W.

Kositza: Also, meinen Töchter wurde noch keine "Doula" angetragen - ist das vlt. eher ein südwestdeutsches Ding? Im Geburtshaus haben sie allerdings seit paar Jahren einen Hebammer.

Adler und Drache

5. April 2024 04:17

Ich empfehle als Antidot eine kräftige Portion Marie Morgen. Habe die vor kurzem erst entdeckt. Liebe sie!

Kositza: In der aktuellen JF zeigte sich noch einer verliebt in sie...Persönlich finde ich im Vergleich TikToks von Maximilian Krah überkomplex!

bb

5. April 2024 21:13

Stillen ist ein Moment der urtümlichen Menschlichkeit, des Friedens und der Erdung; Balsam für die Seele, ein Moment der Einkehr. Frauen sollten in aller Öffentlichkeit stillen.

Adler und Drache

7. April 2024 10:20

@Kositza:
Persönlich finde ich im Vergleich TikToks von Maximilian Krah überkomplex!
Je nun. Das Selbstverständliche mit Selbstverständlichkeit aussprechen, ohne die üblich gewordene Rechtfertigungs- und Begründungslyrik, ohne die Vorwegnahme der folgenden Einwände, ist ja auch eine Kunst.
Klar. Man könnte denken: "Die sagt, was (r)echte Männer hören wollen, sie sagt es in erfreulicher Kürze und macht dabei bella figura, das ist halt ihre Masche, so angelt sie ihre Kunden." Ich denke allerdings, es ist für einen Mann letztendlich leichter, feministischen Vorgaben zu folgen (weil er damit in der Muttersöhnchen-Rolle bleiben kann, die er ja kennt), als sich einer Frau zu beweisen, die ihm keine Vorgaben, sogar weitgehende Zugeständnisse macht, in welchem Fall er aber sein Standing selber finden und einnehmen muss. 
 

links ist wo der daumen rechts ist

7. April 2024 18:35

Auf der Fahrt zurück von der Kernspintomografie (ich hatte um einen Stuhl gebeten, der Blick vom Krankenhausbett auf die Deckenbeleuchtungen ist zu deprimierend), lange Gänge, Flure, Fluchten, kamen wir an der Urologie, der Gynäkologie vorbei - und dann ein Schild "Stillzone" mit einem Symbolbild Mutter mit stillendem Kind. Ich war buchstäblich wie vom Blitz getroffen: ein Madonnenbild, so einfach zart und von zugleich bedrückender Traurigkeit und befreiender Glückseligkeit wie etwa die Stalingrader Madonna. Und haben nicht etwa die Madonnenbilder unserer abendländischen Kunstgeschichte, auf denen Maria dem Jesuskind tatsächlich die Brust gibt, die größte und intimste Zärtlichkeit. Religion und Kunst, Transzendenz und Realität - unvermittelt.
Nein, das alles, diese Geborgenheit, kann diese ganze Influencer- und tiktok-Unwelt nicht "dekonstruieren".

Liselotte

7. April 2024 18:37

Ja, die Madonna mit Kind war jahrhundertelang ein heiliges Bild. -
Was mich mal interessieren würde, in anekdotischer Evidenz: hat bei den etwas besser gestillten jüngeren Generationen die starke Heuschnupfen- und Allergieneigung abgenommen? Meine Generation, jetzt um 60 und in den 1960ern geboren, wurde ja kaum gestillt, sondern gleich mit Breichen und Pülverchen traktiert. Bei diesen waren Allergien geradezu eine Generationskrankheit. Irgendwann irgendwo wurde mal vermutet, das könne mit der kurzen Stillzeit zu tun haben, aber ich habe da nie mehr was davon gehört.

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