Buch-Kritik: Claus Wolfschlag bespricht “Gegen Wegwerfarchitektur”

Der Architekt Vittorio Magnago Lampugnani trat schon vor Jahrzehnten als Kritiker von Fehlentwicklungen des modernen Bauwesens in Erscheinung.

Von 1990 bis 1995 lei­te­te er das Frank­fur­ter Archi­tek­tur Muse­um. In die­se Zeit fiel der Streit um die Stadt­pla­nung des gera­de wie­der­ver­ei­nig­ten Ber­lin, bei dem Hans Koll­hoff als auch Lam­pug­na­ni aus dem Umfeld der links-moder­nis­ti­schen Zeit­schrift “arch+” hart kri­ti­siert wur­den. Lam­pug­na­ni klag­te damals, von sei­nen Kri­ti­kern in NS-nähe gerückt wor­den zu sein. Ein Spiel, das sich unter den geis­ti­gen Bedin­gun­gen der Bun­des­re­pu­blik regel­mä­ßig wiederholt.

Der Titel sei­ner neu­en Publi­ka­ti­on Gegen Weg­wer­far­chi­tek­tur bil­det bereits deren Inhalt und Ziel­set­zung ab. Lam­pug­na­ni kri­ti­siert aus öko­lo­gi­schen Grün­den das kapi­ta­lis­ti­sche Wirt­schafts­sys­tem. Die im 19. Jahr­hun­dert aus Ame­ri­ka ein­set­zen­de Kul­tur des Mas­sen­kon­sums mit ihrer Weckung künst­li­cher Bedürf­nis­se und ihrer beschleu­nig­ten Res­sour­cen-Ver­nut­zung hat­te auch Aus­wir­kun­gen auf die Bau­kul­tur. Die moder­ne Bau­wirt­schaft sei somit ver­ant­wort­lich für 40 Pro­zent unse­res Energie‑, 60 Pro­zent des Res­sour­cen- und 70 Pro­zent des Flä­chen­ver­brauchs. Hin­zu kom­men 50 Pro­zent unse­res Abfall­auf­kom­mens, wobei teils hoch­gif­ti­ger Son­der­müll anfällt. Die­ses Desas­ter wird durch eine Geld­po­li­tik befeu­ert, die Leer­stands­woh­nun­gen zur steu­er­li­chen Abschrei­bung und zum Par­ken über­schüs­si­gen Kapi­tals errichtet.

Öko­no­mi­scher Druck, das kapi­ta­lis­ti­sche Gesetz der ste­ten Zer­stö­rung durch Wachs­tum und wech­seln­de Moden führ­ten schon früh zu Abris­sen in immer schnel­le­ren Abstän­den. Die 1871 erbau­te Grand Cen­tral Sta­ti­on in New York wur­de 1900 auf­wen­dig saniert und umge­stal­tet, um bereits 1903 wie­der abge­ris­sen zu wer­den. Das 1890 errich­te­te New Yor­ker Pla­za Hotel fiel bereits 15 Jah­re spä­ter, um einem neu­en Luxus­do­mi­zil Platz zu machen.

Antrieb für die­se Abriß­kul­tur war das Pro­fit­stre­ben, das auch für die Zer­stö­rung zahl­rei­cher his­to­ri­scher Gebäu­de im Deutsch­land der Nach­kriegs­zeit ver­ant­wort­lich war. Heu­te ste­hen Fabrik­hal­len leer und ver­fal­len, wäh­rend dane­ben Neu­bau­ten zum glei­chen Zweck errich­tet wer­den. Eine Absurdität.

Lam­pug­na­ni:

In einer Welt, die als Weg­werf­welt begrif­fen wird und in der den Din­gen kei­ner­lei Respekt ent­ge­gen gebracht wird, ist es dar­über hin­aus nahe­lie­gend, dass die glei­che Respekt­lo­sig­keit das Ver­hält­nis zu den Mit­men­schen infiziert.

Den Glas- und Metall­fas­sa­den der moder­nis­ti­schen Archi­tek­tur attes­tiert Lam­pug­na­ni Ener­gie­ver­schwen­dung. Zu Wär­me­pum­pen bemerkt er deren toxi­sche, kaum abbau­ba­re Stof­fe. Fas­sa­den­däm­mung wer­de oft auf Erd­öl­ba­sis her­ge­stellt und ent­hal­te gif­ti­ge Schutz­an­stri­che gegen Ver­al­gung. Die ästhe­ti­schen Fol­gen sehen wir nicht nur in aktu­el­len Neubaugebieten:

Die Reduk­ti­on der Außen­wand-Abwick­lung, die ther­mi­sche Ver­lus­te mini­mie­ren soll, führt zu kis­ten­ar­ti­gen Gebäu­den ohne Vor- und Rück­sprün­ge, die mit ihrer Kom­pakt­heit die Bau­phy­si­ker beglü­cken, aber kaum die Bewoh­ner: Sie sind spär­lich belich­tet, und attrak­ti­ve tra­di­tio­nel­le Ele­men­te wie Log­gi­en, Erker oder Nischen sind aus ihnen ver­bannt. Die belieb­te Außen­däm­mung uni­for­miert die Häu­ser zusätz­lich und bedroht gan­ze his­to­ri­sche Stadtbilder.

Lam­pug­na­ni setzt dem tra­di­tio­nel­le Wär­mungs- und Küh­lungs­me­tho­den durch geschick­te Bau­ge­stal­tung entgegen.

Lam­pug­na­ni möch­te die Umwelt nicht durch Wind­rä­der und Pho­to­vol­ta­ik ret­ten, son­dern durch Erhalt der Land­schaft. Das bedeu­tet aber, dass auf die Aus­schrei­bung neu­en Bau­lands ver­zich­tet wird. Zudem sol­len Sub­urb-Sied­lun­gen zuguns­ten des ver­dich­te­ten Woh­nens auf­ge­ge­ben wer­den. Sämt­li­che All­tags­si­tua­tio­nen, vom Ein­kauf bis zum Arzt­be­such, sol­len zu Fuß oder per Fahr­rad erreich­bar sein. Auch Land­ge­mein­den sol­len wie­der mit attrak­ti­ver Infra­struk­tur lebens­wert werden.

In sei­nen Ideen bie­tet Lam­pug­na­ni aber auch Flä­che für Ein­wän­de. Sein Ver­hält­nis zur moder­nis­ti­schen Archi­tek­tur ist bis­wei­len naiv. Die “über­all geord­ne­te, blitz­blan­ke” Stadt, gegen die er anschreibt, exis­tiert nur noch in den Köp­fen der Moder­nis­ten. Ver­dich­te­te Städ­te hin­ge­gen sind heu­te nicht mehr nur roman­tisch, son­dern “bunt”. Sie zei­gen an vie­len Stel­len Ver­wahr­lo­sung, Graf­fi­ti, Schmutz, Bau­stel­len, Halb­rui­nen. Auch ange­sichts der kul­tu­rel­len Frag­men­tie­rung erschei­nen Sub­urbs vie­len Men­schen attrak­ti­ver als Großwohnanlagen.

Eben­falls kri­tisch ist Lam­pug­na­nis Plä­doy­er für weni­ger Haus­ab­ris­se und mehr Erhalt durch Umbau zu sehen. Er erhofft sich davon mehr Qua­li­tät bei Neu­bau­ten, weni­ger Weg­wer­far­chi­tek­tur, die Ent­wick­lung eines soli­den neu­en Bau­stils und die Wie­der­kehr der Schön­heit. Vie­le moder­nis­ti­sche Groß­ge­bäu­de sind aber nur Stör­fak­to­ren im Stadt­ge­fü­ge. Wie und war­um also soll­te man einen ver­las­se­nen Kauf­haus-Kom­plex inmit­ten einer Alt­stadt erhalten?

Lam­pug­na­ni hat ein streit­ba­res Groß­essay gegen die Öko­no­mi­sie­rung von Archi­tek­tur geschrie­ben. Sei­ner Ansicht nach muß der freie Markt durch staat­li­che Pla­nung zurück in gesun­de Bah­nen gelenkt wer­den. Er möch­te Tem­po aus der Ver­än­de­rung unse­rer Umwelt neh­men und die nach­hal­ti­ge Qua­li­tät im Bestand erhö­hen. Das ist anerkennenswert.

– – –

Vitto­rio Magna­go Lam­pug­na­ni: Gegen Weg­wer­far­chi­tek­tur, Ber­lin 2023, Ver­lag Klaus Wagen­bach,  128 Sei­ten, 18 Euro – hier bestel­len.

 

 

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Kommentare (10)

Niedersachse

4. April 2024 23:18

Die Zurückdrängung der Natur, durch immer mehr ausgeschriebenes Bauland ist ein ästhetisches Ärgernis und eine ökologische Katastrophe, gerade im Hinblick auf die viel zu hohe (aber politisch gewollte) Bevölkerungsdichte von 85 Millionen Menschen. Wohnraum wäre massig genug vorhanden, wären nicht millionen Asyltouristen aus aller Welt nach Deutschland beordert worden. Aber das ist wieder ein anderes Thema. Nach dem 2. WK musste natürlich schnell verfügbarer und kostengünstiger Wohnraum geschaffen werden, darum will ich die "Bausünden" im Nachkriegsdeutschland nicht unbedingt schlechtreden. Aber KÖNNTE es sein, dass die gesichts- und kulturlose Gebäudelandschaft die allerorten zu sehen ist, sich nicht einbettet in den allgemeinen Kampf gegen Tradition, Kultur und nationaler Transzendenz?! Die Umgebung formt den Menschen und eventuell ist es ja auch von der Politik und den Städteplanern gewollt, dass den Deutschen auch hier ihre Kultur genommen wird. Die Bauten, Denkmäler und Kathedralen im Kaiserreich oder auch davor, sind Monumente deutscher Größe und Pracht, sie zeugen vom Selbstbewusstsein einer neu gegründeten Nation, die heutigen Neubauten sind rein funktioneller und identitätsloser Natur. Man vergleiche mal die alte Markthalle Hannover, mit der neuen.

tearjerker

5. April 2024 08:10

Witzige Idee, mehr Planung zu fordern, während die kritisierten aktuellen Bauformen und die Formen der Flächennutzung erst durch eine explodierende Zahl staatlicher Vorgaben und Verordnungen aller Art entstehen und erzwungen werden.

Dr Stoermer

5. April 2024 08:40

Das Gute an Wegwerfarchitektur ist, dass man sie wieder wegwerfen kann und der Wiederaufbau für sinnvolle Arbeit, nicht nur Beschäftigung, sorgt. Wenn die, die den geistigen Terror betreiben, ihre letzte Zeile vorgetragen haben, kann wieder gesundes Gras durch den Giftmüll, den sie über das Land gegossen haben, wachsen. Denkt mehr auch in Jahrhunderten.

Le Chasseur

5. April 2024 10:59

@Niedersachse"Die Zurückdrängung der Natur, durch immer mehr ausgeschriebenes Bauland ist ein ästhetisches Ärgernis und eine ökologische Katastrophe, gerade im Hinblick auf die viel zu hohe (aber politisch gewollte) Bevölkerungsdichte von 85 Millionen Menschen."
Vor zehn Jahren musste der Vorsitzende des Bund Naturschutz Nürnberg zurücktreten, weil er auf dieses Problem aufmerksam machte: https://www.merkur.de/bayern/nuernberger-bund-naturschutz-chef-nach-eklat-zurueckgetreten-lby-zr-2823526.html
@Dr Stoermer"Das Gute an Wegwerfarchitektur ist, dass man sie wieder wegwerfen kann"
Sehr richtig. Als Haussmann im Auftrag Napoleons III das mittelalterliche Paris abriss, musste er sich viel Kritik anhören. Den heutigen Betonklötzen wird niemand eine Träne nachweinen.

Laurenz

5. April 2024 11:15

Das aktuelle Bauen ist Anti-Kultur, was mit daran liegt, daß viele gezwungen sind, knapp zu kalkulieren. Der Staat frißt zuviel Wohlstand weg. Wo soll da die Kunst am Bau bleiben? Lampugnanis Kapitalismus-Krititk hat natürlich damit zu tun, daß Lampugnani Architekt ist & kein Unternehmer im eigentlichen Sinne. Er hatte zwar seit 1980 mehrere Architekturbüros, aber die meiste Zeit hing auch Er am Staatsknete-Tropf, im Grunde eine linke Lebensgestaltung. Die Kapitalismus-Debatte hatten wir schon zur genüge. Die meisten NeuRechten werden sich über unsinnige Obsoleszenzen einig sein, wie unsinniger Verpackungen, oder nicht standardisierter Geräte-Gehäuse, wie auch einem Stopp neuer Versiegelungen. Da muß man nichts verbieten, sondern nur unterschiedlich besteuern. Grandios war die Baukultur im II. Reich.

das kapital

5. April 2024 12:32

Nicht der Krieg hat Deutschland zerstört, sondern wir Architekten. Italienisch-stämmiger deutsche Architekt vor mehr als 40 Jahren. Finde Namen und Zitat nicht mehr wieder und wäre deshalb für einen Hinweis dankbar. /// Das Bauhaus hat Deutschland gründlich versaut. Wer das Amtsgericht Rathenow (etwa 1906) mit dem Landgericht Frankfurt (Oder) vergleicht, kann sich das Live anschauen. Es kommen immer nur funktionale Zweckbauten dabei heraus, niemals etwas, was der Ästhetik von vor dem ersten Weltkrieg standhalten kann. /// Alle Supermärkte und Kaufhallen immer nur hässliche Zweckbauten, welche die Städte zersetzen. Verschwendung von Flächen,die für Wohnraum gebraucht werden. Warum lassen sich über einem Supermarkt nicht noch jeweils 4 Wohnetagen bauen ??? Warum muss so ein hässlicher Mist die Flächen klauen ? /// Bei den klassischen Kaufhäusern kann man sich noch anschauen, wie schön geht. Nach dem 1. Krieg wurde es schon weniger. Seit dem 2. wird überwiegend seelenlos gebaut. Ein Teufelskreis. Seelenlose Menschen schaffen seelenlose Architektur. Und seelenlose Architektur schafft noch mehr seelenlose Menschen.

Dieter Rose

5. April 2024 17:45

Form follows function und Befinden follows der so gebauten Umwelt.

Dieter Rose

6. April 2024 10:05

Noch zum Obigen: Dieter Wieland hat mit "Grün kaputt" schon in den sechziger/siebziger Jahren die  Architektursünden angeprangert. Leider ist Heimatarchitektur nach dem Krieg in Verruf geraten und Architektur, die landschaftstypische Elemente verwendet ebenso. Mit etwas mehr gestalterischem Willen hätten auch unsere  Städte (und Dörfer nicht zu vergessen: die meisten Bauherren mussten ihre eigenen Urlaubsträume o.ä. beim Hausbau verwirklichen...) ansprechender  wiederaufgebaut werden können. Professoren, die das im Rahmen ihrer Möglichkeiten vermitteln wollten, wurden schon damals als alte N... bezeichnet. Oder haben "das Neue" befördert, um nicht als solche tituliert zu werden.

Rosenkranz

6. April 2024 12:58

Das die heutige Architektur, Stichwort Bauhaus, nicht nur häßlich sondern gar brutal ist, ist keine neue Erkenntnis. Die weitergehende Verdichtung in den Städten ist eine Katastrophe. Besonders psychisch scheint es den Menschen zuzusetzen. Solardächer sind eine feine Sache, besonders wenn sie so gebaut sind wie die von Tesla. Auch der Einwand gegen Wärmepumpen zieht nicht. Alternativ Öl und Gas zu verbrennen, ist nicht besonders schlau wegen der Abhängigkeit vom Ausland, Stickoxiden und schlechteren Wirkungsgrad. Die Rückkehr zu Kachelöfen im urbanen Raum wäre eine Katastrophe was die Luftverschmutzung betrifft. Ebenso bin ich dankbar für jedes Auto mit Verbrennungsmotor, welches verschwindet und die lauten Harleys gleich mit. Es geht letztlich darum die Zivilisation irgendwie stabil zu halten. Einen plötzlichen Zusammenbruch mit 8 Mrd. Menschen will keiner erleben. Gewisse technische Entwicklungen müssen daher mitgegangen werden. Der Ansatz des Archefuturismus ist daher viel spannender. 
 

Liselotte

7. April 2024 19:33

Der Ansatz überzeugt mich nicht so recht. Die soliden, langlebigen "Gründerzeit"-Häuser in Berlin und anderswo verdankten sich der preußischen Feuerverordnung, die sehr knapp ausfiel, ansonsten gab es wenig Bauvorschriften. Gewiß, da wurden manchmal auch üble Grotten gebaut, die heute abgerissen sind, aber es sind noch viele schöne erhalten. Dafür haben wir heute, nach der Masse des 60qm Norm sozialen Wohnungsbaus, Bauvorschriften, die Dämmung und gagelige Haustechnik vorschreiben. Dies wird mit Kunststoffgekleister und Dünnbeton realisiert, ein auf Gebäudelanglebigkeit ausgerichteter Standard, wie es bei den Häusern der Kaiserzeit war, ist noch nicht wiedergefunden.

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