„Die alte Welt liegt im Sterben, die neue ist noch nicht geboren. Es ist die Zeit der Monster“. Das notierte Antonio Gramsci vor bald hundert Jahren. Der „Monster“ gibt es heute viele, das würde keiner bestreiten. Doch liegt die alte Welt wirklich im Sterben? Erleben wir heute nur eine Konjunkturkrise oder den Untergang einer Ideologie?
Der eingangs zitierte Gramsci hat uns mit dem Begriff des „historischen Blocks“ (blocco storico) eine griffige Formel hinterlassen. Auch Gramscikritiker können sich mit dem Terminus anfreunden, wurde er ja eigentlich von George Sorel geprägt.
Der „homogene, ökonomisch-politische geschichtliche Block“ ist ein dauerhaftes politisches Bündnis unterschiedlicher sozialer Schichten und Gruppen. Die Leitidee für ein solches Bündnis entspricht auch eher Sorels Mythos als Marx’ abstrakter Ideologie. Die Metaerzählung des historischen Blocks legitimiert die bestehende Ordnung. Sie verbindet Herrscher mit Beherrschten und ermöglicht so gerade in Krisenzeiten den „spontanen Konsens“, der den Zerfall verhindert.
Das mythische Zentrum unseres historischen Blocks ist ohne Zweifel sein Schuldnarrativ. Die „Politik der Schuld“ (Paul Gottfried) beeinflußt die Innen- und auch die Außenpolitik. Intern ist man antideutsch, extern „feministisch“ und westlich gestimmt. Die BRD profilierte sich mit dieser Kombination als nervtötender Streber des „Wertewestens“. Ohne Rücksicht auf nationale Verluste trieb man als Wiedergutmachtung historischer Schuld die globale linksliberale Agenda voran.
Doch der Schuldblock ist nur eine deutsche Sonderform der westlich-liberalen Ideologie. Sein Kern ist weniger ideologisch als materiell. Vor allem die BRD wurde als „Schaufenster“ des Westens mit Wohlstand sediert.
Antideutsche Larmoyanz ging Hand in Hand mit Wirtschaftswunder und sozialem Aufstieg. Im ethnomasochistischen „Grand Hotel Abgrund“ residierte man luxuriös. Nationaler Selbsthaß: eine Form der Verwahrlosung, die man sich leisten können muß.
Der Bevölkerungsaustausch, wie wir ihn heute erleben, wäre unvorstellbar, würden die Einheimischen nicht permanent durch Konsum und Wohlstand ruhiggestellt. Habermas sah deutlicher als viele Linke, daß im Westen der american way of life „die Ideologie in der heute herrschenden Form“ geworden war. Ein „staatsbürgerlicher Privatismus“ verband die Orientierung auf Familie und Warenkonsum mit Leistungs- und Karriereorientierung. Wohlstand und Schuld waren die Kernbestandteile des historischen Blocks der BRD.
Zur Rechten des „Geists der Rache“, den Heidegger beklagte, thronte der Gott des modernen Westens: Merkur, der Patron des Handels, der Warenströme und des Cyberspace. Sieferle nannte die entstehende Gesellschaft „systemisch“. Die gut funktionierenden Systeme ersetzen eine herrschende Ideologie.
Dagegen waren frühere Gesellschaften „normintegriert“, was sie anfällig für ideologische Revolutionen machte. In akzelerationistischen Zirkeln raunte man bald von der „Antifragilität“ dieser systemtischen Gesellschaft.
Die Achillesferse dieser Wohlfühldiktaturen ist jedoch die Wirtschaftskrise. Ihre Legitimation leitet sich nicht nur vom Halten eines Niveaus, sondern von der ständigen Steigerung des Wohlstands ab. Bleibt diese Steigerung aus, so berührt das den Legitimationskern westlich-liberaler Gesellschaften.
Eine „normintegrierte“ Gesellschaft, in deren Zentrum eine Ideologie oder eine Religion steht, weist dagegen möglicherweise eine höhere materielle Krisenresilienz auf. Die kommenden Krisen könnten für den „Wertewesten“ daher eine schärfere Bedrohung darstellen als für alternative Gesellschaftsformen. Ich will nur zwei der drohenden Gewitterfronten kurz beleuchten.
1. Deglobalisierung: Vor Jahren war es ein Schlagwort belächelter Kassandrarufer wie Peter Zeihan. Mittlerweile sind sich fast alle Ökonomen einig: Wir befinden uns in einer Phase der Fragmentierung und Deglobalisierung.
Die Gründe dafür sind zahlreich. Die aufflackernden Konflikte sind Symptome ebenso wie Verstärker dieses Prozesses. Es kommt zu Autarkiebestrebungen und neuen Blockbildungen. Welthandel und Auslandsinvestitionen gehen zurück. Die globalen Warenströme werden volatil, teuer und unsicher. Das bedeutet gerade für Länder, die auf ein „Ende der Geschichte“ setzten und Geopolitik für „Tamtam“ (Habermas) erklärten, ein böses Erwachen.
Der „Exporteunuch“ BRD ist denkbar schlecht auf die Rückkehr der Geschichte vorbereitet. Die unmittelbaren Folgen lauten für ihn: höhere Importkosten, geringere Exportmöglichkeiten, weniger Auslandsinvestitionen, höhere Inflation und allgemeine Verarmung.
2. „Babybust“: Dazu kommt der sogenannte „Babybust“, der auf den „Babyboom“ folgt wie der Kater auf den Rausch. Die Babyboomer, also die geburtenstarken Jahrgänge der 1960er Jahre, waren die größte, am besten ausgebildete „workforce“ der Menschheitsgeschichte. Es waren jene „alten Männer“, die von Japan über Korea bis Deutschland, Australien und die USA die moderne Welt aus dem Boden stampften. Nun gehen sie alle in Rente.
Global betrachtet werden sie vor allem durch Inder, Araber und Afrikaner ersetzt. Es fehlt daher in fast allen Industrienationen an nachrückenden Fachkräften. Die Ersetzungsmigration aus der Dritten Welt verschärft diese Krise nur. Auch ohne Masseneinwanderung würde der „Babybust“ einen großen wirtschaftlichen Verlangsamungsschock auslösen. Innovation und Investitionen könnten zurückgehen, die Kosten für Sozialsysteme explodieren.
Beide Problemfelder überlagern sich und verstärken die Wirkung politischer Fehlentscheidungen wie der „Energiewende“ und der Sanktionspolitik. Eine globale Wirtschaftskrise könnte dazu eine große Migrationswelle auslösen. Viele afrikanische Länder hängen von Nahrungsimporten und Geldgeschenken aus dem Westen ab. Diese nehmen im Zuge der Deglobalisierung ab. Völkerwanderungen könnten die Folge sein.
Laut „Afrobarometer“ sind fast 40% aller Afrikaner auswanderungswillig. 2015 war nur wohl ein „Vorspann“. Schon im Sommer 2024 könnte es losgehen, wenn man den Warnungen von Migrationsexperten glaubt.
Paradoxerweise wird eine Verarmung westlicher Länder den Migrationsdruck auf diese Länder erhöhen. Ein Szenario:
In dem Augenblick, in dem sich der Bevölkerungsaustausch und die ethnischen Spannungen verschärfen, gehen den Eliten gleichzeitig „Brot und Spiele“ aus. Das verstetigt in Westeuropa die bestehenden Verteilungskämpfe, die sich wohl entlang ethnoreligiöser Bruchlinien abspielen werden. Wohlstand, Wirtschaftswachstum und Sicherheit klingen wie Märchen aus alten Zeiten. Sozial- und Schulsystem versagen in weiten Teilen.
Die importierten, perspektivlosen jungen Männer schließen sich zu großen Teilen islamischen Erweckungsbewegungen oder kriminellen Clans an. Jede Woche erschüttert ein „ethnischer Schock“, sei es ein Clankrieg, eine Gruppenvergewaltigung, eine Massenschlägerei oder ein Terroranschlag, das Land.
Wem traut das Volk zu, eine derartig verfahrene, chaotische Lage wieder in den Griff zu bekommen? Dem bräsigen Block der Altparteien oder jener AfD, die seit Jahren als radikal und kompromißlos dargestellt wird? Auch an den angeblichen „Masterplan“ zur Remigration erinnert man sich nun immer häufiger, und das Wort verliert Woche für Woche seinen Schrecken.
Dieses Krisenszenario muß nicht genau so eintreten. Vieles deutet aber darauf hin, daß es in Teilen Wirklichkeit werden wird. Eine tiefe wirtschaftliche Krise könnte, wenn man Habermas beim Wort nimmt, bereits für sich genommen das Ende der herrschenden Ideologie besiegeln. Ein System ohne echte transzendente Werte, dessen innerster Kern ein humanistischer Materialismus darstellt, ist effektiv, wenn es traditionalistische Konkurrenten mit Wohlstand aussticht. Doch es mußte sich noch nie in einer echten, tiefen Krise bewähren. Dieser Streßtest steht nun bevor.
Zu diesen naheliegenden materiellen Problemen tritt ein ideologischer Widerspruch des „Wertewestens“, der vielen nicht ausreichend bewußt ist. Er könnte den herrschenden historischen Block von innen sprengen. Das wird mein nächstes Thema sein.
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Martin Sellner hat mit Regime Change von rechts und Remigration. Ein Vorschlag zwei strategische Bücher vorgelegt, die Skandale auslösten. Hier und hier einsehen und bestellen!
Monika
Dieser Text voller Plattitüden ist eine Zumutung für jeden Intellektuellen. Ich fasse das Geschwurbel mal zusammen: "Unser Platz ist im Werdenden. Wir sollen uns hineinstellen, jeder an seinen Ort. Nicht uns gegen das Neue stemmen und eine schöne Welt zu bewahren suchen, die untergehen muss. Auch nicht abseits, aus phantasierter Schöpferkraft eine neue bauen wollen, die gleich von den Schäden des Werdenden frei sein möchte. Wir haben das Werden umzuformen. " (Romano Guardini, Briefe vom Comer See , 1929) Soll jeder das Werden umformen nach seinen Talenten und Fähigkeiten, aber nicht mit einem "hysterischen Blick" (ähm, "historischen Block") . Man kann nicht Aktivist und zugleich Philosoph sein, das können nur Linke. Die Folgen sind bekannt.