Zur vollen Stunde wird für zehn Minuten auf Radio PSR umgeschaltet, das geniale Sachsenradio. PSR bringt nämlich die Nachrichten um „fünf vor um“. Mir langt´s, etwa zweimal täglich Nachrichten zu hören. „Um“ (wie man hierzulande sagt, wenn man punkt x Uhr meint) mache ich daher eine popmusikalische Pause.
Kubitschek schüttelt über dies alles den Kopf. Er versteht weder meinen Hang zu (guter) Popmusik noch meine Anhänglichkeit an den Staatsfunk, also an das journalistische Gebräu, das uns (ja: von unseren Zwangsgebühren finanziert) tagein-tagaus konfektioniert beschert wird.
Es ist dabei recht einfach: Bevor man alternative Medien konsultiert (oder selbst ein solches Medium bespielt), sollte man doch gründlich informiert sein darüber, was „offiziös“ so besprochen wird, was zum Thema gemacht wird, welche Personalie gehypt wird und wie der (genehmigte) „Diskurs“ so läuft.
Normalfall (und also bereits Klischee) ist, daß Kubitschek in meinen Hörraum tritt, kurz lauscht und dann ätzt: „Oh!, ah!, darf heute wieder ein GANZ junges Fräulein seine Weisheit preisgeben? Live aus der Mittelschule?“
Er hat eine hohe, ja: jugendliche Frauenstimme gehört und trifft damit folgenden Punkt: Im öffentlich-rechtlichen Rundfunk gibt es viel mehr junge, weibliche Stimmen als noch vor zwei, drei Jahrzehnten.
Das sollte an sich auch für unsereins kein Problem sein. Als ob ältere, männlichere Stimmen für bessere Qualität und tieferes Denken stünden! Die Beispiele (vulgo: dummes Altherrengeschwätz) dürften leicht zu imaginieren sein…
Hier (gerne auf Geschwindigkeit 1,75 nur kurz reinschauen, es geht bloß um die Tonhöhen! Aber bitte wenigstens flüchtig haschen!) hätten wir sehr plastisch ein hübsches Beispiel für die Vielfalt männlicher Klangfrequenzen:
Der Gastgeber spricht für unsere Ohren „normal“. Es ist dabei kein Baßton, also nicht diese Stimmlage, die rätselhafterweise als besonders erotisch für das weibliche Geschlecht gilt.
Der Überleitungsmoderator danach mit dieser überaus mutigen Haartracht spricht bereits in diesem zeitgenössischen hellen Ton, der definitiv eher „Offenheit“ denn „Dezision“ verheißt. (Es fehlt ja so eine Studie: Frauen werden unterschiedliche männliche Stimmen vorgespielt. Sie müßten dann bloß anhand der Stimmlage ankreuzen, ob der Sprecher a) keinesfalls, b) eher nicht, c) vielleicht, d) eher schon als potentieller Vater künftiger Kinder in Frage käme. Es wäre wahnsinnig interessant!)
Und dann kommt dieser Dauerbrennertalkgast alias Albrecht von Lucke: Ein helles Stimmchen wie diese in Reihe zündenden kleinen Silvesterknaller! Knatteratatter, tätätä, ein Schrotgewehr! So aufgeregt! Und scharf! Und immer haarscharf daneben! Pengpeng!
Nun ist es nicht so, daß sehr hohe Männerstimmen per se ein Belustigungsfaktor wären. Im Pop feierte der Kastratensound schon vor drei Jahrzehnten fröhliche Urständ: Nehmen wir „Bronski Beat“ (wir alle erinnern uns noch an „Why?“, oder viel besser noch an “Small Town Boy” – ja, wir Älteren waren damals alle Teil eines Great Reset, pushed around von diesen maßlos hohen Männerstimmen!), nehmen wir Prince („Kiss“), nehmen wir Erasure und was da sonst noch war an LGBTQ- Vorläufern in den 1980er Jahren. Die Bee Gees („Stayin´alive“, mich würgte es beim Anhören immer) nicht zu vergessen!
Das männliche, kastratenähnliche Falsett feiert bis heute, bis in den aktuellen (auch nicht-schwulen) Pop fröhliche Urständ. Meist ist es eine Zwischenstrophe, wo die sonst sonore Stimme des maskulinen Sängers schmachtend emporklimmt. Es ist simpel zu erklären: Frauen lieben es einfach, wenn ein Mann/Mann (nach Otto Weininger) auch seine kleine weibliche Sequenz zum Blühen bringt. Hartsein und Zartsein im Duo – zum Dahinschmelzen! Hier treffen sich hetero- und homosexuelle Vorlieben.
Nun zu den Frauenrundfunkstimmen. Hier gibt es eine kognitive Dissonanz. Oder – wie ich vermute – einen Fehler im Wissenschaftsbetrieb.
Denn: Tatsächlich hat „die Wissenschaft festgestellt“, daß die Frauenstimmen in den letzten beiden Jahrzehnten tiefer geworden sind – ohne daß eine Veränderung an Kehlkopf oder Stimmlippen festgestellt wurde. Das ließe darauf schließen, daß auch soziokulturelle Faktoren wie die zunehmende Emanzipation der Frauen eine Rolle spielen und unser (auch stimmliches) Verhalten beeinflussen.
Es klingt logisch. Wie ein Auto-Proll, der was gelten will, seine Maschine tieferlegt, tut die Frau mit ihrer Stimmperformanz dasselbe. Sie wechselt von der höheren Kopf- auf die tiefere Bruststimme. Das kann antrainiert sein (in den üblichen professionellen Sprechschulen für Frauen wird es gelehrt) oder instinktiv erfolgen.
Der Phoniatrie-Professor Michael Fuchs hat bei einer aktuellen Studie an knapp 2500 Leipziger Probandinnen herausgefunden, daß Frauen heute deutlich tiefer sprechen als noch vor zwanzig Jahren. Früher lag demnach die durchschnittliche Frauenstimme eine Oktave höher als die durchschnittliche Männerstimme – heute bloß eine Quinte, ohne daß sich die Männertonlage verändert hätte.
Der Zeitgeist hat sich also auch in der Stimmlage niedergeschlagen!
Früher waren hohe Frauenstimmen schick – denken Sie etwa an Doris Day. Es gab viele piepsige, mädchenhafte, süße Stimmen, die nach Schutzbedürfnis klangen. Die heutige Frau steht voll im Leben. Sie muß nicht mehr beschützt werden. Deshalb klingt sie auch anders.
(Das Interview mit Prof. Fuchs ist sehr lesenswert. Auch weil er dafür plädiert, viel mit den Kindern zu singen. Soo wichtig!)
Nur: Imaginieren wir zwei altbekannte, quasi gestrige Frauenstimmen: die der Tagesschausprecherin Dagmar Berghoff und die von Alice Schwarzer. Und dann: denken wir an jüngere Rundfunkpromis, nehmen wir die wirklich kieksigen Kindergartenstimmen einer Franziska Giffey, einer Annalena Baerbock. Und die vielen aus dem Radio. Man könnte sich dutzende Frauenstimmen von heute und gestern dazudenken.
Ist die allgemeine Tonlage (w) also wirklich tiefer geworden? Die veröffentlichte: ganz, ganz sicher nicht. Nein, Herr Fuchs! Es herrscht, ganz allgemein gesprochen, der hohe Ton!
Zwei musikalische Einlagen (von zwei in ihrer Zeit überaus populären Sängerinnen) dürfen das noch mal verdeutlichend illustrieren. Mal reinhören – hier die zeitgenössische Annett Louisan, und hier die legendäre Alexandra.
Als Verschwörungstheoretikerin, die ich ganz sicher nicht bin, würde ich sagen: Östro rules! Hier wie überall. Es piepst mit kleinen Stimmen aus allen Rohren. Ja, es klingt so harmlos…
Matt Shepard
Interessante Bemerkungen zur Tonhöhe von Frauen. Nein, das Phänomen ist nicht imaginiert.
Im amerikanischen Sprachraum ist das Phänomen, abgewandelt auch im Timbre, als "vocal fry" bekannt. Und man spricht auch schon von einer "vocal fry epidemic". Und ja, es lässt junge Frauenstimmen deutlich weniger attraktiv klingen. Eine Assoziation zu gewissen wohlhabenden Gesellschaftsschichten ist gewollt.
Beispiele und Erklärung des Phänomens hier:
https://www.youtube.com/watch?v=Q0yL2GezneU
Und humoristisch in einer guten Minute aufgarbeitet hier:
https://www.youtube.com/watch?v=WDfJn1kcQuU