Kritik der Woche (58): Bewältigung des Scheiterns

von Fritz Keilbar -- Deutschland war das einzige Land, das sowohl eine nationalsozialistische als auch eine sozialistische (im weitesten Sinne kommunistische) Diktatur erlebte. Beide mündeten schließlich in der Bundesrepublik. Beide Diktaturen scheiterten, aber aus unterschiedlichen Gründen, und natürlich hatte das Führungspersonal Interesse, darüber Rechenschaft abzulegen, entweder im Sinne einer Rechtfertigung oder einer Läuterung.

Zu den bekann­tes­ten Pro­duk­ten die­ser Lite­ra­tur­gat­tung gehö­ren zwei­fel­los die Erin­ne­run­gen von Albert Speer, die ein Welt­best­sel­ler wur­den und lan­ge als glaub­wür­di­ge Quel­le für den NS-Staat gal­ten. Von den DDR-Auto­bio­gra­phien hat es kei­ne zu einem sol­chen Erfolg gebracht, am ehes­ten noch Mar­kus Wolf, der ehe­ma­li­ge Chef der Auslandsspionage.

Über die­se Auto­bio­gra­phien gibt es bis­lang kaum wis­sen­schaft­li­che Lite­ra­tur, abge­se­hen von Speer, des­sen Recht­fer­ti­gungs­stra­te­gie umfas­send erforscht und mit den his­to­ri­schen Tat­sa­chen abge­gli­chen wur­de. Erstaun­lich ist auch, daß bis­lang nie­mand auf die Idee kam, die Auto­bio­gra­phien der NS- und DDR-Füh­rer mit­ein­an­der zu ver­glei­chen. Eine Dok­tor­ar­beit, die von Hans-Ulrich Dan­ner in Pas­sau am Lehr­stuhl von Hans-Chris­tof Kraus ange­fer­tigt wur­de, hat die­sen Ver­gleich jetzt nachgeholt.

Aus den zahl­rei­chen, für den Ver­gleich in Fra­ge kom­men­den Memoi­ren­wer­ken hat der Autor 69 Bücher aus­ge­wählt, die von 42 Funk­ti­ons­trä­gern geschrie­ben wur­den. Als Aus­wahl­kri­te­ri­en nennt Dan­ner den frei­wil­li­gen Ein­tritt in die jewei­li­ge Staats­par­tei, also NSDAP und SED, und die füh­ren­de Rol­le dar­in, wes­halb Mili­tärs und unter­ge­ord­ne­te Funk­tio­nä­re aus­schie­den. Neben die­sen for­ma­len Kri­te­ri­en muß­ten die Autoren das jewei­li­ge Regime bis zum Schluß gestützt haben, durf­ten also kei­ne Rene­ga­ten sein, um die Ver­gleich­bar­keit zu gewähr­leis­ten. Bei den NS-Funk­tio­nä­ren sind neben Speer so bekann­te Namen wie Bal­dur von Schi­rach und Alfred Rosen­berg ver­tre­ten, bei den DDR-Funk­tio­nä­ren neben Wolf auch die ehe­ma­li­gen Staats­chefs Erich Hon­ecker und Egon Krenz.

Was erbringt der Ver­gleich? Nahe­zu alle Autoren sehen in ihrem Buch einen Bei­trag zur Wahr­heits­fin­dung. In allen fin­det sich Kri­tik an der Herr­schafts­pra­xis, der Erfol­ge auf unter­schied­li­chen Poli­tik­fel­dern gegen­über­ge­stellt wer­den. Die unschö­nen Sei­ten wer­den geleug­net oder nicht the­ma­ti­siert. Kaum jemand hat sich in sei­ner Erin­ne­rung um die Macht geris­sen, die ihm letzt­lich zukam. Man war dort mehr oder weni­ger durch Zufall gelan­det. Schuld­zu­wei­sun­gen fin­den sich bei Natio­nal­so­zia­lis­ten und Sozia­lis­ten glei­cher­ma­ßen. Es gibt in kei­nem der Bücher ein expli­zi­tes Bekennt­nis zur Demo­kra­tie und damit zur Bun­des­re­pu­blik, was von Dan­ner als wesent­li­che Gemein­sam­keit her­aus­ge­stellt wird.

Die Unter­schie­de lie­gen vor allem in den Fol­gen der Sys­te­me, aber auch der unter­schied­li­chen Her­kunft der Prot­ago­nis­ten begrün­det. Das Ende der DDR ver­lief fried­lich, der NS-Staat ging blu­tig unter. Daher war es den ehe­ma­li­gen SED-Kadern teil­wei­se mög­lich, sich nach dem Ende der DDR wie­der poli­tisch zu betä­ti­gen, was für NS-Kader aus­ge­schlos­sen war. Der Schritt der Sozia­lis­ten zur SED erfolg­te ideo­lo­gisch bewuß­ter und wird ent­spre­chend offen­siv ver­tei­digt und auch für die Zukunft auf­recht­erhal­ten. Eben­so wird den Ursa­chen des Unter­gangs in SED-Erin­ne­run­gen mehr Platz ein­ge­räumt. Eine Fra­ge, mit der sich NS-Leu­te nicht groß auf­hal­ten, weil die mili­tä­ri­sche Nie­der­la­ge alles ande­re überwog.

Letzt­lich las­sen sich alle Memoi­ren­schrei­eber in das vom Autor erar­bei­te­te Sche­ma der „Ver­ar­bei­tungs­ty­pen“ ein­ord­nen, wo sich in den Kate­go­rien jeweils Prot­ago­nis­ten aus bei­den Lagern fin­den: Apo­lo­ge­ten, Selbst­ver­tei­di­ger und Rene­ga­ten (nach Ende der Dik­ta­tur!). Zu letz­te­ren zäh­len auf NS-Sei­te nur Schi­rach, bei der SED der ehe­ma­li­gen Ober­bür­ger­meis­ter von Dres­den Wolf­gang Berg­ho­fer und Gün­ter Schab­ow­ski, Mit­glied des Polit­bü­ros der SED. Davon abge­se­hen, begeg­net dem Leser in den Auto­bio­gra­phien wenig mensch­li­che Grö­ße und intel­lek­tu­el­le Tie­fe – was nie­man­den über­ra­schen dürf­te, der weiß, wer in der Poli­tik nach oben gelangt.

– – –

Hans-Ulrich Dan­ner: Bewäl­ti­gung des Schei­terns. Auto­bio­gra­phi­sche Schrif­ten frü­he­rer Par­tei­funk­tio­nä­re von NSDAP und SED, Berlin/Boston: de Gruy­ter 2024, 305 Sei­ten, 79,95 Euro – hier bestel­len.

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Kommentare (20)

Laurenz

12. Juni 2024 14:50

@FK ... Daher war es den ehemaligen SED-Kadern teilweise möglich, sich nach dem Ende der DDR wieder politisch zu betätigen, was für NS-Kader ausgeschlossen war. ... Mitglieder der NSDAP gab es reichlich in der Bundesdeutschen Politik oder auch VIP-Gesellschaft, wie zB Hans-Dietrich Genscher. Auch SS-Leute, wie Günter Grass oder Horst Tappert, sind weltweit immer noch anerkannte Kulturschaffende gewesen. Auch in der DDR gab es ehemalige Nationalsozialisten, die politisch aktiv sein durften, aber die Entnazifizierung wurde konsequenter durchgezogen. Wenn man den Terminus NS-Kader auf diejenigen reduziert, die in Nürnberg auf der Anklagebank saßen, ist die obige Aussage durchaus stimmig. Erweitert man den Kreis auch auf andere, wie Gehlen oder Gestapo-Müller, wird die Nummer, auch die Deportationen von Leuten der SS, B-Dienst, Abwehr, Aufklärung Ost & vor allem Wissenschaftler in die USA & die Sowjetunion durch ein ganz anderes Licht beleuchtet. Gerade die Legenden & zeitgeschichtliche Entwicklungen der Literatur-Erscheinungen über Heinrich Müller sind spannender als jeder Krimi.

Volksdeutscher

12. Juni 2024 16:46

Angesichts dessen, wo wir mit der Demokratie der Bundesrepublik angekommen sind, ist es mir schleierhaft, was diese geschichtliche Abrechnung mit beiden Diktaturen bringen soll... diese billigen Klugscheißereien post-kommunistischer und post-nationalsozialistischer Protagonisten. 
Das Wesen der liberalen Demokratie, das wir spätestens seit 2015 am eigenen Leibe erfahren, bekommen wir mehr als es uns lieb ist, zu spüren. Was soll das Geschwafel von Demokratie und Volkssouveränität in einem seit 1945 besetzten Land, dessen Volk gerade mangelns Souveränität der Willkür der Besatzermächte ausgeliefert ist und nicht seine Auffassung von Herrschaftsform verwirklichte, sondern eine ihm wesensfremde aufoktroyiert bekam? Wie passen vermeintliche Demokratie und reales Kriegsrecht, um es anders zu formulieren, zusammen? Man zählt zu Vorteilen von Demokratien gegenüber Diktaturen: Daß die Menschen Parteien wählen dürfen, was in Wirklichkeit die Spaltung der Nation voraussetzt; daß die Menschen nicht tun müssen, was sie nicht tun wollen (Voltaire), was dazu führt, daß keiner mehr etwas tun will und auch andere daran hindert, etwas zu tun; daß sie unblutigen Machtwechsel ermögliche, in Wirklichkeit aber alles beim alten bleibt. Ob man unter diesen Vorzeichen noch danken muß, nicht in einer Diktatur zu leben?
Woran sind die Vorteile der Demokratie gegenüber der Diktatur auszumachen, wenn ein Volk dort angekommen ist, wo das deutsche, nämlich am Rande der existenziellen Vernichtung? Und das ohne Krieg, Blutvergießen und Tyrannei.

zeitschnur

12. Juni 2024 17:13

Danke für den Hinweis auf dieses Thema - ich hatte das nicht so deutlich auf dem Schirm.
Allerdings könnte es sein, dass diese starre Kategorisierung von "Renegaten", "Apologeten" und "Selbstverteidigern" zu sehr eine psychologische Engführung ist. 
Warum schreibt einer so etwas? Aber auch: Warum wird so etwas veröffentlicht, warum zugelassen? Cui bono?
Ob die "Täter" oder "Mitläufer" sich damit reinwaschen oder verteidigen wollen oder nun abrechnen?
Ein solches Buch ist immer eine Art "Denkmal" und zugleich "Quelle". Es will Türen offen halten für eine Revision gängiger Geschichtsbilder, wenn es sie nicht direkt oder indirekt bestätigen hilft. Letztendlich reizt es zum Lesen, weil die Neugier darauf, wie es "wirklich war", größer ist, als das Herleiern verordneter Geschichtsnarrative.
Autobiografien öffentlicher Personen erinnern daran, dass jede Geschichtsrekonstruktion fragwürdig ist, egal, ob sie nun intellektuell tief ist oder nicht. Von Interesse ist am meisten das Bewusstsein derer, die es erlebt und gestaltet haben. Der Mensch möchte die Zeitgeschichte durch Einfühlung verstehen, nicht durch moralische oder quasi-religiöse, zur Wertung gezwungene Überhebung.

Klaus Kunde

12. Juni 2024 17:57

Zu Speer: Mitglied in der Staatspartei, ohne führende Position u. Hausmacht in dieser, avanciert allein durch die Sympathien des Diktators. Seine Bücher, vermutlich von Fest in Fasson gebracht, in jungen Jahren verschlungen. Speer als Türöffner zu einer Welt, die bis dato im Verborgenen lag. Seine Kritiker wollen den „guten“ Nazi entlarvt haben; ein solcher gewesen zu sein, hat selbst Speer nicht von sich behauptet. Aber er war mit hoher Wahrscheinlichkeit ein „geläuterter“, in seiner Position konkurrenzlos. Speer wußte sein Monopol zu nutzen, schon in Nürnberg. Er verkörperte exakt das, was die westalliierten Ankläger nur in ihm fanden. Gesamtverantwortung, ja, persönliche Schuld, nein. Mitgetan bis zum Endsieg, um Schlimmeres zu verhüten. Der tumbe Fritz Saukel mußte statt seiner über die Klinge springen. Speer als politisch falsch abgebogener, spät zur Vernunft gekommener Technokrat u. Organisator der Rüstung. Immerhin, seine Memoranden zur Kriegslage für Hitler verfaßt, waren schonungslos. Nach Spandau seelisch deformiert, so seine eigene Einschätzung, hielt er an seiner Legende fest. Hätte er gestehen sollen, alles frisiert, um sein Leben zu retten? Den Granden der DDR blieb ein Prozeß auf Leben und Tod erspart, weswegen mir autobiografische Vergleiche zur Glaubwürdigkeit Speers abwegig erscheinen.

Karl Otto

12. Juni 2024 19:25

Bemekrnswert ist jedenfalls, wie sie sich ihre Vergangenheit schönreden, egal ob rechts oder links.
Ähnlich auch der kolumbianische Drogenboss (deutscher Herkunft) Carlos Lehder, der nach seiner Haft eine Autobiographie über seine Zeit beim Medellín-Kartell mit Pablo Escobar geschrieben hat. Er ist da irgendwie reingerutscht, und hat nie schlimme Gewalttaten begangen.
https://de.wikipedia.org/wiki/Carlos_Lehder_Rivas
Lehder lebt inzwischen in Frankfurt. Warum auch nicht, wir nehmen ja auch sonst jede menge gangster auf. 

kikl

12. Juni 2024 19:36

Mir schwant, dass die Potentaten der untergehenden BRD genauso uneinsichtig sein werden wie ihre Vorgänger aus der SED und NSDAP. Schuld waren immer nur die anderen.
Frau Merkel hat mit dem permanenten Rechtsbruch durch die Duldung und Beförderung der illegalen Massenimmigration dem Rechtsstaat Deutschland  das Licht ausgeknipst. Denn ein Rechtsstaat ist ein Staat, der dem Recht unterworfen ist. Merkel hat bewiesen, dass der Kanzler über dem Recht steht.
Mit Ausrufung des Ausnahmezustandes während der eingebildeten Pandemie wurden die Kulissen niedergerissen und jeder Anschein von Rechtsstaatlichkeit beseitigt. Heute wissen wir: Grundrechte sind nur mehr Privilegien, die jederzeit entzogen werden können.
Ob in Deutschland das Volk herrscht, das darf auch mit Fug und Recht bezweifelt werden. Denn seit Merkels Putsch wird gegen den Mehrheitswillen die illegale Massenimmigration durchgezogen und seit kurzem schafft sich die den Staatsschatz plündernde Politeska durch Masseneinbürgerungen ein neues Staatsvolk. 
Wer ist also in Wirklichkeit der Souverän Deutschlands? Wer hält die Zügel der Macht? Der rennomierte Staatsrechtler Vosgerau hat sich dazu seine Gedanken gemacht. Der Kanzler ist es laut Vosgerau nicht.

Jan

12. Juni 2024 21:28

Teil 1
"...sich nach dem Ende der DDR wieder politisch zu betätigen, was für NS-Kader ausgeschlossen war."
Galt nur für NS-Verbrecher und solche NS-Kader, die auch nach '45 mit dem NS weiter machen wollten wie z.B. Otto Ernst Rehmer. Solche Leute waren in der Bundesrepublik nur noch Randfiguren der Gesellschaft. Für alle anderen stand alle Wege offen. Welche Prominenten und ihre Bewältungsstrategien kennen wir? Kiesinger, Schleyer und Filbinger zum Beispiel. Eher uninteressant, weil Karrieristen und Opportunisten. Die schwimmen in jedem System oben und hätten auch in der DDR Karriere gemacht. Da herrschte eher Schweigen, Verleugnen und Vertuschen. Die waren dabei, weil der NS die Macht hatte und sie ließen davon ab, als die Macht fort war. Keine echten Nazis, sondern an Macht und Ansehen Interessierte. Grass und Tappert? Zu jung, Frontsoldaten und Befehlsempfänger auf der untersten Stufe. Deren Verstrickungen kamen auch erst kurz vor ihrem Tode bzw. posthum an die Öffentlichkeit, so dass sie sich zu Lebzeiten nicht öffentlich damit auseinandersetzen mussten.
 

Jan

12. Juni 2024 21:49

Teil 2
Interessant ist Herbert Reinecker. Er war über Jahrzehnte einer der wichtigsten Drehbuchautoren der Bundesrepublik und hat das Fernsehen im Nachkriegsdeutschland wesentlich mitgeprägt. Reinecker war auch im ideologischen Apparat des NS tätig und war aus echter Überzeugung dabei, nicht nur aus reinen Machtinteressen. Wie sah seine Bewältigung aus? Ich denke, er hat die Verbrechen stark reflektiert. In seinem populärsten Werk als Autor, der Krimireihe Derrick, gibt es bis auf eine Ausnahme zwar keinen wirklichen NS-Bezug. Allerdings zieht sich durch die gesamte Reihe ein Subthema, das umso stärker hervortritt, je älter Reinecker wird und das ab den 90er-Jahren eine auffällige Dominanz erlangt: die Frage, ob die Ermordung eines Menschen nicht schon vor der physischen Tötung einsetzt. Ob man es auch Mord nennen kann, wenn man einen Menschen psychisch und seelisch völlig zerstört. Ansätze dazu gab es schon in der Vorgänger-Reihe Der Kommissar
 

Jan

12. Juni 2024 22:22

Teil 3
 
Die einzige Derrick-Episode, in der ein Bezug zu den NS-Verbrechen ziemlich eindeutig hergestellt wird, ohne es explizit auszusprechen, ist Nr. 177 "Schrei in der Nacht" (1989). Es geht um Prostituierte und HIV, im übertragenen Sinn um Krankheiten und "unwertes Leben". Die entsprechende Szene ist der Dialog während der Autofahrt von Minute 28:07 bis 29:00. "Es hat in der Vergangenheit genug Ärzte gegeben, die Mörder waren".
 
Es hat in Reinecker innerlich gearbeitet und die innere Auseinandersetzung mit dem Thema als mehr oder weniger direkt Verstrickter hat sich dezenter und verklausulierter artikuliert als bei der Generation der zu spät geborenen Autoren mit 68er-Bezug wie Geißendörfer (Lindenstraße) oder bei etlichen Tatort-Autoren ab den 80ern.    

Adler und Drache

13. Juni 2024 09:03

Nimmt jemand ohne innere Überzeugung als Führungsfigur an einem politischen Unternehmen (jedweder Art) teil? Vermutlich nicht. 
Ich empfinde den Befehl, sich zu rechtfertigen und zu distanzieren, dem gescheiterten politischen Projekt innerlich aufzukündigen und es im Nachhinein sozusagen zu verraten, als Anmaßung. Der Verlierer soll nicht nur verlieren, er soll auch noch den Sieger symbolisch ins Recht setzen. Der Stolz des Verlierers, der daraus resultiert, an etwas geglaubt und sich dem hingegeben zu haben, soll gebrochen werden. Es reicht nicht, wenn er das Knie beugt, er muss den "großen Bruder" wirklich lieben. Er soll nicht nur leiblich, sondern auch seelisch besiegt werden. 
Die spanischen Konquistadoren waren brutale und verschlagene Warlords, aber was mich an den Berichten am meisten erstaunte: Dass sie den Verlierern eine gewisse Würde ließen. Der Feind wurde unter Umständen brutal gefoltert und getötet, aber sein Glaube an seine Sache wurde deshalb nicht noch mit Dreck beworfen. 
"Fürchtet euch nicht vor denen, die den Leib töten, die Seele aber nicht töten können, sondern fürchtet euch vor dem, der Seele und Leib ins Verderben der Hölle stürzen kann!" (Mt 10,28)  

Adler und Drache

13. Juni 2024 09:24

@Volksdeutscher
Ich meine, dass die uns antrainierte Sichtweise, nämlich "die Demokratie" (TM) als Gegenpol zu "der Diktatur" zu sehen, falsch ist. Diktatur kann aus allem erwachsen, und Diktatur muss nicht per se schlechter sein als etwas anderes - manchmal hat man eben keine andere Wahl (das wussten schon die alten Römer). Am Ende des Tages zählt, ob es aufwärts oder abwärts geht. 
Dass aus der "liberalen Demokratie" keine dauerhafte Hygienediktatur erwachsen ist, liegt vielleicht hauptsächlich am Ukrainekrieg. Viel hat nicht mehr gefehlt, die Restriktionen waren in einer Totalität da, die wir in der DDR nicht gekannt haben - und was die Opfer betrifft: M. Krall schätzte die durch biochemische Injektion Getöteten neulich auf 20 Millionen weltweit (wenn ich mich recht entsinne ...). - Ich kann dazu nichts sagen, ich weiß zu wenig, aber wenn der bodycount stimmte, können die Verantwortlichen zu den DDR-Granden "Hold my beer!" sagen.   

Volksdeutscher

13. Juni 2024 13:04

@Adler und Drache - Das sehe ich ähnlich wie Sie. Ihre Erwiderung rief mir prompt einen Topos in Erinnerung, die ich vor vielen Jahren in einer Kritik über Nietzsches Menschenbild las. Der Kritiker behauptete, Nietzsches Dilemma bestand darin, daß er sich einen Politiker wie Julius Caesar mit der Seele Christi wünschte. Der Kritiker befand, dies sei ein nicht realisierbares Ideal, da ein Politiker im Notfall wie Caesar handeln müsse. Ich finde dieses Dilemma für die Überlegung wert, wenn es um die Erörterung der Frage geht, wie ein Politiker im politischen Leben handeln und sich positionieren soll. Denn in Machtpositionen befindliche Individuen bestimmen das Schicksal von Millionen, ihre Charaktereigenschaften haben unmittelbar Auswirkung auf die Politik, die sie machen und die wiederum beeinflussen das Schicksal der ihnen anvertrauten/unterworfenen Bürger. Der Unterschied zwischen einem demokratisch gewählten Ministerpräsidenten und einem Diktator besteht vielleicht nur in den ihnen zur Verfügung stehenden politischen Mitteln zur Durchsetzung ihrer Politik und nicht so sehr in dem Unterschied ihrer geistigen und seelischen Qualitäten. Rechtfertigen kann man alle seine Entscheidungen, wenn man sie mit der Notwendigkeit verknüpft. Aber man muß sie auch Verantworten und die Konsequenzen aus ihnen ziehen, wenn diese Notwendigkeit objektiv nicht erwiesen werden konnte. Ich finde, es gibt zwischen Demokraten und Diktatoren keine wesentlichen charakterlichen Unterschiede.

Laurenz

13. Juni 2024 13:37

@Zeitschnur & andere (3) ... In den 200 obersten Chargen der Reichs der Mitte sitzen vor allem Naturwissenschaftler, Architekten, Ingenieure, um die Entwicklung der Industrie beurteilen zu können. Wir hingegen haben nur Apparatschiks, Berufsrevolutionäre, die zu nichts taugen, außer, Unheil zu stiften.

Carsten Lucke

13. Juni 2024 14:24

@ Adler und Drache  09.03
So entschieden ich Ihre Meinung hier teile - einen "Befehl", Memoiren zu schreiben, haben Speer, Wolf u.a. doch wohl nicht erhalten. Da wurde auf finanzielle Erfolge spekuliert.
Von den ehemaligen DDR-Bonzen würde ich kein Geschriebse je anrühren; die Erinnerungen von Speer habe ich gelesen. Was hängenblieb : Sein "Ruinengesetz" (https://de.wikipedia.org/wiki/Ruinenwerttheorie), das ich beeindruckend fand, und ein Foto von ihm und Hitler (von hinten), im Schnee wandernd auf dem Obersalzberg.
 

RMH

13. Juni 2024 16:07

Sein "Ruinengesetz"
@Carsten Lucke,
es hängt alles irgendwie mit allem zusammen. Für die Berliner und Nürnberger Bauten wurde sehr gerne Kirchheimer Muschelkalk (-stein) verwendet.  2 Söhne einer Eigentümerfamilie eines Steinwerks mit Steinbruchanteilen aus der Region machten als Ärzte Karriere bei der SS, der eine davon wurde Standortarzt in Auschwitz (und war damit Chef von Mengele & Co.).

Le Chasseur

13. Juni 2024 16:38

@Carsten Lucke
Was bei mir nach der Lektüre der Speer-Memoiren hängenblieb: Als Speer in Spandau einsaß, wurde ihm einmal ein Plan für einen Luftangriff der Alliierten vorgelegt. Der Plan hatte das Ziel, die Rüstungsindustrie und die Logistik des Deutschen Reiches lahmzulegen (im Buch war glaube ich von einer "Querschnittslähmung" die Rede). Man hatte Speer gefragt, ob eine Ausführung dieses Planes solch eine Querschnittslähmung herbeigeführt hätte, was dieser bejahte.
Leider weiß ich nicht mehr genau, in welchem Jahr des Krieges dieser Plan erarbeitet wurde, aber ich glaube, es war noch relativ früh. Bekanntlich kamen die meisten Menschen in der Endphase des Krieges um. Hätte man den Plan also durchgeführt, hätte dies vermutlich Millionen von Menschen das Leben gerettet (sowohl Soldaten als auch Zivilisten).

Volksdeutscher

13. Juni 2024 21:50

@Le Chasseur - Hätte man den Plan also durchgeführt, hätte dies vermutlich Millionen von Menschen das Leben gerettet (sowohl Soldaten als auch Zivilisten).
Das ist der altbekannte, unausrottbare lrrtum, daß es keinen Krieg gegeben hätte, wenn nicht Hitler an die Macht gekommen wäre. Ich vermute, daß ist die Interpretation des angezüchteten schlechten Gewissens. Die Alliierten wollten Deutschland nämlich um jeden Preis zerstören, ganz unabhängig davon, wer Deutschland an der Macht war. Wir hatten keine andere Wahl, als den Kampf anzunehmen. Churchill: "You must understand that this war is not against Hitler or National Socialism, but against the strength of the German people, which is to be smashed once and for all, regardless of whether it is in the hands of Hitler or a Jesuit priest." Warum ist es so schwer, es zu verstehen und zu akzeptieren? Dieses "once and for all" scheint nicht gelungen zu sein, da Restdeutschland sich vom Krieg erholte. Also vollstreckt man jetzt die ultimative Zerstörung des deutschen Volkes, die man durch den Krieg nicht geschafft hatte.

Ausguck

14. Juni 2024 00:31

Einer der ueberzeugtesten Preussen und einer, der es wahrlich kannte, war Joachim Fernau. In seinem "Sprechen wir ueber Preussen" schreibt er: "Was war Preussen in der Weltgeschichte gewesen? Eine Perle im Sand. Es hat seine geschichtliche Mission erfuellt. Aus einem Land wurde ein Vaterland, aus dem Vaterland ein Staat, aus dem Staat eine Idee. Preusen hat das Groesste geschaffen, das ein Volk schaffen kann: Einen Stil. ....."
Der besteht aus Wahrhaftigkeit gegen sich selbst, Pflichterfuellung im Kleinen in dem Bewusstsein, das das Kleine ein Teil des Grossen ist; er meint Sauberkeit, Einfachheit und vor allem Disziplin, aber das Wichtigste sind die Armut und die Einfalt, die eng zusammenhaengen, die Kargheit, die "von innen einen grossen Glanz empfaengt." Das ist ohne Vorbild.
Dieser Artikel "Bewaeltigung des Scheiterns" ist ein Schwanengesang. Preussen, das fuer Deutschland gestorben ist und ihm sein Leben geschenkt hat, ist tot. Und Deutschland liegt nun deswegen auch auf der Bahre. Es ist vorbei.

Le Chasseur

14. Juni 2024 09:33

@Volksdeutscher"Die Alliierten wollten Deutschland nämlich um jeden Preis zerstören, ganz unabhängig davon, wer Deutschland an der Macht war."
Dafür ist die von Speer geschilderte Episode doch ein Beleg. Die politische Führung wollte kein schnelles Ende des Krieges, obwohl man in der Lage gewesen wäre, dies herbeizuführen. Stattdessen sollten sich noch möglichst viele Deutsche und Russen gegenseitig massakrieren. Und anstatt neuralgische Punkte der deutschen Rüstung und Infrastruktur lahmzulegen, bombardierte man Wohnviertel deutscher Städte.

Volksdeutscher

14. Juni 2024 10:27

@Ausguck - "Und Deutschland liegt nun deswegen auch auf der Bahre. Es ist vorbei."
Deutschland ist da, auch Deutsch-Österreich und die deutsche Schweiz sind da - obwohl Preussen Geschichte ist! Es scheint sich eine neue Volkskrankheit sich Bahn zu brechen: Die Wahrnehmungsstörung. Dieser melancholische Fatalismus in der gegenwärtigen Situation ist nicht gerade motivierend für kämpferische Geister, die sich landesweit anspannen, das Schicksal der deutschen Nation zu wenden. Womöglich ist es der Auswuchs einer Jahrzehnte lang erfolgten Konditionierung der Deutschen auf Abgewöhnung jeglichen Widerstandes gegen eine von oben erlassene teleologische Geschichtsinterpretation: die des prädestinierten Untergangs. Folgerichtigkeit ist kein Beweis für Notwendigkeit. Es gibt immer Rettung, eine davon könnte von Edgar Allan Poe kommen: Nur derjenige, der die Selbstbeherrschung im Angesicht der drohenden Vernichtung bewahrt, wird dem Maelström entkommen. Wir haben Nerven, die uns keine teleologische Geschichtserzählung in Abrede stellen kann. Statt Ausguck also lieber Einsicht. Lassen wir die Unkenrufe.

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