Zu den bekanntesten Produkten dieser Literaturgattung gehören zweifellos die Erinnerungen von Albert Speer, die ein Weltbestseller wurden und lange als glaubwürdige Quelle für den NS-Staat galten. Von den DDR-Autobiographien hat es keine zu einem solchen Erfolg gebracht, am ehesten noch Markus Wolf, der ehemalige Chef der Auslandsspionage.
Über diese Autobiographien gibt es bislang kaum wissenschaftliche Literatur, abgesehen von Speer, dessen Rechtfertigungsstrategie umfassend erforscht und mit den historischen Tatsachen abgeglichen wurde. Erstaunlich ist auch, daß bislang niemand auf die Idee kam, die Autobiographien der NS- und DDR-Führer miteinander zu vergleichen. Eine Doktorarbeit, die von Hans-Ulrich Danner in Passau am Lehrstuhl von Hans-Christof Kraus angefertigt wurde, hat diesen Vergleich jetzt nachgeholt.
Aus den zahlreichen, für den Vergleich in Frage kommenden Memoirenwerken hat der Autor 69 Bücher ausgewählt, die von 42 Funktionsträgern geschrieben wurden. Als Auswahlkriterien nennt Danner den freiwilligen Eintritt in die jeweilige Staatspartei, also NSDAP und SED, und die führende Rolle darin, weshalb Militärs und untergeordnete Funktionäre ausschieden. Neben diesen formalen Kriterien mußten die Autoren das jeweilige Regime bis zum Schluß gestützt haben, durften also keine Renegaten sein, um die Vergleichbarkeit zu gewährleisten. Bei den NS-Funktionären sind neben Speer so bekannte Namen wie Baldur von Schirach und Alfred Rosenberg vertreten, bei den DDR-Funktionären neben Wolf auch die ehemaligen Staatschefs Erich Honecker und Egon Krenz.
Was erbringt der Vergleich? Nahezu alle Autoren sehen in ihrem Buch einen Beitrag zur Wahrheitsfindung. In allen findet sich Kritik an der Herrschaftspraxis, der Erfolge auf unterschiedlichen Politikfeldern gegenübergestellt werden. Die unschönen Seiten werden geleugnet oder nicht thematisiert. Kaum jemand hat sich in seiner Erinnerung um die Macht gerissen, die ihm letztlich zukam. Man war dort mehr oder weniger durch Zufall gelandet. Schuldzuweisungen finden sich bei Nationalsozialisten und Sozialisten gleichermaßen. Es gibt in keinem der Bücher ein explizites Bekenntnis zur Demokratie und damit zur Bundesrepublik, was von Danner als wesentliche Gemeinsamkeit herausgestellt wird.
Die Unterschiede liegen vor allem in den Folgen der Systeme, aber auch der unterschiedlichen Herkunft der Protagonisten begründet. Das Ende der DDR verlief friedlich, der NS-Staat ging blutig unter. Daher war es den ehemaligen SED-Kadern teilweise möglich, sich nach dem Ende der DDR wieder politisch zu betätigen, was für NS-Kader ausgeschlossen war. Der Schritt der Sozialisten zur SED erfolgte ideologisch bewußter und wird entsprechend offensiv verteidigt und auch für die Zukunft aufrechterhalten. Ebenso wird den Ursachen des Untergangs in SED-Erinnerungen mehr Platz eingeräumt. Eine Frage, mit der sich NS-Leute nicht groß aufhalten, weil die militärische Niederlage alles andere überwog.
Letztlich lassen sich alle Memoirenschreieber in das vom Autor erarbeitete Schema der „Verarbeitungstypen“ einordnen, wo sich in den Kategorien jeweils Protagonisten aus beiden Lagern finden: Apologeten, Selbstverteidiger und Renegaten (nach Ende der Diktatur!). Zu letzteren zählen auf NS-Seite nur Schirach, bei der SED der ehemaligen Oberbürgermeister von Dresden Wolfgang Berghofer und Günter Schabowski, Mitglied des Politbüros der SED. Davon abgesehen, begegnet dem Leser in den Autobiographien wenig menschliche Größe und intellektuelle Tiefe – was niemanden überraschen dürfte, der weiß, wer in der Politik nach oben gelangt.
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Hans-Ulrich Danner: Bewältigung des Scheiterns. Autobiographische Schriften früherer Parteifunktionäre von NSDAP und SED, Berlin/Boston: de Gruyter 2024, 305 Seiten, 79,95 Euro – hier bestellen.
Laurenz
@FK ... Daher war es den ehemaligen SED-Kadern teilweise möglich, sich nach dem Ende der DDR wieder politisch zu betätigen, was für NS-Kader ausgeschlossen war. ... Mitglieder der NSDAP gab es reichlich in der Bundesdeutschen Politik oder auch VIP-Gesellschaft, wie zB Hans-Dietrich Genscher. Auch SS-Leute, wie Günter Grass oder Horst Tappert, sind weltweit immer noch anerkannte Kulturschaffende gewesen. Auch in der DDR gab es ehemalige Nationalsozialisten, die politisch aktiv sein durften, aber die Entnazifizierung wurde konsequenter durchgezogen. Wenn man den Terminus NS-Kader auf diejenigen reduziert, die in Nürnberg auf der Anklagebank saßen, ist die obige Aussage durchaus stimmig. Erweitert man den Kreis auch auf andere, wie Gehlen oder Gestapo-Müller, wird die Nummer, auch die Deportationen von Leuten der SS, B-Dienst, Abwehr, Aufklärung Ost & vor allem Wissenschaftler in die USA & die Sowjetunion durch ein ganz anderes Licht beleuchtet. Gerade die Legenden & zeitgeschichtliche Entwicklungen der Literatur-Erscheinungen über Heinrich Müller sind spannender als jeder Krimi.