Nachahmung

PDF der Druckfassung aus Sezession 118/ Februar 2024

Götz Kubitschek

Götz Kubitschek leitet den Verlag Antaios

Der Sys­tem­wech­sel von 1990 hat­te ein Gefäl­le zur Fol­ge. Das poli­ti­sche Sys­tem der Ost­block­staa­ten hat­te gegen den libe­ra­len Wes­ten ver­lo­ren, und zwar nicht nur öko­no­misch. Die Sie­ger pla­zier­ten eine Erzäh­lung auch von der mora­li­schen Über­le­gen­heit der libe­ra­len Demo­kra­tie und for­der­ten zwei­er­lei: zum einen Nach­ah­mung des­sen, was den Wes­ten so über­le­gen mach­te, zum zwei­ten die Ein­sicht, daß es kei­ne System­alternative mehr geben werde.

Die­se Erzäh­lung vom »Ende der Geschich­te« (der titel­ge­ben­de Auf­satz des Poli­to­lo­gen ­Fran­cis Fuku­ya­ma war bereits im Som­mer 1989 erschie­nen) und von der end­gül­ti­gen Durch­set­zung des libe­ral­de­mo­kra­ti­schen Welt­zu­griffs ist der wirk­mäch­tigs­te »sozia­le Mythos« (Geor­ges Sor­el) der ver­gan­ge­nen Jahr­zehn­te. Er ermög­lich­te es den USA, ihre hege­mo­nia­len Plä­ne und Krie­ge zu einem »War to end all wars« zu sti­li­sie­ren, vom blu­ti­gen Cha­rak­ter der eige­nen Raub- und Erzie­hungs­feld­zü­ge abzu­len­ken und sie zu Befrei­ungs­vor­gän­gen zu erklären.

Es ist auf­schluß­reich, Ruß­lands Selbst­fin­dung ent­lang unter­schied­li­cher Nach­ah­mungs­hal­tun­gen zu beschrei­ben. Natür­lich ist die­ser Zugriff nicht hin­rei­chend. Aber er för­dert Ver­hal­tens­mus­ter zuta­ge, die sich – wie über­all – an der domi­nie­ren­den pro­pa­gan­dis­ti­schen Erzähl­kunst aus­rich­te­ten. Die­se Aus­rich­tung und For­mie­rung gehör­ten zum poli­ti­schen Besteck, egal für wie mün­dig, auto­nom und frei in ihren Ent­schei­dun­gen der ein­zel­ne und Kol­lek­ti­ve erklärt wer­den. Mobi­li­sie­ren­de Groß­erzäh­lun­gen sind und blei­ben in der Lage, Begeis­te­rung zu wecken, Kri­tik zum Ver­stum­men zu brin­gen und har­te Inter­es­sens­po­li­tik zu verschleiern.

Es ist das Ver­dienst der Poli­tik­wis­sen­schaft­ler Ivan Kras­tev und Ste­phen Hol­mes, in ihrem Werk über Das Licht, das erlosch mit der Selbst­ge­fäl­lig­keit des Wes­tens abge­rech­net zu haben. Die­ses Buch ist 2019 erschie­nen und war in unse­rer Zeit­schrift schon etli­che Male The­ma. Es liegt unse­rer geo­po­li­ti­schen Über­zeu­gung zugrun­de, daß eine mul­ti­po­la­re Welt­ord­nung gegen eine uni­po­la­re unter ame­ri­ka­ni­scher Hege­monialherrschaft nur durch­ge­setzt wer­den kann, wenn mit der Nach­ah­mung Schluß gemacht wird.

Um die The­se zusam­men­zu­fas­sen: Nach dem sys­te­mi­schen Zusam­men­bruch des Ost­blocks und der Bericht­erstat­tung über das gan­ze Aus­maß der dik­ta­to­ri­schen Unter­drü­ckung der betrof­fe­nen Völ­ker wur­de von sei­ten des Wes­tens Nach­ah­mungs­druck auf­ge­baut. Man kann das Jahr­zehnt bis zur Jahr­tau­send­wen­de als den Ver­such beschrei­ben, den Anfor­de­run­gen des Wes­tens gerecht zu wer­den und den je eige­nen Teil dazu bei­zu­tra­gen, daß das Gleich­stel­lungs­ver­spre­chen ein­ge­löst wer­de. Die Gut­gläu­big­keit in die red­li­chen Moti­ve der Sie­ger blieb auch dann noch auf­recht­erhal­ten, als sich Ent­täu­schung breit­zu­ma­chen begann.

Kras­tev und Hol­mes machen den gro­ßen Feh­ler des Wes­tens dar­in aus, daß die Nach­ah­mungs­for­de­rung bedin­gungs­los gestellt wur­de, also an bedin­gungs­lo­se Kapi­tu­la­tio­nen erin­ner­te, nach denen auf loka­le Tra­di­tio­nen kei­ne Rück­sicht zu neh­men war und hem­mungs­los Beu­te gemacht wer­den durf­te. Im Grun­de (und die Deut­schen wer­den als »Mus­ter­schü­ler« expli­zit genannt!) beinhal­te­te der Nach­ah­mungs­druck auch den Anspruch einer Umer­zie­hung und einer dau­er­haf­ten Über­wa­chung der Trans­for­ma­ti­ons­er­fol­ge in den unter­le­ge­nen Ländern.

Die­se unaus­ge­setz­te Kon­fron­ta­ti­on mit der eige­nen Min­der­wer­tig­keit und die Erkennt­nis, daß der gol­de­ne Wes­ten eine ent­setz­li­che, kal­te Kehr­sei­te habe, führ­ten, so Kras­tev und ­Hol­mes, zu Beginn des 21. Jahr­hun­derts zu Nach­ah­mungs­skep­sis, Nach­ah­mungs­ver­wei­ge­rung und sogar zu dem, was man als Nach­ah­mungs­ver­bot bezeich­nen könn­te: dem offe­nen Wider­spruch und Wider­stand gegen das libe­ral­de­mo­kra­ti­sche Sys­tem und gegen die Erzäh­lung vom Ende der Geschich­te und zur zunächst fra­gen­den, dann selbst­be­wuß­ten For­mu­lie­rung einer aus der eige­nen Tra­di­ti­on und Geschich­te her­rüh­ren­den poli­ti­schen Form.

Ruß­land sat­telt noch eine wei­te­re Spiel­art oben­drauf: die Nach­ah­mung des Ver­hal­tens einer Hege­mo­ni­al­macht näm­lich, die es sich eben­so wie die USA her­aus­neh­men dür­fe, vor und neben der eige­nen Haus­tür gewalt­sam für Ord­nung und Unge­stört­heit zu sor­gen. Wie weit der Radi­us »vor der eige­nen Haus­tür« gezo­gen wer­den kann, haben die USA unnach­ahm­lich gezeigt. Unnachahmlich?

 

Götz Kubitschek

Götz Kubitschek leitet den Verlag Antaios

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