Und alle dafür Verantwortlichen sind erschrocken und betroffen, wie gegenüber den gleichfalls desaströsen Ergebnissen von PISA, IGLU, IQB. Erschrocken, betroffen und entsetzt zu sein ist das, worauf sich die Berliner Republik am besten versteht, insbesondere im verstetigten Abwärtstrend.
Politisch verursacht nimmt der Kompetenzverlust an den Schulen proportional zur forcierten Einwanderung und den immer illusionäreren Versprechungen zu.
Wenn der den Mindeststandard verfehlende Teil der Viertklässler von zwölf Prozent 2011 auf heute neunzehn Prozent anwuchs und gleichzeitig die Spitzengruppe von zwölf auf acht Prozent schrumpfte, zeigt dies, dass all die teuren Programme, Studien und Evaluationen eben nicht die ersehnte Wende brachten – im Gegenteil. Der Fehler legt im System selbst:
Die Schule verkraftet die Zuwanderung nicht. Ihretwegen wuchs die Altersgruppe der Drei- bis Unter-sechs-Jährigen in zehn Jahren um 20, die der Grundschüler um 16 Prozent. Diese Jüngsten, für die frühe Bildung am wichtigsten wäre, treffen auf ein erschöpftes Bildungssystem mit Lehrermangel und Überalterung. Bisher brachten Sprach-Kitas und zusätzlich eingestellte Kräfte messbar offenbar gar nichts.
Die Schüler an den angeblich kindgerechtesten Schulen deutscher Bildungsgeschichte sind schwach, ihre Lehrer krank – in Mecklenburg-Vorpommern im Durchschnitt sechs Wochen im Jahr, eine ganze zusätzliche Sommerferienlänge. Hauptdiagnose Burn-out. Dieses Erschöpfungssyndrom kennzeichnet symptomatisch allerdings das ganze Land. Fatal: Wer was drauf hat, wird eher nicht Lehrer und meidet die Schule, nachdem er ihr selbst entronnen ist.
Im Kontrast dazu wirbt das Bildungsministerium im Nordosten mit kitschigen Landschaftskalender- und Lifestyle-Motiven um Lehrer, so als rissen dort tatsächlich die Sommerferien nie ab und Unterrichten wäre Nebensache.
Es werden immer schickere Heilsbegriffe ersonnen, mit denen sich die Kulturbürokratie selbst zu trösten versucht. Neuster Versuch ist das „Startchancenprogramm“, das Geld für Schulen in Brennpunktgebieten ausschüttet, also in den Regionen, die erst durch die Massenzuwanderung zu Problemvierteln wurden.
Die Millionen werden ebenso wirkungslos versenkt wie die Milliarden zuvor. Geld ausgeben fällt Regierungen leicht – auch für den DigitalPakt Schule. Wenn nur hohe Übertragungsgeschwindigkeiten gesichert und überall „Smart-Boards“ statt Metalltafeln angebracht sind, dann, so die Annahme, laufe auch die Bildung wie ein flottes Betriebssystem.
Apropos Digitalismus: Der „miniKIM-Studie“ zufolge hatte 2023 jedes fünfte Kleinkind von zwei bis fünf Jahren ein eigenes Tablet zur Verfügung, eine 50%ige Steigerung gegenüber 2020. Auch daß jedes zehnte Kind dieser Altersgruppe über ein eigenes Handy oder Smartphone verfügt, erhöhte die Schreib- und Lesekompetenzen bislang nicht, im Gegenteil.
Für die stereotyp beschworene „Demokratie“ müsste der Staat Kompetenzen vermitteln, die er – Variante zum Böckenförde-Diktum – nicht mal mehr minimal auszubilden versteht. Demokratie lebt vom Wort, vom Ausdrucksvermögen, vom sinnentnehmenden Textverständnis, von der Befähigung zum differenzierenden Urteil und zum Diskurs. Weil das kaum mehr gewährleistet werden kann und weil sowieso das Bekenntnis wieder wichtiger als die Erkenntnis ist, werden „Angebote in einfacher Sprache“ formuliert. Das reicht, darüber hinaus langt das Nachsprechen der neuen Gebote zu „Vielfalt und Toleranz“.
Statt mutig Ideen zu entwickeln und und das jahrzehntealte Dilemma konsequent zu beenden, geht es beständig nur um die Gelder und die Übertragungsvehikel. Damit läßt sich rechnen; das mögen Politiker.
Dabei bräuchte es ganz prinzipielle Veränderungen des Systems – vom pädagogischen Menschenbild bis hin zur Lehrerbildung und Unterrichtsgestaltung. Vor allem bedürfte es für die dringend notwendige Revision einer schonungslosen Ehrlichkeit, die nichts mehr schönredet und schönrechnet, sondern mit der Einsicht beginnt, nach wie vor leider völlig versagt zu haben.
Im letztjährigen schriftlichen Mathematikabitur Mecklenburg-Vorpommerns wurden zwanzig Prozent der Grundkursler mit null Notenpunkten bewertet; sie wiesen also keinerlei relevante Kenntnisse nach. Prompt gab der Staat allen einen Notenpunkt per Verordnung dazu, ebenso wie er vor drei Jahren gleich zwei Notenpunkte draufschlug, da die Ergebnisse noch schlechter waren. In diesem Jahr wird man mit versimpelten Abi-Aufgaben vorbeugen. Erfolge werden nicht mehr erarbeitet, sondern rein nominell per Dekret gesichert.
Genau das ist bislang der Weg: Noch mehr Milliarden in ein völlig dysfunktionales System kippen, in der Selbstsuggestion, dann wachse sich das schon irgendwie aus. Noch schickere Schulbauten errichten, noch bessere Technik hinein, aber ansonsten didaktisch und methodisch genau das verstärken, was seit den Siebzigern in das Desaster hineinführte.
Und vor allem: Inhalte ausdünnen, Anforderungen senken, Bewertungen inflationieren, Prüfungen niederschwellig einstellen, zumal am Ende nichts qualifiziert zu prüfen ist, wenn vorher immer weniger vermittelt wurde. Das einzige, was in Schulen intensiviert wird, sind Nachteilsausgleiche, Förderungen gemäß „sonderpädagogischer Förderbedarfe“ und die umfassende Ideologisierung. Außerdem schlägt die verkürzt verstandene Inklusion die Bestenförderung. Maßstab ist der Schwachmat, nicht der Hochleister mit der wachen Auffassungsgabe. Auch das gilt mittlerweile für das ganze Land.
Was hilft? Zurück zur Verbindlichkeit, zum Primat der Inhalte und zur Einheit von Bildung und Erziehung, mit der für Motivation und Leistungsbereitschaft gesorgt werden muss. Jeder hat die gleichen Chancen, auch die Zugewanderten. Also zählen der Wille der Schüler und ein Unterricht, der auf interessante Weise gründliches Wissen und anwendungsbereites Können ausbildet und durchaus konservativ zu bewährten Tugenden zurückfindet.
Nur damit ließen sich auch Berufsausbildung und Studium durchhalten, und die hohe Abbrecherquote würde endlich gesenkt. Eine verfestigte Konstante: Etwa zwanzig, mittlerweile bald dreißig Prozent aller Schüler sind seit Schulbeginn so abgehängt, daß sie beständiger Förderungen bedürften und ihnen die Ämter später zu Maßnahmekarrieren verhelfen müssen.
Aber anstatt mutig konservativ anzusetzen, vielleicht sogar mit einer frühen und starken Trennung der Bildungswege, wird die Legende gepflegt, Bildung hinge in Deutschland allzu sehr von der sozialen Herkunft ab. Ja, weshalb auch nicht? Kultivierte Elternhäuser, nicht unbedingt die reichsten, bieten ein gedeihliches Bildungsmilieu; dort gibt es Bücher, Anregungen, Zuwendung und vielleicht sogar ein Klavier.
Und die anderen? Die frühe Sozialdemokratie nahm es gerade als Ansporn, unterprivilegiert zu sein. In Arbeiterbildungsvereinen erwarb man eigeninitiativ Wissen für kulturelle Emanzipation. In der bündischen Jugend um 1900 gaben sich Schüler selbst eine Orientierung, Jugend sollte Jugend führen.
Heute undenkbar, ganz ähnlich der jüngst von Operettengeneral Pistorius daherphantasierten Wehrpflicht. Weder werden die „sozial Schwachen“ motiviert, sich selbst zu bewegen, was so durchaus auch für den Sport gilt, noch lassen sich irgendwo Strukturen erkennen, wo Jugend sich subkulturell selbst hilft oder gar einem starken Pflichtgedanken folgt.
Bisher ließ sie sich fördern, aber kaum fordern; bisher wurde sie sozialpädagogisch durchbetreut und dabei politisch indoktriniert. Wenn aber gerade auffallend viele Jugendliche AfD wählten, wenngleich in der Partei männliches Renter-Beige dominiert, zeigt sich darin vielleicht ein innerer Wiederbelebungsversuch, der dem linksgrünen Neubürgertum auch prompt als Schrecken in die Glieder fuhr.
Bildung jedenfalls, zumal im traditionell deutschen Verständnis des Wortes, also mindestens als Persönlichkeitsbildung, die an Weltwissen oder gar die alten Quellen anschließt und umfassende Zusammenhänge aufzeigt, gibt es in der Berliner Republik gar nicht mehr; es gibt, als Schrumpfform, noch eine Art Ausbildung, die aber, selbst im Krisenmodus, nicht an das heranreicht, was englisch oder amerikanisch mal unter education verstanden wurde.
Maiordomus
Betrifft: Bildung. Las die letzten zwei Jahre in höherem Umfang Briefwechsel aus der Zeit des Humanismus bezogen auf Deutschland, auch und zumal Elsass, England, Frankreich, Schweiz, Italien, Schweden, Polen, durchwegs lateinisch, wobei die Mehrheit der Gelehrten zur Reformationszeit nebst dem Baccalaureat noch den Magister Artium, vielfach ein Theologiestudium hatten und über 1000 von ihnen auch das Griechische und Hebräische beherrschten. Disputationen, auch zu Themen der Reformation, fanden lateinisch statt. Beim Lesen dieser Briefe kam mindestens ein Befund sicher zum Vorschein: sowohl bei den Altgläubigen, die damals angeblich auf einem Tiefpunkt ihrer Entwicklung waren wie auch bei den reformatorisch orientierten, untereinander zwar tief zerstritten, selbst bei den den Täufern nahe stehenden stand allein schon vom lateinischen Stil her und der jeweiligen Allgemeinbildung am Tage: Es handelte sich durchschnittlich um intelligente, wirklich oft hochintelligente Leute, wiewohl im Einzelfall für diesen oder jenen ideolog. Fanatismus anfällig und Polemik war sowieso oft Standard: aber das Bildungsniveau war zweifelsfrei höher als bei denjenigen, die heute Theologie studieren oder bei der Kirche, den Kirchen arbeiten, würde sagen: das schleckt leider keine Geiss weg. Imponierend auch der lat. Briefcorpus des Schweizer Protestanten Heinrich Bullinger mit 12 000 Briefen, alle die ich gelesen habe, auf einem aus heutiger Sicht unglaublichem Sprach-Niveau.