Im Umkreis (1): Die Irminsäule im Flenithigau

von Uwe Wolff -- PDF der Druckfassung aus Sezession 118/ Februar 2024

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Wun­der am Weges­rand gibt es über­all. Die Säu­le der alten Göt­tin Irmin gehört dazu. Sie mar­kiert noch immer einen hei­li­gen Ort. Zwi­schen Hil­des­heim und der Ros­wi­tha-Stadt Bad Gan­ders­heim steht im Fle­ni­thi­gau auf einem Hügel die Irmin­säu­le. Von hier aus geht der Blick ost­wärts auf den Bro­cken und den Harz, das Kern­land der Ottonen.

Bern­ward von Hil­des­heim war Reichs­bi­schof die­ser deut­schen Kai­ser, Bera­ter der Kai­se­rin Theo­pha­nu und Erzie­her ihres Soh­nes Otto III. Die­ser schenk­te sei­nem Leh­rer zur Bischofs­er­nen­nung einen Holz­split­ter vom Kreuz Chris­ti. Zur Ver­eh­rung die­ser Kon­takt­re­li­quie aller­ers­ten Gra­des ließ Bern­ward die Hil­des­hei­mer Michae­lis­kir­che errich­ten und zwei welt­be­rühm­te Bron­ze­güs­se anfer­ti­gen: eine Säu­le mit Bil­dern aus dem Leben Chris­ti und eine Tür mit den Moti­ven von Sün­den­fall und Erlö­sung. In die­ses Gesamt­kunst­werk inte­grier­te er eine Irminsäule.

Der Göt­tin Irmin geweih­te Bild­säu­len stan­den über­all im alten Sach­sen­land. Sie waren aus Eichen- oder Eschen­stäm­men errich­tet und an der Spit­ze mit Sym­bo­len der Frucht­bar­keit ver­ziert. Sil­ber- und Gold­schmuck wie­sen sie als hei­li­gen Ort aus. Die Säu­le bezeich­ne­te wie ­Ygg­dra­sil als Lebens­baum die Mit­te der Welt. »Irmin« kann mit »hei­lig« über­setzt werden.

Jacob Grimm nennt in sei­ner Deut­schen Mytho­lo­gie den noch in der Gene­ra­ti­on unse­rer Groß­el­tern belieb­ten weib­li­chen Vor­na­men Irm­gard. Er bezeich­net den hei­li­gen Gar­ten oder das Para­dies. Aus der vor­christ­li­chen Zeit in Sach­sen, wie das heu­ti­ge Nie­der­sach­sen damals genannt wur­de, gibt es kei­ne Doku­men­te über die errich­te­ten Säulen.

Jacob Grimm glaubt zu wis­sen: »es war eine gros­se höl­zer­ne seu­le auf­ge­rich­tet, unter frei­em him­mel ver­ehrt, ihr name Irmins­eul sagt aus: all­ge­mei­ne, alles tra­gen­de seu­le. irman­sûl ist die gros­se, hohe gött­lich­ver­ehr­te bild­s­eu­le; dass sie einem ein­zel­nen gott geweiht war, liegt nicht in dem aus­druck selbst.« Vie­le Säu­len sol­len eine Skulp­tur der Göt­tin Irmin getra­gen haben. Davon ging Bern­ward von Hil­des­heim aus, als er den Stamm einer Irmin­säu­le unter einem Rad­leuch­ter, einem Sym­bol des wie­der­ge­fun­de­nen Para­die­ses, instal­lie­ren ließ und mit einer Sta­tue der Mut­ter­got­tes krönte.

Die Stär­ke des Katho­li­zis­mus liegt in sei­ner inte­grie­ren­den Kraft alter Kul­te und Göt­ter. Nicht jeder Mis­sio­nar des Nor­dens besaß die­sen Blick aufs Gan­ze. So ver­lief die Sach­sen­mis­si­on blu­tig, als Kai­ser Karl eine Irmin­säu­le fäl­len ließ. Ernst Bert­ram, einer der letz­ten his­to­risch gebil­de­ten Bischö­fe, beschreibt in sei­ner unüber­trof­fe­nen Geschich­te des Bis­tums Hil­des­heim (1899) die Sinn­lo­sig­keit die­ses unsen­si­blen Umgangs mit Geschich­te. Sie wur­zelt letzt­lich in einer Miß­ach­tung der Tra­di­ti­on, die immer grö­ßer ist und bleibt als der Zeit­geist. »Dann drang das Fran­ken­heer in den geweih­ten Hain im nahen Egge­gebirge (süd­lich von Alten­be­ken), wo ein gewal­ti­ger Stamm, die Irm­in­sul, ver­ehrt wur­de als Welt­baum, der das Welt­all tra­ge. Die­ses Heilig­thum mit sei­nem Welt­bau­me sank hin unter den ver­nich­ten­den Schlä­gen der frän­ki­schen Bei­le. Die meis­ten Gaue bis in Engern hin­ein unter­war­fen sich. Doch kaum war Karl fort­ge­zo­gen, da ver­nich­te­te ein Rache­zug der Sach­sen die Erfol­ge sei­nes Sieges.«

Im Süden des Hil­des­hei­mer Lan­des, wo ­Wil­helm Busch in dem klei­nen Ort Mechts­hau­sen sei­ne letz­ten Lebens­jah­re ver­brach­te, lebt die­se gesun­de Wider­stän­dig­keit noch immer in dem win­zi­gen Ort Irmenseul. Hier am his­to­ri­schen Rennstieg haben die Bewoh­ner auf dem hei­li­gen Hügel eine neue Irmin­säu­le errich­tet. Der Schmuck an der Spit­ze des Eichen­stam­mes ist natür­lich nicht his­to­risch, aber durch­aus sinn­fäl­lig. Er zeigt ein Kreuz in der Mit­te eines mit Blu­men geschmück­ten Ähren­kran­zes. Damit wird der alte Lebens­baum zum Para­dies­baum. Aus sei­nem Holz, wuß­te einst die Kir­che, wur­de das Kreuz Chris­ti gezimmert.

Die Irmin­säu­le im Fle­ni­thi­gau ist umge­ben von dem Irmenseu­ler hei­li­gen Holz und dem Har­barn­ser hei­li­gen Holz. Zwi­schen die­sen hei­li­gen Orten liegt das Tal des Dra­chen (»Wurmsdahl«). Es gibt kein Hei­lig­tum ohne Wider­sa­cher. Als vor eini­gen Jah­ren ein Inves­tor in die­sem Natur­schutz­ge­biet ein Bubble-Hotel errich­ten woll­te, erfuhr er den ent­schie­de­nen Wider­stand der Dorf­be­woh­ner. Hei­li­ge Orte müs­sen geschützt wer­den. Das gilt für alle Berei­che Lebens. Wis­sen wir noch, was uns hei­lig ist?

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