Nach den Wahlerfolgen zur Europawahl und einer mehr als soliden ersten Runde der Parlamentswahlen hoffte man beim Rassemblement National (RN) auf ein politisches Erdbeben, welches Marine Le Pen und ihren Frontmann Jordan Bardella endlich den Zugang zur Macht eröffnen sollte.
Der RN geht am Ende mit dem höchsten absoluten (8 Millionen) und prozentualen (32,1%) Stimmenanteil aller Parteien dennoch nur als Drittplatzierter vom Feld. Grund 1 dafür sind die Tücken des französischen Mehrheitswahlsystems, welches einen Parlamentssitz nur durch den Gewinn eines Wahlkreises ermöglicht.
Grund 2 ist eine sogenannte „Republikanische Front“ von linken Kommunisten bis hin zu Liberalen, die sich als „Anti-Le Pen Allianz“ formierten. Der RN konnte zwar auch 54 Sitze in der Nationalversammlung dazugewinnen, aber blieb dennoch weit unter den Erwartungen einer möglichen absoluten Mehrheit.
Bereits im Vorfeld war für die meisten politischen Beobachter unklar, ob sich zwischen Macrons Bündnis „Ensemble“ und dem linken Parteienblumenstrauß des Bündnisses der „Nationalen Volksfront“ nach dem ersten Wahlgang überhaupt eine taktische Wählerkoalition schmieden ließe.
Zunächst mußten in einer Mehrheit aller Wahlkreise die Drittplatzierten des ersten Wahlgangs zugunsten des Zweitplatzierten ihre Kandidatur zurückziehen, um somit einen Durchmarsch des RN zu verhindern. In etwa der Hälfte aller Wahlkreise gelangen derartige Vereinbarungen und Absprachen.
Zweitens mußten solche Planspiele auch für den Wähler überzeugend transportiert werden. In 215 Wahlkreisen kam es zu Rückzügen des jeweils aussichtsreicheren Ensemble- (Macron Bündnis) oder NFP- (linke Volksfront) Kandidaten. Die republikanische Front erwies sich somit als außerordentlich effizient.
Die Wählerschaft von Macrons Partei, die mit ihrem wirtschaftsliberalen Profil als programmatisches Pendant zur deutschen FDP gesehen werden kann, mußte in zahlreichen Wahlkreisen einen kommunistischen Kandidaten unterstützen, und umgekehrt mußten in anderen Wahlkreisen linke Wähler das ihnen eigentlich verhaßte Macron-Bündnis über die Ziellinie tragen.
Seit gestern Abend wissen wir nun, dass dieses Kalkül für Macron und das Linksbündnis aufgegangen ist.
Die zweifellos gewachsene Normalisierung des RN in der französischen Parteienlandschaft und die damit einhergehenden erweiterten Mobilisierungsräume konnten den nach wie vor stabilen „Cordon-Sanitaire-Bunker“ nicht aufbrechen. 72% der Anhänger des linken NFP-Bündnisses unterstützten im zweiten Durchgang in ihren Wahlkreisen den Ensemble-Kandidaten. Entgegengesetzt gaben immerhin mehr als die Hälfte der Ensemble-Wähler einem Kandidaten aus dem Linksbündnis ihre Stimme. Der Faktor der höchsten Wahlbeteiligung bei einer Parlamentswahl seit mehr als 20 Jahren dürfte diese taktischen Spielzüge zusätzlich begünstigt haben.
All dies zeigt, daß die Angst vor einer RN-Machtübernahme nach wie vor groß ist und sie jederzeit aktiviert werden kann. Le Pen steht vor einer strukturellen Barriere, die vor allem durch demographische und soziale Prozesse wie der ethnischen Wahl und der Urbanisierung stets weiter gefestigt wird. Auch wenn die Wahlkarten sich sowohl nach der Europawahl als auch der ersten Parlamentswahlrunde in einem dunklen blau einfärbten, gilt die alte Regel: Land wählt nicht!
Am Wahlabend hielt sich Le Pen mit Statements weitgehend zurück und überließ es ihrem Schützling Jordan Bardella, diesen Rückschlag zu erklären. Sie will sich aus der Schußbahn nehmen, um die innerparteiliche Unterstützung für ihr Lebenswerk einer Präsidentschaft im Jahr 2027 nicht zu gefährden. Der Preis, den die französische Rechte für diese Präsidentschaft zahlt, wurde im Zuge dieser Parlamentswahl einmal mehr in die Höhe getrieben.
Der RN mag sich als parteipolitischer Platzhirsch der französischen Rechten behaupten, doch er hat es sich mit seinen potentiellen Bündnispartnern von Zemmour bis zu den konservativen Republikanern verscherzt.
Sowohl die Republikaner als auch Reconquete können nach dieser Parlamentswahl nur noch einen politischen Scherbenhaufen zusammenfegen. Damit mag die interne Konkurrenz Le Pens strukturell neutralisiert sein, doch dadurch wird es für die Rechte auch schwieriger, gewisse urbane und bürgerlich-intellektuelle Milieus an sich zu binden, für die sowohl Zemmour als auch die Republikaner ein attraktives Angebot gewesen sind.
Gewiß überwiegen für den RN jetzt die strategischen Chancen. Kaum jemand in der französischen Politik glaubt an die langfristige Stabilität des linken NFP-Bündnisses. Der gemeinsame Nenner war die RN-Verhinderungstaktik und die gleichzeitige Scheinwahrung einer Ablehnung von Macron. Eine aktive politische Vision, unter der sich alle Akteure vereinen könnten, kann die französische Linke jedoch nicht vorweisen. Neuerliche Spannungen und Spaltungen sind vorprogrammiert.
Auch für die Liberalen unter Macron ist die Situation nicht einfacher geworden. Macron rechnete wohl kaum damit, dass die Linke innerhalb kürzester Zeit ein eigenes Bündnis schmieden würde und hoffte auf eine Zerstreuung der linken Kräfte. Nun wird er auf fragile Mehrheiten zwischen seiner Partei und einigen moderaten linken Akteuren hoffen, die über die kommenden Jahre wahrscheinlich immer wieder zerbrechen und dann neu aufgebaut werden müssen. Politisch stabile und langfristige Allianzen sind im französischen Parlament eher unwahrscheinlicher geworden.
Der RN kann in dieser Lage vor allem sein Oppositionsprofil stärken und dieses noch stärker als Mobilisierungsressource nutzen. Le Pen und Co werden weiterhin auf enttäuschte linke Wähler hoffen, die die erwartbaren Kooperationen mit Macron als Verrat ansehen. Zugleich wird Ensemble mit Macron als präsidialem Zugpferd 2027 wahrscheinlich implodieren. Auch dort fehlt es an Vision und Strategie für die Post-Macron-Ära.
Setzt man die Prämisse von einem wachsenden RN und einer gleichzeitig fragmentierten Parteienlandschaft voraus, stellt sich nun die Frage, ob Le Pen eher von der gesellschaftlichen Polarisierung oder dem weiteren Zugehen auf die politische Mitte profitieren wird.
Wie viele taktische Opfer kann sich der RN noch leisten, um einerseits nicht den inneren Parteifrieden überzustrapazieren und zugleich auch inhaltlich-programmatisch als dezidiert rechtes und alternatives politisches Projekt wahrgenommen zu werden?
Hinzu kommt die Frage, was Le Pen, an der Macht angekommen, dann der französischen Rechten bieten möchte. Denn wer sich für den Machtgewinn entdämonisiert, wird diese Entdämonisierung auch für den Machterhalt weitertreiben. Das Paradebeispiel dafür können wir bei Meloni in Italien beobachten.
RMH
Ein deartiges Schicksal wird mit hoher Wahrscheinlichkeit auch die AfD bei den Wahlen im Herbst in den neuen Ländern ereilen. Mit siegt nominell, aber am Ende bleibt es beim Katzentisch, der dann eben überbelegt ist. BSW als Kanal funktioniert offenbar. Einzig dem Bundesland Sachsen traue ich eine Überraschung zu. Und Macron ist das, was man in Bayern unter "ein Hund is er scho", bezeichnet. Unter dem Strich hat er sein Land leider nach links getrieben. Das die Franzosen nicht erst nach Ende der jetzt begonnen Wahlperiode wählen werden sondern vorher, liegt aber nahe.
PS: Ich kann das Herumhacken auf Meloni langsam nicht mehr ab. Die Frau erreicht mehr für ihr Land, als alle hier an ihr Herumnörgelnden sich für Deutschland nur träumen können - und wir bezahlen dennoch weiterhin für Italien (Volltreffer!). Das sie das Recht auf Abtreibung aus der G7 Schlusserklärung nehmen lies, kann man nicht oft genug hervorheben. Damit hat sie Macron und U. von der Leyen eine gewatscht.