Beide waren sich bewußt, daß diese Frage vor dem Hintergrund des Ukrainekrieges einer ganz besonderen Abwägung bedarf. Denn im Unterschied zum Kalten Krieg und den Jahren nach der Wiedervereinigung ist Deutschland durch Waffen- und Ausbildungshilfe zumindest mittelbar an einem Krieg beteiligt, der auf dem eigenen Kontinent stattfindet und der zudem keine lokal begrenzte Strafaktion ist, sondern Weltkriegspotential hat.
Die Rechte ist traditionell für die Wehrpflicht, weil sie darin einen Garanten für die staatliche Souveränität und die Rückbindung des Bürgers an sein Volk sieht. Das klingt vielleicht etwas hochgestochen, meint aber nichts anderes, als daß durch das Opfer des Wehrdienstes und die daraus resultierende Wehrbereitschaft der Bürger erst wirklich zum Staatsbürger wird. Deshalb steht im AfD-Grundsatzprogramm:
Die AfD tritt dafür ein, für alle männlichen deutschen Staatsbürger im Alter zwischen 18 und 25 Jahren den Grundwehrdienst wieder einzusetzen.
Die Beschränkung auf die Männer folgt der Einsicht in die biologischen Tatsachen.
Die aktuell in Deutschland stattfindende Debatte hängt natürlich mit dem Ukrainekrieg zusammen, der die Defizite der militärischen Nachwuchsgewinnung in Sachen Qualität und Quantität offensichtlich gemacht hat. Favorisiert wird vom Verteidigungsminister das sogenannte Schwedische Modell. Worum handelt es sich?
Auch die Schweden hatten 2011 die Wehrpflicht abgeschafft und 2017 als Ersatz ein Modell eingeführt, das mit einer eigentlichen Wehrpflicht nicht viel zu tun hat. Jeder 18jährige bekommt in Schweden zum Geburtstag Post vom Staat. Es handelt sich um einen umfangreichen Fragebogen, der ausgefüllt werden muß (wobei unklar ist, was im Weigerungsfall passiert). Die besten 20 Prozent bekommen eine Einladung zu einem Auswahltraining, wovon wiederum 8 Prozent ein Angebot zum Wehrdienst von zehn, zwölf oder fünfzehn Monaten erhalten.
Eine Auslese daraus ist für Führungspositionen vorgesehen. Als Anreiz wird erwähnt, daß ehemalige Soldenten auf dem Arbeitsmarkt beliebt seien.
Es geht also nicht um Wehrpflicht, sondern darum, eine bessere Auswahl an Freiwilligen treffen zu können. Denn allgemeine Wehrpflicht bedeutet: Jeder, der nicht krank ist, muß Dienst an der Waffe oder Ersatzdienst leisten. Das Verteidigungsministerium schreibt:
Das neue Wehrdienst-Modell soll helfen, die Aufwuchs- und Durchhaltefähigkeit der Bundeswehr sicherzustellen. Es setzt auf eine Auswahl nach Eignung und Motivation und vorwiegend auf Freiwilligkeit. Wichtig: Es geht nicht um die Wiedereinführung der alten Wehrpflicht. Stattdessen soll mit einer einfachgesetzlichen Änderung noch in dieser Legislatur die Grundlage für den „Neuen Wehrdienst“ geschaffen werden.
Es soll also ähnlich laufen wie in Schweden: Jeder bekommt zum 18. Geburtstag einen Fragebogen zugeschickt, den Männer beantworten müssen, Frauen können. Diese „direkt Ansprache“ beschränkt sich nicht auf den Fragebogen, sondern soll Werbung für den Dienst, eine Erläuterung der Bedrohungslage durch Rußland und einen Appell für die Notwendigkeit des Wehrdienstes enthalten.
Ein Teil der Männer bekommt dann die Aufforderung zur Musterung, wobei unklar ist, ob die Pflicht besteht, dieser Aufforderung Folge zu leisten. Aus den Gemusterten werden die Geeignetsten ausgewählt. Auch hier bleibt unklar, ob es eine Verpflichtung geben wird, denn das Verteidigungsministerium spricht ausdrücklich von „Wehrpflichtigen“.
Die Zahlen sind klein: Im ersten Jahr nach Einführung soll es 5000 Stellen für Wehrpflichtige geben, die zwischen 6 und 23 Monaten dienen sollen. (Zum Vergleich: 1973 wurden in der BRD 230.000 Wehrpflichtige einberufen, in den 2000ern sank die Zahl von 140.000 auf 70.000). Ziel ist laut BMVg die Schaffung einer Reserve und Rekrutierungsmöglichkeiten für längerdienenden Nachwuchs.
Angesichts solcher Planungen stellt sich die Frage nach der Wehrgerechtigkeit, die auch bei der Aussetzung der Wehrpflicht eine Rolle spielte. Denn schon damals wurde nur noch ein Bruchteil der jungen Männer zur Bundeswehr einberufen, was das ganze System ad absurdum führte.
Seither sind Ideologisierung und Durchleuchtung umfassend geworden, und man kann sich ausrechnen, daß AfD-Mitglieder, Burschenschafter oder Neue Rechte vermutlich für wehrunwürdig befunden würden. Das ist bereits heute der Fall, wenn es darum geht, als Reserveoffizier beordert zu werden.
Außerdem ist die Frage nach der Dauer der Ausbildung zu beantworten. Deren Herabsetzung auf zehn und schließlich sechs Monate hatte der Wehrpflicht den Todesstoß versetzt: In so knappen Zeiträumen ist eine Ausbildung nicht möglich, wenn Soldaten auf das Gefecht angemessen vorbereitet sein sollen.
Hinzu kommen aus liberalen Kreise Hinweise darauf, was die Einführung einer Wehrpflicht volkswirtschaftlich kosten würde:
17,1 Milliarden Euro würde es die deutsche Gesamtwirtschaft kosten, wenn man eine Wehrpflicht einführen würde, die in etwa der 2011 ausgesetzten Regelung entsprechen würde, hat das Ifo-Institut errechnet. In diesem sogenannten 25-Prozent-Szenario würde etwa ein Viertel jeder Alterskohorte zum Wehr- oder Ersatzdienst eingezogen, das entspräche etwa 195.000 Personen pro Jahr.
Aus der Generalität gibt es positive Reaktionen auf den Vorstoß des Verteidigungsministers:
Wenn die Erkenntnis gilt, dass ich Sicherheit nicht an Streitkräfte outsourcen kann, es also ein gesamtstaatlicher und gesamtgesellschaftlicher Auftrag ist, dann müssen wir etwas tun. Ich persönlich, Joachim von Sandrart, bin ein großer Verfechter von einem gesellschaftlichen Pflichtjahr, geschlechterübergreifend. Denn Resilienz geht über das Militär hinaus, dafür braucht es auch die Blaulichtorganisationen, das Gesundheitswesen und vieles mehr.
Allerdings wird auch hier nicht von einer allgemeinen Wehrpflicht gesprochen, sondern von einem Pflichtjahr für alle, das auch Tino Chrupalla im Sommerinterview erstrebenswert nannte. Damit wäre es allerdings noch leichter, unliebsame Männer von der Waffe fernzuhalten und sie dennoch zu Dienstleistungen zu verpflichten. Der Zusammenhang von Wehrfähigkeit und Dienstpflicht wäre damit zerrissen und der Zugriff des Staates auf seine Bürger wäre total.
Natürlich dient der Verweis auf eine allgemeine Dienstpflicht auch dazu, den Ernst des Dienstes an der Waffe zu verschleiern. Es ginge nicht um das Kämpfen, um das Töten und die Gefahr, getötet zu werden, sondern um einen Dienst, der vor allem aus dem Büro heraus erfolge.
Der Generalinspekteur der Bundeswehr, General Breuer, sinniert schon über eine Wehrpflicht für Frauen:
Wir haben im Moment eine ausgesetzte Wehrpflicht, die laut Grundgesetz allein auf die männliche Bevölkerung zielt. Hier sollte man Gleichberechtigung herstellen, aber dazu brauchen wir erst eine entsprechende politische und gesellschaftliche Diskussion.
Ein schönes Beispiel für den Versuch dieser Diskussion ist der Beitrag einer ehemaligen Kampfpilotin:
Der archaische Stellungskrieg in der Ukraine hat mit unseren Fähigkeiten und Konzepten nichts zu tun – moderne Kriegsführung ist technisch, ist virtuell. Deswegen flehen ukrainische Politiker ja jeden Tag um unsere Waffensysteme. Die Bundeswehr benötigt heutzutage kein ungelerntes „Kanonenfutter“ mehr. Für unsere Verteidigung braucht es clevere Profis: Techniker, Ingenieurinnen, Operateure, Cyberexpertinnen. In den wenigsten Bereichen kommt es auf die Fähigkeit zum Sprint an – aber immer auf das Gehirn. Es macht also Sinn diese individuellen Fähigkeiten und nicht die Geschlechtsorgane zu überprüfen.
Solches angesichts des Kriegsgeschehens in der Ukraine zu behaupten, ist nicht mehr nur naiv, sondern längst Propaganda. Damit wird die alte Formel vom „Beruf wie jeder andere auch“ wieder aufgenommen, mit der die Bundeswehr in den späten 1990er Jahren für Nachwuchs warb. Was damals schon nicht stimmte, aber der Realität einer Friedensarmee entsprach, ist heute eine glatte Lüge.
Für die Rechte stellt sich bei der Wehrpflicht eine andere Frage: Ist eine Institution, die aus allgemeinen, staatspolitischen Erwägungen heraus, befürwortet wird, auch dann unterstützenswert, wenn die falschen Leute darüber bestimmen, in welcher Form und zu welchem Zweck diese Institution unterhalten wird?
Aus den Äußerungen von Chrupalla und Weidel spricht ja die Sorge, die neuen Bellizisten von FDP und Grünen könnten unsere Kinder für den amerikanischen Hegemon in den Krieg schicken. Diese Sorge ist zunächst unbegründet, denn auch zu Wehrpflichtzeiten war der Auslandseinsatz freiwillig. Allerdings hat die „Zeitenwende“ eine Dynamik gewonnen, die, aus moralischen Gründen, über solche Feinheiten vielleicht bald hinweggeht.
Werner42
Eine moderne allgemeine Dienstpflicht ist absolut erstrebenswert. Es ist deutlich sinnvoller die jungen Menschen nicht auf obskure Weltreisen zu schicken (auf denen übrigens gar nicht so wenige Probleme bekommen, weil Erfahrungen der Einsamkeit und Selbstorganisation serh überfordernd sein können), sondern Erfahrungen im sozialen Bereich oder eben auch in der Bundeswehr zu sammeln.
Meine Tochter ist in ihrem FSJ (Krankenhaus und Pflegeheim fiftyfifty) sehr gewachsen und reifer geworden. Das sie doch studieren will ist ihr erst in dieser harten Praxiserfahrung klar geworden.
Ganz klar ist es wichtig realistische Vorstellungen vom Kriegseinsatz zu entwickeln. Gerde die Ukraine beweist, das es saubere Technokriege nicht gibt, je verbissener gekämpft wird umso "traditioneller" und blutiger wird das ganze.
Aber damit zu verknüpfen, das Frauen das nicht können ist ja Quatsch. Israel beweist das Gegenteil. Aber natürlich ist der Anteil der Männer in den Kampfeinheiten auch in Israel höher, aber es macht natürlich Sinn Frauen da einzusetzen wo sie performen können und auch wollen, damit genügend kampfwillige Männer verfügbar sind. Die Briten und die Sowjetunion haben das ja sehr klar im Zweiten Weltkrieg vorgemacht.
Grundsätzlich ist zu beobachten das sich junge Frauen heute deutlich anders entwickeln, es gibt einen Typus toughe junge smarte Frauen die z.b. in der sozialen Arbeit mindestens so gut wie Männer auch in unschönen Arbeitsgebieten performen.