Thesen zum Rechtsstaat – Idee und Realität

Dieser Text Dr. Thor von Waldsteins erscheint hier aus gegebenem Anlaß und in einer Kurzfassung. Vollständig und mit genauen Belegen war er in der 119. Sezession abgedruckt, von der noch wenige Hefte erhältlich sind, und zwar hier. Eine wesentlich erweiterte und um ausführliche Anmerkungen vermehrte Textversion wird im September dieses Jahres in der Reihe Kaplaken des Verlags Antaios erscheinen.

Der Begriff des Rechts­staats ist in aller Mun­de, heut­zu­ta­ge noch mehr als zur Zeit sei­nes Auf­kom­mens in der ers­ten Hälf­te des 19. Jahr­hun­derts. Und doch ver­mag nie­mand genau zu sagen, was er eigent­lich bedeu­ten soll. Tat­säch­lich ver­knüp­fen sich mit der „poli­tisch-kämp­fe­ri­schen Nen­nung und Anru­fung“ des Rechts­staats, so der Rechts­phi­lo­soph Horst Dreier,

in sinn­va­ri­ie­ren­der und gene­ral­klau­sel­ar­ti­ger Wei­se […] Gedan­ken einer Gerech­tig­keit des Rechts, der Hegung und Ratio­na­li­sie­rung poli­ti­scher Herr­schaft und ihrer Aus­übung nach Recht und Gerech­tig­keit, des Stils umfas­sen­der Form­bin­dung und (auch) dadurch bewirk­ter Begrenzt­heit allen staat­li­chen Handelns.

Wesent­lich sei,

daß dem Rechts­staats­be­griff ein über­schie­ßen­des Moment empha­ti­scher Qua­li­tät inne­wohnt, das sich durch defi­ni­to­ri­sche Eng­füh­run­gen nicht end­gül­tig ban­nen lässt.

Die unge­bro­che­ne Kon­junk­tur des Rechts­staats­be­griffs bei dem Volk, das, als ande­re Ame­ri­ka ent­deck­ten, erst ein­mal ein Reichs­kam­mer­ge­richt begrün­de­te (1495), mag eini­ges zu tun haben mit jenem, so Hegel,

edle[n] Zug im deut­schen Cha­rak­ter, daß das Recht über­haupt, sein Grund und sei­ne Fol­gen mögen auch geschaf­fen seyn wie sie wol­len, ihm so etwas hei­li­ges ist.

Die­se Über­schät­zung des „rei­nen Rechts“ gehört zum ger­ma­ni­schen Erbe der Deut­schen; ihr ent­springt das „rüh­ren­de Legalitätsbedürfnis“(Rudolf Smend) und das bis­wei­len gro­tes­kes Ver­lan­gen, buch­stäb­lich alles in die For­men des Rechts gie­ßen zu wollen.

Mit die­ser Lei­den­schaft für das Recht hängt der selt­sa­me Umstand zusam­men, daß der Staat in nuce, also ohne schmü­cken­de Attri­bu­te und Eigen­schafts­be­schrei­bun­gen, in den übli­chen Dis­kurs­for­ma­ten die­ses Lan­des kaum mehr vorkommt:

Der Staat ist nicht schon als Staat […], son­dern erst als Rechts- und Sozi­al­staat ver­tei­di­gens­wert […]. Man muß mit der Wahr­schein­lich­keit rech­nen, daß die Bewoh­ner der BRD nicht blo­ße Staat­lich­keit, son­dern erst Rechts- und Sozi­al­staat­lich­keit als die­je­ni­gen Wer­te des Gemein­we­sens betrach­ten, die es ihnen teu­er machen

notier­te der Rechts­wis­sen­schaft­ler Her­bert Krü­ger. Dem ent­spricht eine poli­ti­sche Hal­tung, die sich der Illu­si­on hin­gibt, mit inni­gen Rechts­staats­für­bit­ten den Her­aus­for­de­run­gen begeg­nen zu kön­nen, denen der moder­ne Staat im Lau­fe des 21. Jahr­hun­derts aus­ge­setzt sein wird und die als „total span­nend“ zu bezeich­nen ver­ant­wor­tungs­frei­en Zeit­ge­nos­sen vor­be­hal­ten bleibt.

Zu die­ser Blau­äu­gig­keit des Bür­gers paßt auf wis­sen­schaft­li­cher Ebe­ne eine auf intro­ver­tier­te Rechts­staat­lich­keit redu­zier­te Staats­rechts­leh­re, die ver­ges­sen hat, daß die Selbst­be­haup­tung eines Staats mit wirk­lich­keits­ent­rück­ten Schön­wet­ter­vo­ka­beln nicht bewerk­stel­ligt wer­den kann. Mit­tels einer juris­ti­schen Pas­se­par­t­out­for­mel läßt sich jeden­falls ein poli­ti­sches Ziel wie die Schaf­fung und die Erhal­tung eines hand­lungs­fä­hi­gen, eines im Inne­ren gerech­ten und nach außen bestands­kräf­ti­gen Staats nicht erreichen.

Im Lich­te die­ser Pro­ble­ma­tik unter­neh­men die nach­fol­gen­den The­sen den Ver­such, den lan­gen Weg des Rechts­staats vom heh­ren Ver­fas­sungs­ide­al des Vor­märz bis zu den Nie­de­run­gen begriff­li­cher Pro­mis­kui­tät in der spä­ten Bun­des­re­pu­blik nachzuzeichnen.

The­se 1: „Rechts­staat“ ist ein kon­kre­ter, in einer bestimm­ten geschicht­li­chen Epo­che des 19. Jahr­hun­derts ent­stan­de­ner und an die­se Epo­che gebun­de­ner poli­ti­scher Kampf­be­griff des deut­schen Bürgertums.

Der Begriff des Rechts­staats, der schon 1809 bei Adam Mül­ler („wah­rer orga­ni­scher Rechts­staat“) und 1813 bei C. Th. Welcker (Rechts­staat als „Staat der Ver­nunft“) auf­ge­taucht war, wur­de dann 1828 von Robert von Mohl in die all­ge­mei­ne staats­recht­li­che und poli­ti­sche Dis­kus­si­on ein­ge­führt. Bei von Mohl erscheint der Rechts­staat „als der ratio­nel­le, ver­stan­des­mä­ßi­ge Staat“, der sei­ne Tätig­keit auf das Not­wen­digs­te beschränkt. Von Mohl präg­te somit – getreu den maß­geb­lich von Adam Smith beein­fluß­ten wirt­schafts­po­li­ti­schen Anschau­un­gen sei­ner Zeit – den Begriff eines for­mel­len Rechts­staats, eines Staats, der Rechts- und Frie­dens­ord­nung garan­tiert, der aber alles Wei­te­re dem frei­en Spiel der gesell­schaft­li­chen Kräf­te überläßt.

Die For­ma­li­sie­rung des Rechts­staats­ge­dan­kens auf die Spit­ze trei­bend, schrieb Fried­rich Juli­us Stahl dann 1847:

Mit dem Cha­rak­ter des Rechts­staats ist über­haupt nur die Unver­brüch­lich­keit der gesetz­li­chen Ord­nung gege­ben, nicht aber ihr Inhalt,

um dann in den 1850er Jah­ren die heu­te noch meist zitier­te Magna Char­ta des Rechts­staats wie folgt zu fassen:

Der Staat soll Rechts­staat sein […]. Er soll die Bah­nen und Gren­zen sei­ner Wirk­sam­keit wie die freie Sphä­re sei­ner Bür­ger in der Wei­se des Rechts direkt genau bestim­men und unver­brüch­lich sichern und soll die sitt­li­chen Ideen von Staats wegen, also direkt, nicht wei­ter ver­fol­gen, als es der Rechts­sphä­re ange­hört, d. i. bis zur not­wen­digs­ten Umzäu­nung […] er bedeu­tet über­haupt nicht Ziel und Inhalt des Staats, son­dern nur Art und Cha­rak­ter, die­sel­ben zu verwirklichen.

Hier­durch wur­de ein Sys­tem von Garan­tien für die Frei­heit des Indi­vi­du­ums geschaf­fen, des­sen wesent­li­che Eigen­schaft die umfas­sen­de Zäh­mung der poli­ti­schen Gewalt eines Staats ist, in dem „der Geset­zes­be­griff kar­di­na­le Bedeu­tung” erhält und “zur Ach­se der rechts­staat­li­chen Ver­fas­sung“ wird.

Im Buch des Rechts­staats sind danach Spiel­re­geln fest­ge­legt, wie die Indi­vi­du­en unter­ein­an­der und wie das Indi­vi­du­um mit dem Staat (et vice ver­sa) zu ver­keh­ren hat. Daß der Mensch jen­seits einer sol­chen blo­ßen Ver­kehrs­ord­nung posi­tiv nach über­in­di­vi­du­el­len Idea­len strebt, die er nicht als ein­zel­ner, son­dern nur in Gemein­schaft mit ande­ren ver­wirk­li­chen kann, wird von einer sol­chen ganz im Nega­ti­ven ver­har­ren­den Staats­leh­re verkannt.

Eben­so­we­nig wird die Fra­ge beant­wor­tet, wer für den Bestands­er­halt eines sol­chen Rechts­staats nach außen gera­de­ste­hen soll, eines Rechts­staats, der nicht von Luft, Lie­be und rei­nem Recht lebt, son­dern der dar­auf ange­wie­sen ist, daß sich im Ernst­fall Per­sön­lich­kei­ten und – im Kriegs­fall – jun­ge Män­ner für ihn ganz jen­seits eige­ner (öko­no­mi­scher) Inter­es­sen einsetzen.

Trotz die­ser blin­den Fle­cken ent­wi­ckel­te sich der Rechts­staats­be­griff auf­grund sei­ner rhe­to­ri­schen All­zweck­ei­gen­schaf­ten zu „eine[r] der Haupt­waf­fen aus dem poli­ti­schen Arse­nal des bür­ger­li­chen Libe­ra­lis­mus des 19. Jahr­hun­derts“ (Wolf­gang J. Momm­sen), mit der die gewach­se­nen Ord­nungs­mo­del­le bis­he­ri­ger Staat­lich­keit in Fra­ge gestellt wer­den sollten.

The­se 2: Die Ent­ste­hung des Grund­ge­set­zes 1948/49 und der in ihm begrün­de­ten rechts­staat­li­chen Ord­nung stand unter kei­nem guten Stern: Nicht die Besieg­ten von 1945, das (west)deutsche Volk als Sou­ve­rän, son­dern die west­al­li­ier­ten Besat­zungs­mäch­te präg­ten den in der „Ver­fas­sung“ fest­ge­schrie­be­nen Rah­men des zukünf­ti­gen Rechtsstaats.

Bereits die Bezeich­nung „Grund­ge­setz“ (statt „Ver­fas­sung“) sowie der objektan­zei­gen­de, Betreu­ungs­cha­rak­ter atmen­de Annex „für die Bun­des­re­pu­blik Deutsch­land“ zei­gen noch heu­te an, daß Ende der 1940er Jah­re in Tri­zo­ne­si­en nicht ein nor­ma­les Staats­we­sen begrün­det wur­de, son­dern ein „Staat ohne Ver­ant­wor­tung“ (Win­fried Mar­ti­ni). In der Ungna­de des Null­punk­tes ent­stand nach Wer­ner Weber ein

gut­ge­mein­tes Ver­fas­sungs­expe­ri­ment, das sich von den Fehl­schlä­gen der Wei­ma­rer Repu­blik abset­zen, die Erin­ne­rung an das natio­nal­so­zia­lis­ti­sche Regime ver­ban­nen und an die libe­ral-demo­kra­ti­sche Tra­di­ti­on des 19. Jahr­hun­derts wie­der anknüp­fen wollte

Der Haupt­ge­burts­feh­ler die­ses Expe­ri­ments war frei­lich, daß ihm von Anfang an die demo­kra­ti­sche Legi­ti­ma­ti­on abging. In einer heu­te undenk­ba­ren, von Hoch­ach­tung gegen­über dem gefes­sel­ten Sou­ve­rän gekenn­zeich­ne­ten Ehr­lich­keit hat­te Car­lo Schmid (SPD) den Pro­vi­so­ri­ums­cha­rak­ter des Grund­ge­set­zes im – demo­kra­tisch eben­falls nicht legi­ti­mier­ten – Par­la­men­ta­ri­schen Rat wie folgt festgehalten:

Es gibt kein west­deut­sches Staats­volk und wird kei­nes geben! […] Wir haben unter Bestä­ti­gung der alli­ier­ten Vor­be­hal­te das Grund­ge­setz zur Orga­ni­sa­ti­on der heu­te frei­ge­ge­be­nen Hoheits­be­fug­nis­se des deut­schen Vol­kes in einem Tei­le Deutsch­lands zu bera­ten. Wir haben nicht die Ver­fas­sung Deutsch­lands oder West­deutsch­lands zu machen. Wir haben kei­nen Staat zu errich­ten. […] was wir machen kön­nen, ist aus­schließ­lich das Grund­ge­setz für ein Staats­frag­ment. Die eigent­li­che Ver­fas­sung, die wir haben, ist auch heu­te noch das geschrie­be­ne oder unge­schrie­be­ne Besatzungsstatut.

Unter den Bedin­gun­gen einer sol­chen fremd­be­stimm­ten „Okkupations-Diktatur“(Ernst Rudolf Huber) ent­stand mit der BRD eine Art „staats­ähn­li­ches Wesen“ (Car­lo Schmid) und mit dem Grund­ge­setz „ein Pro­vi­so­ri­um von pein­li­cher Niveaulosigkeit“(Ernst Forst­hoff), des­sen fili­gra­ne juris­ti­sche Auf­fä­che­rung in 146 Arti­kel nichts an dem fac­tum bru­tum ändern konn­te, daß ihm das Wesent­li­che fehlt, wie Car­lo Schmid notierte:

Was aber das Gebil­de von ech­ter, demo­kra­tisch legi­ti­mier­ter Staat­lich­keit unter­schei­det, ist, daß es im Grun­de nichts ande­res ist als die Orga­ni­sa­ti­on einer Moda­li­tät der Fremd­herr­schaft; denn die trotz man­geln­der vol­ler Frei­heit erfol­gen­de Selbst­or­ga­ni­sa­ti­on setzt die Aner­ken­nung der frem­den Gewalt als über­ge­ord­ne­ter und legi­ti­mier­ter Gewalt voraus.

Der Inhalt des Grund­ge­set­zes wur­de in sei­nen wesent­li­chen Zügen durch die West­al­li­ier­ten vor­ge­ge­ben, bevor der Par­la­men­ta­ri­sche Rat zu sei­ner Sit­zung zusam­men­trat: „We will be wri­ting – and not the ger­mans – their constitution“(Lucius D. Clay). Der Rechts­staat der Bun­des­re­pu­blik ist somit demo­kra­tisch nicht legi­ti­miert. Eben­so­we­nig gibt es irgend­ei­ne Grund­la­ge für den in der BRD – nicht nur unter Juris­ten – gepfleg­ten semi­re­li­giö­sen Ver­fas­sungs­kult, bei des­sen lit­ur­gi­scher Zele­brie­rung das Grund­ge­setz als eine Art säku­la­ri­sier­te Bibel behan­delt wird.

The­se 3: Hüter des Rechts­staats ist das 1951 in Karls­ru­he errich­te­te Bun­des­ver­fas­sungs­ge­richt. Unter sei­ner Ägi­de voll­zog sich ein schlei­chen­der Wan­del von einem for­mel­len zu einem mate­ri­al-wert­ethi­schen Rechts­staat, in dem die Garan­tie der Frei­heits­rech­te des Indi­vi­du­ums in ein Wer­te­sys­tem trans­for­miert wur­de, das die pri­va­te und öffent­li­che Exis­tenz des Bür­gers nahe­zu lücken­los über­formt. Im Zuge die­ser Ent­wick­lung ver­flüs­sig­te sich die im Grund­ge­setz nie­der­ge­leg­te Ver­fas­sungs- und Rechts­staats­struk­tur in einen heu­te alle Lebens­be­rei­che beherr­schen­den tota­len Wertestaat.

Das Bun­des­ver­fas­sungs­ge­richt begrün­de­te – natur­recht­li­ches Mode­recht der Nach­kriegs­jah­re fort­füh­rend – schon in den 1950er Jah­ren eine Judi­ka­tur, die sich von den tra­di­tio­nel­len For­men juris­ti­schen Den­kens ver­ab­schie­de­te, um mit­tels einer wert­hier­ar­chi­schen Metho­de den Geset­zes­voll­zug in einen Wer­te­voll­zug zu ver­wan­deln. Im Lüth-Urteil von 1958 wur­de das wie folgt auf den Punkt gebracht:

Die Grund­rech­te sind in ers­ter Linie Abwehr­rech­te des Bür­gers gegen den Staat; in den Grund­rechts­be­stim­mun­gen des Grund­ge­set­zes ver­kör­pert sich aber auch eine objek­ti­ve Wert­ord­nung, die als ver­fas­sungs­recht­li­che Grund­ent­schei­dung für alle Berei­che des Rechts gilt.

Frei­heit gewähr­leis­tet die Ver­fas­sung der Bun­des­re­pu­blik, so Ernst Wolf­gang Böckenförde,

nicht mehr unbe­dingt im Wege recht­lich-for­ma­ler Aus­gren­zung, son­dern nur inner­halb der Wert­grund­la­ge der Ver­fas­sung; stellt sich jemand außer­halb die­ser Wert­grund­la­ge, liegt es in der Kon­se­quenz, daß er den Rechts­an­spruch auf poli­ti­sche Frei­heit ver­liert (Par­tei­ver­bo­te; Zugang zum öffent­li­chen Dienst).

Die­se Kri­tik ist alles ande­re als ange­staubt: Auch und gera­de in der Wer­te­re­pu­blik der 2020er Jah­re, die uni­ver­sa­lis­tisch tickt und die nichts mehr haßt als freie Völ­ker und selbst­den­ken­de Indi­vi­du­en, ging und geht es mit­nich­ten um die Über­win­dung von Gegensätzen.

Es geht um einen poli­ti­schen Kampf neo­so­zi­al­dar­wi­nis­ti­schen Cha­rak­ters, bei dem der unter­lie­gen­de Teil, der ja Unwer­te zu ver­tre­ten sich ange­maßt hat, nicht auf Gna­de zäh­len kann. Dem Sie­ger in die­sem rück­sichts­lo­sen bel­lum omni­um con­tra omnes winkt eine ganz beson­de­re Tro­phäe: Da es ande­re Wer­te nicht (mehr) gibt, insze­niert er sei­ne Wer­te als

Wer­te­ge­mein­schaft […], die frei­lich man­cher Ver­klei­dun­gen bedarf, um ihre Sinn­lo­sig­keit fei­er­lich schmü­ckend zu einem fest­li­chen Erleb­nis zu machen,

wie Eber­hard Straub in sei­nem Buch Zur Tyran­nei der Wer­te schreibt. Tat­säch­lich hat die Wer­te­dok­trin des Bun­des­ver­fas­sungs­ge­richts eine „Theo­lo­gi­sie­rung des Grundgesetzes“(Josef Schüßlb­ur­ner) bewirkt, in der die juris­ti­sche Sub­sum­ti­ons­tech­nik mehr und mehr von reli­gi­ös auf­ge­la­de­nen Sinn­bil­dern ver­drängt wurde.

Die Macht die­ser Wer­te­ver­ge­mein­schaf­tung hat sich seit­her ins Unend­li­che gestei­gert. In einem sol­chen mate­ri­al-ethi­schen, von gesin­nungs­exhi­bi­tio­nis­ti­schen Affek­ten zeh­ren­den Staat ist nach einer grif­fi­gen For­mel von Dimi­tri­os Kisoudis

sou­ve­rän, wer die Stu­fen­lei­ter der Wer­te mit Inhal­ten füllt, wer sein Wert­füh­len so gel­tend machen kann, daß sich kaum jemand traut, etwas Unwer­tes dage­gen zu fühlen.

Unter der Last die­ser Wer­te ist das Rechts­staats­ge­bäu­de zusam­men­ge­bro­chen und hat das Recht und die von ihm einst ver­bürg­te Ord­nung unter sich begraben.

The­se 4: Seit den 1960er Jah­ren wur­de die Idee des Rechts­staats all­mäh­lich über­la­gert durch das Dog­ma eines pater­na­lis­ti­schen Sozi­al­staats, des­sen Lebens­eli­xier dar­in besteht, den einen zu neh­men, um den ande­ren zu geben. In der Wild­nis die­ses Trans­fer-Dschun­gels mutier­ten die Frei­heits­grund­rech­te mehr und mehr zu anspruchs­ge­trie­be­nen Teilhaberechten.

Die Herr­schaft eines sol­chen Umver­tei­lungs­staats grün­det dar­auf, einer in die Mil­lio­nen gehen­den Zahl von Ali­men­te­emp­fän­gern die Eigen­ver­ant­wor­tung für ihr Leben abzu­neh­men. Schwin­det die­se Ver­tei­ler­macht auf­grund öko­no­mi­scher oder außen­po­li­ti­scher Kri­sen, wer­den der Sozi­al­staat und die in ihm noch ver­blie­be­nen Spu­ren­ele­men­te des Rechts­staats tief­grei­fend erschüt­tert werden.

Um die Bedeu­tung des in den Artt. 20 Abs. 1, 28 Abs. 1 GG fixier­ten Sozi­al­staats­sat­zes wur­de schon in der frü­hen Bun­des­re­pu­blik hef­tig gerun­gen. Es gehört zur Iro­nie der deut­schen Staats­rechts­ent­wick­lung im 20. Jahr­hun­dert, daß aus­ge­rech­net Ernst Forst­hoff, der mit sei­ner Schrift Die Ver­wal­tung als Leis­tungs­trä­ger (1938) den Grund­stein für den Rund­um­ver­sor­gungs­staat gelegt hat­te und der sich 33 Jah­re spä­ter der Illu­si­on hin­ge­ben soll­te, durch per­ma­nen­te Stei­ge­rung des Brut­to­so­zi­al­pro­dukts wer­de der moder­ne Indus­trie­staat sei­ner Ver­ant­wor­tung für die Daseins­für­sor­ge gerecht wer­den kön­nen, in den 1950er Jah­ren die grund­le­gends­te Kri­tik an der Idee des Sozi­al­staats for­mu­lie­ren sollte.

In sei­ner berühmt gewor­de­nen Kon­tro­ver­se mit Wolf­gang Abend­roth erin­ner­te Forst­hoff zunächst dar­an, daß

das Grund­ge­setz […] kei­nen spe­zi­fi­schen sozia­len Gehalt“ hat. Unbe­scha­det der Berech­ti­gung ein­fach­ge­setz­li­cher Rege­lun­gen im Sozi­al­ver­si­che­rungs­recht, Arbeits­recht, Wohn­raum­miet­recht usw., stel­le sich die grund­sätz­li­che Fra­ge, „ob der Sozi­al­staat […] ein Bestand­teil unse­res Ver­fas­sungs­rechts ist, d. h. ob die Sozi­al­staat­lich­keit in der rechts­staat­li­chen Struk­tur der Ver­fas­sung auf­ge­gan­gen oder doch mit ihr zu einer Ein­heit ver­bun­den ist.

Forst­hoff warn­te früh­zei­tig vor der Trans­for­ma­ti­on von einem Frei­heits­rech­te nur gewähr­leis­ten­den Rechts­staat in einen Leis­tung gewäh­ren­den Sozi­al­staat. Es gebe einen gefähr­li­chen Zusam­men­hang zwi­schen der Geber­lau­ne von „Vater Staat“ und des­sen Macht­a­van­cen gegen­über einer Schar von Kin­dern, von denen er sich wünscht, daß sie nie erwach­sen werden.

Die­se War­nun­gen waren frei­lich in den Wind gespro­chen. Spä­tes­tens nach der Brandt-Wahl 1969 wur­den in der Bun­des­re­pu­blik hem­mungs­los alle Schleu­sen geöff­net, um den Betreu­ten – qua Umver­tei­lung, Geld­schöp­fung und einer mons­trös wach­sen­den Ver­schul­dung – das sozi­al­staat­li­che Man­na zu ver­ab­rei­chen und gleich­zei­tig „die ver­bor­ge­ne Herr­schafts­gier der Betreu­er“ (Hel­mut Schelsky) zu befriedigen.

Die­se im Gewand der Rechts­staat­lich­keit daher­kom­men­de Bereg­nung mit Wohl­ta­ten hat den sozio­lo­gi­schen Typus eines fremd­be­stimm­ten Ein­zel­men­schen her­vor­ge­bracht, der nicht nur unmün­dig ist, son­dern sei­ne lear­ned hel­p­less­ness gera­de­zu mons­tranz­ar­tig vor sich herträgt.

Nicht sel­ten tra­di­tio­nel­ler fami­liä­rer Bin­dun­gen ent­frem­det, über­ant­wor­tet sich ein sol­cher­art ato­mi­sier­tes Indi­vi­du­um dann der sozia­len Fell­pfle­ge durch einen Staat, des­sen Macht hier­durch ins Uner­meß­li­che zu wach­sen scheint. Nor­bert Bolz spricht zu Recht von einer „Reli­gi­on der sozia­len Gerech­tig­keit“, unter deren tota­ler Herr­schaft der Sinn für die essen­ti­el­len, den Bür­ger­sta­tus über­haupt erst kon­sti­tu­ie­ren­den Frei­heits­grund­rech­te weit­ge­hend abhan­den gekom­men ist. Denn nichts ist effi­zi­en­ter als die sub­til aus­ge­üb­te Macht der Geschen­ke, mit deren Ver­tei­lung der moder­ne Staat viel rigo­ro­ser herrscht als das anci­en régime.

Dabei sind die Mata­do­re des bun­des­deut­schen social engi­nee­ring spä­tes­tens seit der Schrö­der-Wahl 1998 dazu über­ge­gan­gen, das Objekt ihrer sozi­al­staat­li­chen Für­sor­ge suk­zes­siv aus­zu­tau­schen. Und so begibt es sich, daß bio­deut­sche Obdach­lo­se bei Minus­gra­den schutz­los unter den Brü­cken eines mul­ti­kul­tu­rel­len Mus­ter­länd­les näch­ti­gen, das zur sel­ben Zeit soge­nann­te Asyl­be­wer­ber, kaum daß die­se einen Schritt über die vor­sätz­lich unge­si­cher­ten Gren­zen die­ser Repu­blik getan haben, mit dem gan­zen Füll­horn des Sozi­al­staats überschüttet.

Hier offen­bart sich in grel­lem Licht ein Staats­we­sen, das die Ver­bin­dung zu dem eins­ti­gen Sou­ve­rän, dem deut­schen Volk, voll­stän­dig gekappt hat, um als „tota­ler Migra­ti­ons­staat“ (Dimi­tri­os Kis­ou­dis) die Lebens­grund­la­gen der hier schon län­ger, aber bald nicht mehr hier Leben­den end­gül­tig zu zer­stö­ren. Man muß kein Pro­phet sein, um zu erken­nen, daß bei die­sem Pro­zeß der Rechts­staat eben­so unter­ge­hen wird wie der Sozialstaat.

The­se 5: Das Rechts­staats­prin­zip und die zu sei­ner Gewähr­leis­tung im Grund­ge­setz nie­der­ge­leg­ten Garan­tien wer­den seit lan­gem über­formt von den neo­feu­da­len Herr­schafts­an­sprü­chen der poli­ti­schen Par­tei­en. Anstatt sich ver­fas­sungs­ge­mäß dar­auf zu beschrän­ken, „bei der poli­ti­schen Wil­lens­bil­dung des Vol­kes [mit­zu­wir­ken]“ (Art. 21 Abs. 1 GG), haben sie – unter Mit­hil­fe der von ihnen kon­trol­lier­ten meta­po­li­ti­schen Instan­zen (Medi­en, Uni­ver­si­tä­ten, Amts­kir­chen, Gewerk­schaf­ten, Kul­tur­be­trieb etc.) – den Klang­raum des Poli­ti­schen in der Bun­des­re­pu­blik nahe­zu lücken­los für sich oli­go­po­li­siert und ande­re Stim­men zum Schwei­gen gebracht.

Die Kri­tik an der Ein­rich­tung der poli­ti­schen Par­tei und der ihr inne­woh­nen­den Catch-all-Gefrä­ßig­keit ist in Deutsch­land über 100 Jah­re alt. Schon Max Weber hat­te von den „Appro­pria­ti­ons-Par­tei­en“ gespro­chen, also einer Orga­ni­sa­ti­ons­form, in deren Beu­te­sche­ma die gan­ze staat­li­che Sub­stanz liege.

Hein­rich Trie­pel ord­ne­te in sei­ner berühm­ten Rek­to­rats­re­de von 1927 die poli­ti­sche Par­tei ein als „eine extra­kon­sti­tu­tio­nel­le Erschei­nung“ die sich kra­ken­ar­tig über den Staat ausbreitet:

Die Par­tei­or­ga­ni­sa­ti­on greift den Par­la­men­ta­ris­mus von außen und innen an. Sie bemäch­tigt sich des Wäh­lers und treibt ihn mehr und mehr in ihre Net­ze. Sie bemäch­tigt sich des Par­la­ments­ver­fah­rens in allen sei­nen Sta­di­en und Rich­tun­gen. […] Der Par­la­ments­be­schluß ist, wenn das Par­la­ment eine homo­ge­ne Mehr­heit besitzt, ein Par­tei­be­schluß, bei Par­tei­zer­split­te­rung ein Par­tei­en­kom­pro­miß. Der Abge­ord­ne­te ist nicht mehr ein Ver­tre­ter des Volks, son­dern ein Ver­tre­ter sei­ner Par­tei. Er fühlt sich als sol­cher und han­delt als solcher.

Trotz die­ser erwie­se­nen Unge­eig­ne­t­heit der poli­ti­schen Par­tei für die nach­hal­ti­ge Siche­rung der Zukunft eines Vol­kes reüs­sier­te nach 1945, als sei nichts gesche­hen, die Par­tei­en­staats­dok­trin auf gan­zer Linie. Auf der Basis des rüh­rend welt­frem­den Art. 21 Abs. 1 Satz 1 des Bon­ner Grund­ge­set­zes („Die Par­tei­en wir­ken bei der poli­ti­schen Wil­lens­bil­dung des Vol­kes mit.“) begann 1949 der lan­ge Weg der Bun­des­re­pu­blik in den heu­te wahr­haft tota­len Parteienstaat.

Anstatt das „Mit­wir­kungs­feld“ gemäß Art. 21 GG mög­lichst eng, also vor allem beschränkt auf den Bezugs­rah­men von Par­la­ment und Regie­rung, abzu­ste­cken, erhob der Zwei­te Senat des Bun­des­ver­fas­sungs­ge­richts die von den alli­ier­ten Besat­zungs­mäch­ten lizen­zier­ten poli­ti­schen Par­tei­en in Qua­si-Ver­fas­sungs­or­ga­ne. Ex nihi­lo wur­de in Karls­ru­he auf die­se Wei­se ein „Par­tei­en­staat des Grund­ge­set­zes“ aus der Tau­fe geho­ben, der sich in der Fol­ge meta­sta­sen­haft in der poli­ti­schen Ord­nung der Bun­des­re­pu­blik aus­brei­ten sollte.

Die Par­tei­en haben sich auf die­se Wei­se von der auto­no­men Wil­lens­bil­dung des Vol­kes abge­kop­pelt, ja schlim­mer noch: Sie bil­den, wie Ralf Dah­ren­dorf es ausdrückte,

eine schall­schlu­cken­de Sty­ro­por­schicht, in der die Rufe der Wäh­ler ver­hal­len. Sie sind nicht Instru­men­te der Demo­kra­tie, son­dern Hin­der­nis bei der Umset­zung von Bür­ger­mei­nun­gen in poli­ti­sche Entscheidungen.

Die­se Exzes­se eines selbst­ex­tre­mis­ti­schen par­tei­po­li­ti­schen Cäsa­ris­mus haben sich zwi­schen­zeit­lich ins Uner­meß­li­che gesteigert.

Aus­blick: Ein Rechts­staat war und ist die BRD nur auf dem Reiß­brett, nur in bezug auf einen Grund­ge­setz­text, dem schon lan­ge die Anwen­dungs­wirk­lich­keit abhan­den gekom­men ist. Es herrscht ein – mas­sen­me­di­al von mor­gens bis abends gesin­nungs­ethisch ein­ge­peitsch­tes – Papier­for­mat der Frei­heit, das mit ech­ter Frei­heit­lich­keit nichts zu tun hat.

In der „post­rechts­staat­li­chen Gesell­schaft“ (Rolf Peter Sie­fer­le), in der wir leben und in der „Lega­li­tät nur noch als Gangs­ter­pa­ro­le ver­stan­den“ (Carl Schmitt) wird, bestim­men tat­säch­lich die Macht­phan­ta­sien davo­kra­ti­scher Mil­li­ar­därs­so­zia­lis­ten, die Geschäfts­me­tho­den nord­ka­li­for­ni­scher Inter­net­gi­gan­ten oder das in den Groß­städ­ten immer dreis­ter wer­den­de Auf­tre­ten aus­län­di­scher Clan­ban­den den Lebens­all­tag eines Durch­schnitts­deut­schen viel mehr als abge­ho­be­ne Ver­fas­sungs­idea­le und bun­des­deut­sche Gerich­te, die vor die­sen (und vie­len ande­ren) Herr­schafts­an­sprü­chen rechts(staats)feindlicher Ele­men­te schon längst ein­ge­knickt sind.

Soll­ten die Deut­schen noch beab­sich­ti­gen, das ihnen dro­hen­de Unter­gangs­schick­sal abzu­wen­den, wer­den sie nicht umhin­kom­men, die Rui­nen eines „unech­ten, künst­li­chen Rechtsstaat[s]“(Florian Mei­nel) abzu­räu­men und auch auf juris­ti­schem Feld noch ein­mal ganz von vor­ne anzu­fan­gen. Die rechts­ethi­schen Vor­aus­set­zun­gen hier­für sind unver­än­dert gege­ben; denn bei kei­nem Volk der Erde ist „die wich­tigs­te Quel­le poli­ti­scher Vita­li­tät, der Glau­be an das Recht und die Empö­rung über das Unrecht“ (Carl Schmitt), so ursprüng­lich erhal­ten wie bei den Deutschen.

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Kommentare (16)

RMH

20. Juli 2024 11:06

Der Text hat den großen, qualitativen Fehler, dass er mit dem Thema erst dann ansetzt, als es um einen säkulaten Rechtsstaat geht, als man weltliche Macht von der göttlichen Ordnung bereits zu trennen begann. Dabei waren auch die vorherigen Herrschaftsformen in Deutschland & Europa immer auch schon rechtlich definierte Machtausübungen & nie nacktes Faustrecht. Die Aufklärung, die Verweltlichung, die Trennung zwischen Gott & Welt, der beginnende, "wissenschaftliche" Atheismus bracht uns erst den Staat - & wenn kein Gott oder göttliches mehr organisch mitgedacht wird - damit zwingend die Frage nach der Rechtsordnung, dem Rechtsstaat. E. Voegelin hat in seinem Essay über die politischen Religionen treffend von einer "Decapitivierung" der Gesellschaftsordnungen gesprochen, als das Obeste, Gott, entfernt wurde. Was damit, nach Voegelin, nicht verschwand, war die reiligöse Durchdringung des enthaupteten Restes, es entstand die Zivilreligion, zu der neben der Verheiligung der Wissenschaft auch die des Rechtsstaates führt. Auf diesen Umständen spöttelt & beckmessert nun der Autor herum, ohne ihn zu bennen. Ich empfinde den Text als arrogant & schulmeisterlich, als ob nicht jeder die Mängel selber kennt. Aber was bleibt einer Opposition, die keine Macht hat, denn anderes übrig, als die Rechtskarte zu spielen? Darauf hat der übliche Dezisionist keine Antwort, ja im Grunde müsste er sagen, Faeser handelt vollkommen richtig, wenn sie durchkehrt.

kikl

20. Juli 2024 11:20

"Die rechtsethischen Voraussetzungen hierfür sind unverändert gegeben; denn bei keinem Volk der Erde ist „die wichtigste Quelle politischer Vitalität, der Glaube an das Recht und die Empörung über das Unrecht“ (Carl Schmitt), so ursprünglich erhalten wie bei den Deutschen."
Und das aus gutem Grunde. Was ist denn bedrohlicher: Unter einer tyrannischen Herrschaft der Mehrheit zu leben (auch das ist Demokratie!!) oder unter der Herrschaft eines "gezähmten" Tyrannen, der selbst dem Recht unterworfen ist?
Für den einfachen Bürger ist Rechtsstaatlichkeit ein weit höheres Gut für seinen Alltag und sein Leben als die Möglichkeit alle vier Jahre seinen Stimmzettel abzugeben. Gewaltenteilung und Rechtsstaatlichkeit sind unabdingbar für die Legitimität eines Staates.
Mit der Ära Merkel hat sich Deutschland systematisch vom Rechtsstaat verabschiedet. Denn Frau Merkel hat sich immer und immer wieder über das Recht gestellt. Die millionenfache vorsätzliche Duldung der illegalen Immigration und damit des Gesetzesbruches war und ist der Sargnagel für den Rechtsstaat Deutschland.
Wir müssen hoffen und beten, dass die Justiz sich jetzt endlich gegen die Übergriffe der Exekutive aufbäumt und dem faeserschen Kampf gegen die Meinungs- und Pressefreiheit ein Ende bereitet. Es lebe das heilige Deutschland.

Ordoliberal

20. Juli 2024 13:02

"Daß der Mensch jenseits einer solchen bloßen Verkehrsordnung positiv nach überindividuellen Idealen strebt, die er nicht als einzelner, sondern nur in Gemeinschaft mit anderen verwirklichen kann, wird von einer solchen ganz im Negativen verharrenden Staatslehre verkannt."
Ach? Es gibt im Rechtsstaat kein Vereinsrecht? Keine Möglichkeit, sich mit anderen zusammenzuschließen, um gemeinsam überindividuelle Ideale anzustreben wie Mannschaftssport treiben, in einer Kapelle musizieren, Gottesdienste ausüben, politisch aufklären, Arme speisen, Obdachlose behausen, Alte und Kranke pflegen, auf Entscheidungen der Verwaltung einwirken?
Also das wäre mir neu.

Ordoliberal

20. Juli 2024 13:06

Mit dem Grundgesetz [entstand] „ein Provisorium von peinlicher Niveaulosigkeit“ (Ernst Forsthoff)
Dem kann man nur uneingeschränkt zustimmen.

Maiordomus

20. Juli 2024 13:14

Bei näherer Analyse des Grundgesetzes enthält dieses noch Restbestände des nach dem 2. Weltkrieg aufgekommenen Naturrecht-Denkens, auch bleibt zu bedenken, dass da nicht wenige Schmittianer mitgewerkelt haben. Als philosophische Auslegeordnung  ein würdiger Artikel, wiewohl der Ladenhüter der Fremdherrschaft je länger desto obsoleter wird. Diverse heutige Vorstellungen von Menschen- und Völkerrecht und selbstverständlich auch die linksextremen Vorstellungen vom Volksbegriff standen nach dem damaligen Buchstabenverständnis nicht zur Debatte. In einem von mir in einem vor einigen Jahren rezensierten Standardwerk über den deutschen und europäischen Parlamentarismus (Q. Weber: Parlament - Ort der politischen Entscheidung?, Basel 2012) konnte ich noch nachlesen, etwa bei den Staatsrechtsprofessoren Albert Bleckmann und Peter M. Huber: "Der Volksbegriff des Grundgesetzes wird zum Teil stark national aufgeladen und das Volk als deutsches Volk als vom Grundgesetz vorausgesetzt betrachtet", vgl. Vom Sinn u. Zweck des Demokratieprinzips (1998) bei Bleckmann. Die Deskription "zum Teil stark national aufgeladen" neigt indes bereits zu sachter Distanzierung, so wird das Verfassungsverständnis "weiterentwickelt". Es lohnt sich, die Werke zu lesen und nicht nur ein wenig im Netz herumzusurfen.    

kikl

20. Juli 2024 13:17

X hat mich auf diesen sehr interessanten Artikel des Freiburger Standard aufmerksam gemacht, der wohl ein direkte Antwort auf den Gastkommentar von Herrn Krah ist. Zwei Punkte möchte ich herausstellen:

Dass eine Einmann-GmbH anders zu beurteilen wäre als eine Gesellschaft mit mehreren Gesellschaftern begründet der Autor meiner Meinung nach überzeugend.
Einziger Schwachpunkt ist die Frage nach der Verhältnismäßigkeitsprüfung. Mir scheint, dass bei einer Verbotsverfügung, die auf Grundlage von Presseveröffentlichungen stattfinden, diese Verhältnismäßigkeitsprüfung stattfinden muss. Hier erkenne ich einen inneren Widerspruch. Deshalb sieht es nicht ganz so düster aus.
Der Staat hat sehr starke Werkzeuge der Repression, die nicht zu unterschätzen sind. Die Chancen, dass das Verbot vor Gericht standhält, sind nicht schlecht.

Ordoliberal

20. Juli 2024 13:25

Auch den Thesen 3, 4 und 5 ist uneingeschränkt zuzustimmen.
ad 3) Die Trennung zwischen Recht und Moral scheint dem Deutschen ganz wesensfremd zu sein. Hier liegt ein vererbter blinder Fleck vor. Daher schwingt die Bipolarität des deutschen Charakters auch immer zwischen behaglichem Herdentier und gewalttätigem Frömmler.
ad 4) Forsthoff erinnert daran, dass "das Grundgesetz [...] keinen spezifischen sozialen Gehalt“ hat. Unbeschadet der Berechtigung einfachgesetzlicher Regelungen im Sozialversicherungsrecht, Arbeitsrecht, Wohnraummietrecht usw., stelle sich die grundsätzliche Frage, „ob der Sozialstaat […] ein Bestandteil unseres Verfassungsrechts ist, d. h. ob die Sozialstaatlichkeit in der rechtsstaatlichen Struktur der Verfassung aufgegangen oder doch mit ihr zu einer Einheit verbunden ist.
Die Antwort auf diese Frage ist natürlich: Nein. Rechtsstaat und staatliche Versorgungspflicht sind unvereinbar. Aber die unausrottbare German Angst führt dazu, dass der Deutsche gerne Freiheit gegen Versorgung tauscht.
ad 5) Da der Parteienstaat tatsächlich nicht reformiert werden kann, stimme ich der Folgerung aus den fünf Thesen zu, dass der deutsche Rechtsstaat völlig neu aufgesetzt werden muss.

Ordoliberal

20. Juli 2024 13:40

@RMH
"Ich empfinde den Text als arrogant & schulmeisterlich, als ob nicht jeder die Mängel selber kennt."
Überschätzen Sie den durchschnittlichen Rechten damit nicht?
Ihre Behauptung, dass die Säkularisierung des Rechts nicht vollständig gelungen ist und sich daher immer noch karitative und moralische Fragen unzulässig mit Rechtsfragen vermischen, ist ja richtig, ergänzt aber nur die fünf Thesen mit einer - wie ich finde - guten Erklärung.
In der These 1 vermischt von Waldstein meiner Meinung nach das Böckenförde-Paradox mit der davon unabhängigen Frage, ob die rationale Nüchternheit des Rechtsstaat es für den Bürger unattraktiv macht "überindividuelle Ideale" - gemeint sind wohl "hehre" Ideale - zu verfolgen. Dahinter steckt die uralte Angst der Rechten, dass der Mensch nur an sich denkt, wenn man ihn lässt.

Waldgaenger aus Schwaben

20. Juli 2024 13:47

@RMH 
Was Sie in wohlgesetzten Worten beschreiben, wollte ich mit den mir gegebenen Möglichkeiten zum Ausdruck bringen, in dem ich darauf hinweise, dass ich das berühmte Zitat von Augustinus vermisse: 
Nimm das Recht weg – was ist dann ein Staat noch anderes als eine große Räuberbande. 
Damit meint Augustinus natürlich das göttliche Recht (Naturrecht) und nicht von Menschen geschaffenes Recht. Jede Räuberbande hat auch ihre Gesetze. 
Aber möglicherweise geht der Autor darauf in längeren Versionen des Textes ein. 

das kapital

20. Juli 2024 16:32

"Spätestens nach der Brandt-Wahl 1969 wurden in der Bundesrepublik hemmungslos alle Schleusen geöffnet, um den Betreuten – qua Umverteilung, Geldschöpfung und einer monströs wachsenden Verschuldung – das sozialstaatliche Manna zu verabreichen und gleichzeitig „die verborgene Herrschaftsgier der Betreuer“ (Helmut Schelsky) zu befriedigen." Na, dann hat ja die geistig moralische Wende von 1982 rein gar nicht funktioniert. Und Merkel hat auch nur hemmungslos alle Schleusen geöffnet und ertrank in einer Schuldenflut.

Gracchus

20. Juli 2024 17:03

Die Kritik am (formalen) Rechtsstaat erscheint mir zu kurz. Dafür mehr die am Parteien- und Sozial- bzw. Wohlfahrtsstaat, die den Rechtsstaat überlagern. Die crux ist wohl des Deutschen Angst vor der Freiheit.  
Es spricht aber viel dafür, dass das derzeitige System an seine Grenzen gestoßen ist, gerade weil es keine Grenzen akzeptieren mag, und weil es keine Grenzen akzeptiert, kann es sein Wachstum nicht stoppen. Es wird dann gestoppt werden, wie auch der Turmbau von Babel gestoppt wurde. 

Der mit dem Wolf tanzt

20. Juli 2024 17:37

Im Hinblick auf die Eindämmung parteipolitischer Willkür gegen den Souverän, erscheint es von Bedeutung, darauf hinzuweisen, daß in der ursprünglichen Fassung des GG explitit basisdemokratische Elemente (wie Volksentscheide auf Landes-und Bundesebene) vorgesehen waren. 
Diese so wensentlichen Passagen wurden auf Druck unserer  selbstlosen "Amerikanischen Freunde" wieder kassiert. Ein kleines, aber wesentliches Detail, gerade im Hinblick auf gewisse historische Weichenstellungen und Schicksalsfragen unserer Gegenwart.
 

Majestyk

20. Juli 2024 18:45

In der Schule wollte man mir beibringen "Die Parteien wirken bei der politischen Willensbildung des Volkes mit."  Art 21 GG (1).
Darauf meinte ich zum Lehrer, die Parteien bräuchten meinen Willen nicht zu bilden, das könne ich selber. Parteien hätten den politischen Willen des Volkes und damit auch den meinen umzusetzen.
Daraufhin bekam ich den üblichen Tadel, eine schlechte Note und meine Mutter konnte sich beim nächsten Elternsprechtag anhören ich sei politisch renitent. 
Damals war ich 15 Jahre alt und meine Meinung über das Grundgesetz seine tatsächliche Schutzfunktion für die Rechte des Bürgers gegenüber dem Staat ist seitdem nicht besser geworden. 
Für mich ist das eine Wischi-Waschi-Verfassung von Leuten die Angst vor dem Willen des Volkes haben. Frei und selbstbestimmt war die Verfassungsgebung eh nicht, aber eine Verfassung zu konstruieren die es politischen Eliten ermöglicht Recht so zu dehnen wie es gerade nützlich erscheint hätten jene Eliten vermutlich auch aus eigener Kraft geschafft. War ja auch derselbe Muff wie eh und je.

Le Chasseur

20. Juli 2024 20:05

@Gracchus"Es spricht aber viel dafür, dass das derzeitige System an seine Grenzen gestoßen ist, gerade weil es keine Grenzen akzeptieren mag, und weil es keine Grenzen akzeptiert, kann es sein Wachstum nicht stoppen. Es wird dann gestoppt werden, wie auch der Turmbau von Babel gestoppt wurde."
Wollen wir es hoffen. Wobei die eifrigen Maurer bei ihrem Bauprojekt ja ganz offen und unverschämt den Bezug zum Turmbau zu Babel herstellen:
https://architecturehereandthere.com/wp-content/uploads/2016/12/screen-shot-2016-12-28-at-3-04-21-pm1.png
https://i.pinimg.com/736x/86/3f/f1/863ff18713f6097f0ac6e9bcf5eb97df.jpg

FraAimerich

20. Juli 2024 20:28

@Gracchus  -  Richtig. Dieses auf Wachstum/Vernutzung angelegte System der westlich-materialistischen Weltverwertung wird übrigens nicht ganz zu Unrecht als "Kapitalismus" bezeichnet. Er wird sich selbst verdauen, implodieren, in sich zusammenbrechen. Das wird kein Spaß und einige seiner entschiedensten Kritiker werden ihn sich zurückwünschen. Einige seiner strammsten Verfechter und Gesundbeter werden wohl auch erkennen (aber sicher nie zugeben), daß die Auswüchse des Sozialstaats ihren Liebling nicht schwächten, sondern diesem zu längerem Leben und ungestörter Kapitalakkumulation verhalfen.
Da man das Heil gerade mal wieder nach den Spielregeln des MIK sucht, werden die verfluchten Millionenheere fauler Sozialschmarotzer eh nicht mehr lange zum Alibi taugen. - Wie der Westen abgeräumt wird, zeichnet sich derzeit immer deutlicher ab. Wer sich für Details und Folgen, aber auch die geist-seelischen Hintergründe interessiert, befasse sich einmal ernsthaft mit der islamischen Eschatologie. Das ist gewiß nicht sinnloser, als der Wiederkunft Christi zu harren, als "Opposition" zuvor noch gängige Rechtswege beschreiten oder gar den Rechtsstaat insgesamt neu aufstellen zu wollen.

Uwe Lay

20. Juli 2024 21:25

Eine kritische Frage dazu: Müßte nicht das Rechtsstaatsprinzip als eine Begrenzng des demokratischen Prinzipes rekonstruiert werden, als die Antwort auf die Frage: Ist es demokratisch, wenn 2 Wölfe und 1 Schaf miteinander entscheiden, was es am Sonntag zu essen gibt? Das Rechtsstaatsprinzip soll dann die formaldemokratische Entscheidung, daß es einen Lammbraten gibt, als ein Unrecht dysquaifizieren. Das Rechtsstaatsprinzip entzöge so bestimmte Materien, etwa die Grundrechte, oder  daß der Staat ein Sozialstaat sein zu hat, der Befugnis der Demokratie,darüber  zu entscheiden. Eine totalitäre Demokratie entstünde dann, wenn über alles unbegrenzt demokratisch entschieden werden dürfte. Ein praktisches Beispiel: In der demokratisch regierten Ukrainie wird jetzt im Parlament darüber entschieden, ob die einstige Russisch-Orthodoxe Kirche, nachdem sie sich schon umbenennen mußte, nun ganz verboten werden soll. Dies Verbot wäre demokratisch, aber nicht rechtsstaatlich.