150 Jahre Börries Freiherr v. Münchhausen

von Erik Lommatzsch -- PDF der Druckfassung aus Sezession 188/ Februar 2024

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»End­lich regt sich’s wie­der, das seit lan­gem schlum­mern­de Königs­kind der deut­schen Dich­tung, end­lich schlägt die Bal­la­de wie­der die schwer­mü­ti­gen ver­schla­fe­nen Augen auf. Seit Jah­ren bin ich als sein getreu­es­ter Rit­ter her­um­ge­gan­gen und habe gewor­ben«, resü­miert ­Bör­ries Frei­herr v. Münch­hau­sen 1906.

Ein ers­ter Band mit eige­nen Gedich­ten ist 1897 erschie­nen. Sei­ne gro­ße Schaf­fens­zeit als Wie­der­be­le­ber der lyri­schen Erzäh­lung, als Bal­la­den­dich­ter von Rang endet mit dem Kai­ser­reich und der sich for­mie­ren­den Repu­blik, das Poe­tisch-Schöp­fe­ri­sche ver­siegt danach weitgehend.

Der popu­lä­re Münch­hau­sen wirkt nun vor allem in lite­ra­risch-kul­tu­rel­ler Mis­si­on, publi­zis­tisch ist er tätig und als hoch­be­zahl­ter Vor­tra­gen­der. Etwa eine drei­vier­tel Mil­li­on sei­ner Bücher wer­den zu sei­nen Leb­zei­ten ver­kauft, nicht nur die Bün­di­sche Jugend singt begeis­tert die Lie­der, die nach sei­nen Tex­ten kom­po­niert wer­den, er selbst zählt ein­mal 636 Vertonungen.

Münch­hau­sens Lie­der­buch und das Bal­la­den­buch, Samm­lun­gen, die als das »dich­te­ri­sche Werk« gel­ten, wer­den bis Anfang der 1960er Jah­re auf­ge­legt. Zwar nie völ­lig igno­riert, dazu ist die Qua­li­tät der Tex­te zu hoch, aber immer stär­ker mar­gi­na­li­siert, ist er heu­te wenig bekannt. Der Name Münch­hau­sen wird land­läu­fig oft allein mit dem aus dem­sel­ben nie­der­säch­si­schen Adels­ge­schlecht stam­men­den und als »Lügen­ba­ron« in die Lite­ra­tur­ge­schich­te ein­ge­gan­ge­nen Ver­wand­ten aus dem 18. Jahr­hun­dert verbunden.

Die nor­disch-ger­ma­ni­sche Göt­ter­welt, zwei­fels­frei bewußt idea­li­sier­te Ver­gan­gen­hei­ten, das Mit­tel­al­ter, die oft unglück­li­che Lie­be und tra­gi­sche Kämp­fe fin­den sich in den Dich­tun­gen Münch­hau­sens, aller­dings auch blei­ben­de Namen jen­seits der Schlacht­fel­der, die Her­aus­ge­ho­be­nen. Bal­la­den wie »Wodans Ritt« und die »Weis­sa­gung der Wala« bil­den den Auf­takt des Bal­la­den­bu­ches.

Im »Bau­ern­auf­stand«, bes­ser bekannt als Lied unter der Ein­gangs­zei­le »Die Glo­cken stürm­ten vom Bern­ward­sturm«, heißt es am Ende: »Auf­rausch­te die Flam­me mit aller Kraft, / Brach Bal­ken, Bogen und Ban­de – / Ja, gna­de dir Gott du Rit­ter­schaft / Der Bau­er stund auf im Lan­de!« Über den Obris­ten der »Feld­la­ger­lie­der aus dem Drei­ßig­jäh­ri­gen Krie­ge« wird gesagt: »Der Schwert­griff war sein hei­li­ges Kreuz, / Sein Glau­be: Die Rei­ter­pis­to­len, / Und sein Gebet hieß kurz und ernst: / ›Euch soll der Teu­fel holen‹.«

Dem ster­ben­den Dürer, dem über sei­ne Taub­heit ver­zwei­feln­den Beet­ho­ven wand­te sich Münch­hau­sen eben­so zu wie Kant – »ein Zwerg, gebückt, unsäg­lich mager«, dabei »ein Ewi­ger«, der in sei­ner stil­len Stu­be »Geset­ze sucht!«

Zu den weni­gen Dich­tun­gen, die sich gegen­wär­tig zumin­dest noch in grö­ße­ren Antho­lo­gien fin­den, zählt »Jen­seits«, bekannt wie­der­um nach der Ein­gangs­zei­le »Jen­seits des Tales stan­den ihre Zel­te«. Der Text hat als Fahr­ten­lied Kar­rie­re gemacht, gern und unred­lich auch unter Aus­las­sung der vier­ten Stro­phe, die man nur unter größ­ter Anstren­gung nicht homo­ero­tisch zu lesen ver­mag. Von wohl­mei­nen­der Sei­te unse­rer Tage wird beklagt, daß ein­gän­gi­ge, augen­zwin­kern­de Münch­hau­sen-Dich­tun­gen fälsch­lich in den Rang eines pars pro toto erho­ben wor­den sei­en, die als Cha­rak­te­ris­ti­kum sei­nes Schaf­fens ins­ge­samt jedoch wenig geeig­net sind, allen vor­an die »Leder­ho­sen-Saga« (»Es war ein schwarz­brau­ner Hirsch, / Groß­va­ter schoß ihn auf der Pirsch / Und weil sei­ne Decke so derb und dick, / Stif­te­te er ein Fami­li­en­stück. […] Denn Geschlech­ter kom­men, Geschlech­ter ver­ge­hen, / Hirsch­le­der­ne Reit­ho­sen blei­ben bestehen«).

Bör­ries Frei­herr v. Münch­hau­sen kommt am 20. März 1874 in Hil­des­heim zur Welt. Auf den Gütern der Fami­lie ver­bringt er sei­ne Jugend, das Stu­di­um führt ihn nach Hei­del­berg, Mün­chen, Ber­lin und Göt­tin­gen. Dem väter­li­chen Wunsch fol­gend, schließt er das juris­ti­sche Stu­di­um ab, 1899 wird er mit der Arbeit »Über die Pflicht zur Anzei­ge« pro­mo­viert. Münch­hau­sens Stu­di­um gilt nicht allein der wenig gelieb­ten Juristerei.

Die Kunst­aka­de­mie in Mün­chen besucht er, in Ber­lin kom­men Phi­lo­so­phie und Lite­ra­tur­ge­schich­te hin­zu, auch Natur­wis­sen­schaf­ten; das Inter­es­senspek­trum ist breit. Das Dich­te­ri­sche ist das Ziel, an ori­en­tie­ren­den Vor­bil­dern ist neben Gott­fried August Bür­ger, Theo­dor Fon­ta­ne und ande­ren der Schwei­zer Con­rad Fer­di­nand Mey­er hervorzuheben.

In Göt­tin­gen ruft der jun­ge Münch­hau­sen eine »Aka­de­mie« ins Leben, sam­melt Gleich­ge­sinn­te, den 1772 gegrün­de­ten »Göt­tin­ger Hain­bund« hat man wohl als Vor­läu­fer vor Augen. »Wir waren eine fröh­li­che Gesell­schaft damals«, erin­nert sich Münch­hau­sen 1941. Eine Rei­he von Namen zählt er auf, etwa Kuno von Har­den­berg, Carl Bulcke, Lud­wig Finckh, Levin Lud­wig Schücking, Agnes Mie­gel oder Lulu von Strauß und Tor­ney. Lite­ra­risch-künst­le­risch oder wis­sen­schaft­lich wer­den alle der Genann­ten hervortreten.

Mit Schücking unter­hält Münch­hau­sen einen fast fünf­zig­jäh­ri­gen, lesens­wer­ten, publi­ziert vor­lie­gen­den Brief­wech­sel. Sei­ne Bezie­hun­gen zu den bei­den Dich­te­rin­nen beschrän­ken sich nicht auf das Lite­ra­ri­sche, ein Kost­ver­äch­ter ist er dies­be­züg­lich nie, auch nicht nach sei­ner 1902 erfolg­ten Hei­rat mit Anna von ­Brei­ten­buch. Münch­hau­sen ver­ant­wor­tet meh­re­re Bän­de des jähr­lich erschei­nen­den Göt­tin­ger Musen-Alma­nachs. Ein Lieb­äu­geln mit dem »Ber­li­ner Lite­ra­tur­be­trieb« bleibt eine kur­ze Epi­so­de. Die Moder­ne, der Natu­ra­lis­mus, gar der Expres­sio­nis­mus sind sei­ne Sache nicht, um so mehr das Tra­dier­te und die Neoromantik.

Die Not­wen­dig­keit, eine Arbeit zur Siche­rung sei­nes Lebens­un­ter­halts auf­zu­neh­men, besteht für ihn nicht. Seit 1902 lebt er auf dem Rit­ter­gut Sah­lis bei Koh­ren, süd­lich von Leip­zig. In den Rei­hen des säch­si­schen Gar­de-Rei­ter-Regi­ments nimmt er am Krieg teil, zuletzt als Ritt­meis­ter. Zunächst im Osten, wird er 1916 gesund­heits­be­dingt ins Aus­wär­ti­ge Amt ver­setzt. Seit 1920 resi­diert er auf Schloß Win­di­schleu­ba bei Altenburg.

Stan­des­be­wußt und dabei lie­bes­wür­dig gibt er sich, der Begriff des Grand­sei­gneu­rs fällt im Zusam­men­hang mit sei­nem Namen. Über län­ge­re Zeit­räu­me getrüb­te Stim­mun­gen blei­ben aller­dings nicht aus. Nie­der­ge­drückt vom Gefühl des Unter­gangs der alten Welt zeigt sich Münch­hau­sen im 1919 ent­stan­de­nen Gedicht »Abge­ses­sen«, Bild sind ihm sei­ne Gar­de-Rei­ter: »Wer heu­te müde aus dem brau­nen Sat­tel steigt, / Dem hat das Leben die dun­kels­te Stun­de gezeigt, / Wer heu­te den Fuß über die damp­fen­de Krup­pe hebt, / Hat den fins­ters­ten Tag der Rei­ter her­un­ter­ge­lebt!« Einen schwe­ren per­sön­li­chen Schlag wird dann 1934 der Unfall­tod sei­nes ein­zi­gen Soh­nes bedeu­ten; Münch­hau­sen fügt sei­ner Titu­la­tur in der Fol­ge oft »Der letz­te sei­nes Stam­mes« hin­zu, was Bös­wil­li­ge sei­ner Eitel­keit zurechnen.

Reich­lich Kon­tak­te und Freund­schaf­ten pflegt er, er lädt auf sei­nen Besitz, für Ehrun­gen ist er sehr emp­fäng­lich. Eine phi­lo­so­phi­sche Ehren­dok­tor­wür­de ist 1924 dar­un­ter, Kam­mer­herr der Her­zo­gin von Sach­sen-Alten­burg ist er bereits 1909 gewor­den und Dom­herr von St. ­Mari­en zu Wur­zen 1920. Um der von ihm abge­lehn­ten lite­ra­ri­schen Moder­ne auch insti­tu­tio­nell ent­ge­gen­zu­tre­ten, ruft er 1932, gemein­sam mit Hans von der Gabel­entz, die Deut­sche Dich­ter­aka­de­mie, den »Wart­burg­kreis«, ins Leben. Erwin Gui­do Kol­ben­he­yer, Hans Grimm, Emil Strauß und Hanns Johst sind ihm hier ver­bun­den, und immer noch Agnes Miegel.

In die Dich­ter­sek­ti­on der Preu­ßi­schen Aka­de­mie der Küns­te rückt er erst Mit­te 1933 auf, nach der Ver­drän­gung der den NS-Macht­ha­bern unlieb­sa­men Mit­glie­der. Wer Bedarf nach ein­deu­ti­ger poli­ti­scher Ein­ord­nung hat, dem macht es Münch­hau­sen schwer. Gott­fried Benn bekämpft er auf das hef­tigs­te, im Zuge sei­nes – ver­geb­li­chen – Bemü­hens um Auto­no­mie der Aka­de­mie ist er reich­lich Angrif­fen der NS-Pres­se aus­ge­setzt. Die »gül­ti­gen Erfol­ge die­ser Zeit« bejaht er, den »Sta­chel­draht um die Gar­be der geis­ti­gen Frei­heit« sieht er als hohen Preis dafür. Das Juden­tum beschäf­tigt ihn früh. 1900 erscheint sein Werk Juda, die Dich­tun­gen schöp­fen ihren Stoff aus der hebräi­schen Bibel.

Der ­Münch­hau­sen freund­schaft­lich ver­bun­de­ne Ephra­im Moses Lili­en gestal­tet das äußerst erfolg­rei­che Buch. Münch­hau­sen gibt sich als Zio­nist, Theo­dor Herzl zollt ihm Bewun­de­rung, und ­Münch­hau­sen wie­der­um bedich­tet Herzl (»Du führ­test dein Volk aus der Frem­de ins Vater­land«). Anläß­lich des Pogroms von Kischin­jow 1903 ver­faßt er »Die Hes­ped-Kla­ge«. 1919 fragt er Schücking: »Bedrückt nicht auch Dich die­se ganz aus­schließ­li­che Lei­tung ger­ma­ni­schen Geschicks durch semi­ti­sche Intel­li­gen­zen und – Charaktere?!«

Die von ihm aus­ge­mach­te Bedro­hung des Geis­tes­le­bens treibt ihn zu ver­schie­de­nen, mit­un­ter dras­ti­schen Stel­lung­nah­men. Er legt jedoch mehr­fach, nicht nur im Schrei­ben an Schücking, Wert dar­auf, zu unter­strei­chen, daß er »nicht Anti­se­mit« sei. 1936 ver­wen­det er sich dafür, jüdi­sche Namens­än­de­run­gen rück­gän­gig zu machen. Wider­sprü­che? Mei­nungs­um­schwün­ge? Oppor­tu­nis­mus? Oder doch kon­sis­tent? Für Münch­hau­sen ist das Jüdi­sche eine Welt für sich, die eine Welt für sich blei­ben sollte.

Den End­sieg-Glau­ben trägt er lan­ge vor sich her. Am 16. März 1945 wählt er in Win­di­schleu­ba den Frei­tod. Bereits 1896 hat er den Wusch geäu­ßert: »Zur Sichel­stun­de will ich sagen kön­nen, / Was ich mir tat an allen Tagen gön­nen: / Bin fal­ter­gleich durch Len­zes­luft geflo­gen / Und habe jeder Blu­me Duft gesogen«.

Mag sein, daß es geglückt ist.

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