Über die Freikorps der Weimarer Republik sei alles gesagt, meint die universitäre Geschichtsforschung, und das Urteil (seltsam genug für eine wissenschaftliche Zunft) steht längst fest: Die Angehörige der Freikorps seien Reaktionäre, brutale Landsknechte gewesen, sie seien verantwortlich für Exzesse und Massaker und zeichneten sich durch die Unfähigkeit aus, im zivilen Leben zurechtzukommen.
Sie verkörperten nach den einst breit rezipierten Theorien von Klaus Theweleit (Männerphantasien, 2 Bde., Frankfurt a. M. 1977/78) den faschistischen Männertyp, der gekennzeichnet sei von der Unfähigkeit zu menschlichen Beziehungen. Diese Personen hätten durch erlittene Prügel und militärischen Drill ein sekundäres Ich in Form eines »Körperpanzers« erworben, der von militärischer Strammheit, Steifheit und Unterkühltheit gekennzeichnet sei. Als Vorläufer der Nationalsozialisten hätten viele Freikorpskämpfer später in den Reihen von SA und SS gestanden.
Entgegen diesem »Konsens« der Wissenschaft hat der Militärhistoriker René Hoffmann nun zwei Arbeiten vorgelegt, die das Gegenteil zeigen. Unter Berücksichtigung zahlreicher Quellen und wissenschaftlicher Literatur belegen seine detailreichen Untersuchungen, daß die junge Weimarer Demokratie ihr Überleben den Freiwilligenverbänden verdankte. Sie dokumentieren Selbstverständnis und Wahrnehmung der Freikorpssoldaten und zeichnen ein ausgewogenes Bild der Soldaten, wozu die vom Autor ausgewerteten und in der Forschung lange gern ignorierten Ego-Dokumente der Zeitzeugen beitragen.
Worum geht es? Hoffmanns Untersuchung über die politische Einbindung der Freikorps (Freikorps im Spiel der Politik. Zur Geschichte der deutschen Freikorps 1918 – 1920, Berlin 2023) ist ein guter Überblick über die Einsätze dieser Freiwilligenverbände und über das unausgesetzte Mißtrauen gegenüber diesen kampfstarken und charismatisch geführten Truppen, die der Republik zwar skeptisch gegenüberstanden, aber dennoch für sie kämpften.
Nach der friedlichen Regierungsübernahme der Mehrheitssozialisten im November 1918 sahen sich die neuen Machthaber weniger bedroht durch überzeugte Monarchisten als durch linksextreme Befürworter einer Revolution, wie sie Lenins Bolschewiki in Rußland gerade vorgemacht hatten. In dem drohenden deutschen Bürgerkrieg holte sich die Regierung von Friedrich Ebert in einem Pakt mit dem Generalstabschef Wilhelm Groener die Unterstützung des Heeres. Dieses Übereinkommen wertet Hoffmann als eigentlichen Gründungsakt der Republik, denn es diente der Bewahrung der inneren Ordnung, der Verhinderung von russischen Verhältnissen sowie dem Schutz der in Weimar zusammengetretenen Nationalversammlung.
Aus von der Front zurückkehrenden Truppen wurden Freiwilligenverbände aufgestellt, die nach dem Prinzip von Befehl und Gehorsam organisiert und auf eine starke Führerpersönlichkeit ausgerichtet waren. Dies geschah im Auftrag und mit Unterstützung der Regierung zur Aufrechterhaltung der inneren Ordnung sowie zur Abwehr äußerer Bedrohungen.
Obwohl von der Regierung als Ordnungskraft vehement umworben, setzten viele SPD-Politiker und vor allem die Parteipresse ihre antimilitaristische Agitation und Hetze gegen Offiziere fort. Dies konnte, wie der Autor deutlich herausarbeitet, bei den Soldaten kaum Vertrauen in Vertreter der jungen Demokratie wecken. Der neue SPD-Wehrminister Gustav Noske (»Einer muß der Bluthund werden«) sagte diesbezüglich: »Wird das Offizierskorps weiter so beschimpft, so kann sich keiner darüber wundern, wenn es einen Ekel vor der Revolution und Regierung bekommt.« Noske bildete mit seiner eher militärfreundlichen Einstellung eine Ausnahme in der SPD.
Der »Dank des Vaterlandes« blieb heimkehrenden Soldaten oft verwehrt. Ihnen wurden auf der Straße durch den Pöbel Orden und Schulterstücke abgerissen, sie wurden verspottet, nicht selten verprügelt, manche gar ermordet. Es ist ein großes Verdienst des Verfassers, in beiden Büchern die Doppelbödigkeit der Politik gegenüber den Soldaten mit einer Reihe von Beispielen transparent zu machen. Die spätere Abwendung vieler Freikorpsangehöriger von der Weimarer Republik beruhte auf diesem von nicht wenigen als Verrat und Mißbrauch empfundenen Verhalten.
Der unter den Parolen »Nieder mit Ebert – Scheidemann – Noske!« und »Nieder mit der Nationalversammlung!« ausgebrochene »Spartakus«-Aufstand in Berlin wollte, was Hoffmann zu Recht hervorhebt, die junge Demokratie beseitigen und die Sowjetifizierung Deutschlands herbeiführen. Vor diesem Hintergrund erteilte Noske den Freikorps folgenden Befehl: »Jede Person, die im Kampf gegen die Regierungstruppen mit der Waffe in der Hand angetroffen wird, ist sofort zu erschießen.«
Die Garde-Kavallerie-Schützendivision, am 16. Dezember 1918 per Regierungserlaß legitimiert, verhinderte in den Januarkämpfen – wie Hoffmann ausdrücklich betont: als einziger republiktreuer Verband vor Ort – die spartakistische Machtübernahme und gewährleistete die Bildung einer demokratisch legitimierten Reichsregierung. Die Morde an Karl Liebknecht und Rosa Luxemburg erfolgten mit Billigung von Ebert und Noske.
Bei Kriegsende standen deutsche Truppen tief in Rußland. Ihre schnelle Rückführung in die Heimat war gefährdet durch die nachdrängende Rote Armee, die die Revolution nach Mitteleuropa tragen wollte, und durch polnische Kämpfer, die aus der Konkursmasse der drei großen Reiche Deutschland, Rußland und Österreich-Ungarn möglichst viel Territorium für ihren neuen Staat heraustrennen wollten. Die neuentstandenen baltischen Republiken konnten, auf sich allein gestellt, dem Ansturm aus dem Osten nur wenig entgegensetzen.
So entstanden mit Einverständnis von Entente und Reichsregierung aus deutschen Freiwilligen Freikorps, die mit allerlei Versprechungen – die lettische Regierung sagte etwa den Erwerb der Staatsbürgerschaft und Land zum Siedeln zu – angeworben wurden. Im Oktober 1919 standen rund 50 000 Mann im Baltikum unter Waffen. August Winnig, SPD-Oberpräsident von Ostpreußen, erklärte später, durch die Freikorps sei der »Einmarsch der Roten Armee nach Ostpreußen verhindert worden«. Ihrem Einsatz sei die Unabhängigkeit von Lettland und Litauen zu verdanken. Als die Sieger aufgrund des Kampferfolges der Freikorps die Versailler Nachkriegsordnung gefährdet sahen, verlangten sie von der Reichsregierung ihre Auflösung. Wer sich der Anordnung widersetzte und im Baltikum blieb, wurde als »Rechtsbrecher« und »Söldner« geschmäht.
Obwohl die Freiwilligen das Vertrauen in die Regierung verloren hatten, bewahrten sie dem Vaterland die Treue. Indem sie die Nation schützten, sicherten sie das Überleben der Republik, urteilt Hoffmann und bekräftigt: Gerade in den bedrohten deutschen Ostprovinzen Ostpreußen, Pommern und Schlesien stand die Bevölkerung hinter den Freikorps. Denn sie waren der einzige Garant gegen Übergriffe aus dem Ausland. Entlassene Angehörige fanden hier auf den großen landwirtschaftlichen Gütern Arbeit, die ihnen in anderen Teilen des Reiches aufgrund des Einflusses der SPD-nahen Gewerkschaften oft verweigert wurde.
Der Putschversuch des Generallandschaftsdirektors Wolfgang Kapp mit Unterstützung der Marine-Brigade Ehrhardt im März 1920 scheiterte laut Hoffmann an der fehlenden Bereitschaft der Putschisten, Gewalt anzuwenden. Die preußischen Beamten verweigerten sich. Der später ausgerufene »Generalstreik«, der nur in einigen Berliner Arbeitervierteln befolgt wurde, bekam bald eine gegen die verfassungsgemäße Ordnung gemünzte Stoßrichtung, die in den Ruhrkampf führte. Die »Rote Armee« im Ruhrgebiet hoffte nach dem Kapp-Putsch auf die Gunst der Stunde und rief den Aufstand aus. Die KPD proklamierte: »Wir kämpfen nicht für die Regierung Ebert-Noske, sondern für die Diktatur des Proletariats.« Wieder retteten Freikorpsverbände durch ihren Einsatz die demokratische Regierung.
Wesentlichen Anteil an der Niederschlagung des Ruhr-Aufstandes hatte die Marinebrigade von Loewenfeld, über deren Aufbau, Gliederung, Einsätze, Auflösung und Nachleben Hoffmann eine Detailstudie vorgelegt hat (Die Marinebrigade von Loewenfeld. Freikorpsgeschichte und Deutungsvormacht, Berlin 2023), in der er auch auf die Erinnerungskultur eingeht. Die Arbeit zeigt, wie ideologisch gefärbte Urteile aus DDR-Medien (»Revanchistenaufmarsch«, »Arbeitermörder feiern ihren Terror«) bis heute Einfluß auf die Deutung der historischen Ereignisse haben, was sich unter anderem in – bisher vergeblichen – Versuchen zeigt, die Bottroper Loewenfeldstraße umzubenennen.
René Hoffmann revidiert in seinen beiden Studien die bisherige Deutung der Freikorps der Jahre 1918 bis 1920. Deutlich an der Darstellung wird: Nur wenn der Historiker dem Prinzip »sine ira et studio« verpflichtet ist, kann er historischen Ereignissen und Personen gerecht werden. Hoffmann ist dies eindrucksvoll gelungen.