Als Leser folgen wir in wechselnden Szenen (zwei, drei Seiten lang) zwei Handvoll Leuten, die in der deutschen Hauptstadt ihr Dasein gefunden haben. Nach den ersten fünfzig Seiten kennen wir dieses Personal bereits gut: den einst gehypten Schriftsteller mit der nun seit elf Jahren währenden Schreibblockade, in Wahrheit ein Taugenichts; Ali Zayed, den afghanischen Flüchtling, eben in Berlin gestrandet und auf der Suche nach einer »leichtlebigen, schamlosen«, hellhäutigen Frau; den türkischen Paketfahrer Emre (gläubiger Moslem), der eben die achtzehnjährige Fast-Christin Dima geschwängert hat; und die immer noch in der DDR verhaftete, daher teils bodenständige, teils ideologisierte Psychotherapeutin Frau Dr. Böhme.
Wir kennen diese Gemengelage nicht etwa deshalb so gut, weil Autor Peters (*1966) stereotypische Charakterisierungen bemühte – nein, er schildert mit beachtlicher Heiterkeit Individuen mit ihren je eigenen Idiosynkrasien. Wie kunstvoll! Wie ausgebufft, wie ambivalent! Nichts daran wirkt ausgedacht. Dieses ganze Personal agiert völlig authentisch. Wir schreiben die Spätphase der Corona-Diktatur.
Es gibt hier einen Disclaimer, der besagt: »Ähnlichkeiten mit Personen sind Zufall und vom Verfasser nicht beabsichtigt.« Haha, das ist ein bißchen billig! Natürlich wird jeder Leser einen Großteil des handelnden Personals identifizieren: »Bernard Entremont«, eine Hauptfigur, gleicht Michel Houellebecq aufs Haar, desgleichen die Literaturkritikerin »Roswita Pichler« der realen Sigrid Löffler, und der wirre Prof. Bernburger ähnelt bis in private Verästelungen dem Gesundheitsminister Lauterbach – andere Protagonisten sind ein Ratespiel, welches das Lesevergnügen nur erhöht. Vergnüglich ist diese Lektüre allemal!
Peters ist ein hellwacher Beobachter des Zeitgeschehens. Zumal als Rollenprosa tritt hier Unerhörtes zutage: Was wird geschimpft gegen »die Ausländer«, gegen den Gesundheitsminister, »er war krank, besessen, ein Fanatiker, zerfressen von Angst, Eifer, Wahn« – »er [einer seiner erwachsenen Söhne] fragte sich, weshalb die Leute den Irrsinn im Blick, in jeder Geste des berühmten Gesundheitsexperten Prof. Dr. Rolf Bernburger nicht sahen. Alles an seinem Vater verströmte die zerstörerische Energie eines kranken Geistes. Sick, sick, sick.«
Die Versatzteile, die sich um die plötzlich bisexuelle Tochter eines Berliner Bauhais drehen, um dessen dreiundfünfzigjährigen Kompagnon auf der Suche nach Frischfleisch in Zeiten von #MeToo, um seine Frau, die abgehalfterte Salonlöwin, oder um die mittelalte Joyce, ihres Zeichens sozial abgehängte Rassistin, sind als Miniaturen enorm lesenswert. Jeder und jede einzelne der hier, ja, Vorgeführten hat sein gutes Recht, sich ordentlich zu beklagen: Zu wenige Leute lassen sich impfen. Zu viele Leute lassen sich impfen. Leute mit dunkler Haut werden niedergemacht. Leute mit dunkler Haut machen nieder. Ein Asylant – es wird Ali Z. sein – tickt aus: Totschlag! Zufall oder in der Logik inbegriffen?
Wunderbar sind die Szenen um den Skandalautor Entremont, den misogynen, kulturpessimistischen Kettenraucher, Trinker und öffentlichen Besteiger ostasiatischer Frauen. Wie dieser Typ einerseits abgeht, andererseits vor lauter Introversion überhaupt nicht weiß, wie er nur schwach alkoholisiert in der Öffentlichkeit bestehen soll! Wie er dann eine flammende Rede über die Islamisierung des Abendlands hält, an die er sich Minuten später kaum erinnern kann! Über »die aus dem verklemmten Amerika herüberschwappende Scheiße einer Riege von Super-Moralisten, die wollen, daß Sie nichts anderes tun in Ihrem Leben als arbeiten, fernsehen«. Wie er damit die »Kulturschaffenden«, die ihn doch eingeladen haben, peinlich vorführt! Bis eine Stichflamme aufglüht und …!
Christoph Peters sieht diesen »Roman« als Teil einer Trilogie, die an Wolfgang Koeppens Fünfziger-Jahre-»Trilogie des Scheiterns« angelehnt sein soll. (Peters’ beachtlicher Roman Der Sandkasten, siehe sezession.de, »Kritik der Woche 44« 2023, stellt deren ersten Teil dar.) Wenn man Koeppens Stücke kennt, sieht man Parallelen, ja, das ist groß.
Gerade Koeppens Tauben im Gras war ja 2023 (weil der Text Abi-Lektüre war) ein Feuilletonaufreger wegen der Worte Neger / Nigger. Da war Peters’ Roman erst im Druck. Der vom Autor intendierte Vergleich wirkt überdeterminiert, es ist ein intellektualistischer Echoraum, wie auch das Datum, an dem dies alles stattfinden soll: natürlich ein neunter November. Man sollte einfach Krähen im Park lesen – mit der Garantie im Gepäck, daß man sich köstlich amüsieren wird!
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Christoph Peters: Krähen im Park. Roman, München: Luchterhand 2023. 318 S., 24 €
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