Christoph Peters: Krähen im Park

Das ist kein Roman, sondern eine Bestandsaufnahme. So wirklichkeitsprall, so dicht, daß man das Buch nicht weglegen mag.

Ellen Kositza

Ellen Kositza ist Literatur-Redakteurin und Mutter von sieben Kindern.

Als Leser fol­gen wir in wech­seln­den Sze­nen (zwei, drei Sei­ten lang) zwei Hand­voll Leu­ten, die in der deut­schen Haupt­stadt ihr Dasein gefun­den haben. Nach den ers­ten fünf­zig Sei­ten ken­nen wir die­ses Per­so­nal bereits gut: den einst gehyp­ten Schrift­stel­ler mit der nun seit elf Jah­ren wäh­ren­den Schreib­blo­cka­de, in Wahr­heit ein Tau­ge­nichts; Ali Zay­ed, den afgha­ni­schen Flücht­ling, eben in Ber­lin gestran­det und auf der Suche nach einer »leicht­le­bi­gen, scham­lo­sen«, hell­häu­ti­gen Frau; den tür­ki­schen Paket­fah­rer Emre (gläu­bi­ger Mos­lem), der eben die acht­zehn­jäh­ri­ge Fast-Chris­tin Dima geschwän­gert hat; und die immer noch in der DDR ver­haf­te­te, daher teils boden­stän­di­ge, teils ideo­lo­gi­sier­te Psy­cho­the­ra­peu­tin Frau Dr. Böhme.

Wir ken­nen die­se Gemenge­la­ge nicht etwa des­halb so gut, weil Autor ­Peters (*1966) ste­reo­ty­pi­sche Cha­rak­te­ri­sie­run­gen bemüh­te – nein, er schil­dert mit beacht­li­cher Hei­ter­keit Indi­vi­du­en mit ihren je eige­nen Idio­syn­kra­si­en. Wie kunst­voll! Wie aus­ge­bufft, wie ambi­va­lent! Nichts dar­an wirkt aus­ge­dacht. Die­ses gan­ze Per­so­nal agiert völ­lig authen­tisch. Wir schrei­ben die Spät­pha­se der Corona-Diktatur.

Es gibt hier einen Dis­clai­mer, der besagt: »Ähn­lich­kei­ten mit Per­so­nen sind Zufall und vom Ver­fas­ser nicht beab­sich­tigt.« Haha, das ist ein biß­chen bil­lig! Natür­lich wird jeder Leser einen Groß­teil des han­deln­den Per­so­nals iden­ti­fi­zie­ren: »Ber­nard Entre­mont«, eine Haupt­fi­gur, gleicht Michel Hou­el­le­becq aufs Haar, des­glei­chen die Lite­ra­tur­kri­ti­ke­rin »Ros­wi­ta Pich­ler« der rea­len Sig­rid Löff­ler, und der wir­re Prof. Bern­bur­ger ähnelt bis in pri­va­te Ver­äs­te­lun­gen dem Gesund­heits­mi­nis­ter Lau­ter­bach – ande­re Prot­ago­nis­ten sind ein Rate­spiel, wel­ches das Lese­ver­gnü­gen nur erhöht. Ver­gnüg­lich ist die­se Lek­tü­re allemal!

Peters ist ein hell­wa­cher Beob­ach­ter des Zeit­ge­sche­hens. Zumal als Rol­len­pro­sa tritt hier Uner­hör­tes zuta­ge: Was wird geschimpft gegen »die Aus­län­der«, gegen den Gesund­heits­mi­nis­ter, »er war krank, beses­sen, ein Fana­ti­ker, zer­fres­sen von Angst, Eifer, Wahn« – »er [einer sei­ner erwach­se­nen Söh­ne] frag­te sich, wes­halb die Leu­te den Irr­sinn im Blick, in jeder Ges­te des berühm­ten Gesund­heits­exper­ten Prof. Dr. Rolf Bern­bur­ger nicht sahen. Alles an sei­nem Vater ver­ström­te die zer­stö­re­ri­sche Ener­gie eines kran­ken Geis­tes. Sick, sick, sick.«

Die Ver­satz­tei­le, die sich um die plötz­lich bise­xu­el­le Toch­ter eines Ber­li­ner Bau­hais dre­hen, um des­sen drei­und­fünf­zig­jäh­ri­gen Kom­pa­gnon auf der Suche nach Frisch­fleisch in Zei­ten von #MeToo, um sei­ne Frau, die abge­half­ter­te Salon­lö­win, oder um die mit­tel­al­te Joy­ce, ihres Zei­chens sozi­al abge­häng­te Ras­sis­tin, sind als Minia­tu­ren enorm lesens­wert. Jeder und jede ein­zel­ne der hier, ja, Vor­ge­führ­ten hat sein gutes Recht, sich ordent­lich zu bekla­gen: Zu weni­ge Leu­te las­sen sich imp­fen. Zu vie­le Leu­te las­sen sich imp­fen. Leu­te mit dunk­ler Haut wer­den nie­der­ge­macht. Leu­te mit dunk­ler Haut machen nie­der. Ein Asy­lant – es wird Ali Z. sein – tickt aus: Tot­schlag! Zufall oder in der Logik inbegriffen?

Wun­der­bar sind die Sze­nen um den Skan­dal­au­tor Entre­mont, den miso­gy­nen, kul­tur­pes­si­mis­ti­schen Ket­ten­rau­cher, Trin­ker und öffent­li­chen Bestei­ger ost­asia­ti­scher Frau­en. Wie die­ser Typ einer­seits abgeht, anderer­seits vor lau­ter Intro­ver­si­on über­haupt nicht weiß, wie er nur schwach alko­ho­li­siert in der Öffent­lich­keit bestehen soll! Wie er dann eine flam­men­de Rede über die Isla­mi­sie­rung des Abend­lands hält, an die er sich Minu­ten spä­ter kaum erin­nern kann! Über »die aus dem ver­klemm­ten Ame­ri­ka her­über­schwap­pen­de Schei­ße einer Rie­ge von Super-Mora­lis­ten, die wol­len, daß Sie nichts ande­res tun in Ihrem Leben als arbei­ten, fern­se­hen«. Wie er damit die »Kul­tur­schaf­fen­den«, die ihn doch ein­ge­la­den haben, pein­lich vor­führt! Bis eine Stich­flam­me auf­glüht und …!

Chris­toph Peters sieht die­sen »Roman« als Teil einer Tri­lo­gie, die an Wolf­gang Koep­pens Fünfziger-Jahre-»Trilogie des Schei­terns« ange­lehnt sein soll. (Peters’ beacht­li­cher Roman Der Sand­kas­ten, sie­he sezession.de, »Kri­tik der Woche 44« 2023, stellt deren ers­ten Teil dar.) Wenn man Koep­pens Stü­cke kennt, sieht man Par­al­le­len, ja, das ist groß.

Gera­de Koep­pens Tau­ben im Gras war ja 2023 (weil der Text Abi-Lek­tü­re war) ein Feuil­le­ton­auf­re­ger wegen der Wor­te Neger / Nig­ger. Da war Peters’ Roman erst im Druck. Der vom Autor inten­dier­te Ver­gleich wirkt über­de­ter­mi­niert, es ist ein intel­lek­tua­lis­ti­scher Echo­raum, wie auch das Datum, an dem dies alles statt­fin­den soll: natür­lich ein neun­ter Novem­ber. Man soll­te ein­fach Krä­hen im Park lesen – mit der Garan­tie im Gepäck, daß man sich köst­lich amü­sie­ren wird!

– –

Chris­toph Peters: Krä­hen im Park. Roman, Mün­chen: Luch­ter­hand 2023. 318 S., 24 €

 

Die­ses Buch kön­nen Sie auf antaios.de bestellen.

Ellen Kositza

Ellen Kositza ist Literatur-Redakteurin und Mutter von sieben Kindern.

Nichts schreibt sich
von allein!

Das Blog der Zeitschrift Sezession ist die wichtigste rechtsintellektuelle Stimme im Netz. Es lebt vom Fleiß, von der Lesewut und von der Sprachkraft seiner Autoren. Wenn Sie diesen Federn Zeit und Ruhe verschaffen möchten, können Sie das mit einem Betrag Ihrer Wahl tun.

Sezession
DE58 8005 3762 1894 1405 98
NOLADE21HAL

Kommentare (0)