Günter Scholdt: Reden wir über Postdemokratie

von Fritz Keilbar --

Postdemokratie ist ein Begriff, der seit circa 20 Jahren benutzt wird, um den gegenwärtigen Zustand der westlichen Demokratie zu beschreiben.

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Es soll sich dabei um eine Schwund­stu­fe der »eigent­li­chen« Demo­kra­tie han­deln, die sich vor allem durch ein Erstar­ren der demo­kra­ti­schen Insti­tu­tio­nen aus­zeich­net; ein Pro­zeß, den man mit Geh­len auch als demo­kra­ti­sche Kris­tal­li­sa­ti­on beschrei­ben könn­te. Es fin­det zwar wei­ter­hin eine demo­kra­ti­sche Wil­lens­bil­dung mit­tels Wah­len und auch eine Par­ti­zi­pa­ti­on der Bür­ger über ver­schie­de­ne Betei­li­gungs­gre­mi­en statt, aller­dings sind die­se For­men der Vor­mund­schaft unter­schied­li­cher Eli­ten unterworfen.

So sinn­voll der Begriff »Post­de­mo­kra­tie« in ana­ly­ti­scher Hin­sicht sein kann, so wenig läßt sich außer acht las­sen, daß damit auch immer eine nor­ma­ti­ve Aus­sa­ge ver­bun­den ist, es gäbe so etwas wie eine Demo­kra­tie im Ide­al­zu­stand. Scholdt ver­mei­det es in sei­nem Buch, sich an die­ser poli­tik­wis­sen­schaft­li­chen Debat­te zu betei­li­gen, son­dern lie­fert auf ein­hun­dert Sei­ten Anschau­ungs­ma­te­ri­al zu der Fra­ge: Wie ist es um die Demo­kra­tie in Deutsch­land und Öster­reich bestellt?

Aus­gangs­punkt sei­ner Über­le­gun­gen sind die Maß­nah­men im Rah­men der Coro­na-Pan­de­mie, die dazu geführt haben, daß die bis­lang eher ver­deck­ten Zie­le der poli­ti­schen Eli­te für eine gro­ße Zahl an Men­schen offen­bar wur­den. Die Mani­pu­la­ti­on der demo­kra­ti­schen Insti­tu­tio­nen und Pro­zes­se war auf ein­mal öffent­lich, weil sie jeden betraf. Nicht zuletzt die Kom­pli­zen­schaft der Medi­en, wie schon im Rah­men der soge­nann­ten Flücht­lings­kri­se, mit den Mäch­ti­gen und der Miß­brauch des Rechts­staa­tes zur Unter­drü­ckung der Oppo­si­ti­on lüf­te­ten den Schleier.

Der dahin­ter­ste­cken­de Vor­gang ist laut Scholdt »der Aus­bau der Macht­struk­tu­ren hin­ter der offi­zi­el­len Kulis­se einer Volks­herr­schaft, über deren Soli­di­tät sich die meis­ten gut­gläu­big täu­schen. Ver­mut­lich wur­de bereits der Moment ver­paßt, ein­schnei­den­de exper­to­kra­ti­sche Vor­ent­schei­dun­gen fern von leib­haf­ti­gen Men­schen und ihren Bedürf­nis­sen zu verhindern«.

Die sozi­al­öko­lo­gi­sche Trans­for­ma­ti­on mit Hei­zungs­ge­setz, Mobi­li­täts­be­schrän­kun­gen und Wohn­raum­be­wirt­schaf­tung ist Resul­tat die­ses Vor­gangs. Abge­mil­dert wird die­se Ent­mün­di­gung durch einen aus­ufern­den Sozi­al­staat, der danach trach­tet, mög­lichst jeden in irgend­ei­ner Wei­se von ihm abhän­gig zu machen. Scholdt the­ma­ti­siert in sei­nem Buch aber auch die glo­ba­len Inter­es­sen, die von die­sen post­de­mo­kra­ti­schen Ver­hält­nis­sen profitieren.

Der tota­li­tä­ren Post­de­mo­kra­tie setzt Scholdt nun kei­ne libe­ra­le Ide­al­de­mo­kra­tie ent­ge­gen, son­dern defi­niert Demo­kra­tie ganz nüch­tern als einen Zustand, der nur in Schön­wet­ter­pe­ri­oden vor­kom­me: »Es har­mo­nie­ren zen­tra­le Vor­stel­lun­gen und Ansprü­che einer Volks­mehr­heit mit denen ihrer Eli­te, die sie tat­säch­lich ver­tritt, ohne allen nach dem Mund zu reden und jeden kurz­fris­ti­gen, par­ti­ku­la­ren oder zukunfts­ver­stel­len­den Wunsch zu erfül­len […]. Grund­rech­te garan­tie­ren, daß auch Mehr­heits­ent­schei­dun­gen nicht all­zu stark ins Pri­va­te eingreifen.«

Tat­säch­lich haben die­se Din­ge wenig mit Demo­kra­tie zu tun, auch im Preu­ßen Fried­rich des Gro­ßen waren sie vor­han­den. Daher stellt Scholdt abschlie­ßend the­sen­ar­tig eini­ge Merk­ma­le demo­kra­ti­scher Sys­te­me her­aus, die sie mit allen ande­ren Herr­schafts­sys­te­men gemein­sam haben. Das Ergeb­nis: Es geht um Macht und Macht­er­halt, für den die Mäch­ti­gen zu fast jedem Mit­tel grei­fen, wenn sie kei­ne ande­re Mög­lich­keit haben, ihre Macht zu erhalten.

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Gün­ter Scholdt: Reden wir über Post­de­mo­kra­tie (= Poli­ti­kon; 5), zwei­te, aktua­li­sier­te Auf­la­ge, Graz: Frei­lich Ver­lag 2023. 101 S., 17,90 €

 

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