Einleitend heißt es, Gegenstand sei die Geschichte der Kreisdienststelle Meißen des Ministeriums für Staatssicherheit (MfS). Obwohl Studien über die als Geheimdienst und ‑polizei der DDR fungierende Behörde zahlreich seien, fehle bislang eine entsprechende (Beispiel-)Untersuchung auf der untersten organisatorischen Ebene, der Kreisebene.
Seinen selbstgestellten Anspruch löst der Autor Johannes Zeller nur sehr bedingt ein. Flockende Zusammenhanglosigkeit und Kapitel, die weit vom Thema des Buches entfernt sind, kennzeichnen das Werk Meißen intern. Eine Vielzahl von den MfS-Akten entnommenen Informationen wird aneinandergereiht. Etwa die Hälfte Buches besteht aus faksimilierten Dokumenten, die weitgehend unkommentiert bleiben.
Zu den Komplexen, die aus schwer nachvollziehbaren Gründen in das Buch aufgenommen wurden, gehört die Schilderung der durch die SED initiierten Gründungen der Blockparteien DBD und NDPD im Jahr 1948. Ein umfangreiches Kapitel beschäftigt sich mit der Absetzung und Verhaftung des DDR-Ministers Karl Hamann im Dezember 1952, der der LDPD angehörte, und der Gefügigmachung der Liberaldemokraten in der DDR. Über den für die Wirtschaft nachteiligen Einfluß der SED-Funktionäre wird referiert.
Daß Hans Modrow im Dezember 1989 noch eifrig bemüht war, die SED zu »retten« und unverblümt den Staatssicherheitsdienst – unter Schonung der Auslandsaufklärung – als Sündenbock opfern wollte, ist nicht neu. Im abschließenden Teil seines Buches widerspricht Zeller bisherigen Darstellungen zur Gründung der »Gruppe der 20« in Dresden am 8. Oktober 1989. Insbesondere geht es ihm darum, daß die Rolle des damaligen Kaplans Frank Richter bei der Formierung der Vertreter der Opposition weit geringer war als später behauptet. Diese These wäre ein relativ unbekannter Aspekt – allerdings auch der einzige des ganzen Buches.
Zeller betont zu Recht, daß »zwischen SED und MfS das Verhältnis des Auftraggebers zum Beauftragten bestand, in dem das MfS für die Partei tätig zu werden hatte, und nicht umgekehrt«. In den Passagen, in denen er dann tatsächlich die Kreisdienststelle Meißen des MfS in den Blick nimmt, behält der Leser den Eindruck zurück, Zeller habe die ihm vorliegenden Aktenkonvolute »abgearbeitet« und ihm bemerkenswert Erscheinendes aufgelistet oder gleich im Original übernommen, ohne weiteren darstellerischen, vermittelnden und analytischen Anspruch. Eine Systematik ist schwer auszumachen.
So findet sich etwa der Abdruck eines auch der Kreisdienststelle zugegangenen Leitfadens mit dem Titel »Wer ist wer« aus dem Jahr 1975. Die MfS-Mitarbeiter wurden hier minutiös instruiert, welche Details über einzuschätzende Personen zu erfassen seien. Als große, immer wiederkehrende Aufgabe für das MfS stellte sich die »Zurückdrängung rechtswidriger Ersuchen auf Übersiedlung nach der BRD bzw. Berlin-West« dar, speziell auf die gut ausgebildeten Porzellanmaler der Meißner Manufaktur wollte man nicht verzichten.
Das MfS kontrollierte auch, ob die »Zurückweisungsgespräche« der damit beauftragten Stellen ordnungsgemäß geführt wurden, etwa indem ein Inoffizieller Mitarbeiter zum Schein die Ausreise beantragte. Ebenso war der Staatssicherheitsdienst mit dem Problem der »Wahlvorbehalte« befaßt – die DDR-Führung legte Wert darauf, daß sich die Bevölkerung an der Wahlfarce beteiligte und so zumindest äußerlich Zustimmung signalisierte.
Überraschend ist derartiges nicht, hat aber wohl seinen Platz in einer Geschichte einer MfS-Kreisdienststelle, im Gegensatz zu mehrfach unvermittelt auftauchenden Angaben – wie etwa über die Hauptamtliche Inoffizielle Mitarbeiterin »Ursula«. Dienstzeit, Gehalt, Kinder, alles unspektakulär, werden aufgezählt, ansonsten spielt die Frau keine Rolle. Maximal illustrativen Charakter haben Dokumente wie die in Auszügen abgedruckte »Chronik«, die durch die MfS-Kreisdienststelle selbst angefertigt wurde.
Sprachlich ungelenk wirkt Meißen intern, eine fehlende Korrektur, Redundanzen, entbehrliche Details wie Registriernummern Inoffizieller Mitarbeiter, ausführliche Typenangaben zu Waffen oder die minutiöse Aufzählung von Prämien erschweren die Lesbarkeit.
Wollte man partout ein positives Schlußurteil fällen, so ließe sich formulieren: Schlaglichtartige Eindrücke zur DDR-Geschichte im allgemeinen und zum Staatssicherheitsdienst im besonderen, mit Schwerpunkt auf dem Kreis Meißen, sind dem Buch zu entnehmen, grundsätzliche und nicht zu knappe Vorkenntnisse über die zweite deutsche Diktatur sollten allerdings vorhanden sein.
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Johannes Zeller: Meißen intern – die Geheimpolizei der SED, Hamburg: Verlag Dr. Kovač 2023. 192 S., 48,50 €
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