Helge Hesse: Ein deutsches Versprechen

Sophie Liebnitz --

Der freie Publizist Helge Hesse, seines Zeichens studierter Wirtschaftswissenschaftler und Philosoph, hat mit Ein deutsches Versprechen eines jener Bücher vorgelegt, die Geschichte, in diesem Fall Kulturgeschichte, anhand eines Ortes lebendig werden lassen wollen.

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Lon­don, Vene­dig, Wien, Ber­lin, Paris sind bevor­zug­te und dank­ba­re Gegen­stän­de sol­cher Unter­neh­men. Daß das ungleich klei­ne­re Wei­mar sich trotz sei­ner beschei­de­nen Grö­ße und des feh­len­den Metro­po­len­cha­rak­ters für den deutsch­spra­chi­gen Raum beson­ders anbie­tet, ist kei­ne Fra­ge. Kul­tu­rel­le Bedeu­tung wird ja nicht durch räum­li­che Grö­ßen­ver­hält­nis­se erzeugt.

Die zu umschif­fen­de Gefahr ist frei­lich eine all­zu gro­ße Goe­the-und-Schil­ler-Las­tig­keit, ein Aus­wal­zen der Peri­ode der Wei­ma­rer Klas­sik, über die aus­gie­big und mehr als aus­gie­big geschrie­ben wor­den ist. Der Leser kann erfreut fest­stel­len, daß es Hes­se gelun­gen ist, die­se Fal­le zu ver­mei­den: »Goe­the aller­or­ten« heißt ein, aber eben nur ein Kapi­tel sei­nes Buches, ein wei­te­res wid­met sich unver­meid­li­cher­wei­se Schil­ler als »belebende[m] Nachbar[n]«.

Die­se bei­den Abschnit­te neh­men mit etwa acht­zig Sei­ten einen ver­tret­ba­ren Anteil am Gesamt­um­fang ein. Sie bie­ten nichts Neu­es, was bei die­sem The­ma auch nicht zu erwar­ten wäre, aber einen plas­ti­schen Über­blick, der auch ein­drucks­vol­le Neben­fi­gu­ren wie den ver­dienst­vol­len Ver­le­ger und Unter­neh­mer Fried­rich Jus­tin Ber­tuch ins Licht setzt.

Beson­ders inter­es­sant dage­gen das Davor und Danach der Schil­ler-Goe­the-Kon­stel­la­ti­on. Zunächst: Das Jahr 1933 sagt jedem etwas, doch war­um aus­ge­rech­net 1756 als Beginn des Beschrei­bungs­zeit­raums? Nun, in die­sem Jahr hei­ra­te­te Ernst August II. ­Con­stan­tin von Sach­sen-Wei­mar-Eisen­ach, der Vater von »Goe­thes Her­zog«, die nach­ma­lig berühm­te, aus der Fami­lie der Wel­fen stam­men­de Anna Amalia.

Der kränk­li­che Her­zog starb schon zwei Jah­re spä­ter, und Anna ­Ama­lia über­nahm die Vor­mund­schaft für zwei Söh­ne und, gegen inter­ne Wider­stän­de am Hofe, in Ver­tre­tung ihres min­der­jäh­ri­gen Soh­nes die Regent­schaft des Her­zog­tums. Die­ses weni­ger geläu­fi­ge »Vor­spiel« zur Klas­sik bie­tet Ein­bli­cke in die Gene­se eines Kul­tur­stand­orts von hohen Gra­den, in den Intri­gan­ten­stadl eines Hofes und die durch­aus gege­be­nen Durch­set­zungs­mög­lich­kei­ten einer (hoch-)adligen Frau.

Auch nach den Dio­s­ku­ren-Kapi­teln geht es anre­gend wei­ter: Sie wid­men sich Maria Paw­low­na, der Nach­fol­ge­rin Anna Ama­li­as in der Rol­le der kul­tu­rel­len Takt­ge­be­rin, die den Schwer­punkt der Wei­ma­rer Kul­tur auf die Musik ver­la­ger­te, den Scho­pen­hau­ers, also der erfolg­rei­chen Unter­hal­tungs­schrift­stel­le­rin Johan­na und ihrem schwie­ri­gen Sohn, dem Auf­tre­ten Napo­le­ons, dem Zuzug Franz Liszts, dem dahin­däm­mern­den Nietz­sche, der 1900 in Wei­mar starb, wo sei­ne Schwes­ter Eli­sa­beth das Nietz­sche-Archiv ein­rich­te­te, und zahl­rei­chen wei­te­ren, oft nur schein­ba­ren »Neben­fi­gu­ren«.

Mit Har­ry Graf Kess­ler, der von 1903 bis 1906 als Direk­tor des Groß­her­zog­li­chen Muse­ums für Kunst und Kunst­ge­wer­be fran­zö­si­sche Impres­sio­nis­ten aus­stell­te, und dem Archi­tek­ten Hen­ry van de Vel­de, des­sen Wohn­haus heu­te von der Klas­sik Stif­tung Wei­mar als Muse­um genutzt wird, ist der Leser in der Moder­ne ange­kom­men. Die Viel­falt an Ereig­nis­sen, Per­so­nen und Bezü­gen läßt sich auf knap­pem Raum nicht ansatz­wei­se wie­der­ge­ben: Sie zeigt aber ein­drucks­voll, welch kul­tu­rel­le Strahl­kraft sich aus ver­gleichs­wei­se beschei­de­nen Anfän­gen ent­wi­ckeln kann, und dar­an ändert auch das bedrü­cken­de letz­te Kapi­tel nichts. Wei­mar bleibt, wie der Ver­fas­ser tref­fend for­mu­liert, »ein Ver­spre­chen und eine Her­aus­for­de­rung« – man­ches anti­qua­risch gewor­den, jedoch kei­ne tote Vergangenheit.

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Hel­ge Hes­se: Ein deut­sches Ver­spre­chen. Wei­mar 17561933, Stutt­gart: Reclam 2023. 283 S., 28 €

 

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