Klaus-Rüdiger Mai: Der kurze Sommer der Freiheit

von Erik Lommatzsch --

Herbert Belter wurde am 28. April 1951 in Moskau hingerichtet. In Dresden hatten die sowjetischen Besatzer den gerade einmal einundzwanzigjährigen Leipziger Studenten wegen »antisowjetischer Tätigkeit« und Spionage angeklagt.

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Sei­ne tat­säch­li­chen »Ver­ge­hen« bestan­den dar­in, aus West-Ber­lin erhal­te­ne Tex­te ver­brei­tet, dem RIAS Arti­kel über die Stim­mung unter den Stu­den­ten über­ge­ben und für die Ver­tei­lung von Flug­blät­tern gesorgt zu haben. All dies war übri­gens von der Ver­fas­sung der DDR gedeckt, die – theo­re­tisch – die freie Mei­nungs­äu­ße­rung garan­tier­te. Aller­dings erfolg­te die Ankla­ge auf­grund der – kon­stru­ier­ten – Vor­wür­fe nach sowje­ti­schem Recht.

Eben­so kon­stru­iert wur­de eine »Bel­ter-Grup­pe«, um durch die vor­geb­li­che Geschlos­sen­heit Bedroh­lich­keit zu insze­nie­ren. Die­se »Grup­pe«, ein knap­pes Dut­zend Stu­den­ten, wand­te sich, in Unter­schät­zung der sich immer wei­ter ver­fes­ti­gen­den Dik­ta­tur, »gegen die Auf­lö­sung der stu­den­ti­schen Selbst­ver­wal­tung, gegen die Ver­schu­lung der Uni­ver­si­tät, den nicht wis­sen­schaft­li­chen, son­dern poli­ti­schen und ideo­lo­gi­schen Ein­griff in Stu­di­en­gang und Stu­di­en­in­hal­te, gegen die Stu­di­en­platz- und Sti­pen­di­en­ver­ga­be nicht auf­grund von Leis­tun­gen, son­dern abhän­gig von sozia­ler Her­kunft und poli­ti­scher Ein­stel­lung, gegen die Auf­he­bung der Frei­heit von Leh­re und For­schung«, wie der Autor Klaus-Rüdi­ger Mai zusammenfaßt.

Als Illus­tra­ti­on für das rigo­ro­se Durch­grei­fen der Besat­zer, die hier »ihre« DDR-Staats­macht unter­stütz­ten, mag die­nen, daß auch ein jun­ger Tisch­ler, in des­sen Woh­nung ledig­lich eini­ge Bro­schü­ren auf­be­wahrt wur­den, als »Mit­glied« der »Bel­ter-Grup­pe« ange­se­hen wur­de und eine lang­jäh­ri­ge Stra­fe in einem Sowjet-Lager ver­bü­ßen muß­te. Für Bel­ters Eltern und für die Öffent­lich­keit blieb des­sen Ver­fah­ren geheim, er war schlicht ver­schol­len, sein Weg konn­te erst im Zuge des 1989 begin­nen­den poli­ti­schen Umbruchs rekon­stru­iert werden.

Mai läßt immer wie­der deut­lich erken­nen, daß ihm das Tota­li­tä­re, die Dik­ta­tur jeg­li­cher Cou­leur zuwi­der ist, eben­so wie die­je­ni­gen, die sich in den Dienst der­ar­ti­ger Ideen stel­len. Mit sei­nem Buch Der kur­ze Som­mer der Frei­heit hat er aller­dings nicht, wie der Unter­ti­tel »Wie aus der DDR eine Dik­ta­tur wur­de« ver­mu­ten las­sen könn­te, eine umfas­sen­de Dar­stel­lung der sowje­ti­schen Besat­zungs­zo­ne und der ers­ten Jah­re der dar­aus gebil­de­ten DDR vorgelegt.

Er schil­dert vor allem stu­den­ti­sche Selbst­be­haup­tungs­ver­su­che die­ser Zeit an der Uni­ver­si­tät Leip­zig gegen den letzt­lich erfolg­rei­chen kom­mu­nis­ti­schen »Sturm auf die Fes­tung Wis­sen­schaft«. Eine Hypo­thek des Wer­kes sind Red­un­dan­zen und ein gewis­ses Ungleich­ge­wicht. Punk­tu­ell wer­den Ent­wick­lun­gen, die mit den Leip­zi­ger Vor­gän­gen nur bedingt in Zusam­men­hang ste­hen, rela­tiv aus­führ­lich dar­ge­stellt, etwa das ver­geb­li­che Bemü­hen der DDR-Par­tei­en LDPD und CDU um einen eige­nen poli­ti­schen Weg.

Die Kapi­tel über die »Bel­ter-Grup­pe«, mit sehr aus­führ­li­chen Zita­ten aus den Ver­hö­ren und dem Pro­zeß, umfas­sen reich­lich die Hälf­te des Ban­des – damit domi­nie­ren die­se Pas­sa­gen die wei­te­ren, nicht min­der bedeu­ten­den Vor­gän­ge etwas stark. Man kann sich des Ein­drucks nicht erweh­ren, das Gan­ze sei ursprüng­lich anders kon­zi­piert gewe­sen und dann unter Zeit­druck zu Ende geführt worden.

Bezog Bel­ter die Uni­ver­si­tät erst mit Grün­dung der DDR, so waren in den Jah­ren zuvor schon Leip­zi­ger Stu­den­ten aktiv gewor­den, um im Glau­ben an eine ent­ste­hen­de Demo­kra­tie die immer wei­ter ein­ge­schränk­te Frei­heit zu ver­tei­di­gen. Von SED und sowje­ti­schen Besat­zern wur­den sie mas­siv bekämpft und zu absurd hohen Stra­fen ver­ur­teilt. Eine ungu­te Rol­le bei meh­re­ren Vor­gän­gen spiel­te Man­fred Ger­lach, der spä­ter letz­ter Staats­rats­vor­sit­zen­der der DDR wer­den soll­te. So etwa bei einer Fal­le, die dem Theo­lo­gie­stu­den­ten Wer­ner Ihmels gestellt wur­de. Ihmels, der am Anfang in der FDJ mit­ge­ar­bei­tet, dann aber Chris­ten zum Aus­tritt gera­ten hat­te, starb in der Haft. Der damals wohl fast legen­dä­re libe­ra­le Stu­den­ten­rats­vor­sit­zen­de Wolf­gang Nato­nek, des­sen Ver­drän­gung mit­tels Wahl nicht gelang, geriet eben­so in die Fän­ge der Sowjet-Justiz.

Mai, der immer wie­der die Quel­len spre­chen läßt, ist es erklär­ter­ma­ßen ein Anlie­gen, die kaum gepfleg­te Erin­ne­rung an die Stu­den­ten anzu­mah­nen, die die kom­mu­nis­ti­sche Dik­ta­tur bekämpft haben. Über das Andenken hin­aus sieht Mai das Poten­ti­al, durch ent­spre­chen­de Schick­sa­le »uni­ver­sel­le Mecha­nis­men – wie Dik­ta­tur ent­steht und wie Dik­ta­tur die Macht auf­recht­erhält« – sicht­bar zu machen.

Die Par­al­le­len zu heu­ti­gen Vor­gän­gen sind unüber­seh­bar, etwa wenn Mai davon spricht, daß Begrif­fe besetzt und in ihr Gegen­teil ver­kehrt wur­den, oder erzählt, wie eine nicht genehm aus­ge­gan­ge­ne Wahl rück­gän­gig gemacht wur­de. Ein gro­ßer Unter­schied besteht aller­dings: Damals gab es mit »dem Wes­ten« einen freie­ren Teil Deutsch­lands, in den man wech­seln konn­te, wenn der Druck uner­träg­lich wurde.

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Klaus-Rüdi­ger Mai: Der kur­ze Som­mer der Frei­heit. Wie aus der DDR eine Dik­ta­tur wur­de, Frei­burg i. Br.: Her­der 2023. 315 S., 22 €

 

 

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