Dementsprechend finden sich bis heute die Zeugnisse von dessen Kunstschaffen und Besiedlung (und der deutschen Sprache) in manchem, auch unerwartetem, Winkel Europas. Der vorliegende Band von kurzen Reiseessays zeigt, wo in nah und fern bis heute Trittsiegel des roten Löwen des Hauses Habsburg und des Doppeladlers ihrer Kaisertümer zu finden sind – von Portugal bis in die Tatra, vom Rhein bis nach Apulien.
Der exzentrische Autor, seines Zeichens Juwelenhändler, Kunstsammler und Hausherr einer unbedingt empfehlenswerten Musenzuflucht an der Wien, ist obendrein auch leidenschaftlicher Pilgerfahrer, Wanderer und Spurensucher historischer Einflüsse und Residuen der Habsburgerherrschaft in Europa. Aus letzterem und einer Serie von Reiseberichten in der Zeitschrift Der Eckart ist das vorliegende Buch entstanden.
Die Sammlung vollkommen unterschiedlicher Orte, die dennoch alle einen Bezug zum Machtzentrum in Wien bzw. zur Familie Habsburg hatten oder haben, ergibt keinen repräsentativen Reiseführer und ist historisch und geographisch alles andere als vollständig. Eher will der Band ein Lektürekompagnon für Vorgebildete sein. Daß das so gut gelingt, liegt nicht zuletzt am Humor des Autors. Mit bei konservativen und reaktionären Autoren leider seltenem Witz und drolligen Anekdoten führt er durch Habsburgs Lande. Er lebt also noch, der altösterreichische Humor! Mal subtile, mal herbe Seitenhiebe auf eine trist-dumme Gegenwart werden geboten.
Hier schreibt ein Ästhet, der offensichtlich darunter leidet, daß »die Vergangenheit« (»welche?« fragen nur schlaumeiernde Buntbürger, denn es ist leider fast egal geworden) jeden ästhetischen, sittlichen und lebenswertbezogenen Vergleich mit dem Heute eindeutig gewinnt, sofern Konsumverfügbarkeit und Bequemlichkeit nicht als Höchstwerte gesehen werden. Freilich sind Schwarzers Streifzüge »nostalgisch«! Aber Nostalgie ist angesichts immer schneller und immer häufiger wegbrechender jahrhundertealter Selbstverständlichkeiten eine legitime Zuflucht und ein notwendiger Trost.
Indes erschöpft sich das Buch nicht im Kulturpessimismus oder in der Beschwörung altösterreichischer Herrlichkeit. Wer an derlei weniger Interesse hat, kann es ohne weiteres als Reiseführer zu teils halbvergessenen Orten in Europa lesen, teils auch wohlbekannten Orten neue Aspekte abgewinnen. Einige der Texte wecken sofortige Aufbruchsimpulse, dort muß man hin! Wer kennt schon die Stiftsbibliothek in Vorau, das Städtchen Leutschau in der Zips oder die meisterlichen Fresken des Thomas von Villach in St. Andreas zu Thörl in Kärnten? Der wirklich weltgewandte und weitgereiste Schwarzer weiß um die Reize und Schätze des Eigenen und Nahen und notiert augenzwinkernd: »Die Steinhäuser der Alm [der Jagdhausalm im Defereggental in Osttirol] werden schon 1212 urkundlich erwähnt – ihr Anblick erspart die kostspielige Reise nach Tibet.«
Ein paar Fehler haben sich eingeschlichen, auch mögen »in Österreich weltbekannte« Orte wie Semmering und Aussee nicht in den Augen jedes Lesers gleiche Aufmerksamkeit verdienen wie die Wunder des Escorial, Venedigs oder des Castel del Monte (die und deren Geschichte der Autor so gerafft wie anschaulich präsentiert).
Ob es in Zeiten arger Bedrohung Europas und der Christenheit aus allerlei Richtungen – nicht zuletzt von innen – sinnvoll ist, mit Begriffen und Geisteshaltung aus dem Dreißigjährigen Krieg gegen evangelische Christen zu keilen, um den eigenen vorkonziliaren Katholizismus »kernig« zu präsentieren, darf zudem in Zweifel gezogen werden. All dies trübt dennoch kaum den Gewinn, ja: den Lesegenuß aus diesem geistreichen und humorvollen Schatzkästlein alteuropäischer Reise- und Schauenslust.
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Ronald Friedrich Schwarzer: Durch Habsburgs Lande, Wien / Leipzig: Karolinger 2023. 121 S., 23 €
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