Insbesondere die Mehrheit innerhalb der Linkspartei bekennt sich uneingeschränkt zum angegriffenen Land als Vorposten eines neuerdings affirmierten »freien Westens«. Dasselbe kann für einen nennenswerten Teil der publizistischen linken Landschaft gelten: Von prononciert »antideutschen« Periodika (Jungle World, Bahamas) bis zum tonangebenden Blatt des grünen Linksliberalismus (taz) reicht die Solidaritätskarawane mit Kiew, die dadurch einen gewissen Gleichklang in der Berichterstattung erzeugt. Die transatlantische Wende der BRD-Mehrheitslinken sorgt dabei für eine bemerkenswerte Anschlußfähigkeit an das hegemoniale »Narrativ« des Mainstreams von ARD bis CDU.
Rarer gesät sind jene linken Projekte, die sich dieser Formierung verweigern. Parteipolitisch materialisiert sich die klassische »Friedenspolitik« im Bündnis Sahra Wagenknecht (BSW) und in ihrem schrumpfenden altlinken Vorfeld. Medienpolitisch wäre derweil beispielhaft die Tageszeitung junge Welt zu nennen, die sich nicht gestattet, als traditionsmarxistisches Blatt etwas grundlegend Falsches in Moskauer Entscheidungen zu erblicken.
Aber auch eines der intellektuellen Flaggschiffe der Linken, Das Argument, verweigert sich einer Eingemeindung in die Einheitsfront der bedingungslosen Ukraineverteidiger. Die Zeitschrift für Philosophie und Sozialwissenschaften, die seit 1959 existiert, positioniert sich daher mit einem 300 Seiten starken Sonderband ihres Periodikums zur Lage, der zugleich als Nummer 340 und als eigenständiges Buch erscheint. Versammelt wird darin das Who’s who jener linken und sozialistischen Restintelligenz, die sich Bewegungsfreiheit auch im geopolitischen Segment bewahren möchte.
Enthalten sind sehr persönliche Beiträge, wie der von Grünen-Urgestein Antje Vollmer, die in ihrem Gastauftritt die Vorgeschichte des Ukrainekrieges nachzeichnet und ihrer Partei die Leviten liest. Insbesondere Außenministerin Annalena Baerbock bekommt ihr Fett weg, da sie für »argumentative Schlichtheit« stehe und sich als »schrillste Trompete der neuen antagonistischen NATO-Strategie« verdinge. Deutlich rationaler argumentieren Argument-Stammautoren wie Christoph Türcke, Peter Wahl und Wolfgang Streeck, der zuletzt durch ein Interview mit der rechtsökologischen Zeitschrift Die Kehre in innerlinke Kritik geriet.
Auch der hier vorliegende Essay über »Deutschland nach dem Krieg«, in dem der Grandseigneur der Sozialwissenschaften über die Zukunft der BRD nach dem Ukrainekonflikt nachdenkt, wird seine Gegner erzürnen. Das liegt daran, daß Streeck nationalstaatlich-interessenpolitisch argumentiert und die Gefahr formuliert, daß Deutschland nicht in der Lage sei, »in dem multipolaren Unterbau des Großmächte-Duopols USA und China einen Ort zu finden, in dem es so etwas wie Äquidistanz zu den Machtzentren« aufbauen könne. Als subalterner Partner der westlichen Hegemonialmächte fehle schlichtweg die erforderliche »Bewegungsfreiheit«.
Vor jedweder Parteinahme warnt derweil Erhard Crome. Der Potsdamer Politikwissenschaftler, der kürzlich seine seit 1990 andauernde gestaltende Mitarbeit an der Zeitschrift Berliner Debatte Initial aufgrund interner Zerwürfnisse beendete, interpretiert unter Zuhilfenahme sozialistischer Klassiker den neuen Ukrainekrieg als »Auseinandersetzung zwischen dem westlichen Kapital – der EU und der USA – und den postsowjetischen Kapitaleignern, die das erstere nicht als gleichrangig und gleichberechtigt akzeptieren will«.
Die Analyse krankt jedoch einmal mehr daran, daß zwar die ökonomische Ebene ins Visier genommen wird, ihr identitäres Gegenstück indes vernachlässigt wird. Eine rein materialistische Diagnose der Kriegsursachen greift zu kurz; die Krimloslösung und die Donbasseskalation sind unmittelbare Folgen jahrelang schwelender nationalkultureller Divergenzen. Aber derlei Zugänge waren noch nie eine Stärke des Arguments, das als überaltertes Medium einer ungewissen Zukunft entgegensieht.
– –
Wolfgang Fritz Haug, Peter Wahl (Hrsg.): Ukraine-Krieg – Weltordnungskrieg. Fronten, Folgen, Formen – Eine Zwischenbilanz, Hamburg: Argument Verlag mit Ariadne 2023. 310 S., 30 €
Dieses Buch können Sie auf antaios.de bestellen.