Sie haben zwei Stoßrichtungen:
1. Die investigative Entlarvung vermeintlicher Netzwerke zwischen liberalkonservativen, neurechten und neonationalsozialistischen Gruppierungen und Denkschulen.
Das ist ein alter Hut, der nun aufgebürstet und als neues Stück angeboten wird, zu bester Sendezeit natürlich. Neu ist ebenfalls nicht, daß sich diese Berichte nach wie vor auf Höcke konzentrieren, obwohl Jörg Urban (Sachsen) und Christoph Berndt (Brandenburg) mit ihren Landesverbänden in den Wahlumfragen nicht schlechter abschneiden als die Thüringer.
Höcke steht pars pro toto, er gilt dem Gegner nicht nur als exemplarisch, sondern ist als Person aufgeladen und garantiert maximale Aufmerksamkeit. Hier finden Sie 45 Minuten, die für diese Art der Markierung der Prototyp aus der Konserve sind.
2. Interessant ist eine Markierungsunentschiedenheit: Höcke wird fast immer als brandgefährlich bezeichnet, aber in manchen Berichten wird er als sinkender Stern beschrieben. Die Unterstellungen reichen von mangelnder Belastbarkeit und ungenügender Kollegialität über Geldgier bis hin zu Führungsschwäche und fehlendem Blick auf einen zerrissenen Landesverband, der nichts lieber sähe als einen Höcke auf dem Altenteil.
In seiner ganzen Sensationsgeilheit brach das gestern durch, als in zig Berichten behauptet wurde, Höcke ziehe sich aus dem Wahlkampf zurück, sei fertig und werde durch die zweite Reihe ersetzt – womöglich nicht nur im Wahlkampf.
Ich las das auch – ein Anruf, eine Frage, eine Antwort, fertig, also das, was jeder Journalist, der einer sein will, hätte tun müssen: Höcke hatte dasselbe wie ich am Montag und der Nachbar gestern – einen Anflug, Magenschwäche, und das legte bei jedem genau einen Tag Pause nahe. Der Nachbar sägt schon wieder Holz auf, und Höcke wird heute in Nordhausen auf dem Familienfest sein, um 16 Uhr, und ich werde wohl mal hinfahren …
Aber zurück zum Landesverbandsgerede: Wenn diejenigen, die über solchen Texten und Filmen sitzen und sie abfeuern, als hätten sie eine Wunderwaffe geschnitzt, wüßten, wie wenig das irgendjemanden interessiert, der Sorgen hat und nach Alternativen sucht – würde das ihre Relevanz nicht noch gründlicher infrage stellen? Man fragt sich sowieso, wie diese Leute ihr Tagwerk vor sich selbst rechtfertigen … Hier jedenfalls der Text eines – Mannes, der seit zehn Jahren dasselbe schreibt.
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Bleibt die Nabelschau: Der Film über Höcke, den Simon Kaupert und sein Filmkunstkollektiv gedreht haben, ist seit vergangenem Donnerstag über 100 000 Mal gesehen worden. Ich bat um Kommentare und Kritik, hier ist eine Auswahl:
Ergreifend ist er, denke ich, für Unsereins, da er eine Vergewisserung der erstarkenden Lebenskräfte, der noch vorhandenen Sinne und der Tatsache ist, dass wir gemeinsam mit großartigen, tapferen Menschen die gleiche Liebe zum Leben in einer gesunden Heimat empfinden. Immerhin sublim beeindruckend dürfte er für den einen oder anderen mit Antennen ausgestatten „Politruk“ der Gegenseite sein, denn diese werden genau diese Wirkung auf uns in ihm erkennen, wenngleich sie hinter ihren Linien die damit verbundene Schlussfolgerung wohl kaum aussprechen können: Dass man zwar mit Hinterlist lange dominieren, aber niemals endgültig „siegen“ kann. Ergo werden sie ihn totschweigen oder lächerlich machen. Wie immer. Sie werden die Barbarossa-Symbolik aus „reichsbürgerlicher“ Sicht ausschlachten und behaupten, dass alles selbst für den Durchschnitts-AfDler doch sehr dick aufgetragen und zu viel des Guten sei (junge Frau betrachtet andächtig Höckes Ölgemälde…). Sollen sie doch.
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Als Österreicher könnte mir ein ostdeutscher Regionalpolitiker herzlich egal sein. In der Tat könnte ich wohl nur wenige Landesparteivorsitzende der AfD mit Namen nennen, geschweige denn fiele mir zu ihnen etwas ein. Ehrlicherweise wäre es bei Landesparteichefs der FPÖ nicht anders, mehr als vier oder fünf fielen mir da beim besten Willen nicht ein, wohl aus gutem Grund.
Bei Höcke ist das seit Jahren anders. Ich habe den Gesprächsband „Nie zweimal in denselben Fluss“ 2018 und ein Compact-Sonderheft mit Auszügen aus seinen Reden 2019 gelesen, verfolge seitdem immer wieder Wortmeldungen und Auftritte. Warum? Weil man bei Björn Höcke das Gefühl hat, dass er auf weltanschaulich festem Grund Grundsätzliches zu sagen hat und nicht nur die ein oder andere Detailfrage innerhalb einer festgefügten Ordnung beantworten möchte. Der ausgezeichnet gemachte Film zelebriert ihn ja. Wie viel davon ist Hoffnung, dass es das mit unserer Heimat noch nicht gewesen sein darf, wie viel davon ernsthafte Erwartung?
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Die Redebeiträge der Weggefährten waren auch sehr gut. Eine kleine Anregung noch dazu: Ich weiß, dass man alte Weggefährten, die dann doch etwas Gutes über Höcke sagen, erst schnitzen müsste. Aber es wäre vielleicht gut gewesen, wenn man jemanden, von dem man sich getrennt hat als alten Weggefährten hinzugezogen hätte. So nach dem Motto: wir haben uns gezofft, ich habe ihn oft kritisiert, aber er ist sich treu und das ist in Ordnung so.
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Der Grundton des Films ist unterkühlt, maximal distanziert. Auch das finde ich erstaunlich, ich habe eine Art “heiße Show” wie bei den Kyffhäusertreffen erwartet.
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Der Film ist am stärksten, wo er schweigt. Brilliant die Szene nach dem Urteilsspruch, wenn Höcke im nächsten Bild die Klinge seiner Motorsäge schärft. Dieser Moment hat mehr Essenz als 20 Minuten Sprachbombardement. Gut die Szenen, in denen gleichsam durch eine spaltbreit geöffnete Tür gefilmt wird, ohne Worte: der zentral Handelnde gleichermaßen als Subjekt und Objekt, Alphamann und Getriebener, Leitstrahl und Verfügungsmasse. Genau das ist die Spannung, die der in weiten Teilen degenierte Politikbetrieb für einen Quereinsteiger bringt, der eigentlich lieber anderes machen würde.
Hier noch einmal der Link zum Film “Der lange Anlauf”. Er hat bereits Wirkung entfaltet, war im Deutschlandfunk Thema einer zehnminütigen Analyse (hier anhören) und hat einen Maßstab gesetzt. Daran arbeite sich konstruktiv ab, wer etwas zu bieten hat.
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Bleibt zuletzt der Hinweis auf etwas, das viel tiefergründig angelegt ist als die politische Oberfläche. Es gehört in den Bereich unserer Arbeit und unseres Denkens, das unter anderem dazu führte, daß wir Romane auflegen, schöne Literatur besprechen und lange Sendungen über Schriftsteller drehen.
Vor fünfzehn Jahren stieß ich auf das Werk von Franz Ulrich Göttlicher, einem Maler, der sich mit den “Gefühlserbschaften” der Deutschen beschäftigt und mit seinen Bildern “In Stahlgewittern”, “Scouts”, “Alte Kameraden” und anderen an der Kunstakademie für Aufruhr sorgte und Debatten auslöste.
Göttlicher ist kein Rechter, nicht einmal im Ansatz. Er ist ein Künstler. Er folgt mit seinen Bildern dem, was mit Anselm Kiefer und Hans Jürgen Syberberg, wohl auch mit Jonathan Meese als “Kritik durch Affirmation” bezeichnet werden kann.
Göttlich schrieb mich an und lud zum Gespräch vor Kamera ein. Rainer Langhans war auch schon bei ihm im Atelier, jetzt also ich. Das Ergebnis ist nun veröffentlicht, und ich halte das für die Form des Gesprächs und der Auseinandersetzung, die mehr austrägt als das Geballere mit Phrasen und Stanzen. Also, zwei Stunden fünfzehn im Atelier eines echten Künstlers vor einem Werk. Vielleicht für einen weiteren langen Abend?
RMH
Ich habe beim Film "Der lange Anlauf" gerade mal ca. 15 oder 20 Minuten durchgehalten, dann hat er mich gelangweilt, weil einfach nichts wirklich Neues kam & wenn man seit Ende der 80er Jahre rechte Projektive mit Interesse & Sympathie begleitet hat, braucht man so einen Film nicht. Ob er Leute, die nicht bereits mehr oder weniger "dabei" sind, erreichen wird oder Leute, die noch zweifeln, überzeugen kann, wage ich nicht zu beurteilen. Technisch gesehen finde ich es albern, im Zeitalter der Beamer & des digit. Filmes einen Projektor rattern zu lassen & die Statments abgebenen Personen so zu filmen, dass man diesen auf dem Stuhl sitzenden Personen maßgeblich erst einmal zwischen die Beine schaut (gut, man hatte immerhin lange Hosen an). Musik hätte man gerne öfter weglassen können, einen B. Höcke im Großstadt Hippster- Auto Lada Niva über den Feldweg hoppeln lassen ... ist er wenigstens Jäger? Klischee, also geschenkt. Manchmal, bei den eingeblendeten Reden, habe ich mich an den Anfang von Blood Axis "Walked in Line" erinnert gefühlt, insgesamt daher: Ich habs nicht zu Ende gebracht, evtl. finde ich die Muse noch. Wenn der Film die "Szene" ein Stück weit zusammenbringt & motiviert, hat er auf jeden Fall seinen Zweck erfüllt. Große filmische Kunst konnte ich in den angesehenen Minuten jedenfalls keine erkennen, will aber nicht zu kritisch sein.