Schon als junger Mann scheint sich Michels von Loyalitäten, die seine Herkunft vermeintlich geboten, frei gemacht zu haben. Er empfand, wie er rückblickend festhielt, ein grundsätzliches Faible für die romanischen Länder, das sich allerdings de facto auf Frankreich und Italien beschränkte, und wandte sich zunächst dem Internationalismus sozialistischer Provenienz, später, nach seiner Übersiedelung nach Turin und noch vor dem Ausbruch des Ersten Weltkrieges, dem neuen, nicht mehr in radikaldemokratischer Tradition stehenden italienischen Nationalismus zu.
Relevanter und persönlich folgenreicher war jedoch die Weigerung des Millionärssohns, die Interessen der sozialen Schicht, der er entstammte, als die seinen zu betrachten. Seine Parteinahme für den Sozialismus war radikal und kompromißlos. Er propagierte nicht die Versöhnung der Arbeiter mit der bürgerlichen Gesellschaft und ihrem Staat auf dem Weg der sozialen und demokratischen Reformen, sondern den Klassenkampf ohne Wenn und Aber. Der Weg, der ihn zu dieser Position geführt hat, liegt im Dunkeln, er ist allerdings nicht untypisch für diese Zeit. Das Unbehagen über das kapitalistische Antlitz, welches das Deutsche Reich trug, hatte sehr viele Intellektuelle schon bald nach dessen Gründung erfaßt. Sie zogen daraus unterschiedlichste Schlüsse, wie denn der Status quo zu überwinden wäre, manche von ihnen – sicherlich eine Minderheit – eben sozialistische.
Die SPD, zu der Michels kurz nach der Jahrhundertwende – zunächst war er der Sozialistischen Partei Italiens beigetreten – stieß, war in der Zweiten Internationale die prägende Kraft. Zahlreichen Sozialisten im Ausland galt sie als Vorbild, an dem man sich zu orientieren hätte. Trotz ihrer imponierenden Organisationskraft und ihrer Wahlerfolge konnte die Partei jedoch weder auf die Innenpolitik noch gar auf die Außenpolitik des Reiches Einfluß nehmen. Ihre Stigmatisierung und der Ausschluß von der Teilhabe an der politischen Macht funktionierten bis in die Zeit der Kriegskredite hinein. Die SPD wurde zwar nicht mehr verfolgt, blieb aber ein Staat im Staate, stets darauf bedacht, daß ihre organisatorische Aufbauleistung nicht durch neuerliche Repressalien gefährdet würde. Theorie und Praxis hatten das Überleben in einem der Partei auferlegten Dilemma zu gewährleisten: Auf der einen Seite durfte sie die bestehende Ordnung de facto nicht gefährden, um zu verhindern, daß der Staat in einer zum letzten entschlossenen Gegenwehr ihren leicht verletzlichen Apparat gar zerschlüge. Auf der anderen Seite mußte sie so gefährlich erscheinen, daß der Gegner das Risiko eines Schlages gegen die Arbeiterbewegung, zum Beispiel durch eine Verschärfung des Wahlrechts, als hoch genug ansehen würde, um von diesem abzusehen.
Innerparteilich wurden die Sozialdemokraten in den Jahren um die Jahrhundertwende durch die Kritik der sogenannten Revisionisten in Atem gehalten, die den Abschied vom Marxismus als ausschließliches theoretisches Bezugssystem anstrebten, um die Diskrepanz zwischen Programm und Praxis zu überwinden. In dieser „revisionistischen Krise“ (Jacques Droz) stand Robert Michels auf der Seite der Mehrheit, die den Versuch, die Partei auf einen bekennend reformistischen Kurs zu bringen, abwies. Eine Zustimmung zu dem Bild, das die SPD im großen und ganzen abgab, lag darin nicht. Auch er sah die Notwendigkeit, den Anspruch der Partei und die Wirklichkeit ihrer Politik in Einklang zu bringen – sie hatte jedoch seiner Auffassung nach ihre revolutionären Zielsetzungen nicht aufzugeben, sondern ihnen endlich entsprechende Taten folgen zu lassen. Hier traf er sich mit den Maximalisten um Rosa Luxemburg, die, unter dem Eindruck der Russischen Revolution von 1905, dem Instrument des Generalstreiks im Arsenal der Partei wieder einen prominenten Platz einräumen wollten.
In einer rückblickenden Betrachtung hat sich Michels knapp zwei Jahrzehnte nach diesen Ereignissen als Vertreter einer Richtung gesehen, die, sofern man sie überhaupt zur Kenntnis nahm, mit dem unglücklichen und letztlich auch unpassenden Etikett des Anarchosyndikalismus versehen wurde, und die strenggenommen, so Michels, als solche auch nie existiert hat. Er lehnte den Revisionismus ab, er konnte sich mit dem mehrheitlich durchgesetzten Kurs der Partei nicht wirklich anfreunden, und er fand auch keinen Konnex zu den Maximalisten, die in der Theorie schon im großen und ganzen vorwegnahmen, was sie im Zuge der Zuspitzung der innerparteilichen Auseinandersetzungen anläßlich des Ersten Weltkrieges zur Spaltung der Arbeiterbewegung führen sollte. Mit ihnen teilte Michels die Radikalität, aber nicht die Anschauungen, aus denen sie sich speiste. Seine waren zu diesem Zeitpunkt bereits durch eine ganz andere, in Frankreich und Italien weit vorangetriebene Revision des Marxismus geprägt.
Robert Michels hat die wesentlichen Autoren, die diese Revision unter dem Banner des Syndikalismus betrieben, in der Phase seines sozialistischen Engagements nicht nur wahrgenommen, er hat einige von ihnen auf seinen Studienaufenthalten und Reisen auch persönlich kennengelernt. Zu nennen ist hier insbesondere Georges Sorel, der dieser Strömung vielleicht nicht die ausgefeilte theoretische Ausformung gegeben hat, sie aber durch suggestive Denkfiguren nachhaltig zu prägen verstand und zudem als eine Integrationsgestalt für publizistische Projekte fungierte.
Der Sorel, den Michels zunächst kennenlernt, ist jener der syndikalistischen Phase, in der er die berühmten Betrachtungen Über die Gewalt verfaßte. Sie sollten eine ganze Generation radikaler Intellektueller mit weit auseinanderlaufenden Lebenswegen prägen – nicht zuletzt Benito Mussolini. Weniger weitschweifig und für heutige Leser leichter zugänglich hat Sorel seine Auffassungen in dem Essay Die Auflösung des Marxismus zusammengefaßt – der im historischen Rückblick auf seine intellektuelle Biographie allerdings schon als ein Abschied von den Illusionen des Syndikalismus gelesen werden kann. In diesem Text knüpft Sorel kritisch an den Revisionismus Bernsteins an – und treibt seinen eigenen über diesen hinaus.
Allein als künstlerisches Bild, so Sorel, ist der Marxismus gegen die Einwände, die der Revisionismus und die bürgerliche Kritik vortragen, immun. Als soziologische Analyse scheitert er an der Wirklichkeit, ist steril und nutzlos. Der Kapitalismus zeigt sich ein Vierteljahrhundert nach dem Tod von Marx nämlich vitaler, als dieser insinuierte. Es hat nicht mehr den Anschein, daß er den Keim zu seiner Überwindung in sich trägt. Seine innere Logik treibt ihn nicht in den Untergang. Wenn man diesen Untergang dennoch herbeiführen will, darf man nicht darauf hoffen, daß der Kapitalismus an seinen Widersprüchen scheitert; man muß den Klassenkampf vielmehr schüren, muß den psychologischen Bruch des Proletariats mit den herrschenden Verhältnissen betreiben, wo ein materieller ausbleibt.
Das Proletariat kann jedoch nur dann ins Gefecht gegen die Bourgeoisie eintreten, wenn es nicht deren Verlockungen erliegt. Seine Psychologie ist aber anfällig, seine Akzeptanz der bestehenden Verhältnisse billig zu erkaufen. Die Entstehung sozialistischer Parteien, die sich am parlamentarischen Spiel beteiligen, hat seine Vitalität unterminiert. Für Sorel ist die Demokratie der Sumpf, in dem der Sozialismus zu versinken droht. Man muß die Arbeiterbewegung daher von der Beherrschung durch die sozialistischen Parteien befreien, die Gewerkschaften vom Parlamentarismus lösen und den Angriff gegen das demokratische Regime als subtile und demagogische Form bürgerlicher Herrschaft richten. Die Demokratie suggeriert eine gemeinsame politische Grundlage, die den Klassenkampf in konstitutionelle Bahnen lenkt, ihn entschärft und schließlich neutralisiert. Der Syndikalismus ist angetreten, um die Entzweiung zwischen Bourgeoisie und Proletariat, die die Mitwirkung der sozialistischen Parteien im parlamentarischen System und der Opportunismus der Gewerkschaften zum Verschwimmen zu bringen drohen, wiederherzustellen und zuzuspitzen. Wenn sich der Klassenkampf nicht von selbst einstellen will, ist er mit künstlichen Mitteln ins Werk zu setzen. Die Gewalt ist in der Auseinandersetzung nicht allein ein gegen die bürgerliche Dekadenz gerichtetes Ausdrucksmittel proletarischer Vitalität. Sie entzaubert zugleich durch willentliche Regelverletzung die demokratische Illusion, es ließen sich auf Dauer unangreifbare und allseits akzeptierte Konfliktlösungsmechanismen etablieren.
Die proletarische Wirklichkeit hat es jedoch auch mit dem Syndikalismus nicht gutgemeint. Der Funken, so wird bereits nach einigen wenigen euphorisch begleiteten Streiks erkennbar, will von der elektrisierten Minderheit partout nicht auf die Massen überspringen. Der Arbeiter möchte nicht nur durch individuellen sozialen Aufstieg selber möglichst Bourgeois werden, er eifert diesem kulturellen Leitbild sogar nach, wenn gar keine Chancen erkennbar sind, jemals die eigene Klasse hinter sich lassen zu können. Man muß das Proletariat gar nicht eigens durch die Demokratie und die ihr auf den Leim gehenden sozialistischen Parteien korrumpieren. Der Arbeiter ist hinsichtlich seiner Motivationsstruktur, seiner Verhaltensweisen und seiner Wertvorstellungen, ohne daß fremdes Zutun nötig wäre, nicht wesentlich vom Bourgeois unterschieden – und das heißt aus sorelianischer Sicht: dekadent, eigennützig, würdelos.
Die theoretische Beliebigkeit des Syndikalismus jenseits des gemeinsamen Wunsches, das wirkungsvollste Geschütz gegen die bürgerliche Welt in Stellung zu bringen, offenbarte sich in seiner Sinnkrise. Die Wege seiner Protagonisten, die wie eine Bewegung ausgesehen hatten, liefen auseinander. Einige suchten nach anderen, neuen Mythen, die die moralische Qualität des Proletariats verbessern könnten, die in ihm Gemeinschaftssinn und Opfersinn zu wecken versprächen. Sie fanden diese Mythen in der Nation und im nationalen Krieg, traten mit den Nationalisten der Rechten in eine osmotische Beziehung und mündeten schließlich in den Faschismus ein. Noch am ehesten den syndikalistischen Positionen treu blieben in Italien ausgerechnet jene, die sich doch ursprünglich am meisten von ihnen entfernt zu haben schienen, indem sie eine kritische Nähe zur reformistischen Sozialistischen Partei suchten oder gar in ihr verblieben – sie widerstanden in der Regel der faschistischen Versuchung.
Robert Michels ist keinen der beiden Wege mitgegangen. 1907 übersiedelte er nach Turin, habilitierte sich dort und befaßte sich mit dem Sozialismus fortan eher aus einer professionell-distanzierten Warte. Er ließ ab von einem Syndikalismus, der, wie Max Weber ihm in einem Brief vorgehalten hatte, „entweder die nichtige Schrulle intellektueller Romantiker“ darstelle oder „eine Gesinnungs-Religion, die auch dann zu Recht besteht, wenn es nie ein Zukunftsziel gibt, welches ‚erreicht‘ wird und wenn auch wissenschaftlich feststeht, daß dazu keinerlei Chance ist.“ Die Kritik der Demokratie und der psychologische Ansatz seiner Soziologie sind allerdings Erbstücke des miterlebten Syndikalismus, die seine nun beginnenden „entsagungsvollen Studien“, wie sie Friedrich Naumann in einer Rezension genannt hat, prägen. Sie – und insbesondere das Hauptwerk Zur Soziologie des Parteiwesens in der modernen Demokratie – lassen aber auch das Tor erkennen, durch das Michels zum Faschismus schließlich gefunden hat: die von Gaetano Mosca und Vilfredo Pareto formulierte Elitentheorie.
Robert Michels kannte beide Autoren auch aus persönlichen Begegnungen. Mosca war ein Kollege in Turin, mit Pareto stand er offenbar, nachdem er dem Ruf an die Universität Basel kurz vor Ausbruch des Ersten Weltkrieges gefolgt war, in engerer Verbindung – Pareto lebte zu dieser Zeit, seit 1907 von allen Lehrverpflichtungen an der Universität Lausanne freigestellt, am Genfer See.
Daß stets eine Herrschaft sei und somit eine organisierte Minderheit der Masse als nichtorganisierter Mehrheit ihren Willen aufzwinge, darin stimmten Mosca, Pareto und Michels überein. Pareto – und selektiv rezipierend folgte ihm hier Michels – bettete diese soziologische Analyse der Politik jedoch in eine allgemeine, psychologisierende Handlungstheorie ein. Der zufolge agieren Individuen nicht rational im Sinne des homo oeconomicus, sondern ihrer Triebstruktur, (Paretos „Residuen“) gemäß, stets bestrebt, dies mit scheinlogischen Handlungsbegründungen (Paretos „Derivationen“) zu kaschieren. Die Elite, von Pareto als eine Funktionselite sozusagen wertneutral verstanden, zeichnet sich nicht, und hier war Mosca gegenteiliger Auffassung, durch einen ethischen Anspruch und einen durch verantwortungsbewußt genutzte Überlegenheit gespeisten Paternalismus aus, sondern durch einen besonders intensiven Machtwillen und durch die Bereitschaft, diesem bei Bedarf ohne Hemmungen auch mittels Gewalt Geltung zu verschaffen.
Pareto unterstellte einen Kreislauf der Eliten: Die zur Führerschaft befähigenden Residuen verlören in der herrschenden Klasse an Gewicht, dynamischere Elemente sonderten sich von ihr ab und verschmölzen mit aufstrebenden Kräften aus der beherrschten Masse zu einer Gegenelite, die, nicht zuletzt aufgrund ihrer größeren Gewaltbereitschaft, schließlich die Herrschenden verdränge und sich an deren Stelle setze. Mit diesem Modell ließ sich auch das Phänomen des Syndikalismus, der im übrigen durch eine unverhohlen elitäre Attitüde gekennzeichnet war, in einen größeren Zusammenhang stellen.
Robert Michels hat nicht nur, dessen terminologische Überspanntheiten beiseite lassend, an Pareto angeknüpft, er hat vor allem einen eigenständigen und wesentlichen Beitrag zur demokratiekritischen Elitentheorie geleistet. Mosca und Pareto ließ sich aus sozialistischer Sicht vielleicht noch entgegnen, daß sie das, was für die bürgerliche Klassengesellschaft zu konstatieren war, als zeitungebunden und allgemein-menschlich ausgaben. Michels jedoch unterzog genau die soziale Erscheinung einer Analyse, von der ihrem eigenen Anspruch gemäß angenommen werden sollte, daß die neue, dann wahrhaft demokratische Zeit in ihr bereits erkennbar wäre.
Der Ort dieser Analyse ist das 1911 erschienene und in den 20er Jahren nochmals überarbeitete Buch Zur Soziologie des Parteiwesens in der modernen Demokratie. Es war nicht nur zu seiner Zeit erfolgreich, sondern verdient es noch heute, ohne daß man in prinzipieller Ehrfurcht vor den „alten Meistern“ versinken wollte, als ein „Klassiker“ der Disziplin bezeichnet zu werden.
Die Legitimation einer organisierten Arbeiterbewegung und die grundsätzliche Integrität ihrer Führer werden in diesem Buch nicht in Frage gestellt. Der kapitalistischen Expropriation kann die amorphe und hilflose Masse nur begegnen, indem sie ihre Kräfte bündelt. Sie vermag nicht anders, als sich zu organisieren, um wehrhaft zu sein. Wer Organisation will, muß aber erkennen und akzeptieren, daß er sich damit auch Oligarchie einhandelt. Das strenge Diktum Rousseaus, daß Demokratie und Repräsentation einander ausschließen, daß eine Population (oder eine Gruppe) nur durch sich selbst, nicht aber durch vermeintliche Repräsentanten vertreten werden kann, setzt Maßstäbe, die die Wirklichkeit von Staat, Partei oder Gewerkschaft nicht zu erfüllen vermögen.
Die Organisationen des Proletariats bilden, wie demokratisch und egalitär die Ansprüche, unter denen sie angetreten sind, auch sein mögen, somit eine oligarchische Struktur aus, in der sehr wenige sehr vielen ihren Willen diktieren. Es entsteht eine Arbeiteraristokratie, die sich, Entwicklungsbrüche einmal ausgeklammert, de facto durch Kooptation erneuert. Das in der Theorie postulierte Abhängigkeitsverhältnis der Repräsentanten von den Repräsentierten kehrt sich mehr und mehr um. Wo eine herrschende Minderheit doch einmal gestürzt wird, sind es nicht die Massen, die sich an ihre Stelle setzen, sondern nur eine neue Minderheit, die an die Spitze getragen wird: Dies gilt im Staat genauso wie in seiner bescheidenen Kopie, der Partei. „Revolutionen“, so Michels, „hat es gegeben, Demokratie nicht.“ „Die Massen begnügen sich damit, unter Aufbietung aller Kräfte ihre Herren zu wechseln. … Ein bescheidener Erfolg.“
In das parlamentarische System der bürgerlichen Demokratie integriert, erodiert die revolutionäre Ausrichtung der Arbeiterbewegung von ihrer Spitze her. Die Arbeiterführer lassen sich mehr und mehr dazu verleiten, die Interessen des vermeintlich größeren Ganzen, an dem sie im Parlament oder gar in der Regierung mitwirken, gegen jene zu behaupten und durchzusetzen, in deren Auftrag sie zu handeln vorgeben. Der latente Reformismus der sozialistischen Parteien und Gewerkschaften, den der Syndikalismus behauptete, findet durch Michels eine wissenschaftliche Erklärung. Hier gehen Erkenntnisse aus der Praxis seines Engagements bruchlos in seine sogenannten „entsagungsvollen Studien“ über. Auch die konstatierte Ausweglosigkeit des Unterfangens, Demokratie Wirklichkeit werden zu lassen, dokumentiert keinen Gesinnungswandel: Die Vorstellung, daß es stets Minderheiten sind, die etwas bewegen, gehörte bereits zu den syndikalistischen Grundgewißheiten.
Die Desillusionierung über die Demokratie, der Michels in der Soziologie des Parteiwesens wissenschaftlichen Ausdruck verlieh, ließ natürlich auch ganz andere Optionen offen als bloß die faschistische, die er selbst später gewählt hat. Seine Entwicklung hätte ihn von diesem Punkt aus gut und gerne auch zu der Position eines Vernunftrepublikaners führen können, der, wie zum Beispiel Max Weber, bei aller Erhabenheit über die demokratische Ideologie die parlamentarische Führerauslese für eine erfolgreiche hält. Aus der These, daß sogar sich demokratisch verstehende Organisationen und Regime notwendigerweise Oligarchien ausbilden, folgte nicht zwangsläufig die Konsequenz, diese Organisationen oder Regime deshalb zu verwerfen. Michels amüsierte sich zwar darüber, daß Demokratien immer „wortreich“ seien und „ihre Terminologie … mit einem Gewebe aus Metaphern vergleichbar“ wäre. Er nahm dieses Phänomen aber frei von ästhetischem Ressentiment zur Kenntnis. Es kam ihm nicht in den Sinn, aus sozialhygienischem Wahrheitsfanatismus den hehren Anspruch zu erheben, die Herrschenden mögen doch, bitte sehr, gegenüber den Beherrschten das Faktum ihrer Herrschaft nicht durch Volksherrschaftsphraseologien verschleiern. Daß aus der Potentialität einer Entwicklung seines Denkens zum Faschismus schließlich doch eine reale wurde, ist auf zwei andere Faktoren zurückzuführen.
Zum einen spitzte der einstige Internationalist und Antimilitarist Robert Michels das Bekenntnis zur neuen Wahlheimat Italien, die Staatsbürgerschaft hatte er 1913 angenommen, zu einem die Grenzen zum Unappetitlichen überschreitenden Nationalismus zu. Von der Schweiz aus agitierte er für den Kriegseintritt gegen die Mittelmächte, was zu seiner endgültigen Entfremdung von Max Weber führte. Es lag in der Logik dieser Entscheidung, daß er sich plötzlich an der Seite jener Wortführer des Interventionismus wiederfand, die wie er von Sozialismus und Syndikalismus ausgegangen waren. Ihre prominenteste Integrationsfigur fanden sie in Benito Mussolini.
Zum anderen bot das Italien nach dem Ersten Weltkrieg ein Bild, das für eine wohlwollend konstruktive Demokratiekritik nicht gerade die geeignete Inspiration bot. Auf dem Gebiet der Außenpolitik erschien das demokratische Regime als unfähig, den Sieg im Krieg in einen ebensolchen im Frieden umzumünzen. Innenpolitisch sah es dem Kollaps der öffentlichen Ordnung ohnmächtig zu. Über ihm schien das Fatum zu hängen, das Vilfredo Pareto ausrangierten Eliten, denen Machtwille und Entschlossenheit abhanden gekommen waren, verheißen hatte: Sie werden durch neue, gewaltbereite Eliten verdrängt.
Robert Michels hat daher nicht nur die faschistische Machtergreifung begrüßt. Ihm mußte auch das Durchgreifen des Regimes nach der Matteotti-Krise von 1925, der Übergang von einer Politik des Kompromisses zur Etablierung des uneingeschränkten Herrschaftsanspruches als folgerichtig und begrüßenswert erscheinen. Bereits im Oktober 1922, kurz nach dem Marsch auf Rom, war er der Faschistischen Partei beigetreten. 1928 wurde er an der als eine faschistische Kaderschmiede konzipierten Universität Perugia Ordinarius für Volkswirtschaftslehre.
Der wissenschaftliche Ertrag dieser Lebensphase ist überschaubar, auch wenn es an Publikationen nicht mangelte. Er bemühte sich, im deutschsprachigen Raum durch Sachbücher und Artikel Verständnis für das neue Italien zu wecken. Er versuchte, den Faschismus als eine Vollendung des Risorgimento darzustellen, da er nicht mehr bloß das Bürgertum, sondern die ganze Nation in den Staat integriere, und interpretierte ihn geistesgeschichtlich als Überwindung abwegiger und die soziale Entwicklung lähmender Fragestellungen des 19. Jahrhunderts.
Vor allem aber schien er anzustreben, mit einem weiteren großen Wurf dem faschistischen Herrschaftsverständnis ein Fundament zu geben, in dessen Formulierung er vermeintlich an Max Weber anknüpfte. Mussolini erschien ihm nun als charismatischer Führer, der als autochthone und authentische Vertretung des Volkswillens spontane Gefolgschaft fand. Michels blendete dabei aus, daß Weber nicht die charismatische und auch nicht die traditionale, sondern die bürokratische Herrschaft als jene ansah, die sich in der Moderne durchsetze. Er räumte zwar die Möglichkeit ein, daß auch weiterhin Führer mit außeralltäglichen Eigenschaften aufträten. Die alsbaldige Veralltäglichung ihrer Herrschaft sei aber unausweichlich. Die Kritik, daß Michels hier hinter seinen eigenen Erkenntnisstand aus der Zeit vor Mussolini zurückfiel, ist nicht von der Hand zu weisen. Die scheinlogischen Herrschaftsbegründungen – Pareto hätte gesagt: die Derivationen – des Faschismus werden von ihm nicht als solche entzaubert – sondern ausgeschmückt.