Europäische Notizen (3): Unmut in Serbien

Einen kleinen Teil des Sommers verbrachte ich in der Republika Srpska. Mit den mitreisenden Serben, die aus ebenjener serbischen Entität in Bosnien-Herzegowina, aber auch aus Belgrad stammten, gab es bei aufkommenden politischen Gesprächen, die die gesamtserbische Lage berührten, eigentlich nur zwei Themen: zum einen die nie enden wollende Leidensgeschichte der verbliebenen Serben im Kosovo, zum anderen große Demonstrationen in Belgrad und kleinere im ganzen Land.

Benedikt Kaiser

Benedikt Kaiser ist Politikwissenschaftler und arbeitet als Verlagslektor.

Letz­te­re haben dabei aus­nahms­wei­se nichts mit der Koso­vo-Fra­ge zu tun – dafür mit dem bun­des­deut­schen Kanz­ler Olaf Scholz. Die­ser hat­te am 19. Juli in Bel­grad für die Euro­päi­sche Uni­on ein Rah­men­ab­kom­men fina­li­siert, mit der sich die EU eine Art Zugriffs­recht auf Lithi­um-Abbau in Ser­bi­en sicher­te. Es geht, man ahnt es bereits, um die »grü­ne Trans­for­ma­ti­on« der EU-Mit­glieds­staa­ten; Lithi­um wird ins­be­son­de­re für Auto­bat­te­rien benö­tigt und mit dem ser­bi­schen Lithi­um aus dem Jadar-Tal sol­len über eine Mil­li­on davon pro Jahr pro­du­ziert wer­den können.

Das Pro­blem dar­an? Die Zeit­schrift Inter­na­tio­na­le Poli­tik (September/Oktober 2024) nennt es:

Rund 55 Pro­zent der Bevöl­ke­rung sind wegen der erwar­te­ten Umwelt­schä­den strikt dage­gen; nur 25 Pro­zent befür­wor­ten das Vorhaben.

Den­noch wird gebaut: Prä­si­dent Alek­sand­ar Vučić hat mit Olaf Scholz ein gutes Ein­ver­neh­men gefun­den. Zwar stopp­te der seit rund zwei Jahr­zehn­ten prä­gen­de poli­ti­sche Kopf des Lan­des im Dezem­ber 2023 das Vor­ha­ben (kurz vor den Par­la­ments­wah­len) per Ver­bot; doch das Ver­fas­sungs­ge­richt schritt (kurz nach den Par­la­ments­wah­len) ein und ver­bot das Ver­bot. Die För­de­rung des Lithi­ums kann also begin­nen. Das bringt Hun­dert­tau­sen­de Ser­ben auf die Stra­ße und regie­rungs­kri­ti­sche Beob­ach­ter von rechts wie links auf die Palme. 

Die Ser­ben, mit denen ich auf Rei­sen war, zeig­ten sich ein­hel­lig ver­är­gert über die fol­gen­schwe­re rich­ter­li­che Ent­schei­dung und das »neo­ko­lo­nia­le« Auf­tre­ten der West­ler. Aber auch von einem gras­sie­ren­den »Auto­ch­au­vi­nis­mus« der ser­bi­schen Eli­ten war bis­wei­len die Rede (also: von Natio­nal­chau­vi­nis­mus gegen sich selbst im Sin­ne Moh­lers und Licht­mesz’), von ser­bi­schen Main­stream-Poli­ti­kern und ‑Rich­tern, die sich den EU-Zahl­stel­len und Groß­kon­zer­nen an den Hals war­fen und wei­te­re Natio­nal­schät­ze für ihr pri­va­tes und unter­neh­me­ri­sches Wohl­erge­hen ans Aus­land verschacherten.

Ein wei­te­rer Kri­tik­punkt kommt der­weil von links und aus der Kli­ma­sze­ne, die es längst auch auf dem Bal­kan gibt. Im Jaco­bin Maga­zin wird auf die Umwelt­pro­ble­ma­tik hin­ge­wie­sen, die nun dort eska­lie­ren wer­de, in der das Lithi­um abge­baut wer­den solle.

Ron­ja Mor­gen­tha­ler faßt zusammen:

Das Jadar-Tal ist eine bevöl­ke­rungs­rei­che, frucht­ba­re Agrar-Regi­on mit gro­ßen Trink­was­ser­vor­kom­men. Die dro­hen­de Zer­stö­rung und zu erwar­ten­den Ver­un­rei­ni­gun­gen von Was­ser und Boden mobi­li­sier­ten Umwelt­schüt­zer, Wis­sen­schaft­le­rin­nen und Anwoh­ner glei­cher­ma­ßen. Wis­sen­schaft­le­rin­nen und Wis­sen­schaft­ler haben in einem Bei­trag in der “Natu­re” dar­ge­legt, dass allein die For­schungs­boh­run­gen die Kon­zen­tra­tio­nen von Bor, Arsen und Lithi­um in den nahe gele­ge­nen Flüs­sen erhöht hat. Über­schrei­tun­gen der Sanie­rungs­grenz­wer­te wur­de wie­der­holt in Boden­pro­ben nachgewiesen.

Das alles wur­de bekannt gemacht: Aber die betei­lig­ten Kon­zer­ne um Rio Tin­to (in Bäl­de wohl auch Stellan­tis und Mer­ce­des-Benz) sind gut ver­netzt und ein­fluß­reich. Sie sind stär­ker als die 55 Pro­zent Ser­ben, die offen rebel­lie­ren und links wie rechts fürch­ten, daß das einst so gro­ße und stol­ze Ser­bi­en zu einer »Berg­bau­ko­lo­nie« des Wes­tens mit blei­ben­den Umwelt­schä­den werde.

Die Regie­rung um Vučić ver­weist dem­ge­gen­über – aus ihrer Sicht durch­aus ver­ständ­lich – dar­auf, daß Ser­bi­en das Geld drin­gend benö­ti­ge; Mil­li­ar­den­ein­nah­men sol­len die Staats­fi­nan­zen fit für Kom­men­des machen. Und auch die EU hat aus ihrer Sicht legi­ti­me Inter­es­sen: Der Roh­stoff­run geht wei­ter; steigt man in Ser­bi­en nicht ein, tut es die VR China.

Mor­gen­tha­ler greift die bun­des­deut­sche Per­spek­ti­ve auf:

Vor allem das Auto­land Deutsch­land braucht den Roh­stoff für die hie­si­ge Indus­trie. Deutsch­land hat einen weit­aus höhe­ren Metall­ver­brauch als vie­le sei­ner Nach­bar­län­der, ein Drit­tel davon ent­fällt auf die Autoindustrie.

Die Jaco­bin-Kli­ma­so­zia­lis­ten sehen die Lösung, wenig über­ra­schend, in der gene­rel­len Reduk­ti­on des indus­tri­el­len Auf­kom­mens und einer »kli­ma­ge­rech­ten« Umge­stal­tung der Wirt­schaft sowohl in der EU als eben auch in Ser­bi­en. Man darf davon aus­ge­hen, daß das weder der ser­bi­schen Rech­ten noch der eher tra­di­tio­nel­le­ren ser­bi­schen Lin­ken schme­cken dürf­te. Obschon sie das Bau­pro­jekt der West­kon­zer­ne ableh­nen, plä­diert kei­ne der bei­den (in sich viel­fäl­ti­gen) ideo­lo­gi­schen Groß­la­ger für eine Reduk­ti­on der Pro­duk­ti­vi­tät ihres Lan­des. Die Kli­ma­be­weg­ten dürf­ten damit Pro­ble­me mit ihren tem­po­rä­ren Bünd­nis­part­nern auf den Mas­sen­de­mons­tra­tio­nen bekommen.

Und selbst wenn die unge­wöhn­li­che Quer­front in Ser­bi­en das Rio-Tin­to-Pro­jekt stop­pen wür­de, wäre die ser­bi­sche Lage nicht ver­bes­sert: Zwei Drit­tel des Han­dels und aus­län­di­scher Inves­ti­tio­nen, faßt die Inter­na­tio­na­le Poli­tik zusam­men, stam­men aus der EU, was Abhän­gig­kei­ten erzeugt, obwohl auch Ruß­land und Chi­na tra­di­tio­nell enge Part­ner Ser­bi­ens sind und rus­si­sche Fir­men all­ge­gen­wär­tig sind. Wie wei­ter also? Har­te Zei­ten für Vučić, die Volks­wirt­schaft des Lan­des und das Volk im Ganzen.

Die ser­bi­sche Situa­ti­on bleibt damit grund­le­gend pro­blem­be­haf­tet: Sie­ben Mil­lio­nen Ser­ben sind im Rest­staat übrig geblie­ben, dazu kom­men ser­bi­sche Popu­la­tio­nen in der teil­sou­ve­rä­nen Repu­bli­ka Srps­ka (Bos­ni­en-Her­ze­go­wi­na) und in Mon­te­ne­gro sowie die Ser­ben als Min­der­heit in Ost­kroa­ti­en und im völ­ker­recht­lich noch immer ser­bi­schen Koso­vo, das aber seit Jahr­zehn­ten alba­nisch domi­niert wird und seit 2008 auch den Anspruch erhebt, ein eigen­stän­di­ger Staat zu sein, was von über 100 Staa­ten welt­weit aner­kannt wird, von vie­len (dar­un­ter Ser­bi­en, Ruß­land, Spa­ni­en, Rumä­ni­en, Grie­chen­land usw.) frei­lich wei­ter­hin nicht.

Ich sag­te es ein­gangs: Das Koso­vo-The­ma war neben Lithi­um das zwei­te poli­ti­sche The­ma Ser­bi­ens, das wir inten­siv dis­ku­tier­ten. So unter­schied­lich der ser­bi­sche Part unse­rer Rei­se­trup­pe zusam­men­ge­setzt war (Vučić-Anhän­ger neben ‑Geg­nern, Wäh­ler neben Nicht­wäh­lern, Natio­nal­kon­ser­va­ti­ve neben Sozi­al­rech­ten usf.) – der ser­bi­sche Kon­sens bestand dar­in, daß die Koso­vo-Fra­ge unver­han­del­bar sei. Das Leid der Lands­leu­te, die dort unter wid­rigs­ten Umstän­den ihren All­tag bestrei­ten, dür­fe nicht ver­ges­sen wer­den, sonst hät­ten die alba­ni­schen Natio­na­lis­ten, die dort die letz­ten Bestän­de ser­bi­scher Selbst­be­haup­tung (v.a. um Mit­ro­vica im Nord­ko­so­vo) mit aller Gewalt aus­mer­zen wol­len, schon gewon­nen. Das ist welt­an­schau­lich-poli­tisch nach­voll­zieh­bar, doch ist es auch »rea­lis­tisch«?

Denn auch bei die­sem The­ma ist die ser­bi­sche Per­spek­ti­ve der­zeit wenig hoff­nungs­froh: Die qua­si­staat­li­che Repres­si­on ver­lei­tet immer mehr jün­ge­re Koso­vo-Ser­ben zur Flucht nach Rest­s­er­bi­en. Selbst die Neue Zür­cher Zei­tung umschreibt die­sen Pro­zeß ges­tern damit, daß Koso­vos Regie­rungs­chef Albin Kur­ti »Fak­ten« schaf­fe. Der Bal­kan-Exper­te Mar­ko Prelec erwar­tet im NZZ-Gespräch sogar eine Fort­set­zung eines sol­chen Kon­fron­ta­ti­ons­kur­ses – was für Prä­si­dent Alek­sand­ar Vučić ver­heißt, daß nicht nur wegen der Lithi­um-Fra­ge erns­te Zei­ten auf ihn war­ten. Der Unmut in Ser­bi­en bleibt.

Benedikt Kaiser

Benedikt Kaiser ist Politikwissenschaftler und arbeitet als Verlagslektor.

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Kommentare (4)

RMH

14. September 2024 13:19

Die Themen sind komplex. Daher das nachfolgende bitte nicht als whataboutsim verstehen. Über 300tsd Albaner leben in Deutschland (& das sind nur die offiziellen Zahlen, vermutlich sind es, wie so oft bei Zahlen von Migranten, mehr), die überwiegende Zahl davon stammen aus dem Kosovo. Die Autokorsos anlässlich der letzten Fußball EM nach Spielen der albanischen Mannschaft zeigen deren Selbstbewusstsein deutlich. Kehrt einer davon zurück aufgrund des dortigen "Staates"? Fehlanzeige. Serbien hat es geschafft, dass eine Vielzahl ihrer Roma zu uns gekommen sind (gut, unser Sozialsystem hat seinen Teil dazu beigetragen). Was betreffen uns dann die serbischen Angelegenheiten? Der serbische Nationalismus ist stark genug, um irgendwelchen kapitalistischen Abenteuern schnell ein Milliardengrab zu schaufeln - wer zahlt die Zeche am Ende? Vermittelt über Subventionen: Wir. Wer hat aber hunderttausenden von Serben in den 70er/80er Jahren Lohn & Brot gegeben, wovon dann auch Gelder zurück nach Serbien geflossen sind? Deutschland. Die serbische Nabelschau, also des Völkchens, welches im Verbund mit Russland für den Untergang des alten Deutschlands, wozu im Nachgang man k.u.k auch dazu zählen darf,  anno 1914 gesorgt hat, bleibt ungeschlagen. Wer aber jammert, sollte immer zuerst bei sich selber nachsehen, woran es liegen kann.

Laurenz

14. September 2024 14:26

Die größten Lithium-Vorkommen Europas befinden sich im Osten der Ukraine. Über diese verfügen jetzt die Russen. Ein Schelm, der bezüglich des Ukraine-Krieges Arges dabei denkt. Jetzt, wo die Lithium-Vorkommen der Ukraine weg sind, muß Serbien herhalten, wobei wir das Lithium sicher billiger von den Russen kaufen könnten, als von West-Europäischen Exploratoren. Der industrielle Niedergang Deutschlands, aufgrund falscher (& gefälschter) ökologischer Vorgaben durch sogenannte Klima-Aktivisten & Grüne, macht nicht nur das Lithium-Projekt Serbiens, sondern das gesamte EU-Konstrukt sowieso hinfällig. Die EU basiert auf den Geldtransfers Deutschlands ins Europäischen Ausland. Ein deindustrialisiertes Deutschland leistet keine Geldtransfers mehr. Serbien kommt zu spät. Was die Tibetanisierung des Kosovos durch Albanien angeht, so haben die Serben nur die militärische Option, welche wieder nur durch Rußland abgesichert werden kann. Niemand sonst in Europa würde die Serben dabei direkt unterstützen. Wenn die Serben im Kosovo zu Potte kommen wollen, sitzen Sie, so oder so, im Russischen Boot, dann ist Schluß mit EU. Lieber jetzt als später.

RMH

14. September 2024 16:52

"Wenn die Serben im Kosovo zu Potte kommen wollen, sitzen Sie, so oder so, im Russischen Boot, dann ist Schluß mit EU. Lieber jetzt als später."
@Laurenz, man kann nur hoffen, dass - so hart das für die Serben dort ist - die Serben nicht im Kosovo zu Potte kommen, denn das ganze Kosovo hat Verwandte in Deutschland & 3x darf man raten, wo bei einer Vereinnahmung des Kosovos die meisten Kosovaren landen werden. Bingo, in Deutschland & nicht in Albanien. Ich war selber schon im Kosovo, in Pristina, in Prizren & einigen Käffern, deren Namen ich mir nicht gemerkt habe. Die Serben sollen froh sein, wenn sie da nicht mehr hingehen (wobei gerade Prizren eine Bedeutung für die serb. orth. Kirche hat). Eine faire Lösung wäre einzige eine Abspaltung der wenigen, mehrheitlich serbischen Teile an Serbien, aber das machen die Albaner leider nicht mit. Wenn hingegen die Serben aus dem Kosovo vetrieben werden, werden bei weitem die meisten in Serbien landen & nicht in Deutschland. Wenn man dt. Interessen ernsthaft im Blick hat, dürfte klar sein, was man eher akzeptabel finden kann. Die gesamte Pro-RUS-Haltung, die Sie & andere an den Tag legen, schaut nie ans Ende, sprich, welche Zuwanderung kommt deshalb nach D. Das war schon in Syrien so & das gleiche gilt für die Ukraine, die uns mit Flüchtlingen zufüllt, wenn deren Krieg verloren geht. Das braucht man als Deutscher wahrlich nicht. 

Le Chasseur

14. September 2024 17:34

@Laurenz"Die größten Lithium-Vorkommen Europas befinden sich im Osten der Ukraine. Über diese verfügen jetzt die Russen. Ein Schelm, der bezüglich des Ukraine-Krieges Arges dabei denkt."
Hat Kiesewetter doch schon ganz offen zugegeben, dass Deutschland/die EU/ der Wertewesten auch ökonomische Interessen in der Ukraine verfolgt: https://jungefreiheit.de/politik/deutschland/2023/cdu-in-der-ukraine-geht-es-auch-um-lithium-fuer-die-energiewende/
Auch der US-Senator Lindsey Graham sagt, dass es in der Ukraine um Bodenschätze geht: https://www.youtube.com/watch?v=npDqU47qZ7s
Wir erinnern uns: Als Bundespräsident Horst Köhler sagte, beim Afghanistan-Abenteuer ginge es auch um Wirtschaftsinteressen, musste er zurücktreten.