Letztere haben dabei ausnahmsweise nichts mit der Kosovo-Frage zu tun – dafür mit dem bundesdeutschen Kanzler Olaf Scholz. Dieser hatte am 19. Juli in Belgrad für die Europäische Union ein Rahmenabkommen finalisiert, mit der sich die EU eine Art Zugriffsrecht auf Lithium-Abbau in Serbien sicherte. Es geht, man ahnt es bereits, um die »grüne Transformation« der EU-Mitgliedsstaaten; Lithium wird insbesondere für Autobatterien benötigt und mit dem serbischen Lithium aus dem Jadar-Tal sollen über eine Million davon pro Jahr produziert werden können.
Das Problem daran? Die Zeitschrift Internationale Politik (September/Oktober 2024) nennt es:
Rund 55 Prozent der Bevölkerung sind wegen der erwarteten Umweltschäden strikt dagegen; nur 25 Prozent befürworten das Vorhaben.
Dennoch wird gebaut: Präsident Aleksandar Vučić hat mit Olaf Scholz ein gutes Einvernehmen gefunden. Zwar stoppte der seit rund zwei Jahrzehnten prägende politische Kopf des Landes im Dezember 2023 das Vorhaben (kurz vor den Parlamentswahlen) per Verbot; doch das Verfassungsgericht schritt (kurz nach den Parlamentswahlen) ein und verbot das Verbot. Die Förderung des Lithiums kann also beginnen. Das bringt Hunderttausende Serben auf die Straße und regierungskritische Beobachter von rechts wie links auf die Palme.
Die Serben, mit denen ich auf Reisen war, zeigten sich einhellig verärgert über die folgenschwere richterliche Entscheidung und das »neokoloniale« Auftreten der Westler. Aber auch von einem grassierenden »Autochauvinismus« der serbischen Eliten war bisweilen die Rede (also: von Nationalchauvinismus gegen sich selbst im Sinne Mohlers und Lichtmesz’), von serbischen Mainstream-Politikern und ‑Richtern, die sich den EU-Zahlstellen und Großkonzernen an den Hals warfen und weitere Nationalschätze für ihr privates und unternehmerisches Wohlergehen ans Ausland verschacherten.
Ein weiterer Kritikpunkt kommt derweil von links und aus der Klimaszene, die es längst auch auf dem Balkan gibt. Im Jacobin Magazin wird auf die Umweltproblematik hingewiesen, die nun dort eskalieren werde, in der das Lithium abgebaut werden solle.
Ronja Morgenthaler faßt zusammen:
Das Jadar-Tal ist eine bevölkerungsreiche, fruchtbare Agrar-Region mit großen Trinkwasservorkommen. Die drohende Zerstörung und zu erwartenden Verunreinigungen von Wasser und Boden mobilisierten Umweltschützer, Wissenschaftlerinnen und Anwohner gleichermaßen. Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler haben in einem Beitrag in der “Nature” dargelegt, dass allein die Forschungsbohrungen die Konzentrationen von Bor, Arsen und Lithium in den nahe gelegenen Flüssen erhöht hat. Überschreitungen der Sanierungsgrenzwerte wurde wiederholt in Bodenproben nachgewiesen.
Das alles wurde bekannt gemacht: Aber die beteiligten Konzerne um Rio Tinto (in Bälde wohl auch Stellantis und Mercedes-Benz) sind gut vernetzt und einflußreich. Sie sind stärker als die 55 Prozent Serben, die offen rebellieren und links wie rechts fürchten, daß das einst so große und stolze Serbien zu einer »Bergbaukolonie« des Westens mit bleibenden Umweltschäden werde.
Die Regierung um Vučić verweist demgegenüber – aus ihrer Sicht durchaus verständlich – darauf, daß Serbien das Geld dringend benötige; Milliardeneinnahmen sollen die Staatsfinanzen fit für Kommendes machen. Und auch die EU hat aus ihrer Sicht legitime Interessen: Der Rohstoffrun geht weiter; steigt man in Serbien nicht ein, tut es die VR China.
Morgenthaler greift die bundesdeutsche Perspektive auf:
Vor allem das Autoland Deutschland braucht den Rohstoff für die hiesige Industrie. Deutschland hat einen weitaus höheren Metallverbrauch als viele seiner Nachbarländer, ein Drittel davon entfällt auf die Autoindustrie.
Die Jacobin-Klimasozialisten sehen die Lösung, wenig überraschend, in der generellen Reduktion des industriellen Aufkommens und einer »klimagerechten« Umgestaltung der Wirtschaft sowohl in der EU als eben auch in Serbien. Man darf davon ausgehen, daß das weder der serbischen Rechten noch der eher traditionelleren serbischen Linken schmecken dürfte. Obschon sie das Bauprojekt der Westkonzerne ablehnen, plädiert keines der beiden (in sich vielfältigen) ideologischen Großlager für eine Reduktion der Produktivität ihres Landes. Die Klimabewegten dürften damit Probleme mit ihren temporären Bündnispartnern auf den Massendemonstrationen bekommen.
Und selbst wenn die ungewöhnliche Querfront in Serbien das Rio-Tinto-Projekt stoppen würde, wäre die serbische Lage nicht verbessert: Zwei Drittel des Handels und ausländischer Investitionen, faßt die Internationale Politik zusammen, stammen aus der EU, was Abhängigkeiten erzeugt, obwohl auch Rußland und China traditionell enge Partner Serbiens sind und russische Firmen allgegenwärtig sind. Wie weiter also? Harte Zeiten für Vučić, die Volkswirtschaft des Landes und das Volk im Ganzen.
Die serbische Situation bleibt damit grundlegend problembehaftet: Sieben Millionen Serben sind im Reststaat übrig geblieben, dazu kommen serbische Populationen in der teilsouveränen Republika Srpska (Bosnien-Herzegowina) und in Montenegro sowie die Serben als Minderheit in Ostkroatien und im völkerrechtlich noch immer serbischen Kosovo, das aber seit Jahrzehnten albanisch dominiert wird und seit 2008 auch den Anspruch erhebt, ein eigenständiger Staat zu sein, was von über 100 Staaten weltweit anerkannt wird, von vielen (darunter Serbien, Rußland, Spanien, Rumänien, Griechenland usw.) freilich weiterhin nicht.
Ich sagte es eingangs: Das Kosovo-Thema war neben Lithium das zweite politische Thema Serbiens, das wir intensiv diskutierten. So unterschiedlich der serbische Part unserer Reisetruppe zusammengesetzt war (Vučić-Anhänger neben ‑Gegnern, Wähler neben Nichtwählern, Nationalkonservative neben Sozialrechten usf.) – der serbische Konsens bestand darin, daß die Kosovo-Frage unverhandelbar sei. Das Leid der Landsleute, die dort unter widrigsten Umständen ihren Alltag bestreiten, dürfe nicht vergessen werden, sonst hätten die albanischen Nationalisten, die dort die letzten Bestände serbischer Selbstbehauptung (v.a. um Mitrovica im Nordkosovo) mit aller Gewalt ausmerzen wollen, schon gewonnen. Das ist weltanschaulich-politisch nachvollziehbar, doch ist es auch »realistisch«?
Denn auch bei diesem Thema ist die serbische Perspektive derzeit wenig hoffnungsfroh: Die quasistaatliche Repression verleitet immer mehr jüngere Kosovo-Serben zur Flucht nach Restserbien. Selbst die Neue Zürcher Zeitung umschreibt diesen Prozeß gestern damit, daß Kosovos Regierungschef Albin Kurti »Fakten« schaffe. Der Balkan-Experte Marko Prelec erwartet im NZZ-Gespräch sogar eine Fortsetzung eines solchen Konfrontationskurses – was für Präsident Aleksandar Vučić verheißt, daß nicht nur wegen der Lithium-Frage ernste Zeiten auf ihn warten. Der Unmut in Serbien bleibt.
RMH
Die Themen sind komplex. Daher das nachfolgende bitte nicht als whataboutsim verstehen. Über 300tsd Albaner leben in Deutschland (& das sind nur die offiziellen Zahlen, vermutlich sind es, wie so oft bei Zahlen von Migranten, mehr), die überwiegende Zahl davon stammen aus dem Kosovo. Die Autokorsos anlässlich der letzten Fußball EM nach Spielen der albanischen Mannschaft zeigen deren Selbstbewusstsein deutlich. Kehrt einer davon zurück aufgrund des dortigen "Staates"? Fehlanzeige. Serbien hat es geschafft, dass eine Vielzahl ihrer Roma zu uns gekommen sind (gut, unser Sozialsystem hat seinen Teil dazu beigetragen). Was betreffen uns dann die serbischen Angelegenheiten? Der serbische Nationalismus ist stark genug, um irgendwelchen kapitalistischen Abenteuern schnell ein Milliardengrab zu schaufeln - wer zahlt die Zeche am Ende? Vermittelt über Subventionen: Wir. Wer hat aber hunderttausenden von Serben in den 70er/80er Jahren Lohn & Brot gegeben, wovon dann auch Gelder zurück nach Serbien geflossen sind? Deutschland. Die serbische Nabelschau, also des Völkchens, welches im Verbund mit Russland für den Untergang des alten Deutschlands, wozu im Nachgang man k.u.k auch dazu zählen darf, anno 1914 gesorgt hat, bleibt ungeschlagen. Wer aber jammert, sollte immer zuerst bei sich selber nachsehen, woran es liegen kann.