Kritik der Woche (63): Die geleugnete Natur

von Eva Rex -- Dieses Buch ist ein Glaubensbekenntnis. Die US-amerikanische Literaturwissenschaftlerin Abigail Favale bekräftigt darin ihre Überzeugung, daß es sich bei der Gender-Theorie um eine bedenkliche Irrlehre handelt.

Das ist inso­fern pikant, als die Autorin selbst über vie­le Jah­re hin­weg für die Ver­brei­tung die­ser nun­mehr von ihr ver­wor­fe­nen Denk­wei­se gesorgt hat. Zugleich bekennt sie sich in ihrer sehr per­sön­lich gefärb­ten Wis­sen­schafts­ana­ly­se zu ihrem Glau­ben an die katho­li­sche Kir­che, denn die­ser war es, der sie zu einem christ­li­chen Gegen­ent­wurf der Geschlech­ter­di­cho­to­mie inspi­riert hat.

Als Chris­tin hat­te sich die evan­ge­li­kal sozia­li­sier­te Fava­le schon immer ver­stan­den, doch erst im Jahr 2014 mach­te sie den ent­schei­den­den Schritt und wur­de katho­lisch. Im sel­ben Jahr kam auch ihr zwei­tes Kind zur Welt. Dies waren zwei über­wäl­ti­gen­de Ereig­nis­se in ihrem Leben, die sie wie ein Damas­kus-Erleb­nis beschreibt: End­lich war die Zeit reif für eine grund­le­gen­de Revi­si­on ihrer bis­he­ri­gen Tätig­keit und der ihr zugrun­de­lie­gen­den Theo­rie, deren Wider­sprü­che und Unge­reimt­hei­ten ihr bereits lan­ge zuvor auf­ge­fal­len waren.

Vor allem die Beob­ach­tung, daß im Gen­der-Nar­ra­tiv objek­ti­ve, auf mate­ri­el­len Gege­ben­hei­ten beru­hen­de Kate­go­rien kei­ne Rol­le spie­len, berühr­te sie schmerz­lich. Sie stell­te fest, daß sie es mit einer “tota­li­sie­ren­den Welt­an­schau­ung” zu tun hat­te, die Geschlecht wech­sel­wei­se als “Geis­tes­zu­stand” oder als indi­vi­du­el­len Selbst­ent­wurf betrach­tet statt als kör­per­li­che Rea­li­tät. Der Kör­per des Men­schen wer­de zum Werk­zeug sei­nes eige­nen Wil­lens her­ab­ge­stuft und ver­lie­re dadurch sei­ne ihm inhä­ren­te Bedeu­tung. Die Ein­heit von Leib und See­le – nach Fava­le ein Kern­ele­ment des Chris­ten­tums – gehe zu Bruch, Frag­men­tie­rung des Kör­pers und Zer­stö­rung der see­li­schen Inte­gri­tät sei­en die Folge.

Mit gro­ßer Über­zeu­gungs­kraft weist die Phi­lo­so­phin nach, daß es bei der Gen­der-Ideo­lo­gie nicht um die Befrei­ung des Men­schen geht, schon gar nicht um die der Frau, im Gegen­teil: Frei­heit wer­de gemein­hin als das Sich-Hin­weg­set­zen von Gren­zen und Begren­zun­gen ver­stan­den, was fata­le Aus­wir­kun­gen hat. Die­sem fal­schen Prin­zip setzt Fava­le ein teleo­lo­gi­sches Ver­ständ­nis vom Mensch­sein ent­ge­gen, dem­zu­fol­ge wir wirk­lich frei sind, wenn wir uns im Rah­men der uns gesetz­ten natür­li­chen Beschrän­kun­gen als Per­sön­lich­kei­ten entfalten.

Fava­le reibt sich sehr dar­an, daß aus­ge­rech­net in einem phi­lo­so­phi­schen Kon­zept, das sei­nen Aus­gang im Femi­nis­mus nahm, die Frau als sol­che nicht mehr vor­kommt, denn “Frau” gilt nicht mehr als defi­nier­bar. Über­dies wer­de deren Auto­no­mie all­zu oft als Los­lö­sung von allen Attri­bu­ten der Weib­lich­keit interpretiert.

Aller­dings: Nicht die femi­nis­ti­sche Bewe­gung als sol­che sei für die­se Schief­la­ge ver­ant­wort­lich, wie sie betont, son­dern der Femi­nis­mus der zwei­ten Wel­le (maß­geb­lich beein­flußt von Simo­ne de Beau­voir) habe ein Wer­te­sys­tem ange­nom­men, das impli­zit auf das Männ­li­che aus­ge­rich­tet sei. Es gebe ein tie­fes Unbe­ha­gen gegen­über der Frucht­bar­keit von Frau­en und ihrer Fähig­keit schwan­ger zu wer­den, ein Kind aus­zu­tra­gen und zu stil­len. Die Kri­tik der Autorin am Femi­nis­mus fin­det somit aus einer dezi­diert femi­nis­ti­schen Per­spek­ti­ve her­aus statt.

Aus­führ­lich schil­dert sie die Gene­se und Aus­wir­kung von staat­lich geför­der­ter Gebur­ten­kon­trol­le, wel­che von Mar­ga­ret San­ger und ihrer Orga­ni­sa­ti­on Plan­ned Paren­thood ener­gisch vor­an­ge­trie­ben wur­de. In der Lega­li­sie­rung und Nor­ma­li­sie­rung von Ver­hü­tungs­mit­teln ver­or­tet Fava­le eine der vor­ran­gigs­ten Ursa­chen der Gen­der-Theo­rie – eine The­se, die viel­leicht doch ein wenig zu steil daherkommt.

In den letz­ten Kapi­teln ihres Buches wid­met sich die Wis­sen­schaft­le­rin der aktu­el­len For­schung, läßt auch Betrof­fe­ne zu Wort kom­men, die eine Tran­si­ti­on oder De-Tran­si­ti­on mit­ge­macht haben und bezieht dabei neu­es­te stu­di­en­ba­sier­te Daten mit ein, wel­che die Behaup­tung eines drit­ten oder “diver­ser” ande­rer Geschlech­ter widerlegen.

Ins­ge­samt argu­men­tiert die Pro­fes­so­rin, die heu­te an der katho­li­schen “Uni­ver­si­ty of Not­re Dame” in India­na lehrt, ein­fühl­sam und wohl­wol­lend. Bewußt mei­det sie den Jar­gon intel­lek­tu­el­ler Ver­stie­gen­heit, der im Gen­der-Milieu üblich ist, und wird nie­mals pole­misch. Manch­mal frei­lich wünscht man sich, sie hät­te mehr Biß, um deut­lich zu machen, wel­che zer­stö­re­ri­sche Dyna­mik die “ein­fluß­reichs­te und fol­gen­reichs­te Theo­rie der west­li­chen Anthro­po­lo­gie” (wie Han­na-Bar­ba­ra Gerl-Fal­ko­vitz in ihrem Vor­wort tref­fend for­mu­liert) sowohl in der aka­de­mi­schen Leh­re als auch in der lebens­prak­ti­schen Umset­zung entfaltet.

Abi­ga­il Fava­le hat ein über­aus wich­ti­ges Buch geschrie­ben, eines, das inner­halb der mitt­ler­wei­le beacht­lich ange­wach­se­nen Gen­der­kri­tik-Lite­ra­tur einen ganz ande­ren Stand­punkt ein­nimmt, näm­lich den der theo­lo­gi­schen Refle­xi­on. Ärger­li­cher­wei­se wird in der deut­schen Über­set­zung die­ses Anti-Gen­der-Buchs selbst gegen­dert, stän­dig ist von “Stu­die­ren­den” und “Teil­neh­men­den” die Rede  – ein Schlag ins Gesicht der Ver­fas­se­rin! Und ein Vor­ge­hen von Sei­ten des Über­set­zers und Ver­la­ges, das an bor­nier­ter Prin­zi­pi­en­treue nicht zu über­bie­ten ist.

– – –

Abi­ga­il Fava­le: Die geleug­ne­te Natur. War­um die Gen­der-Theo­rie in die Irre führt, Frei­burg im Breis­gau: Her­der 2024. 272 S., 26 Euro – hier bestel­len.

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Kommentare (3)

Laurenz

16. September 2024 16:22

@ER ... Die Definition von Leib & Seele ist vom Christentum nur adaptiert. Natürlich habe ich Abigail Favale nachgeschlagen. Sie vertritt mittlerweile ein althergebrachtes katholisches Verständnis von Mann & Frau. Die Frau solle ihrem Mann gehorchen. Das ist ein orientalischer Ansatz, der mit unserem Charakter, als Mitteleuropäer, nichts zu tun hat. Denn aus dieser orientalischen Struktur, auch im BGB, ließ sich der Feminismus, welcher die Frauen zu Hilfsmännern degradierte, überhaupt erst herleiten. Der einstige Katholik & Geistliche Bert Hellinger gab Eheheleuten oder Partnern einen wesentlich praktikableren Satz mit ins Leben: Der Mann dient der Frau & die Frau folgt dem Mann. Aufgrund der Öffentlichkeit von EK & GK, haben wir einen vergleichsweise guten Einblick in dieses katholisch bekennende Paar, welches aber kein alt-katholisches Verhältnis präsentiert, sondern ein Urdeutsches. Soweit man sehen kann, weist man sich, in Absprache, gegenseitig Verantwortungsräume zu. Dispute scheinen meist geklärt zu werden, denn, man liebt sich. Sieht zumindest so aus.

Majestyk

16. September 2024 16:54

Der Feminismus selber basiert bereits auf der Leugnung der Natur. Der einzige Grund warum sich Feministinnen nun gegen die Gendertheorie wenden ist wohl eher die Tatsache, daß man nun nicht mehr Opferkult Nr. 1 ist.
Im Übrigen war der Feminismus Geburtshelfer der Gendertheorie. „Man kommt nicht als Frau auf die Welt, man wird dazu gemacht.“ sagte schon Simone de Beauvoir. Nicht der kleine Unterschied entscheidet, sondern die soziale Konstruktion des Geschlechts. Ähnliches findet sich auch bei Susan Sonntag,  Shulamith Firestone oder der deutschen Oberfeministin Alice Schwarzer persönlich. 
Dass all diese gesellschaftlichen Glaubensrichtungen wie Sekten funktionieren liegt auf der Hand. Die für mich wichtigere Frage lautet, wie kann eine Minderheitssekte derart in den Fokus rücken. Wer finanziert das Ganze und warum? Und warum konzentriert sich der Hokuspokus auf Europa, Nordamerika, Australien und Neuseeland, genau wie Migrantismus und Klimakult?

Diogenes

16. September 2024 18:13

"(…) der deutschen Übersetzung (...)"
 
Für den Lesefluß des Betrachters sicher unangenehm (die Endung bei Studenten/Teilnehmern schließt beiderlei Geschlecht im Ansprechen ein), im Gewissen dessen, daß mit der offenkundigen Sprachverwirrung ein Anschlag auf das Gemeinsame des Sprachlichen als "Teile-und-herrsche"-Spaltkeil praktiziert wird. Ob die Antideutschen (Fremdextreme Deutschmasochisten; Fremdwort, Fremdvolk, Fremdsein verherrlichen, Sucht nach Ersatz-Identität - Heimat, Volk und Nation verleugnen, wegreden) das bewusst oder unbewusst im Schreiben und Sprechen tun, ist nebensächlich, da der Ursprung des volkspsychologischen (im Gegensatz zur Massenpsychologie spezifisch auf uns als Volk bezogen. Der dt. Volksbegriff ist nicht gleich dem alt-römischen der in Britannien/Übersee als Menge/Masse hängen geblieben ist) Phänomens sich in der Fremdinjektion-"Wir Deutschen sind die Bösen" und damit in der Psychologischen Kriegsführung der (ehemaligen) Feindmächte Großdeutschlands finden lässt (ein einiges dt. Volk als Wirtschafts- und Kulturmacht (z.B. Welt- u. Wissenschaftssprache Deutsch) war schon vor dem 1. Großen Krieg den plutokratischen Oligarchien ein Dorn im Auge). Will man das Irrlicht im Sprachlichen abstellen, muss man an die Ursache. Das heißt den Eingriff in unser Volksbewusstsein anerkennen und als solchen behandeln im Sinne des Wortes Heil vom Kranken/Kaputten/Halben weg und hin zum Ganzen/Gesunden als Rückbesinnung auf den Normalzustand im Bewusstsein.