Die NATO und wir

PDF der Druckfassung aus Sezession 119/ April 2024

Nils Wegner

Nils Wegner ist studierter Historiker, lektorierte 2015–2017 bei Antaios, IfS und Sezession und arbeitet als Übersetzer.

Das Ein­schie­ßen auf Bun­des­kanz­ler Olaf Scholz als Wie­der­gän­ger des ­Putin-Freunds Ger­hard Schrö­der hat, das kann man ohne jede Sym­pa­thie für einen von bei­den fest­stel­len, längst begon­nen. All­zu durch­sich­tig zuguns­ten des eher­nen Trans­at­lan­ti­kers Fried­rich Merz kra­keelt aus­ge­rech­net der Spie­gel von der gegen­wär­ti­gen Situa­ti­on als »größ­te Kri­se seit dem Zwei­ten Welt­krieg«. Und aus­ge­rech­net die angeb­lich einst­mals kon­ser­va­ti­ve Frank­fur­ter All­ge­mei­ne Zei­tung raunt, ange­sichts die­ser Zeit­dia­gno­se sei es mitt­ler­wei­le unum­gäng­lich, »Undenk­ba­res« zu denken.

»Undenk­bar« war dort bis vor kur­zem etwa eine Wie­der­ein­füh­rung der Wehr­pflicht (im Gegen­satz zur Ver­pflich­tung frem­der Staats­an­ge­hö­ri­ger), die Erar­bei­tung eines neu­en »Ope­ra­ti­ons­plans Deutsch­land« nach rund 40 Jah­ren oder – sei­tens des Bil­dungs­mi­nis­te­ri­ums – die Abkehr von den Zivil­klau­seln, die zivi­le und mili­tä­ri­sche For­schung streng getrennt hal­ten sol­len. Wäh­rend­des­sen for­dert der Städ­te- und Gemein­de­bund gera­de­her­aus die Ein­pla­nung umfang­rei­cher Finanz­mit­tel für den Bau neu­er und die Wie­der­in­be­trieb­nah­me alter Bun­ker­an­la­gen (wie wei­land in Alba­ni­en unter Enver Hod­scha) sowie für die Errich­tung eines Net­zes von Luft­schutz­si­re­nen, um auf »die neue Bedro­hungs­la­ge« zu reagieren.

Zusam­men mit Maß­nah­men unter ande­rem des Gesund­heits­mi­nis­te­ri­ums sowie neu­en Leit­li­ni­en für die Wirt­schaft will man ziem­lich unum­wun­den Deutsch­land (wie­der) auf den »V‑Fall« vor­be­rei­ten – nur eben kei­nen auf dem eige­nen Boden, wie das noch vor 1989 wenigs­tens halb­her­zig for­mu­liert war. Dies­mal heißt Ver­tei­di­gung: auf eine Aggres­si­on gegen einen ande­ren Staat reagie­ren, die den NATO-Bünd­nis­fall aus­lö­sen und somit den Kriegs­zu­stand für die Bun­des­re­pu­blik her­stel­len wür­de. Seit 2022 hält man es ja auch wie­der für gebo­ten, von Krieg zu spre­chen statt von inter­na­tio­na­len Poli­zei­ak­tio­nen und »kriegs­ähn­li­chen Handlungen«.

Man könn­te mei­nen, das berühm­te »Ende vom ›Ende der Geschich­te‹«, das für die USA der 11. Sep­tem­ber 2001 mar­kier­te, sei mit der übli­chen Ver­zö­ge­rung von ein paar Jah­ren nun end­lich auch zwi­schen Rhein und Oder ange­kom­men – wie­der­um unter Rot-Grün (das biß­chen Gelb merkt keiner).

Wem nun warm ums sou­ve­rä­nis­ti­sche Herz wird, der hat wie immer Pech: Das alles ist eng rück­ge­bun­den an die supra­na­tio­na­le Ebe­ne. Nicht nur läuft offen »zur Abschre­ckung an der NATO-Ost­flan­ke« seit Ende Janu­ar mit »Stead­fast Defen­der« das größ­te NATO-Manö­ver seit 1988, des­sen geplan­te Trup­pen­zahl noch kurz vor Beginn auf 90 000 Mann mehr als ver­dop­pelt wur­de – »ein wich­ti­ger Schritt zur Kriegs­tüch­tig­keit« laut Gene­ral­inspek­teur Cars­ten Breuer.

Eben­falls Ende Janu­ar schloß die BRD mit Japan ein Unter­stüt­zungs­ab­kom­men, um ganz neben­bei noch Peking vor den Kopf zu sto­ßen. Und selbst die kli­schee­haf­te Neu­tra­li­tät der Schweiz wird heu­te in Fra­ge gestellt – unter ande­rem aus­ge­rech­net von Josch­ka ­Fischer, der 1999 als Schrö­ders Außen­mi­nis­ter mit der Losung »Nie wie­der Ausch­witz« die Bun­des­wehr in ihren ers­ten NATO-Kampf­ein­satz (ohne UN-Man­dat) schick­te – in den völ­ker­rechts­wid­ri­gen Angriff gegen Ser­bi­en im Rah­men des Kosovokriegs.

Ange­sichts all des­sen nur mehr ein Detail: Der Ein­satz der Fre­gat­te »Hes­sen« der Bun­des­ma­ri­ne inner­halb der EU-Mari­ne­ope­ra­ti­on »Aspi­des« zur Siche­rung der Han­dels­schif­fahrt im Roten Meer gegen Angrif­fe der im Jemen de fac­to herr­schen­den Huthi-»Miliz« (und zur Ent­las­tung der dort gleich­zei­tig bom­bar­die­ren­den Ame­ri­ka­ner und Bri­ten) wur­de am sel­ben Tag beschlos­sen, an dem die Enquete-Kom­mis­si­on des Bun­des­tags den ­Afgha­ni­stan­ein­satz der Bun­des­wehr in ihrem Zwi­schen­be­richt als völ­li­gen Fehl­schlag beurteilte.

Wozu braucht es schon nach­träg­li­che Beur­tei­lun­gen, wenn Mili­tär­ein­sät­ze als ver­schärf­te Außen­po­li­tik auch wei­ter­hin ledig­lich »Bünd­nis­pflich­ten« und »Sach­zwän­gen« unter­lie­gen, nicht etwa einer Eva­lua­ti­on ein­mal gemach­ter Erfah­run­gen oder gar der Revi­si­on? Und so bedenk­lich es auf den ers­ten Blick auch schei­nen mag, wie sehr die NATO als mili­tä­ri­sches Bünd­nis und eine poli­tisch-wirt­schaft­li­che Orga­ni­sa­ti­on wie die Euro­päi­sche Uni­on ein­an­der zuneh­mend über­schnei­den und teil­wei­se gar zu ver­schmel­zen schei­nen: Seit der ohne gro­ßen Medi­en­rum­mel geschlos­se­nen Ber­lin-Plus-Ver­ein­ba­rung von 2003 sind die Orga­ne der »Gemein­sa­men Sicher­heits- und Ver­tei­di­gungs­po­li­tik« (GSVP) der EU prak­tisch Kli­en­tel­kräf­te der NATO.

Und doch: Ange­sichts der Wahl­kampf­ra­bu­lis­tik Donald Trumps, dem »Zwei-Pro­zent-Ziel« gegen­über säu­mi­gen NATO-Mit­glied­staa­ten mili­tä­ri­sche Unter­stüt­zung durch die USA vor­ent­hal­ten zu wol­len, tut man so betrof­fen wie kaum je zuvor. Des­halb wur­de auf der dies­jäh­ri­gen Münch­ner Sicher­heits­kon­fe­renz die vor dem Hin­ter­grund des Ukrai­ne­kriegs bren­nen­de Fra­ge der GSVP nicht öffent­lich the­ma­ti­siert: Man befürch­te­te, daß die Dis­kus­si­on euro­päi­scher Plä­ne für mili­tä­ri­sche Hand­lungs­fä­hig­keit popu­lis­ti­schen Strö­mun­gen in die Kar­ten spie­len könnte.

Dabei wäre zumin­dest das Gedan­ken­spiel durch­aus reiz­voll gewe­sen, unge­ach­tet all des unver­meid­li­chen Getö­ses von Boden­trup­pen in der Ukrai­ne (­Emma­nu­el Macron) bis hin zu einem bri­tisch-fran­zö­si­schen Atom­waf­fen­schild für Euro­pa »unter dem Dach der NATO« (Chris­ti­an Lind­ner). Denn ein wesent­li­cher Schwach­punkt des Nord­at­lan­tik­pakts ist doch die ame­ri­ka­ni­sche Ein­stel­lung gegen­über Krieg an und für sich, die der euro­päi­schen nicht dia­me­tra­ler gegen­über­ste­hen könn­te und auf dem mit der Mon­roe-Dok­trin von 1823 fest­ge­schrie­be­nen Inter­ven­ti­ons­cha­rak­ter beruht. Des­halb erfreut sich die­ses Wort »drü­ben« im mili­tä­ri­schen Bezug so gro­ßer Beliebtheit.

Ob und wann die USA ihre bewaff­ne­ten Expe­di­tio­nen unter­neh­men, ist eine Fra­ge von Kon­greß­mehr­hei­ten. Wenn aber der Wider­stand an der Hei­mat­front zu groß wird und schlech­te Wahl­er­geb­nis­se ankün­digt, machen die GIs ihre nicht luft­ver­leg­ba­re Aus­rüs­tung unbrauch­bar (oder auch nicht, wie Afgha­ni­stan 2021 gezeigt hat) und wer­den aus­ge­flo­gen. Zu Hau­se sind sie min­des­tens einen Oze­an von sämt­li­chen Kon­flikt­her­den der Welt ent­fernt. Die Ver­ei­nig­ten Staa­ten haben auf ihrem eige­nen Fest­land­ter­ri­to­ri­um seit dem Bri­tisch-Ame­ri­ka­ni­schen Krieg (1812 – 1814) kei­ne frem­den Trup­pen­kon­tin­gen­te gese­hen und – abge­se­hen von ein­zel­nen japa­ni­schen »Wind­schiff­bom­ben« und eini­gen Gra­na­ten auf­ge­tauch­ter U‑Boote – kei­ner­lei Feind­be­schuß erlebt.

So banal das auf den ers­ten Blick schei­nen mag, so schwer­wie­gend sind die Fol­gen dar­aus. Der Grund­cha­rak­ter des Atlan­tik­pakts als Schutz­schirm über West­eu­ro­pa beruh­te gänz­lich auf der stra­te­gi­schen Pla­nung, daß die ame­ri­ka­ni­schen Gar­ni­so­nen durch ihre Anwe­sen­heit öst­li­che Aggres­sio­nen abschre­cken und ander­seits im Ernst­fall schnellst­mög­lich mit Mas­se über den Atlan­tik ver­le­gen und die bereits über­rann­ten Ver­bün­de­ten frei­kämp­fen wür­den. (Die unter ande­rem von der FAZ betrau­er­te alte (West-)Bundeswehr mit ihrer hal­ben Mil­li­on Sol­da­ten, zwei Mil­lio­nen Reser­vis­ten und Tau­sen­den Kampf­pan­zern war stets nur als Kano­nen­fut­ter im NATO-Rah­men konzipiert.)

Die US-Hei­mat­front hin­ge­gen soll­te in jedem Fall bedro­hungs­frei gehal­ten wer­den, auch und gera­de zur Auf­recht­erhal­tung der für Kriegs­an­stren­gun­gen unver­zicht­ba­ren extre­men Wirt­schafts­leis­tung. Die beharr­li­che Kriegs­un­wil­lig­keit der Mehr­heits­be­völ­ke­rung vor dem japa­ni­schen Angriff auf Pearl Har­bor sowie die pani­schen Reak­tio­nen auf angeb­li­che Inva­si­ons­be­dro­hun­gen im fol­gen­den Ver­lauf des Zwei­ten Welt­kriegs hat­ten den »mili­tä­risch-indus­tri­el­len Kom­plex« (Dwight D. Eisen­hower) gelehrt, daß hier kei­ner­lei Risi­ken mehr ein­ge­gan­gen wer­den durften.

Allein: Die Rech­nung ging schon nach weni­ger als zehn Jah­ren des Bestehens der NATO nicht mehr auf. Als die Sowjet­uni­on am 4. Okto­ber 1957 den ers­ten Satel­li­ten in eine Umlauf­bahn schick­te, war die Grund­la­ge für den fol­gen­den »Sput­nik­schock« mit­nich­ten der neue künst­li­che Erd­tra­bant selbst – die­ser war bereits ein Vier­tel­jahr zuvor in inter­na­tio­na­len Wis­sen­schaft­ler­krei­sen ange­kün­digt wor­den. Viel­mehr lag mit des­sen Trä­ger­sys­tem R‑7 nun­mehr die ers­te funk­ti­ons­fä­hi­ge Interkontinental­rakete vor, mit der die bereits seit 1949 über die Atom- und seit 1953 über die Was­ser­stoff­bom­be ver­fü­gen­den Sowjets zumin­dest auf dem Papier pro­blem­los US-Groß­städ­te wie New York City und Washing­ton, D.C. angrei­fen konn­ten. (Daß dies, wie heu­te bekannt ist, im Ernst­fall wahr­schein­lich nicht gelun­gen wäre, ist logis­ti­schen und kei­nes­wegs tech­ni­schen Grün­den geschuldet.)

Elf Mona­te »nach Sput­nik« began­nen die USA mit der – gemäß dem Kon­zept der »Mas­si­ven Ver­gel­tung« bereits deut­lich län­ger geplan­ten – Sta­tio­nie­rung von Atom­waf­fen in West­eu­ro­pa, was im Ver­bund mit Kom­pe­tenz- und Sou­ve­rä­ni­täts­strei­tig­kei­ten 1966 den Aus­tritt Frank­reichs, das 1960 selbst Atom­macht gewor­den war, aus der NATO nach sich zog. Ein euro­pä­isch-mili­tä­ri­scher »drit­ter Weg« wur­de damit einen his­to­ri­schen Augen­blick lang denk­bar und fand bei west­deut­schen Rechts­kon­ser­va­ti­ven um Armin Moh­ler vehe­men­te Befür­wor­ter, doch letzt­lich geschah nichts, und 2009 führ­te Nico­las Sar­ko­zy die Fran­zo­sen in den Rei­gen um die wei­ße Kompaß­ro­se zurück.

Wäh­rend die Atom­schlag­ka­pa­zi­tät die his­to­ri­sche Gret­chen­fra­ge der NATO ist, sich real­po­li­tisch aber genau­so über­lebt hat wie der Nord­at­lan­tik­ver­trag von 1949 als sol­cher mit dem Zer­fall der Sowjet­uni­on, bleibt das durch Trumps erwähn­te gro­ße Töne wie­der­be­leb­te Gewe­se um eine »Rela­ti­vie­rung der NATO-Bei­stands­ver­pflich­tung« in jedem Fall und von jeder Sei­te schein­hei­lig. Denn US-Stand­or­te gibt es ja ohne­hin in min­des­tens der Hälf­te der der­zeit 32 NATO-Mit­glied­staa­ten! Was soll­te im »V‑Fall« mit die­sen gesche­hen, wenn der betrof­fe­ne Staat als säu­mi­ger Tri­but­zah­ler des über­see­ischen Bei­stands ver­lus­tig gegan­gen wäre? Auch zeig­te sich bereits im Zypern­kon­flikt (1963 – 1974) die man­geln­de Hand­lungs­fä­hig­keit der gänz­lich gegen die Sowjet­uni­on gerich­te­ten NATO bei Kon­flik­ten zwi­schen ihren Mit­glied­staa­ten, als es zwi­schen Grie­chen und Tür­ken zu fort­lau­fen­den Schar­müt­zeln knapp unter­halb offi­zi­el­ler Kriegs­hand­lun­gen kam.

Die durch­aus man­geln­de »Kame­rad­schaft« auch der euro­päi­schen Bünd­nis­part­ner unter­ein­an­der, die wir die­ser Tage hin­sicht­lich der völ­lig unan­ge­mes­sen auf­ge­bläh­ten Debat­te um die Lie­fe­rung deut­scher Marsch­flug­kör­per an die Ukrai­ne erle­ben, hat das Poten­ti­al, sich noch zu einem gewich­ti­gen Pro­blem für die »euro­päi­sche Frie­dens- und Frei­heits­ord­nung« (wie­der­um Lind­ner) aus­zu­wei­ten: Vor­aus­sicht­lich im Herbst wird der Nor­we­ger Jens Stol­ten­berg als NATO-Gene­ral­se­kre­tär abtre­ten. Wie­wohl der nie­der­län­di­sche Minis­ter­prä­si­dent Mark Rut­te als wahr­schein­li­cher Nach­fol­ger gilt und von Noch-US-Prä­si­dent Biden unter­stützt wird, ist denk­bar, daß die seit 1999 bei­getre­te­nen ost­eu­ro­päi­schen Natio­nen einen der Ihren als Gegen­kan­di­da­ten auf­stel­len könn­ten – die stra­te­gi­sche Bedeu­tung hat sich immer­hin deut­lich gen Osten verschoben.

Ange­sichts der Hal­tung ins­be­son­de­re Polens mit sei­nem neu­en Außen­mi­nis­ter Rado­sław Sikor­ski (Ehe­mann der neo­kon­ser­va­ti­ven US-His­to­ri­ke­rin Anne App­le­baum, der die Spren­gung von »Nord Stream 2« mit »Thank you, USA« kom­men­tier­te) zur der­zei­ti­gen NATO-Poli­tik läßt das nichts Gutes erah­nen. Und eine Reme­dur ist auch von der US-Prä­si­dent­schafts­wahl im Novem­ber nicht zu erwar­ten: Der heu­ti­ge ame­ri­ka­ni­sche Regie­rungs­ap­pa­rat ist immer noch die moloch­haf­te Maschi­ne, die auf­ge­baut wur­de, um den Kal­ten Krieg zu gewin­nen. So etwas läßt sich nicht ein­fach wie­der abschal­ten, zumal nicht mit einem mili­tä­risch-indus­tri­ell-medi­al-behörd­li­chen Kom­plex, der stär­ker ist als jemals zuvor.

Die NATO-Poli­tik – und das ist in die­ser Zeit zwangs­läu­fig die US-Poli­tik – hat min­des­tens seit 1990 zwar sub­ku­tan, doch um so wir­kungs­vol­ler den euro­päi­schen Kon­ti­nent erneut zu spal­ten ver­mocht. Man ver­ges­se in all dem Kriegs­ne­bel nicht: Ruß­land ist seit den Petri­ni­schen Refor­men vor 300 Jah­ren min­des­tens zur Hälf­te eine euro­päi­sche Nati­on – nun wur­de es bis auf wei­te­res wört­lich zum Bru­der­kuß mit den Volks­re­pu­bli­ken Chi­na und Nord­ko­rea sowie dem Iran getrie­ben. Ob die dezi­diert als Gegen­or­ga­ni­sa­ti­on zur G7 unter rus­sisch-chi­ne­si­schem Pri­mat zusam­men­ge­schlos­se­nen BRICS(-plus)-Staaten ers­te­re ein­mal wirt­schaft­lich in den Schat­ten stel­len wer­den, scheint ange­sichts des höchst insta­bi­len welt­wei­ten Real-BIP seit Beginn des Ukrai­ne­kriegs nur noch eine Fra­ge der Zeit zu sein. Was das geo­po­li­ti­sche End­spiel die­ser Ran­kü­ne sein wird, ist bis­lang noch offen.

Fest steht jedoch, daß einer­seits die Ver­ei­nig­ten Staa­ten nicht mehr wie noch zu Zei­ten der Sowjet­uni­on zur glo­ba­len Macht­pro­jek­ti­on imstan­de sind und daß ander­seits die euro­päi­schen NATO-Mit­glied­staa­ten trotz aller Hoch­tech­no­lo­gie und fri­scher Auf­rüs­tungs­plä­ne ohne die USA der­zeit prak­tisch wehr­los daste­hen und einen Abnut­zungs­krieg, wie er seit mehr als zwei Jah­ren in der Ukrai­ne geführt wird, kei­nes­falls über einen län­ge­ren Zeit­raum durch­hal­ten könn­ten. Erst recht nicht – hypo­the­tisch – gegen eine rus­si­sche Armee, die nach der miß­lun­ge­nen Ein­nah­me von Kiew gezwun­gen war, ihre stra­te­gi­sche wie tech­no­lo­gi­sche Wei­ter­ent­wick­lung erheb­lich zu beschleu­ni­gen. Allein ihre in der Ukrai­ne gewon­ne­ne Erfah­rung mit tak­ti­scher Droh­nen­kampf­füh­rung dürf­te für die NATO vor­erst kaum aus­zu­glei­chen sein.

Das aber bedeu­tet, daß die USA und mit ihnen die gesam­te NATO in der Klem­me ste­cken. »Ame­ri­ca first«, das nie mehr als eine hoh­le Phra­se war, steht nicht zur Debat­te – man hat den Ver­lust des bri­ti­schen Empire nach dem Zwei­ten Welt­krieg genau stu­diert, teils von innen, und kennt die Kon­se­quen­zen des Zurück­wei­chens von glo­ba­len Macht­an­sprü­chen. Eben­so ist der US-Selbst­an­spruch, zumin­dest zwei Krie­ge zur glei­chen Zeit irgend­wo auf der Welt füh­ren zu kön­nen, schon seit Ende der 1990er nicht mehr halt­bar, erst recht nicht bei gleich­zei­ti­gem Säbel­ras­seln gegen­über einer »neu­en revi­sio­nis­ti­schen Alli­anz« (NZZ) aus Ruß­land, Chi­na und dem Iran.

Auf dem Fort­be­stehen der NATO muß also aus rei­ner Macht­dy­na­mik zwang­haft beharrt wer­den, bei stän­dig zuneh­men­der Belas­tung der Mit­glied­staa­ten sowie trans­na­tio­na­ler Par­al­lel­struk­tu­ren, und das nur für einen zer­brech­li­chen Sta­tus quo. Ob das mit oder ohne Donald Trump geschieht, ist wort­wört­lich eine rhe­to­ri­sche Frage.

Nils Wegner

Nils Wegner ist studierter Historiker, lektorierte 2015–2017 bei Antaios, IfS und Sezession und arbeitet als Übersetzer.

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