Und dann und wann Faschismus-Alarm

Wenn der schrille Alarm wegen Faschismusgefahr nicht Ausdruck schwindender Bedeutung der Linken ist, mag es sich um eine Fixation oder Zwangsneurose handeln, denn eine moderne Variante des Faschismus wird es in Deutschland nicht geben. Dem fehlte allein schon eine mobilisierbare kritische Massen insbesondere jugendlicher Radikalität – aus demografischer Ursache, insofern es zu wenige junge Menschen gibt, nicht minder aber aus alltagskulturellen und erzieherischen Gründen:

Heino Bosselmann studierte in Leipzig Deutsch, Geschichte und Philosophie für das Lehramt an Gymnasien.

Schu­le und Eltern­häu­ser haben mitt­ler­wei­le zwei bis drei Gene­ra­tio­nen als Ego­is­ten auf­wach­sen las­sen, selbst wenn die­ser Ego­is­mus als viel­fäl­ti­ger Indi­vi­dua­lis­mus posi­tiv kon­no­tiert wird. „Die Fah­ne ist mehr als der Tod!“ – Sol­che Losun­gen wür­den heu­te von den „Kids“ – glück­li­cher­wei­se – über­haupt nicht verstanden.

Wenn jetzt unter Jugend­li­chen sehr ver­zö­gert AfD-Sym­pa­thien deut­lich wer­den, hat das weni­ger mit geleb­ter Radi­ka­li­tät als mit emp­fun­de­ner Abnei­gung gegen­über staats­bür­ger­kund­li­cher Indok­tri­nie­rung an den Schu­len zu tun, eben­so mit wach­sen­der Distanz gegen­über den Figu­ren, die sie dort betreiben.

Womit denn lie­ße sich gegen­wär­tig wirk­sa­mer pro­vo­zie­ren als mit einem auch nur ver­ba­len Bekennt­nis zur AfD. Die soge­nann­ten Junior­wah­len unter­la­gen einem inner­schu­li­schen Wahl­ge­heim­nis. Wer die AfD ankreuz­te, wuß­te, daß der Sozi­al­kun­de­leh­rer kon­ster­niert sein wird und weh­kla­gend die Welt nicht mehr ver­steht. So drück­ten die Jun­gen flott mal genau dort, wo’s dem Sys­tem spür­bar weh­tut, um dann still dar­über zu fei­xen, wel­che Echauf­fiert­heit im Leh­rer­zim­mer losbricht.

Wur­de ja auch Zeit, denn seit 2015 sind bald zehn Jah­re ver­gan­gen, in denen die Schul­ju­gend ihrem Hedo­nis­mus und mehr noch den Screens ver­haf­tet blieb, an der Schu­le sediert wur­de oder – nach­voll­zieh­bar – Kar­rie­ren vor­be­rei­te­te, die artig elter­li­che Ent­wür­fe kopier­ten. Alter­na­ti­ve Ange­bo­te hat­te es längst gege­ben, etwa die­se beein­dru­cken­de Erklä­rung im Video. Ich hat­te sie damals kom­men­tar­los Schü­lern gezeigt. Einen Moment lang waren sie berührt, aber die Sache brauch­te Zeit …

Nur bekom­men die Jun­gen end­lich mit, daß ihre Lebens­welt drau­ßen völ­lig, ver­mut­lich irrever­si­bel ver­än­dert ist. Zuge­wan­der­te Volks­grup­pen kau­fen ihnen spür­bar den Schneid ab. Da gilt’s Ent­schei­den­des nach­zu­ho­len, ange­fan­gen mit Kraft und Aus­dau­er, wenn man dar­wi­nis­tisch noch pla­ziert blei­ben will.

Wenn aber Faschis­mus Vor­schub geleis­tet wird, dann durch eine Herr­schafts­rhe­to­rik der „Demo­kra­ten“, die sogleich reflex­ar­tig alles als faschis­tisch dif­fa­miert, was prin­zi­pi­el­len Wider­spruch wagt – zuvör­derst gegen­über einer jahr­zehn­te­lang fehl­lau­fen­den Migra­ti­ons­po­li­tik, aber neu­er­dings auch grund­sätz­lich gegen­über dem vor­ver­ord­ne­ten Men­schen­bild und den damit zusam­men­hän­gen­den Fehl­stel­lun­gen in Bil­dung und Wirtschaft.

Auf deut­li­chen oppo­si­tio­nel­len Ein­spruch reagiert die Exe­ku­ti­ve hoch­ner­vös. Sie bemerkt die enor­me Dis­kre­panz zwi­schen den Tole­ranz-Viel­falt-Bunt­heit-Phra­sen und der schwin­den­den Pres­se- und Mei­nungs­frei­heit nicht, weil ihre Mei­nung ja omni­prä­sent und offi­zi­ell über­all durch­zu­schal­ten ist. Sie bemerkt nicht ein­mal ihre Selbst­ent­blö­ßung, wenn sie inner­halb der von ihr viel­be­schwo­re­nen Demo­kra­tie die Oppo­si­ti­on ein­fach ver­bie­ten las­sen möchte.

Wunsch­vor­stel­lung für die Ber­li­ner Repu­blik: Ohne Oppo­si­ti­on regiert der Block mun­ter durch. Erin­nert nicht das ten­den­zi­ell an Faschis­mus. Min­des­tens so dem Ansatz nach?

Im Deutsch­land-Moni­tor stell­ten bereits 40 Pro­zent der Befrag­ten die Gewähr­leis­tung der Pres­se­frei­heit, 39 Pro­zent die der Mei­nungs­frei­heit in Fra­ge. Das sind ver­hee­ren­de Wer­te in einem Land, des­sen Füh­rung voll­mun­dig vom Plu­ra­lis­mus der Mei­nun­gen tönt.

Wo die Demo­kra­tie noch leben­dig erscheint, dort ist sie es aus ideo­lo­gi­scher Anfeue­rung und meist mit irgend­wie direkt oder indi­rekt hono­rier­ter Anhän­ger­schaft, also als Inszenierung.

Rock gegen rechts und Jamels rocken­der Förs­ter: Daß diver­se Bands und Künst­ler betont alter­na­ti­ven Selbst­ver­ständ­nis­ses vom Staat als Agit­Prop-Grup­pen ein­ge­spannt und hono­riert wer­den, ent­behrt nicht unfrei­wil­li­ger Komik. Wenn sich zudem die Minis­ter­prä­si­den­tin Meck­len­burg-Vor­pom­merns beim Wahl­volk über ihren Freund Roland Kai­ser anbie­dert, paßt das, so wie Kitsch immer auch poli­tisch ein­zu­set­zen sind, rüh­ren er doch Vol­kes See­le an. Wie herz­er­wär­mend: Schnul­zen-Kai­ser und Lan­des­mut­ter Schwe­sig im Duett.

Das ist das freund­li­che Gesicht der Ver­ein­nah­mung. Was aber erklärt die Hys­te­rie? Ins­be­son­de­re die staats­tra­gen­de „Zivil­ge­sell­schaft“, also der Gesamt­kom­plex all der mit öffent­li­chen Gel­dern finan­zier­ten Polit-Ver­ei­ne, fürch­tet offen­bar Wen­de-Ereig­nis­se, in deren Ergeb­nis min­des­tens deren Ein­künf­te aus­ge­dünnt wür­den oder zuguns­ten sinn­vol­le­rer Ver­wen­dung weg­fie­len, sobald der ideo­lo­gi­sche Stark­strom abge­stellt wäre.

Kaum jemand über­blickt mehr die­sen – im Wort­sin­ne – „deep sta­te“, der in der Viel­ge­stalt von Ver­ei­nen und Pro­jek­ten als Stüt­ze gegen­wär­ti­ger Herr­schaft fun­giert. Die AfD hat hin­ge­gen kein sie tra­gen­des Netz­werk auf­zu­bie­ten; sie agiert ris­kant mit eige­nen Kräf­ten, die ihre beruf­li­che und somit finan­zi­el­le Exis­tenz gefährden.

Die AfD ist alles ande­re als eine radi­ka­le, sie ist nicht mal eine beson­ders cha­ris­ma­tisch wir­ken­de Par­tei. Ihr wesent­li­cher Ver­dienst liegt dar­in, Pro­ble­me über­haupt zu benen­nen und in sich per­so­nell wie intel­lek­tu­ell Kräf­te zu sam­meln. An poli­ti­scher Wirk­sam­keit inner­halb der soge­nann­ten Demo­kra­tie wird sie von allen ande­ren gera­de­zu panisch gehindert.

Die­se Ver­hin­de­rung brüs­kiert ihre Wäh­ler, die regis­trie­ren, daß mit der Ver­un­glimp­fung der Par­tei sie selbst als Men­schen gemeint sind. Die Bot­schaft: Ihr soll­tet bes­ser nicht sein! Das kränkt die Leu­te, dann aber weckt es ihren Zorn. Bei gerin­ger Anhän­ger­schaft wohl zu ver­nach­läs­si­gen, bei zwan­zig bis drei­ßig Pro­zent AfD-Wäh­lern jedoch nicht. Beschimpft man, dis­kre­di­tiert man Mil­lio­nen Men­schen, gene­riert man so auch Mil­lio­nen Gegner.

Faschis­mus-Vor­wür­fe die­nen der Patho­lo­gi­sie­rung. Es geht nicht dar­um, den dif­fa­mier­ten Geg­ner nur als poli­tisch ver­wach­se­nen Krüp­pel zu bezeich­nen, nein, er soll aus­ge­grenzt, in Qua­ran­tä­ne befoh­len, als gefähr­lich und anste­ckend mar­kiert wer­den, durch­aus als anders­ar­tig und wider­lich – im Sin­ne von wider­na­tür­lich. Übri­gens: Ist nicht auch das ten­den­zi­ell min­des­tens Gedanken-Faschismus?

Denn ande­rer­seits wird lau­fend dar­ge­stellt, was als natür­lich gel­ten darf. Wenn man näm­lich zu den „Anstän­di­gen“ gehört, wenn man die vor­for­mu­lier­ten Bekennt­nis­se nach­spricht, dann ist man nicht nur oppor­tun, son­dern guter Bür­ger fürs Bür­ger­fest des Bun­des­prä­si­den­ten. Was für infan­til anmu­ten­de Mus­ter doch!

Zwi­schen den nächs­ten Weih­nachts- und Oster­fe­ri­en soll der Film „Schind­lers Lis­te“ von meh­re­ren Kino­be­trei­bern für Schü­ler kos­ten­los gezeigt wer­den. Als Motiv dafür müs­sen wie­der­um die Wahl­er­fol­ge der AfD her­hal­ten. Es wird also sug­ge­riert: Wer AfD wählt, beför­dert ganz direkt die Gefahr eines nächs­ten Holo­caust. Dar­über hin­aus die übli­chen Worthülsen:

‘Wir hof­fen sehr, dass jun­ge Men­schen, die die­sen Film über eines der fins­ters­ten Kapi­tel der Mensch­heits­ge­schich­te auf der Lein­wand inten­siv erlebt haben, ein grö­ße­res Ver­ständ­nis dafür ent­wi­ckeln wer­den, wie erbar­mungs­los die Fol­gen von Haß sein kön­nen und dass man sich ihm ent­schlos­sen ent­ge­gen­stel­len muss und wie sehr akti­ves Han­deln, Empa­thie, Tole­ranz, Mensch­lich­keit und Ver­zicht auf Vor­ver­ur­tei­lung zäh­len‘, erklä­ren die Kinobetreiber.

Haß? Kein Haß ist gegen­wär­tig prä­sen­ter als der gegen­über der AfD und rech­ten Kri­ti­kern. Nie­man­den trifft „grup­pen­be­zo­ge­ne Men­schen­feind­lich­keit“ mehr als sie.

Zwei­fel­los ist „Schind­lers Lis­te“ ein famo­ser Spiel­berg-Film. Dar­auf zu ver­wei­sen, daß einem Hol­ly­wood-Strei­fen – inklu­si­ve frag­wür­di­ger, aber dra­ma­tisch hoch­wirk­sa­mer Rühr­se­lig­kei­ten – nicht die glei­che Gel­tung wie einer Doku­men­ta­ti­on zukom­men kann, genüg­te heu­te für den Ver­dacht poli­ti­scher Blasphemie.

Die Faschis­mus-Vor­wür­fe durch­weg vor­brin­gen, ken­nen glück­li­cher­wei­se kei­nen Faschis­mus, sie haben sich nie mit den tie­fe­ren Ursa­chen und aus­lö­sen­den Zusam­men­hän­gen die­ses dra­ma­ti­schen Phä­no­mens befaßt, ja, man dürf­te gar erwar­ten, sie ord­ne­ten sich selbst will­fäh­rig in eine stark vor­mund­schaft­li­che Gesell­schaft ein, denn sie ver­ste­hen sich schon jetzt dar­auf, beflis­sen und kri­tik­los den For­de­run­gen der Zen­tra­le zu ent­spre­chen und sehen es sogar als cou­ra­giert an, ande­re zu denunzieren.

Es fehlt ihnen das Bedürf­nis, nach den genau­en Grün­den der Ent­ste­hung des his­to­ri­schen Faschis­mus zu fra­gen, u. a. in Unter­schei­dung vom Natio­nal­so­zia­lis­mus. Sie deu­ten ihn als spon­tan auf­tre­ten­de Muta­ti­on der Gesell­schaft. Aber er hat­te Ursa­chen, und die anzu­schau­en braucht es Mut, u. a. weil dabei jeder auch in einen Spie­gel blickt.

Mich bewegt:

Phä­no­me­nal, zu wel­chem Faschis­mus-Alarm das von der AfD arti­ku­lier­te Kor­rek­tur­be­dürf­nis bei all den bes­ser­ge­stell­ten, ideo­lo­gie­er­weck­ten und selbst­ge­rech­ten Demo­kra­ten führt. – Wer über Faschis­mus mit­re­den will, soll­te sich jedoch gründ­lich his­to­risch bil­den oder über “Viva la muer­te!” meditieren.

Zudem fra­ge ich mich bei­na­he, ob man den so per­ma­nent wie aggres­siv vor­ge­tra­ge­nen Vor­wurf, “Faschist” zu sein, nicht sou­ve­rän anneh­men soll­te, wenn es als “faschis­tisch” gilt, für dring­lich erfor­der­te Ver­än­de­run­gen ein­zu­tre­ten, die selbst­er­klär­te “Demo­kra­ten” weder vor­neh­men kön­nen noch wollen. –

Heino Bosselmann studierte in Leipzig Deutsch, Geschichte und Philosophie für das Lehramt an Gymnasien.

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Kommentare (3)

Franz Bettinger

30. September 2024 19:49

Glänzender Artikel!
HB fragt sich, ob man den so permanent wie aggressiv vorgetragenen Vorwurf, Faschist zu sein, nicht besser souverän annehmen sollte.  Davon rate ich ab. Das würde missverstanden und wäre den Dummköpfe da draußen schwer zu vermitteln. Den Begriff F zu definieren ist das  Schwierigste, was ich kenne. Nicht also den Begriff F sollte man souverän annehmen; wohl aber den Begriff Rechts. Rechts ist, um es zum x-ten Mal zu wiederholen, das Eigene hegen & verteidigen, sowie Unterschiede zu erkennen und anerkennen. 

das kapital

30. September 2024 19:52

Linke bringen es nicht. Sie zerstören dieses Land. Und damit sie das nicht zugeben müssen, organisieren sie einen Krieg gegen Rechts. Der "Faschismus" wird zum Popanz aufgebaut, alle, die nicht links sind, haben nur noch einen Plan: sofort die Demokratie abschaffen und Hitler ein Riesendenkmal vor den Reichstag zu setzen. Die wollen auch sofort wieder alle deportieren und neue KZs auf polnischem Boden errichten und endlich den Krieg gegen Stalin gewinnen. (Ach nee, das erledigen ja jetzt Hofreiter, Baerbock und Strack-Zimmermann nebst Roderich Kiesewetter) /// Wer nicht links ist, wer keine grenzenlose Migration will, wer nicht von Tunesiern, Marokkaner, Syrer oder Afghanen abgemurkst werden will, ist ein Rechtsextremist. Die neue SA und SS marschieren schon durch die Straßen, ja wussten Sie das etwa nicht ? Gerade in Thüringen lässt der Gauleiter schon alles aufmarschieren zur Machtergreifung. Mario Voigt, Andreas Bühl, Ramelow, Jörg Hopfe, alle werden demnächst mal wieder in Buchenwald bei Weimar zusammengeführt. Und das ist nur der Anfang. Der Röhmputsch wird schon vorprogrammiert, um klare Verhältnisse zu schaffen. Da werden dann noch ein paar lästige Weggefährten aussortiert und dann aber ... /// Die wirklich Mächtigen inszenieren eine Farce ohne Gleichen.

Mitleser2

30. September 2024 20:06

@Bettinger: +1