»Kuehnelt-Leddihn führt wie Don Quijote oder Donoso Cortés gegen den Zeitgeist einen vergeblichen Kampf. Er ist universell gebildet, historisch und logisch fundiert, spricht viele Sprachen und hat die Länder der Erde bereist. Eine einsame Stechpalme, die im Humus des alten Österreich verwurzelt ist. Ein Beleg dafür, daß es heute weder Schulen noch Eliten, sondern nur noch Solitäre gibt.«
Keine Würdigung von Erik Maria Ritter von Kuehnelt-Leddihn (1909 – 1999) kann auf dieses Zitat aus Ernst Jüngers Siebzig verweht II verzichten (7. Mai 1975). Als »Solitär«, »Original«, wenn nicht gar als eine Art schillernde Legende des rechten Spektrums ist er allen in Erinnerung geblieben, die ihn noch kennenlernen durften. »Einsam« war der polyglotte und weitgereiste gebürtige Steirer nur insofern, als er ein hartnäckiger Parteigänger verlorener Sachen war, die ihm als schön, gut und wahr erschienen und darum unabhängig von Triumph, Niederlage und Machbarkeit ewige Gültigkeit hatten.
Seine Vorträge pflegte er gerne mit den Worten »Right is right, and left is wrong« einzuleiten, wobei er davon, was er als »rechts« klassifizierte, sehr genaue Vorstellungen hatte. Es gab hier wohlgemerkt kein »Spektrum«, in dem sich gegensätzliche Ansichten gleichwertig und gleichberechtigt gegenüberstanden. »Rechts« ist das »Richtige«, und je rechter eine Sache ist, um so richtiger – und rationaler! – ist sie auch (und umgekehrt). Analog betrachtete er »links« als das (buchstäblich!) satanische Prinzip des Falschen, Verkehrten, Verdrehten, Schlechten und letztendlich Bösen.
Anders als die Wischiwaschi-Konservativen von damals und heute wußte Kuehnelt-Leddihn, daß Politik stets eine »Ideologie« als Fundament braucht. »Durch den Schleim, den uns die ›Männer der Mitte‹ bringen wollen, wird sich der Feind mühelos seinen Weg bahnen«, schrieb er. »Wir müssen deshalb wieder Zeugen einer Überzeugung werden.« Seine eigene nannte er unerschrocken »katholisch, rechtsradikal, stockliberal, antidemokratisch«, wobei hier etliche Begriffe zu klären wären. Der »Humus« seiner Ansichten war in der Tat das Österreich der Habsburger, dessen Untergang er als Kind noch erlebt hatte.
Kuehnelt-Leddihn entstammte einer Familie höherer kaiserlicher Beamter, »die Männer josephinisch-aufgeklärt, die Frauen tief katholisch« (Christian Zeitz). Sein Vater war ein Naturwissenschaftler, der in seiner Freizeit Romane schrieb. Kuehnelt-Leddihns publizistische Laufbahn begann im Alter von sechzehn Jahren als Korrespondent des Londoner Spectator. Er studierte Jura, Theologie und Osteuropakunde in Wien und Budapest, promovierte in den Fächern Staatswissenschaft und Volkswirtschaftslehre. Er lernte fließend Japanisch mit Hilfe des Militärattachés und späteren Eroberers von Singapur, Tomoyuki Yamashita, der von 1927 bis 1929 in Österreich und Ungarn seinen Dienst versah.
1930 besuchte er im Auftrag einer ungarischen Zeitung die Sowjetunion. Seine Eindrücke verarbeitete er in dem 1933 erschienenen Roman Jesuiten, Spießer, Bolschewiken, der im selben Jahr unter dem Titel Gates of Hell ins Englische übersetzt und zum Bestseller wurde. 1935 arbeitete er in England an einer elitären jesuitischen Schule, 1937 besuchte er die nationalspanische Front. Im selben Jahr zog er nach Washington, D. C., um an der Georgetown University Geopolitik zu unterrichten.
Zu Kriegsbeginn im September 1939 hielt sich Kuehnelt-Leddihn im Deutschen Reich auf, zog es aber vor, in die USA zurückzureisen, wo er auch die nächsten acht Jahre »eingeschachtelt« verbrachte. 1947 kehrte er nach Österreich zurück und siedelte sich mit seiner Familie in Lans in Tirol an. Den Vereinigten Staaten blieb er jedoch eng verbunden, unter anderem als Vortragsreisender und als Stammautor der National Review von William F. Buckley.
So kommt es, daß sämtliche Vorträge von Kuehnelt-Leddihn, die auf YouTube zu finden sind, in englischer Sprache sind. In Deutschland fanden sich seine Beiträge regelmäßig in der Zeitschrift Criticón, oft in produktiver und respektvoller Auseinandersetzung mit anderen Autoren wie Armin Mohler, der das Christentum im scharfen Gegensatz zu Kuehnelt-Leddihn als grundsätzlich »linke« Idee wertete.
Der rote Faden des umfangreichen schriftstellerischen Werkes Kuehnelt-Leddihns (darunter auch Kriminal- und Science-fiction-Romane) ist der Angriff auf jegliche Gleichheitsideologie, die dieser erklärte »Erzfeind aller Kollektivismen« als unvereinbar mit der »Freiheit« betrachtete, die aber immer »moralisch«, also idealerweise religiös-christlich »gebunden« sein müsse. Seiner Ansicht nach sollte die politische Hauptfrage nicht sein, wer regiert, sondern wie regiert wird, und die beste und gottgefälligste Regierung sei jene, die ihre Macht weise beschränke und dem einzelnen innerhalb der Grenzen des Gemeinwohls soviel Freiheit wie möglich lasse.
Kuehnelt-Leddihn war also im Kern ein »klassischer Liberaler«, der wie Carl Schmitt Demokratie und Liberalismus als Gegensätze zeichnete. Der Grund dafür sei die »egalitäre« Basis der Demokratie, die in sich stets den Keim zur Diktatur und zur Despotie der Masse trage und in ihren Extremformen die braune und rote Tyrannei, den nationalen und den internationalen Sozialismus, hervorgebracht habe. Die schreckliche Mutter der Demokratie und damit auch des Totalitarismus sei die Französische Revolution, die Kuehnelt-Leddihn als Urkatastrophe der Moderne betrachtete. So ist auch Hitler in seinem Rechts-links-Schema als Mann der extremen Linken, neben de Sade, Robespierre und Marcuse, Stalin und Pol Pot, eingeordnet.
Diese Vorstellung vom »linken« Nationalsozialismus kursiert heutzutage als »liberalkonservatives« Argumentationsklischee, allerdings ohne die antidemokratische und beinahe mathematische Ableitung, mit der Kuehnelt-Leddihn seine These begründete. In seinem Konzept stand die hybride Ratio (links) gegen den Geist (rechts), und daraus abgeleitet Materialismus gegen Spiritualität, Immanenz (Anthropozentrik) gegen Transzendenz (Theozentrik), Quantität gegen Qualität, Uniformismus (Nämlichkeit) gegen Pluralismus (Verschiedenheit), Zentralismus gegen Föderalismus, das Kollektiv gegen die Persönlichkeit (nicht »das Individuum«), Massenheere (Soldaten) gegen Berufsheere (Krieger), Klassen gegen Stände, Nationalismus gegen Patriotismus, Planung und Utopismus gegen organisches Wachstum, die Fraternität des »Big Brother« gegen den Patriarchalismus des Vaters im Himmel, Macht durch Furcht, Angst und Gewalt gegen Autorität, Sozialismus und Staatskapitalismus gegen freie Marktwirtschaft.
Auch den »Individualismus« sortierte Kuehnelt-Leddihn links ein, da »Sandkorn und Sandhaufen« schließlich zusammengehören. »Liberal« und »rechts« hingegen sei das, was er »Personalismus« nannte. Aus diesem Schema folgte auch seine Einstufung des Nationalismus als erzlinkes Projekt, denn auch er fordere eine »horizontale« und keine »vertikale« Gesellschaftsordnung.
Der Begriff »identitär« ist bei Kuehnelt-Leddihn als eine gruppenbezogene Form des Egalitarismus ausschließlich negativ besetzt. Dabei leugnete er keineswegs die Bedeutung des ethnokulturellen Volkstums: Im Gegenteil sollte seiner Vorstellung nach ein Reich, wie das Vorbild der Donaumonarchie oder noch besser des Heiligen Römischen Reiches, wortwörtlich »reich« sein – »an Sprachen, Völkern, Gebräuchen, Traditionen, auch an Ständen, Glaubensgemeinschaften, Landschaften und Vereinigungen.« Wenn das Nationalgefühl jedoch zu einem »Ismus« entartet, dann entsteht die Gefahr des identitär-egalitären »Wahns«, »der dem Abenteuer der Begegnung mit dem Andersgearteten abhold ist.
Der andere wird automatisch der Feind. Misogynie und Misandrie haben dieselben psychologischen Wurzeln, ebenso der Rassismus und der Klassenhaß.« Kuehnelt-Leddihn argumentierte also in dieser Hinsicht sehr ähnlich wie die »ethnopluralistischen« Neuen Rechten, deren heutige Erben den Begriff »identitär« als Selbstbezeichnung verwenden.
Kuehnelt-Leddihns Ideal war die christliche Monarchie oder, wenn das nicht möglich ist, zumindest eine aristokratische Republik, wie sie seiner Ansicht nach den amerikanischen Gründervätern vorgeschwebt hatte. In seinem pseudonym erschienenen Buch The Menace of the Herd or Procrustes at Large versuchte er 1943 ausgerechnet einem amerikanischen Publikum zu erklären, daß der größte Feind der »liberty« die »democracy« sei, gestützt auf Zitate von Jefferson, Washington und Hamilton. Diese Grundidee führte er exemplarisch in seinem Hauptwerk Gleichheit oder Freiheit? aus, das erstmalig 1952 in englischer Sprache erschienen war und von Kuehnelt-Leddihns Gattin ins Deutsche übersetzt wurde.
Aus dieser Perspektive steht die wahre Rechte gegen den »Gleichheitswahn«, den nivellierenden »identitären Herdentrieb« und die Massengesellschaft, statt dessen aber auf der Seite der »›romantischen‹ Liebe zur Vielfalt«, die jedoch sittlich gebunden und gerecht – also: antiegalitär – geordnet und gegliedert sein muß. So entwarf er das »platonische« Bild einer Idealrechten, nach dessen Maßstab er Geschichte und Gegenwart meinungsstark beurteilte.
Erik Maria Ritter von Kuehnelt-Leddihn starb vor 25 Jahren, am 26. Mai 1999.