Thomas Meyer: Hannah Arendt

von Eva Rex --

Der Münchner Philosoph Thomas Meyer hat eine Biographie über Hannah Arendt (1906 – 1975) vorgelegt. Meyer wollte die politische Theoretikerin nicht in den Kontext eines aktuellen Bezuges stellen, sondern sie im Rahmen ihrer Zeit beschreiben.

 Druckausgabe

Beitrag aus der Druckausgabe der Sezession. Abonnieren Sie!

Das Ergeb­nis ist ein Tor­so. Obwohl von beacht­li­chem Umfang, liest sich sei­ne Dar­stel­lung eher wie ein Ergän­zungs- und Anmer­kungs­ap­pa­rat zur bis­her geleis­te­ten Are­ndt-Exege­se; eine über­ge­ord­ne­te Gesamt­schau von Leben und Werk der Den­ke­rin wird man schmerz­lich vermissen.

Mey­er kon­zen­triert sich auf zwei Spe­zi­al­the­men, die er als »blin­den Fleck« iden­ti­fi­ziert hat, und brei­tet eine Über­fül­le von bis­lang unbe­kann­ten Doku­men­ten aus, die den Leser über­for­dern. Zwei Lebens­pha­sen Are­ndts sind es, die beson­de­res Augen­merk erfah­ren: ihre Jah­re im fran­zö­si­schen Exil (1933 – 1941) sowie die Zeit in den USA bis zur Publi­ka­ti­on ihres ers­ten Haupt­wer­kes, Ele­men­te und Ursprün­ge tota­li­tä­rer Herrschaft.

Beson­ders die Jah­re in Paris sei­en für die Ent­wick­lung ihrer Schrif­ten zen­tral gewe­sen, auch für ihr Selbst­ver­ständ­nis einer jüdi­schen Iden­ti­tät. Are­ndt arbei­te­te damals für eine Orga­ni­sa­ti­on, die Kin­dern die Aus­rei­se nach Paläs­ti­na ermög­lich­te. Im Rah­men ihrer Tätig­keit ret­te­te sie Hun­der­ten jüdi­schen Kin­dern das Leben. Die­se Erfah­run­gen hät­ten ihre theo­re­ti­schen Ansich­ten nach­hal­tig geprägt, für den Leser sei das Wis­sen um ihre prak­ti­sche Flücht­lings­ar­beit grund­le­gend für das Ver­ständ­nis ihrer spä­ter for­mu­lier­ten Ana­ly­sen. Auch in der Nach­kriegs­zeit sei Are­ndt poli­tisch aktiv geblie­ben und hät­te sich fort­wäh­rend um die Akzep­tanz jüdi­scher Selbst­be­stim­mung bemüht.

Bei­de Behaup­tun­gen sind frag­wür­dig. Es scheint, als wol­le Mey­er der her­kömm­li­chen Are­ndt-Rezep­ti­on eine Anti­the­se gegen­über­stel­len: Erschien die unor­tho­do­xe Intel­lek­tu­el­le in der Lite­ra­tur der letz­ten Jah­re als Kri­ti­ke­rin des Zio­nis­mus, so wird hier ihr Enga­ge­ment für die »jüdi­sche Sache« überbetont.

Auch die Tat­sa­che, daß enge Freun­de nach Ver­öf­fent­li­chung ihres Eich­mann-Buchs, in dem sie ein har­sches Urteil über die »Juden­rä­te« gefällt hat­te, ihr man­geln­de »Lie­be zum jüdi­schen Volk« vor­war­fen, will der Bio­graph neu über­dacht wis­sen. Die­ses Vor­ge­hen ist denk­bar ein­sei­tig. Han­nah Are­ndt war eine in ers­ter Linie poli­tisch und nicht iden­ti­täts­po­li­tisch den­ken­de Phi­lo­so­phin; das all­ge­mein Mensch­li­che bil­de­te die Grund­la­ge, von der aus sie die Beson­der­heit der jüdi­schen Iden­ti­tät ausleuchtete.

Miß­trau­en erweckt Mey­ers Anlie­gen, jeg­li­che »Aktua­li­sie­rung« zu ver­mei­den – indem er Are­ndts Akti­vi­tät als »Flucht­hel­fe­rin« stra­pa­ziert, stellt er eine Zuschrei­bung her, die sich in die aktu­el­len Nar­ra­ti­ve exakt einpaßt. Ein ande­res Pro­blem zeigt sich in der Bear­bei­tung und Prä­sen­ta­ti­on der beacht­li­chen Men­ge an Archiv­ma­te­ri­al: Ent­ge­gen der Absicht des Bio­gra­phen, der bewei­sen möch­te, daß ihr Den­ken ent­schei­dend von ­ihrem Erle­ben und Tun geprägt gewe­sen sei, kommt der Mensch Han­nah Are­ndt dem Leser nicht nahe.

Im Gegen­teil, man hat eine Papier­phi­lo­so­phin vor Augen. Ihre Per­sön­lich­keit bleibt sche­men­haft und ent­rückt. Auch das bis­wei­len Sper­ri­ge und Wider­sprüch­li­che ihrer Anschau­un­gen ver­mit­telt sich nicht. Über­dies setzt das Buch eine pro­fun­de Vor­kennt­nis vor­aus und hat sprach­li­che Män­gel: Ver­schach­tel­te, teils unkla­re Sät­ze erschwe­ren die Lek­tü­re. Das Wich­tigs­te indes bleibt im Hin­ter­grund: Are­ndts intel­lek­tu­el­le Ver­bun­den­heit mit Heid­eg­ger und Jas­pers – Per­sön­lich­kei­ten, die nach­weis­lich ihren geis­ti­gen Wer­de­gang geprägt haben.

Die Bezie­hung zu ihren pro­mi­nen­ten Leh­rern kön­ne als erforscht gel­ten, begrün­det Mey­er sei­ne Schwer­punkt­set­zung. Alles in allem erscheint der groß­an­ge­leg­te Ver­such, Are­ndts phi­lo­so­phi­sche und poli­ti­sche Welt­sicht nach­zu­zeich­nen, ein­sei­tig fokussiert.

Eine sol­che Annä­he­rung im Unter­ti­tel als »die« Bio­gra­phie zu bezeich­nen ist ­über­zo­gen. Für Ein­stei­ger sei das Buch von Alo­is Prinz emp­foh­len (Han­nah Are­ndt oder: Die Lie­be zur Welt) oder die Bio­gra­phie ihrer ehe­ma­li­gen Schü­le­rin Eli­sa­bet Young-Bruehl aus dem Jahr 1982, ein Opus magnum, das noch immer als das Stan­dard­werk Gül­tig­keit bean­spru­chen kann.

– –

Tho­mas Mey­er: Han­nah Are­ndt. Die Bio­gra­phie, Mün­chen: Piper 2023. 528 S., 28 €

 

Die­ses Buch kön­nen Sie auf antaios.de bestellen.

 Druckausgabe

Beitrag aus der Druckausgabe der Sezession. Abonnieren Sie!

Nichts schreibt sich
von allein!

Das Blog der Zeitschrift Sezession ist die wichtigste rechtsintellektuelle Stimme im Netz. Es lebt vom Fleiß, von der Lesewut und von der Sprachkraft seiner Autoren. Wenn Sie diesen Federn Zeit und Ruhe verschaffen möchten, können Sie das mit einem Betrag Ihrer Wahl tun.

Sezession
DE58 8005 3762 1894 1405 98
NOLADE21HAL

Kommentare (0)