Aber Zeller tanzt auf mehreren Hochzeiten – weit weniger bekannt ist seine bilderzählerische Arbeit. Sein neuestes Produkt trägt den Titel Frechheit und stellt nichts weniger dar als eine Autobiographie Angela Merkels – alternativlos selbstredend. Wo die Frechheit verortet wird, muß vorerst offenbleiben; ob im Gegenstand oder der Herangehensweise oder ob das ganze Buch als solche zu verstehen ist?
Der Rahmen einer herkömmlichen Biographie wird schon auf Seite eins gesprengt, sie beginnt nicht am 17. Juli 1954, sondern exakt vier Millionen Jahre zuvor. Nicht die Person, sondern der Homo Sapiens – oder auch nicht – Merkelensis, die ewige Merkel, die durch die Geschichte geistert, die Merkelsche Entelechie, Merkel als Prinzip steht anfänglich im Mittelpunkt. Sie verbreitet als heimliche Lenkerin der Geschichte weibliches Denken, figuriert als Verbots-Merkel, glänzt durch antiprometheische Vorschläge, plädiert für genetische Auffrischung durch Neandertalerblut, propagiert Multikulti im Pleistozän.
Später spinnt sie den Faden der Ariadne, reicht Sokrates den Schierlingsbecher – alternativlos – durchwandert als Wiedergänger die Zeiten und Epochen, mischt bei Griechen, Römern und den frühen Christen mit. Immer wieder kommentiert sie dramatische historische Ereignisse als Macht hinter den Mächten: den Limes habe sie nicht geöffnet, sie habe ihn nur nicht geschlossen; „die Erweiterung des Kreditrahmens, um den Zivilcouragepreis mit dreißig Silberlingen zu dotieren, war eine Investition“, mit der man sich Zeit erkaufte; Napoleon lernte sie als überzeugten Europäer kennen usw.
Die ewige Merkel sagt Merkelsachen in gänzlich verdrehter und damit entlarvender Art und Weise und auf historische Gegenstände bezogen, die noch einmal einen neuen Sinn erzeugen. Oder Unsinn? Man weiß es nicht recht. Die Versatzstücke aus dem Merkelschen Vokabular, moderne Floskeln auf geschichtlichem Hintergrund, die zahlreichen sprachlichen, historischen und bildnerischen Zitate schaffen surreale Situationen und fordern den Leser heraus.
Meister Zellers Sprachgenie, das in komplexen Verdrehungen mit einfacher Syntax beruht, findet in der Figur der Merkel einen kongenialen Gegenstand.
Sie sitzt mit Marx und Engels zusammen, gibt Lenin Ratschläge und endet schließlich in einem Postwendedadaismus. „Bei der Aufteilung der Besatzungszonen herrschte keine glückliche Auswahl. Die sowjetische Zone hätte im Westen liegen müssen. Da hätte die DDR funktioniert.“ Die Sentenzen werden komplexer – man weiß mitunter nicht mehr, ob man in diesen Jonglierereien auf wackligem Boden Unsinn oder Erste Philosophie liest. Auch dieser Zeller ist einer zum Meditieren, sicher keine Lach- und Krachkomik, die Grenze zwischen Sense und NonSense ist so fein ausgedengelt, Tief- Hinter- und Unsinn amalgamieren subtil, so daß Katharsis nicht ausgeschlossen werden kann. Und plötzlich kann einem auch das Lachen im Halse steckenbleiben: „Ihre Gegner werden sie daran erkennen, daß sie mit ihnen fertigwerden.“
Man kann den Band als einen postmodernen Taschen-Machiavelli lesen oder als eine neue Mao-Bibel, eine ironische Merkel-Bibel. Am Ende läuft die Geschichte – die eine heimliche grüne ist und die Zeller nicht zum ersten Mal umtreibt – in Beliebigkeit aus und schließt mit einem realhistorischen Zitat, jenem legendären Schwachsinnsatz Schabowskis, der die Geschichte verändert hat: „Das tritt, nach meiner Kenntnis ist das sofort, unverzüglich“.
Das Buch endet auch als Rätsel – will man es lösen, muß man es lesen. Der Rezensent steht als Trottel da.
Bernd Zeller: Frechheit. Die alternativlose Autobiographie von Angela Merkel. Nun ist es halt da… Solibro-Verlag 2024, 68 Seiten mit 80 Zeichnungen von Bernd Zeller, 20 € – hier bestellen
Umlautkombinat
> der Homo Sapiens – oder auch nicht – Merkelensis
Wie soll Asimov zu Affen und Homo sapiens gesagt haben: Der missing link sind wir.