Lobbygruppen belagern Parlamente. Von Milliardären finanzierte NGOs nehmen politischen Einfluß. Big-Tech-Unternehmen wie Apple, Alphabet (Google) und Microsoft halten allein fast 500 Milliarden Dollar an Bargeld, woraus jährliche Zinseinnahmen von etwa 24 Milliarden Dollar resultieren. Das übersteigt den Haushalt vieler Staaten.
Die Firmenzentrale von Amazon in Seattle ist ein vollverglaster Hochhausblock im »Internationale Style«. Die Staatsgebäude der EU oder die Europäischen Zentralbank in Frankfurt am Main folgen grundsätzlich modernistischen Gestaltungsrichtlinien. Die wahre Macht residiert in Kästen aus Glas, Stahl und Beton.
Doch diesem Thema möchte sich ein Philipp Oswalt, Professor für Architekturtheorie und Entwerfen an der Universität Kassel, gar nicht widmen. Er wittert Gefahren für die Demokratie einzig in der dunklen deutschen Vergangenheit. Oswalt bekennt, daß er schwer unter der Belastung des Nationalsozialismus leidet. Und um dessen Wiederkehr einen Riegel vorzuschieben, streitet er seit Jahren wider architektonische Rekonstruktionen.
Schon der Titel seines Büchleins, Bauen am nationalen Haus, verrät, daß »national« für ihn und die damit angesprochene Leserschaft vor allem als Negativbegriff verstanden wird. Jeder positive Rückgriff auf die Nationalgeschichte vor 1945 wird von Alarmsirenen begleitet. Vor der »Stunde Null« erkennt Oswalt pars pro toto nur »von Deutschen zu verantwortendes Unrecht und Gewalt«. Seien es die polnischen Teilungen, die Kolonialkriege oder der Erste Weltkrieg. Erst das Jahr 1945 habe einen »demokratischen Aufbruch« gebracht, dessen Hintergrund in außenpolitischen Machtinteressen Oswalt aber nicht beleuchtet.
Damit geht der Verfasser des Vorworts, der Schriftsteller Max Czollek, völlig konform. Czollek gendert in seinem Vorwort nicht nur nach Belieben (so ist innerhalb eines Satzes von »Vertreter*innen einer Identitätspolitik«, aber nur von »Demokratiefeinden« die Rede), sondern fabuliert im »antideutschen« Jargon noch darüber, daß es keine deutsche Geschichte gebe, die sich von deren »Gewaltgeschichte« trennen lasse. So als ob Gewalt nicht zur Geschichte aller Länder der Erde gehört.
So merkt man in Oswalts Gedankenkonstrukten, daß bei ihm kaum Problembewußtsein über die mangelnde Ästhetik deutscher Stadtbilder existiert. Auch in der modernistischen Architektur wird kein grundsätzlicher Reformbedarf erkannt. Kritikpunkte an der technischen Ausführung von Rekonstruktionen wirken herbeigesucht. Oswalts Auseinandersetzung mit Architektur geschieht somit weitgehend auf einer ideologischen Ebene.
Hierzu gehört der Wunsch, positive Bezugnahmen zur düsteren Geschichte vor 1945 weitgehend zu vermeiden. Kuppeln, Säulen und Stuck sind nicht erwünscht. Allenfalls »kritische« Rekonstruktionen bei weitgehender Abstraktion finden Oswalts Gnade, da in ihnen ein Bruch mit der Vergangenheit deutlich gemacht werde. Ornamentik wird als nicht zeitlos abgewertet. Weshalb aber soll Architektur in reinen Grundformen ohne Zeitkolorit dann noch als zeitgenössische Architektur betrachtet werden?
Überraschend ist nichts an diesem Buch, das nur Oswalts alte Kämpfe gegen das Berliner Stadtschloß, die Potsdamer Garnisonkirche und die Neue Frankfurter Altstadt noch einmal aufkocht. Die Garnisonkirche in Potsdam wird einmal mehr zum »Ort von Tätern«, als würden solche Pauschalisierungen durch ständiges Wiederholen wahrer. Oswalt behauptet eine »Spaltung und Polarisierung der Stadtgesellschaft« durch das Projekt, obwohl außer kleinen linksradikalen Splittergruppen die Potsdamer längst ihren Frieden mit der Garnisonkirche gemacht haben.
Relevant ist an diesen nun wirklich ewiggestrigen Kopfgeburten nicht viel, was die für Oswalt sperrangelweit offenstehende befreundete Medienblase natürlich nicht daran hindert, das Buch ordentlich in ihre Schlagzeilen zu hieven. Dabei passieren die für Linke typischen Doppelstandards. Denn Oswalt, der sich erneut über rechtsgerichtete Stadtschloß-Spender erregt, hatte einst keinerlei Probleme damit, selbst eine linksradikale Musikcombo wie »Feine Sahne Fischfilet« zu unterstützen.
Den Abriß des nur wenige Jahrzehnte existenten DDR-»Palastes der Republik« beklagt er, die Sprengung des jahrhundertealten Berliner Schlosses durch das SED-System an selber Stelle ist ihm keine Zeile glaubhafter Kritik wert. Oswalt wirft Kritikern modernistischer Architektur ein »Schwarz-Weiß-Denken« vor, das er gegenüber rechtsgerichteten Personen regelmäßig selbst praktiziert. So wimmelt es nur so von Stellungnahmen gegen »rechtspopulistische Globalisierungskritik« und neokonservative Tendenzen in der Architektur, zum Beispiel bei Christoph Mäckler.
Während Oswalt unter anderem ständig gegen »rechtsradikale AfD-Politiker« wettert, jammert er dann aber über Kritik an seinen und seinesgleichen Positionen. Kurz: Neue Erkenntnisse liefert diese wirklich als reaktionär zu bezeichnende Schrift nicht.
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Philipp Oswalt: Bauen am nationalen Haus. Architektur als Identitätspolitik, Berlin: Berenberg 2023. 144 S., 22 €
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