Die Gräben sind freilich nicht so eindeutig zu ziehen, wie man das von vielen Kontroversen kennt. Die Linke streitet sich um Positionierung: Während primär an sozialer Gerechtigkeit interessierte Vertreter dieser Richtung den postmodern angehauchten »Lifestyle«-Kontroversen kritisch gegenüberstehen, ist der progressive Hauptstrom an Universitäten, in Medien und in Parteien begeistert, sich nicht mit lästigen Alltagsproblemen herumschlagen zu müssen, sondern über die Zahl der Gender-Sterne diskutieren zu können.
Peter Köpf und Zana Ramadani gehören dem (CDU-nahen) Establishment an. Sie begründen ihre eindeutige Haltung gegenüber den »Selbstgerechten« (Sahra Wagenknecht) mit einem entlarvenden Argument: Wokeness sei ein Segen für die Rechten, die im Rahmen ihrer Ablehnung punkten könnten. Übertreibt man das eine Extrem, verfällt die Gesellschaft dialektisch ins andere, so die Befürchtung. Ramadani und Köpf wollen sich offensichtlich gegen die fast unvermeidliche Ausgrenzung absichern.
Man kann zumindest ehrenwerte Gründe für die eigenen Urteile vorweisen. Das, was heute als »woke« bezeichnet wird, hatte einst als Antidiskriminierungsbewegung begonnen. Manche Impulse sind auch für Kritiker begreiflich. Damit ist es schon eine Zeitlang vorbei. Die so heterogene LGBTQIA+-Gemeinde, deren jetzt schon schwer überschaubares Kürzel-Sammelsurium weiter zunehmen dürfte, ist selbst bei eigenen Leuten ob der notorischen Intoleranz berüchtigt. Man kann sich wegen der öffentlichen Unterstützung selbstbewußt geben.
Nicht nur während des berüchtigten »Pride Month« werden Lesungen von Dragqueens vor einem Publikum gehalten, das ab dem vierten Lebensjahr den Ergüssen lauschen darf. Dogmatismus und zwanghafte Haltung charakterisieren die neue Orthodoxie, deren Freiheitsfeindlichkeit schwerlich zu überbieten ist. Die Autoren referieren die wichtigen Debatten rund um allerlei hysterische Überempfindlichkeiten: Ein Themenbereich ist die Inflation der Identitäten. Werden die alten Säue zum banalen Alltag, treibt man neue durchs Dorf: Ist die Gleichstellung von Homosexuellen weitgehend verwirklicht, wird der Transkult initiiert, der feste Identitäten wieder in Frage stellt.
Das gefällt indessen nicht allen Kämpfern an der Emanzipationsfront – und ebensowenig allen Kämpferinnen: Längst hat die neue Trans-Orthodoxie die alten Instrumente der Ausgrenzung gegen ergraute Vordenker der eigenen Richtung angewendet. Neben Alice Schwarzer müssen auch andere Feministinnen der frühen Stunde, mittlerweile gern als TERFs diffamiert, mit Shitstorms rechnen.
Das Geschlechterdurcheinander wird in vielen Facetten erörtert. Manches ist erheiternd, anderes wiederum nicht. Der Spaß hört zumindest da auf, wo junge Menschen, öfters durch verharmlosende Berichterstattung angestiftet, durch geschlechtsangleichende Operationen und entsprechende Medikamente (wie Pubertätsblocker) teilweise lebenslange Folgen von solchen Eingriffen zu tragen haben.
Weitere Bereiche wie Rassismus, Diversity und Antisemitismus werden erörtert. Am Ende kommen die Autoren zu dem Schluß, daß die ohnehin steigenden gesellschaftlichen Bruchlinien durch die »moralisierende Minderheit« vermehrt würden. Die Schrift enthält manches zustimmungsfähige Urteil. Sie fügt aber den vielen aktuellen Publikationen zum Thema, von denen summarisch die Namen Susanne Schröder, Alexander Wendt, Esther Bockwyt und Susan Neiman anzuführen sind, nichts Substantielles hinzu.
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Peter Köpf, Zana Ramadani: WOKE – Wie eine moralisierende Minderheit unsere Demokratie bedroht, Köln: Quadriga 42023. 288 S., 22 €
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