Verena Moritz, Hannes Leidinger: Lenin: Die Biografie

von Jörg Seidel --

Es gibt keinen Mangel an Lenin-Biographien. Behauptet man für seine, »die« Biographie geschrieben und eine »Neubewertung« getroffen zu haben, legt man die Latte sehr hoch. Daran muß man sich auch messen lassen.

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Was die schie­re Mas­se und Mit­tei­lungs­dich­te betrifft, kön­nen die bei­den Wie­ner Autoren, die ver­schie­de­ne »For­schungs­pro­jek­te« betrei­ben und eigent­lich Mili­tär­his­to­ri­ker sind, mit­hal­ten. Auf den 650 pral­len, infor­ma­ti­ons­ge­sät­tig­ten Sei­ten haben sie vie­le Quel­len ein­ge­ar­bei­tet, immer wie­der mit Ori­gi­nal­zi­ta­ten aus Lenins Wer­ken, vor allem aber aus der umfäng­li­chen Sekun­där­li­te­ra­tur, zusammengesucht.

Und da beginnt es schon zu haken. Denn das Buch wirkt ­zer­stü­ckelt, ein bin­den­der Erzähl­fa­den fehlt, der Lese­fluß wird emp­find­lich durch immer wie­der neue Ritor­nel­le und Ara­bes­ken erschwert. Die Dop­pel­au­tor­schaft ist dies­be­züg­lich nicht hilf­reich gewe­sen, denn wäh­rend die rein über­blicks­his­to­ri­schen Abschnit­te recht kon­zis sind, wir­ken die bio­gra­phi­schen Sequen­zen oft so, als hät­te jemand mit einem dicken Sta­pel Bücher geses­sen und mal hier und mal da eine Idee oder ein Zitat wahl­los her­aus­ge­sucht und durch Satz­akro­ba­tik zusammengeklebt.

So ist tech­nisch gese­hen zwar alles drin, was man über Lenin rein fak­tisch wis­sen muß, aber ein Gesamt­bild ergibt sich kaum. Es stellt sich sogar die Fra­ge, ob die­ses Kon­glo­me­rat über­haupt eine Bio-Gra­phie ist, von »der« ganz zu schwei­gen. Dem Leser ent­steht kein inne­res Bild Lenins vor Augen, und hat er nicht schon bedeu­ten­de Vor­kennt­nis­se, dürf­te ihm vie­les blank­weg unbe­greif­lich bleiben.

Gera­de die Men­ge an Detail­fak­ten bedarf eines über­le­ge­nen Erzäh­lers. Wir sehen höchs­tens einen Cha­rak­ter­zwerg mit gewis­sen aner­ken­nens­wer­ten poli­ti­schen und stra­te­gisch-ana­ly­ti­schen Bega­bun­gen, aber der Cha­rak­ter ist pri­mär und kom­pro­mit­tiert fast alles: Es geht den Autoren dar­um, Lenin als Mensch nicht zu mögen, und wer die­se Ansicht aprio­risch teilt, der mag reich belohnt werden.

Neu­es ist dar­in kaum zu fin­den, wie auch, wenn man aus den bereits vor­han­de­nen Lebens­be­schrei­bun­gen zusam­men­sucht und weder forscht noch selbst denkt, sich ein­denkt und ein­fühlt. Was die Bewer­tung betrifft: Da woll­te man objek­tiv und neu­tral blei­ben, hält das aber nur ein paar Sei­ten durch und schwelgt dann in meist adjek­ti­visch ange­füg­ten Invek­ti­ven, deren es Hun­der­te gibt. Man läßt die ande­ren bewer­ten, trägt Mei­nun­gen der breit­ge­fä­cher­ten Lenin-Lite­ra­tur zusam­men, kommt selbst aber nicht über klein­li­che Stän­ke­rei­en hin­aus. Der Text wirkt kalt und tech­nisch und geschichts­bü­ro­kra­tisch. Daß zudem gegen­dert wird – was in die­sem Kon­text nahe­zu gro­tesk wirkt –, und auch das nur inkon­se­quent, paßt ins Gesamtbild.

Was die­ser Gene­ra­ti­on von His­to­ri­kern und Bio­gra­phen fehlt, ist der gro­ße his­to­ri­sche Blick, ist die bio­gra­phi­sche Visi­on des Gegen­stan­des, wie sie Golo Mann, Joa­chim Fest oder auch ­Rüdi­ger Safran­ski noch hat­ten, sind die fes­te his­to­ri­sche und welt­an­schau­li­che Grun­die­rung und Bil­dung, die mehr sind als die Sum­me ihrer Teile.

Was Wil­helm Dil­they einst zur Vor­be­din­gung his­to­ri­schen Schrei­bens erklär­te, fehlt die­sen »Autor:innen« kom­plett: »Freu­di­ge Erzähl­kunst, boh­ren­de Erklä­rung, Anwen­dung des sys­te­ma­ti­schen Wis­sens auf sie, Zer­le­gung in ein­zel­ne Wir­kungs­zu­sam­men­hän­ge und Prin­zip der Ent­wick­lung, die­se Momen­te sum­mie­ren sich und ver­stär­ken sich untereinander.«

Als Nach­schla­ge­werk brauch­bar, zum Neu­ein­stieg untaug­lich, als Bio­gra­phie eine mehr.

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Vere­na Moritz, Han­nes Lei­din­ger: Lenin: Die Bio­gra­fie. Eine Neu­be­wer­tung, Salzburg/Wien: Resi­denz 2023. 655 S., 38 €

 

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