Dissidenz und Resilienz

PDF der Druckfassung aus Sezession 120/ Juni 2024

Ellen Kositza

Ellen Kositza ist Literatur-Redakteurin und Mutter von sieben Kindern.

Einst war der Dis­si­dent eine hel­di­sche Figur. Das war zu sowjet­kom­mu­nis­ti­schen und sozia­lis­ti­schen Zei­ten, als sich oppo­si­tio­nel­le Künst­ler und Intel­lek­tu­el­le quer­stell­ten zum Regime.

Da es in der bun­des­deut­schen Jetzt­zeit offi­zi­ell kein Regime mehr gibt, son­dern eine tole­ran­te, wehr­haf­te Demo­kra­tie, ist die Rol­le des Dis­si­den­ten für die einen obso­let gewor­den, für die ande­ren zumin­dest erklärungsbedürftig.

Der Dis­si­dent »sitzt abseits«, so die latei­ni­sche Wort­be­deu­tung. Frü­her konn­te er die­sen Außen­sei­ter­pos­ten mit eini­gem Stolz ein­neh­men. Heu­te ist der Abseits­sit­zen­de einer, der sich schä­men soll dafür, daß er nicht ein­stimmt ins offi­ziö­se Grund­rau­schen. Der »Puer robus­tus«, der Stö­ren­fried (Die­ter Tho­mä), war in den 1960er bis 1990er Jah­ren der BRD noch ein hoch­will­kom­me­nes Phä­no­men. Wider den Sta­chel zu löcken, mit nor­ma­ti­ven Mythen auf­zu­räu­men, das war schick. Seit die »Robus­ten« von rechts kom­men, ist die­se Eupho­rie pas­sé. Ver­stö­run­gen sind zwar wei­ter­hin hoch will­kom­men (man den­ke nur an die tat­säch­lich ver­stö­ren­de Agen­da ­LGBTQIA**) – aber bit­te nur im Rah­men der Neu­en Weltordnung!

Nach der Dis­si­den­ten-Mode gab es im frei­en Wes­ten den »Querdenker«-Trend. Leu­te wie Hei­ner Geiß­ler (CDU) und Wolf­gang Thier­se (SPD; Quel­le: bundestag.de) gal­ten in der Nach­wen­de-BRD als ras­ter­spren­gen­de Quer­köp­fe. War­um? Pein­lich und viel­sa­gend für den beschränk­ten Hori­zont der neun­zi­ger Jah­re: weil sie ein klei­nes biß­chen, in wirk­lich win­zi­gen Nuan­cen, über die eige­ne Par­tei­li­nie hin­aus­dach­ten. Das ließ sie ihrer­zeit bereits als »Frei­geis­ter« gel­ten. Oh, die Neun­zi­ger waren ab ihrer Mit­te eine ver­dammt beton­har­te Zeit. Hier wur­de der Still­stand zele­briert. Hier wur­de ein klei­ner, auf­müp­fi­ger Zwi­schen­seuf­zer als Orgas­mus gefeiert.

Sind wir nun wei­ter? Ja und nein. Nein, zumal wir wis­sen, wie der Begriff des Quer­den­kers in den letz­ten Jah­ren seman­tisch auf­ge­la­den und umge­polt wur­de. Damit benennt man (also: die Pres­sti­tu­ier­ten) längst nicht mehr »wahn­sin­nig inter­es­san­te« Pseu­do-Unkon­ven­tio­nel­le, son­dern Auf­müp­fi­ge, die infa­mer­wei­se ein gan­zes Sys­tem in Fra­ge stel­len. Gegen den Strich zu den­ken gilt heu­te nicht mehr als instruk­tiv oder als krea­ti­ve Betei­li­gung an Ent­schei­dungs­pro­zes­sen, son­dern als »Dele­gi­ti­mie­rung« des Staa­tes. Wer heu­te »quer­denkt«, eckt gleich beim Straf­recht an – so weit sind wir gekommen.

Ande­rer­seits aber: ja, weil das Spek­trum des Sag­ba­ren sich unge­heu­er erwei­tert hat. Durch den Erfolg von Thi­lo Sar­ra­zins Deutsch­land schafft sich ab (2010) und die Grün­dung der AfD (2013) sind vor­dem tabui­sier­te Posi­tio­nen sag­bar gewor­den. Der Echo­raum erwei­ter­te sich jäh. In den Nuller­jah­ren, erst recht in den 1990ern, war es für jede bür­ger­li­che Exis­tenz noch undenk­bar gewe­sen, sich rechts der Mit­te zu posi­tio­nie­ren. Ein­zel­ne Vor­kämp­fer (an zwei Hän­den abzu­zäh­len; damals waren es das Jun­ge Frei­heit-Milieu und unse­re Pro­jek­te) hat­ten ordent­lich ein­zu­ste­cken! Mitt­ler­wei­le hat sich das soge­nann­te Over­ton-Fens­ter ein Stück nach rechts verschoben.

Bis zur Zeit­wen­de (2015, Stich­wort »Migra­ti­ons­kri­se«) gab es kei­ne alter­na­ti­ve Medi­en­land­schaft, son­dern eine eher trost­lo­se Step­pe mit sehr ver­ein­zel­tem, rup­pi­gem Aus­wuchs. Man muß­te damals schon »sehr beson­ders«, sehr trot­zig, extrem wider­stän­dig sein, um sich als nicht­links, nicht­li­be­ral zu ver­or­ten. Aber in den letz­ten knapp zehn Jah­ren kam es zu einem Auf­wuchs an poli­ti­scher Diver­si­tät von rechts, an Neu­ver­grü­nung (also: jen­seits der Par­tei­en­farb­ska­la) und zu unge­zähm­tem Wild­wuchs. Boris Reit­schus­ter, Alex­an­der Wal­l­asch, Kon­tra­funk, Ach­se des Guten, nuo­vi­so, Mul­ti­po­lar-Maga­zin etc. pp. – die­se For­ma­te, alle­samt übri­gens betrie­ben von Her­ren jen­seits der 50 (ein nicht unwich­ti­ger Neben­be­fund), plopp­ten plötz­lich auf. Es war, als ob Hun­der­te Leu­te zugleich aus dem Win­ter­schlaf erwach­ten, und mit ihnen Hun­dert­tau­sen­de, die sich ­anste­cken lie­ßen von der neu­en Dissidenz.

Ein alter Kum­pel von mir, den ich übri­gens anno 1993 auf einer Hasch-Par­ty (wir bei­de: Nicht­kon­su­men­ten) ken­nen­ge­lernt hat­te, frot­zel­te neu­lich: »Wir waren ja als Offen­ba­cher Tee­nies schon in den frü­hen Neun­zi­gern auf die­ser Erkennt­nis­ebe­ne, die heu­te so betrie­ben wird. Wir waren damals schon rech­te Out­si­der. Wo waren in die­ser Zeit eigent­lich all die Leu­te, die zwan­zig Jah­re spä­ter das gro­ße Wort füh­ren?« Gute Frage!

Ernst­haf­te Dis­si­denz erfor­dert Resi­li­enz. Ers­te­res Wort ist eher alt­mo­disch (Ernst­haf­tig­keit ist völ­lig out, es lebe die Iro­nie und die »Per­for­mance«), letz­te­res ist hoch modern – und »im Dis­kurs« schwer ange­sagt. Die Voka­bel »Resi­li­enz« ist ähn­lich popu­lär wie »Acht­sam­keit« und »Selbst­wert«, und all die­se Begrif­fe hän­gen eng zusam­men. Nun, wir leben aus »guten« Grün­den (in Wahr­heit sind es schlech­te) in einer psycho­therapierten Gesell­schaft! Wer und was ist resi­li­ent? In der Phy­sik ist ­resi­li­ent ein elas­ti­scher Stoff, der sich nach einer äuße­ren Ein­wir­kung in sei­nen Ursprungs­zu­stand zurück­ver­set­zen kann.

In der mensch­li­chen Welt ist resi­li­ent jemand, der Druck von außen wider­steht, der Rück­grat beweist, auch wenn die Last drü­ckend ist, der den Kopf hoch­hält, auch wenn das Umfeld ihn ducken will. (»Eti­am si omnes, ego non«– das ist unser Wahl­spruch: »Auch wenn alle es tun – ich nicht.« Dazu haben wir unse­re Kin­der erzo­gen, dahin wol­len wir auch unse­re Leser lei­ten.) Resi­li­enz fällt nicht vom Him­mel, und man kann sie auch nicht befehlen.

Resi­li­enz ist eine Art Immun­sys­tem der See­le – man kann sie sich nicht jäh, aus einer Ent­schei­dung her­aus, aneig­nen. Man kann nur dar­auf hin­wir­ken: auf eine posi­ti­ve Selbst­wahr­neh­mung, auf Ver­trau­en in Selbst­wirk­sam­keit, auf ein sta­bi­les Umfeld. Wer resi­li­ent ist, soll­te damit umge­hen kön­ne, daß es auch Opfer zu brin­gen gibt. Das muß man tap­fer aus­hal­ten. Näm­lich mit einer unver­brüch­li­chen Hoff­nung im Rücken.

In der Demo­sko­pie, der Mei­nungs­for­schung, gibt es sel­ten so ­hef­ti­ge Sprün­ge wie die­sen: Als man (und »man« ist hier statista.com, also der ton­an­ge­ben­de Demo­sko­pie­mo­ni­tor) im Som­mer 2022 die Deut­schen frag­te: »Wel­ches sind Ihrer Mei­nung nach die wich­ti­gen Pro­ble­me, denen Deutsch­land der­zeit gegen­über­steht?«, ant­wor­te­ten sie­ben Jah­re nach der »Migra­ti­ons­kri­se« acht Pro­zent mit dem Stich­wort »Ein­wan­de­rung«. Im Herbst 2023 hat­te sich die­ses Pro­blem­be­wußt­sein dann jäh qua­si radi­ka­li­siert: 44 Pro­zent der Deut­schen emp­fan­den Ein­wan­de­rung nun als Haupt­pro­blem. Es war plötz­lich das Spit­zen­pro­blem überhaupt!

Wor­an liegt das? Im Jahr 2019 gab es rund 191 000 Asyl­an­trä­ge. 2022 waren es rund 244 000, und 2023 über 326 000. Gibt es also den berühm­ten Trop­fen, der das Faß zum Über­lau­fen bringt? Es muß eine ulki­ge ­Was­ser­lo­gik sein, die ratio­nal nicht ganz zu ergrün­den ist. Jäh bekann­ten sich Leu­te zu ihrem Unbe­ha­gen – ob sie dadurch zu Dis­si­den­ten gewor­den sind, sei zunächst dahin­ge­stellt. Mit Sicher­heit hat sich die Gegen­öf­fent­lich­keit gera­de in die­sen Jah­ren emi­nent ver­än­dert. So etwas bleibt nicht ohne Wirkung.

Im Mai 2024 hat der Ver­lag Antai­os das Buch Mei­nung, Pran­ger, Kon­se­quen­zen ver­öf­fent­licht, her­aus­ge­ge­ben von mei­nem Weg­ge­fähr­ten (seit 35 Jah­ren! Davon leb­ten wir zwei Jahr­zehn­te qua­si Tür an Tür als Nach­barn) Claus‑M. Wolf­schlag. In die­sem Buch wer­den 22 Men­schen por­trä­tiert (oder: sie kom­men zu Wort), die sich den Luxus leis­te­ten, auch gegen Wider­stän­de eine eige­ne, vom Haupt­strom abwei­chen­de Mei­nung zu ver­tre­ten. Nie­mand von ihnen hat Geset­ze über­tre­ten, aber sämt­li­che die­ser Leu­te muß­ten – teils har­tes – Lehr­geld für ihre Dis­si­denz bezahlen.

Die Band­brei­te reicht von Kalt­stel­lung über Berufs­ver­bot bis hin zu lebens­ge­fähr­li­cher Kör­per­ver­let­zung. All die­se Leu­te, dar­un­ter auch ech­te »Pro­mis« wie Uwe Steim­le oder der Geschäfts­füh­rer des Groß­be­triebs Hentsch­ke Bau, sind den­noch stand­haft geblie­ben. Sie sind nicht ein­ge­knickt, haben sich nicht für »schul­dig« erklärt. Sie erwie­sen sich als ­resi­li­ent. Wor­aus sol­che Resi­li­enz, sol­che Wider­stands­kraft im ein­zel­nen resul­tiert – das wäre The­ma für einen wei­te­ren Band.

Kom­men wir zu den Gegen­bei­spie­len, zu den trau­ri­gen Ein­kni­ckern, denen mit »Schiß«. Denen es an Resi­li­enz fehl­te. 2015, auf dem Höhe­punkt der Migra­ti­ons­kri­se, ver­öf­fent­lich­te der über­aus popu­lä­re Musi­ker Heinz Rudolf Kun­ze das Lied »Will­kom­men lie­be Mör­der«, der Text steht auf der Rand­spal­te. Kun­ze galt als ein (sel­ten genug) nicht­lin­ker Lie­der­ma­cher. Bit­te: Deut­li­cher geht es kaum.

Es hagel­te sofort hart gegen Kun­ze. Er hielt nicht stand, son­dern erfand eine sehr beson­de­re Geschich­te: »Ange­sichts eini­ger Kom­men­ta­re zum Song ›Will­kom­men lie­be Mör­der‹ aus dem Räu­ber­zi­vil-Album ›Tie­fen­schär­fe‹ aus dem Jahr 2015 möch­te ich fol­gen­des klar­stel­len: Es ist mir unbe­greif­lich, daß Leu­te aus dem rech­ten poli­ti­schen Spek­trum mein Lied ›Will­kom­men lie­be Mör­der‹ für sich ver­ein­nah­men wol­len. Es scheint die­sen Leu­ten schon zu genü­gen, daß im Titel das Wort ›Mör­der‹ vor­kommt, um den Song für ihre Zwe­cke zu miß­brauchen. Das Lied greift die The­ma­tik von Max Frischs Büh­nen­stück ›Bie­der­mann und die Brand­stif­ter‹ auf und han­delt davon, daß die schwei­gen­de deut­sche Mehr­heit auf dem rech­ten Auge blind ist. Anlaß für die­ses Lied waren die NSU-Mor­de und nicht etwa Frem­den­feind­lich­keit.« Alles klar! Man schmun­zelt und hat Mitleid.

Nächs­ter Fall, Jan-Josef Lie­fers. Man muß sich sei­nen Anti-Coro­na-Maß­nah­men-Auf­tritt unter #alles­dicht­ma­chen (leicht auf You­Tube zu fin­den) anschau­en, weil er in sei­ner Iro­nie und sei­nem Schau­spiel unschlag­bar ist! Jedoch: Herr Lie­fers ruder­te Wochen spä­ter völ­lig pein­lich per Bild-Schlag­zei­le zurück. Er ließ sich im Astro­nau­ten­an­zug abbil­den, wie er auf der Inten­siv­sta­ti­on Coro­na-Pati­en­ten besich­tigt, Mot­to: »Mit Imp­fung wäre es nie soweit gekom­men!« Ah, hier hat einer mus­ter­gül­tig reagiert …!

Noch ein Fall: Ich erin­ne­re mich eher fern an den katho­li­schen Pfar­rer Georg Alo­is Oblin­ger. Ah – das war der, der so inten­siv Kon­takt such­te, einer die­ser schi­cken katho­li­schen Pries­ter, die fast wie Dress Men wir­ken. Oblin­ger wur­de 2011 von sei­nem Bischof Kon­rad Zdar­sa zu einem Schreib­ver­bot ver­gat­tert. War­um? Oblin­ger hat­te für »rech­te« Medi­en geschrie­ben. Auch für uns. Oblin­ger schreibt heu­te, anno 2024, in der Tages­post vom 11. April, buß­fer­tig: »Ich habe dann auch bald mein Abon­ne­ment der Jun­gen Frei­heit gekün­digt. Ich will kei­ne Zei­tung lesen, die mei­nem Bischof nicht gefällt. […] Natür­lich tat ich mich erst schwer mit dem Schreib­ver­bot durch mei­nen Bischof, aber heu­te bin ich dafür sehr dank­bar. Bischof ­Kon­rad Zdar­sa hat mich vor einem wei­te­ren Abdrif­ten nach rechts bewahrt. […] Auch ich habe in Ulm teil­ge­nom­men an der Demo ›Gegen Hass und Het­ze der AfD‹. Ich posi­tio­nie­re mich klar gegen ›rechts‹.«

Inter­es­sant ist, daß Oblin­ger in sei­nem etwas kon­fu­sen Text wie zur nach­träg­li­chen Selbst­be­weih­räu­che­rung vie­le Namen derer nennt, die ihn damals mutig ver­tei­dig­ten. Er zitiert Pas­sa­gen, in denen sein Schreib­stil gerühmt wird. Daß er die­sen red­li­chen Leu­ten (die sich anders als er nicht »geän­dert« haben) damit nach­träg­lich in den Rücken fällt, ist ihm offen­kun­dig nicht bewußt.

Was sagt man also zu Oblin­gers pein­li­cher Distan­zie­rung? Daß es Feig­heit sei? Sagen wir es mit der Bibel: »Amen, ich sage euch: Sie haben ihren Lohn bereits erhal­ten.« (Mt 6, 16)

Das nächs­te Bei­spiel für man­geln­de Resi­li­enz möch­te ich anony­mi­sie­ren, weil die betref­fen­de Per­son nur eine halb­öf­fent­li­che ist. Jakob Ros­ner, der sich seit kur­zem Jakob von Lie­ben­stein nennt, heißt eigent­lich anders. Ich lern­te ihn 1991 in Frank­furt am Main ken­nen. Ich, damals 17jährig, war zu die­ser Zeit ganz frisch im rech­ten Milieu. Jakob war auf jeder Ver­an­stal­tung die­ser Frank­fur­ter Bur­schen­schaft, die ich damals besuch­te. Wir nann­ten ihn damals »den Eng­län­der«. Denn: Er sah aus wie eine Mischung aus Hugh Grant und einem (belie­bi­gen) Mit­glied der bri­ti­schen Königs­fa­mi­lie. Jakob war sehr char­mant, sehr eif­rig, ja, beflissen!

Irgend­wann gab es die­se Bur­schen­schafts­tref­fen nicht mehr, dafür ande­re Krei­se. Erst Jun­ge Frei­heit-Krei­se, dann wie­der ande­re, etwa den legen­dä­ren Nibe­lun­gen-Stamm­tisch mit Gün­ter Maschke, Mat­thi­as Beltz und etli­chen ande­ren, die noch nicht tot sind und daher wohl lie­ber nicht genannt wer­den wol­len. Jakob Ros­ner war immer dabei! Wahn­sin­nig nett, aber auch ein wenig ser­vil. Er fand alles »groß­ar­tig« und »ganz, ganz groß­ar­tig«, was wir auch taten und ver­öf­fent­lich­ten, und er spen­de­te stets groß­zü­gig sei­nen Honig. Bis zuletzt bewun­der­te er uns über alle Maßen. Ros­ner blieb auch nicht untä­tig. Er ver­öf­fent­lich­te zwei Bücher (Kul­t­ur­sa­chen, nicht wirk­lich »ver­däch­tig«) und orga­ni­sier­te dies und das im »meta­po­li­ti­schen Raum«. Unter ande­rem einen wei­te­ren, deut­lich bür­ger­li­che­ren »Stamm­tisch« im Rhein-Main-Gebiet. Irgend­wann kamen Schnüff­ler aus den Rei­hen der FAZ ­Ros­ners extrem harm­lo­sem Tun auf die Spur. Ros­ner wur­de »unter­stellt«, mit der AfD zu sym­pa­thi­sie­ren! Tja, wie reagiert man da?

Es gibt bekannt­lich Män­ner, und es gibt Mem­men. Ros­ner, der nun aus sicher unter­halt­sa­men Grün­den plötz­lich von Lie­ben­stein heißt, ent­schied sich für letz­te­re Opti­on. Für mich war es eher trau­rig (nein, im Grun­de belus­ti­gend!) als ärger­lich, sei­nen »Abschieds­brief« via Leser­zu­schrift in der FAZ zu lesen. Was schrieb er? »Weder bestehen von mir und mei­ner Frau Ver­bin­dun­gen zu poli­ti­schen (ins­be­son­de­re rech­ten) Rän­dern, noch haben wir uns jemals in den letz­ten Jah­ren poli­tisch geäu­ßert oder enga­giert. Ich ver­wah­re mich in aller Form [!] dage­gen, mit der AfD in Ver­bin­dung gebracht zu wer­den. Ich distan­zie­re mich nach­drück­lich von den For­de­run­gen der AfD und leh­ne die­se expli­zit ab. Ich ste­he fest auf dem Boden des Grund­ge­set­zes und tre­te ener­gisch ein gegen Anti­se­mi­tis­mus, Ras­sis­mus und jede Form von Aus­gren­zung« etc. pp. Chapeau!

Und wei­ter: Die Sezes­si­on gibt es seit 2003. Sie hat heu­te rund 4000 Abon­nen­ten, hin­zu kom­men Aus­ga­be für Aus­ga­be ein paar hun­dert Ein­zel­käu­fer. Deut­lich mehr als 150 Autoren haben in die­sen 21 Jah­ren für uns geschrie­ben. Wir dru­cken aus ernst­haf­ter Über­zeu­gung kei­ne Tex­te, die uns in irgend­ei­ner Art als über­spannt (vul­go: »extre­mis­tisch«) erschei­nen. Neben­bei – sol­che wer­den auch kaum je ein­ge­reicht, der »Mar­ken­kern« der Sezes­si­on ist dafür zu klar her­aus­ge­schält. Man­che Autoren kom­men aber gemäß der offi­ziö­sen (natür­lich vagen und will­kür­li­chen) Wer­tungs­ska­la »rech­ter« daher, als wir selbst es sind.

Es sind Nuan­cen, über die man strei­ten kann. Einer argu­men­tiert viel­leicht auto­ri­tä­rer, als wir Her­aus­ge­ber es täten, oder skep­ti­scher über die Rol­le der Frau oder islam­kri­ti­scher oder islam­freund­li­cher oder bel­li­zis­ti­scher. Wir haben, wie man so sagt, einen »guten Magen«, aber auch einen siche­ren Instinkt. Manch­mal ist ein Text an der Gren­ze des Sag­ba­ren. Wir sind tritt­si­che­re und har­te Redak­teu­re. Hef­ti­ge, nicht wirk­lich anschluß­fä­hi­ge The­sen – war­um nicht, wenn der Autor dafür einsteht?

Aber nun: Wir hat­ten in den letz­ten Jah­ren knapp zehn ein­dring­li­che Strei­chungs­bit­ten. Wie? Es geht um Autoren, die bei uns publi­ziert hat­ten und die das gern unge­sche­hen machen wür­den. Ja, es gibt ein paar »Pro­mis«, die in unse­ren frü­hen Aus­ga­ben Tex­te ver­öf­fent­licht, bei uns refe­riert oder Inter­views gege­ben haben – und die das heu­te auf­grund unse­res »Ruchs« (aber ohne, daß wir uns seit­her ver­än­dert oder »radi­ka­li­siert« hät­ten!) nicht mehr täten. Das sind Leu­te wie Her­wig Birg, Arnold Vaatz, Gerald Hüt­her, Bir­git Kel­le und Erich Vad. Die­se alle sind aber nicht gemeint.

Es geht bei die­ser guten Hand­voll an Strei­chungs­bit­ten­den fast durch­weg um Leu­te, die etwas »radi­ka­ler drauf« waren als wir, Leu­te, die uns teils als »fei­ge« titu­lier­ten, wenn wir im Lek­to­rat die­se und jene Spit­ze ihrer Tex­te abmil­dern woll­ten. Jah­re spä­ter und vor dem nächs­ten Karriere­schritt fle­hen uns sol­che Men­schen an, ihre Bei­trä­ge doch bit­te aus dem Online-Archiv zu til­gen. Es gehe heu­te in ihrem Lebens­weg gleich­sam um »alles oder nichts«, eine Fami­lie hän­ge dar­an – nun: In ihrem Text vor neun Jah­ren ging es ja auch um »alles oder nichts«. Nur flu­te­te man damals tes­to­ste­ron­ge­la­den durch uto­pi­sche Wel­ten mit frag­li­chem Rea­li­täts­be­zug, und wir hat­ten das sei­ner­zeit unter Kämp­fen auf ein klu­ges Maß zurecht­ge­stutzt! (Drei oder vier die­ser genann­ten Til­gungs­bit­ter hat­ten stets Mode­ra­tes ein­ge­reicht, sie hiel­ten aber den fami­liä­ren Druck nicht aus. Ist es nicht verrückt?)

Zurück­ru­dern und Umden­ken sind das eine, Feig­heit ist das ande­re. Die Gren­zen ver­schwim­men. Es gibt zig Rene­ga­ten von links nach rechts. Stu­re Köp­fe wie ­Gün­ter Maschke, Frank Böckel­mann, Bernd Rabehl, Karin Struck, Wer­ner Olles, Horst Mahler und vie­le mehr. All die­se Leu­te waren resi­li­ent genug, dem frag­los lin­ken Zeit­geist zu wider­ste­hen. Man möge mir adäquat Den­ker nen­nen, die von rechts auf links geschwenkt sind. Es gibt allen­falls Leu­te, sie­he oben, die sich aus äuße­rem Zwang neu­tra­li­siert haben. Es ist eben eine Cha­rak­ter­fra­ge, ob man sich in den Wider­stand wagt.

Ellen Kositza

Ellen Kositza ist Literatur-Redakteurin und Mutter von sieben Kindern.

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