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Eine politische Rechte, die langfristig erfolgreich sein will, muß sich fragen, wie es den Grünen gelingen konnte, den politischen Prozeß in Deutschland seit der Jahrtausendwende nahezu vollständig zu beherrschen.
Sie setzen die Themen, sie geben den Takt der öffentlich-medialen Diskurse vor, sie treiben die anderen Parteien vor sich her, sie setzen ihre Agenda Schritt für Schritt in die Wirklichkeit um; ob Migration, Energiewende, Gender-Sprache, Homo-Ehe oder Selbstbestimmungsgesetz – sie regieren das Land, auch wenn sie bei bundesweiten Wahlen nur knapp 15 Prozent der Wählerstimmen auf sich vereinen.
Dabei nutzen die Grünen die alt-etablierten bundesrepublikanischen Parteien als klassische Transmissionsriemen, denen die Aufgabe zugedacht ist, anfangs reservierte oder widerstrebende Segmente der deutschen Gesellschaft nach und nach an die grüne Agenda heranzuführen und am Ende politisch-parlamentarisch einzuspannen.
Zu all dem sind die Grünen imstande, weil sie die einzige Partei sind, die von einer Idee geleitet und entschlossen ist, diese Idee gegen alle Widerstände durchzusetzen, auch wenn noch so große Mehrheiten ihre Vorstellungen anfangs verlachen oder meinen, sie als irrsinnig abtun zu können.
Demgegenüber sind die alt-etablierten Parteien längst keine Weltanschauungsparteien mehr, sondern lassen sich von allerlei Vorteilserwägungen, vor allem aber von dem Ansinnen leiten, an das großstädtisch-grüne Milieu und seine politischen Vertreter Anschluß zu finden.
Die Grünen dagegen schöpfen nach wie vor aus der ideenpolitischen Kraftquelle von 1968. Nach den Ideen von 1789 und den Ideen von 1914 sind es heute die Ideen von 1968, die den weltanschaulichen Kampfplatz dominieren. Die politische Rechte wird nur dann nachhaltig erfolgreich sein können, wenn sie selbst eine Idee entwickelt, die imstande ist, es mit den Ideen von 1968 aufzunehmen; die die Kraft besitzt, Menschen ebenso stark zu mobilisieren, zu emotionalisieren und in ihnen die Bereitschaft zu wecken, notfalls existentielle Opfer zu bringen, wie die Ideen von 1968; die zuletzt jene Schwerkraft entwickelt, welche erforderlich ist, um den Linken die geistige Vorherrschaft streitig zu machen.
2. |
Das offiziell ausgegebene rechte Ziel, der Erhalt der ethnokulturellen Identität, wird schwerlich die notwendige Strahlkraft entwickeln, um den Verheißungen einer universellen Erneuerung etwas Gleichwertiges entgegenzusetzen. Denn der bloße Wunsch, weiterhin zu existieren, ist noch keine Idee, der Daseinswille noch kein Daseinszweck. Völker gedeihen, wenn sie mit Fragen schwanger gehen, die noch der Beantwortung harren; wenn sie eine Mission besitzen, die noch zu erfüllen ihnen eine Notwendigkeit ist; wenn sie Potentiale in sich tragen, die noch gehoben werden müssen. Selbst wenn es gelänge, eine Remigration im großen Stile durchzusetzen, und wir am Ende wieder »unter uns« wären, wäre die Frage noch nicht beantwortet, was wir in einem solchen Falle mit uns anfangen sollten; welche (welt-)geschichtliche Relevanz wir für uns vorgesehen haben.
Ebenso unbefriedigend ist die Tatsache, daß das Ziel des Erhalts der ethnokulturellen Identität bewußt reduktionistisch formuliert ist, damit die unterschiedlichen Strömungen des rechten Lagers von Libertären bis Sozialpatrioten sich hinter ihm versammeln können. Jedoch: Die großen Aufbrüche der Geschichte, ob sie uns gefallen oder nicht, haben sich stets durch eines ausgezeichnet: Auch wenn die eigenen Anfänge noch so bescheiden waren und es anfangs nicht mehr als die sechs Unterzeichner der »Forderungen der kommunistischen Partei in Deutschland« (1848), die sieben Mann der NSDAP, die zwölf Jünger Jesu oder die 500 Männer der Renaissance waren, von denen Nietzsche spricht – stets traten sie vor die Welt und verkündeten: Dies ist unser Programm, unser Glaube, und nun wollen wir versuchen, die Welt dafür zu gewinnen, auch wenn sie uns noch so abweisend und scheinbar übermächtig begegnet. Die eigene Idee von vornherein taktisch zurechtzustutzen und reduktionistisch zu begradigen scheint demgegenüber kein erfolgversprechender Ansatz zu sein; große Ziele lassen sich nicht erreichen, wenn wir von vornherein nur einen kleinsten gemeinsamen Nenner formulieren.
3. |
Daß die politische Rechte in Deutschland die Konservative Revolution für sich wiederentdeckt, kommt nicht von ungefähr. Diese Renaissance rührt nicht nur aus der intellektuellen Brillanz und politischen Weitsicht ihrer Autoren; sie entspringt auch einem Gespür dafür, daß die geschichtliche Situation, in der die KR agierte, mit unserer eigenen Lage auf erstaunliche Weise korrespondiert. Denn die Initialzündung der Konservativen Revolution war der Zusammenbruch des Zweiten Kaiserreiches, in dem jedenfalls eine große Mehrheit der Konservativen sich heimisch gefühlt hatte.
Die erste Reaktion auf das traumatisch empfundene Ereignis der Novemberrevolution war insofern nur natürlich: Die Monarchie wird restauriert, der Kaiser oder einer seiner Söhne kommen wieder auf den Thron, und die Zeit der nationalen Demütigung, der Ohnmacht und der Unordnung ist vorbei. Die konservativen Revolutionäre aber erkannten, daß dieser Ansatz keine Perspektive hatte und das Ziel nicht darin bestehen durfte, Vorgefallenes ungeschehen zu machen und Altes wiederherzustellen; daß es statt dessen not tat, von den neuen Realitäten auszugehen, um aus ihnen ordnende Struktur hervorzutreiben und das Leben neu zu binden.
Heute befinden wir uns in einer geschichtlichen Situation, in der nicht nur die Homogenität der Völker zerstört, sondern die gesamte Lebenswelt des europäischen Menschen angegriffen wird. Nicht wenige von uns verzweifeln daran, mit ansehen zu müssen, wie alles, was uns lieb und teuer ist, vorgeführt und verächtlich gemacht wird. Auch heute ist die erste Reaktion auf diese Entwicklungen nur natürlich: Die Zuwanderer schicken wir nach Hause, die Gender-Fakultäten schließen wir zu, die Regenbogenfahnen motten wir ein – und der »Wahnsinn der Massen« (Douglas Murray) ist überwunden.
Doch ist dieser Ansatz ohne Perspektive, weil zu undialektisch einfach gedacht. Statt dessen gilt es, mit den realen Gegebenheiten der multiethnischen Gesellschaft zu arbeiten. Wir haben nicht nur Altes zu verteidigen, sondern die überlieferte Substanz dadurch aufzubewahren, daß wir sie in Neues, dauerhaft Tragfähiges einpassen. Um überhaupt bei uns selbst bleiben zu können, sind wir gefordert, nicht nur Entgegenkommen einzufordern, sondern auch vom eigenen Wesen ein Stück weit preiszugeben und zu lassen. Gerade indem wir uns bereitfinden, mit den eingeströmten vitalen Energien Allianzen und Synthesen zu bilden, könnten uns neue, verlorengegangene Momente der Selbstbehauptung und Selbstbejahung zuwachsen.
4. |
Eine in rechten Kreisen bisweilen zu hörende Auffassung besagt, die millionenfache Zuwanderung sei am Ende gar nicht so schlimm. Denn sobald die Mittel des Sozialstaates erschöpft seien und der Staat die Fähigkeit verliere, soziale Wohltaten bereitzustellen, würden die Migranten weiterziehen. Doch diese Auffassung, die den Migranten rein materielle Motive unterstellt, sagt weniger etwas über die Zuwanderer selbst als über diejenigen aus, die sie vertreten, das heißt: denen nach drei Generationen Konsumgesellschaft und Wohlstandsverwahrlosung das Denken in materiellen Kategorien in Fleisch und Blut übergegangen ist.
In Wirklichkeit haben die Migranten viel ursprünglichere, archaischere Motive als die ihnen unterstellten: die Selbstbestätigung, die in der Erfahrung liegt, sich einer weich gewordenen Urbevölkerung aufzwingen zu können; die Lust am Beutemachen und das Hochgefühl der eigenen physischen Überlegenheit über die effeminierten indigenen Männer; die ich- und kollektivstärkende Erfahrung einer Landnahme, die Straße für Straße, Viertel für Viertel, Stadt für Stadt voranschreitet.
Nehmen wir einen vogelperspektivischen Beobachter an, der die Szenerie in Deutschland betrachtet, so wird dieser zwei Segmente voneinander unterscheiden können: ein autochthones Segment, das jeden Tag kleiner, weicher, schwächer, passiver und an sich selber irre wird, und ein migrantisches Segment, das jeden Tag größer, dynamischer, selbstbewußter und durchsetzungswilliger wird; wenn diese Segmente in einen scharfen Gegensatz treten und es am Ende »wir oder die« heißen soll, liegt es auf der Hand, welches dieser Segmente eines Tages das andere verdrängen wird. Die Alternative dazu wäre der Versuch, die an einer neuen Gemeinsamkeit interessierten indigenen und migrantischen Segmente zusammenzuführen und gleichzeitig die rein destruktiven, ressentimentgeleiteten Elemente auf autochthoner und migrantischer Seite von jeder maßgeblichen Einflußnahme auf den politischen Prozeß fernzuhalten.
5. |
Entschieden zu widersprechen ist der Vorstellung, für die deutsche Rechte seien allenfalls Segmente der »assimilierten« oder »integrierten« Zuwanderer interessant. Denn was heißt de facto Assimilation in die bundesrepublikanische Wirklichkeit, wie sie sich uns heute darstellt? Assimiliert ist ein Migrant, wenn er verstanden hat, daß das Wort »deutsch« stets mit einer gewissen Abschätzigkeit auszusprechen ist; wenn er nach Möglichkeit kinderlos bleibt und damit demonstriert, daß er an die emanzipatorisch-progressiven Lebensstile seines Ziellandes Anschluß gefunden hat; wenn er sich dazu bekennt, daß der Holocaust nicht einen Teil der deutschen Geschichte, sondern die Essenz der deutschen Identität darstellt; wenn er die Regenbogenfahne schwenkt, den Christopher Street Day besucht und dadurch beweist, daß er den altmodischen Sitten seines Herkunftsmilieus entwachsen ist. Assimilation bedeutet insofern nichts anderes, als noch mehr von dem herauszubilden, woran das Land schon heute krankt. Denn identitätsgestörte und ‑verstörte Menschen haben wir selbst bereits über die Maßen genug.
6. |
Wer heute nach dem wirksamen Schutz der Grenzen zur Eindämmung der ungeregelten Zuwanderung ruft, muß in Wirklichkeit zuerst eine geistig-moralische Frage beantworten. Er muß daran arbeiten, überhaupt wieder eine Denkungsart zu etablieren, die die Errichtung von Grenzen im öffentlichen Diskurs moralisch vertretbar macht. Dies ist nicht der Fall, solange der radikale, subjektivistisch unterlegte Humanitarismus vorherrscht, der seinem Wesen nach dazu führt, daß jeder Ruf nach Öffnung einer Grenze, nach Überschreitung des Vorgefundenen auf Beifall stößt, während umgekehrt jede Abgrenzung als bösartig, jede Anerkennung einer Bedingtheit als menschenfeindlich gilt.
Dabei sollte bedacht werden, daß der radikalisierte Humanitarismus ein geschichtliches Zerfallsprodukt darstellt: Denn erst, wenn im Laufe eines langen geschichtlichen Prozesses die Substanz der Stände, Klassen, Völker und Geschlechter zerrieben worden ist, bleibt das reine Subjekt, der nackte, bloße Mensch zurück, der den Humanitarismus speist.
Wer nun glaubt, eine einmal real oder weltanschaulich entkräftete Substanz vom Volk bis zur Religion wiederherstellen zu können, wenn wir nur genügend Willenskraft aufbrächten und ausreichend Aktivismus an den Tag legten, gibt sich Illusionen hin. Bestände, die der Prozeß der Geschichte einmal verbraucht oder entweiht hat, lassen sich nicht künstlich-voluntaristisch wieder in Kraft und Geltung setzen. Substanz, die es überhaupt wieder gerechtfertigt erscheinen läßt, zwischen dem Eigenen und dem Fremden Grenzen aufzurichten, kann nicht wiederbelebt, sondern muß neu aufgebaut werden.
Sie kann nur entstehen, wenn wir ererbte Bestände mit neuen Energien verbinden, eine neue kollektive Substanz amalgamieren. Demgegenüber ist die Remigration ein allzu einfaches Rezept: Die Migranten sind gekommen, und nun befördern wir sie wieder hinaus. Man braucht kein Dialektiker zu sein, um zu erkennen, daß die Geschichte es uns gar so einfach nicht machen und uns intellektuell ein wenig mehr abverlangen wird.
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Die dionysische Linke der 1960er Jahre durfte in ihren Glanzzeiten annehmen, daß ihr neuer, individualistisch-hedonistischer Lebensstil einen menschheitsgeschichtlichen Durchbruch bedeute: eine Errungenschaft, die von nun an bis in alle Zeit das Gepräge menschlicher Vergesellschaftung bestimmen werde. Heute aber zeigt sich, daß die sexuelle Revolution, der Feminismus, die Feier der Devianz und die Verflüssigung der Geschlechter nur äußerst kurzlebige geschichtliche Übergangsphänomene sind. Wer heute aus der Generation der 68er noch lebt und seine Augen nicht verschließt, kann im Alter erkennen, wie die Kohorten bereitstehen, die dem großen Experiment ein Ende setzen werden.
Der individualistisch-hedonistische Lebensstil schaufelt sich das eigene Grab, indem er das Land demographisch entleert. An die Stelle der aussterbenden Individualisten rücken neue Bevölkerungssegmente, die die sich leerenden Landschaften füllen. Zu Millionen dringen junge Männer in die nicht mehr bespielten Räume ein. Zumindest teilweise werden sie (mit uns oder gegen uns) dafür sorgen, daß der hedonistische Lebensstil eingedämmt und die Grundlagen von Männlichkeit und Weiblichkeit, Sexualität und Zeugung, Elternschaft und Familiensinn wieder in ihr Recht gesetzt werden.
8. |
Ohne übermäßig militärisch wirken zu wollen, kann es bisweilen hilfreich sein, das taktische und strategische Denken aus der Sphäre des Militärischen auf den Bereich der politischen Auseinandersetzung zu übertragen. In militärische Kategorien gefaßt, gleicht der klassisch identitäre Ansatz (die aktuelle rechte Politik) dem Versuch, sich in offener Feldschlacht, auf freier Ebene, ohne Deckung oder schwere Waffen einem übermächtigen, bis an die Zähne bewaffneten Feind entgegenzustellen.
Dies mag heroisch und aller Ehren wert sein, ist für den Gegner aber vergleichsweise einfach einzuschätzen, unter Einsatz erprobter Mittel relativ leicht abzuwehren und bei Bedarf aus dem Spiel zu nehmen: Der klassisch identitäre Ansatz meint, den Feind frontal angehen zu können, ohne taktisch agieren zu müssen, also: den Schutz des Geländes zu nutzen, Verwirrung in den feindlichen Reihen zu stiften, elastisch und anpassungsfähig vorzugehen.
Die Frage ist, ob es nicht möglich wäre, etwa die (Migrations-)Waffe, die der Globalismus gegen uns mobilisiert, umzukehren und gegen den Feind in Stellung zu bringen; ob es nicht vorstellbar wäre, den Globalisten die eigene Melodie vorzuspielen und die Verhältnisse auf eine Weise zum Tanzen zu bringen, die sie sich nicht vorgestellt haben, will sagen: die konservativen Haltungen und traditionalen Einstellungen der Migranten politisch zu mobilisieren und gegen das System des »Globo-Homo« in Bewegung zu setzen.
9. |
Einige weiterblickende Köpfe innerhalb der deutschen Rechten sind sich im klaren, daß die Herrschaft des »Globo-Homo« und die Politik der universalen Entgrenzung nur überwunden werden können, wenn es uns gelingt, ein grundlegend anderes Weltverhältnis zu entwickeln, das nicht von Hybris und Machbarkeitsglauben, sondern von der Sorge um Bestände bestimmt ist.
Die Umrisse eines solchen Weltverhältnisses wären grob gefaßt: ein Denken, das sich in höhere (göttlich gespendete) Zusammenhänge einbettet, statt die umfassende Verfügung des Subjekts zu reklamieren; das bereit ist, das Mitgegebene, Bedingende anzunehmen, statt die objektiv vorhandene Realität verflüssigen und kritisch zergliedern zu wollen, um sich emanzipatorisch selbst zu entwerfen; eine Lebenseinstellung, die den Wert der Begrenztheit anerkennt, statt der Maßlosigkeit im Namen des »trans« zu erliegen; eine Geisteshaltung, die sich auf den Ort, die Landschaft, die territorial begrenzten Einheiten rückbesinnt; die in der Welt heimisch zu werden begehrt, statt die Welt auszuspähen und sich ihr zu bemächtigen; die die Unzulänglichkeit des Menschen als endliches Mängelwesen akzeptiert, welcher eines stabilisierenden Institutionenbestandes bedarf, der ihn vor seiner unkontrollierten, in die Katastrophe führenden Produktivität beschützt.
Doch wie Spengler festgestellt hat, ist die abendländische Kultur bereits in ihren Urkeimen von einem Hang zum Grenzenlosen beherrscht, das in tendenziell heimatlosen Räumen schwebt. Nicht von ungefähr ist ihr Ursymbol der unendliche Raum, der das jede stoffliche Faßbarkeit überschreitende, sich nach dem Fernsten sehnende Gepräge einer faustischen Kulturentwicklung bestimmt.
Ruhelos drängt sie darauf hin, alles sinnlich Greifbare und Körperliche, materiell Begrenzte, stofflich Schwere, raumzeitlich Begrenzte zu überwinden, sich von den Fesseln aller äußeren Einflüsse loszureißen. Insofern entspricht die Verflüssigung der Völker, Rassen und Geschlechter, zuletzt der Gattung Mensch überhaupt nur dem Gesetz, nach dem die abendländische Kulturentwicklung angetreten ist. Der abendländische Mensch ist im Begriff, von der Dynamik seines eigenen Weltverhältnisses verschlungen zu werden.
Sämtliche Appelle, Maß zu halten oder Bestände zu respektieren, müssen fruchtlos bleiben, solange wir im reinen Modus der faustischen Kulturentwicklung verbleiben. Ein grundlegend anderes Weltverhältnis ist somit nur vorstellbar, wenn wir den Bezugsrahmen der abendländischen Kulturentwicklung ein Stück weit verlassen. Indem wir gemeinsame Sache mit neuen Bevölkerungssegmenten machen, die die Grenzenlosigkeit des abendländischen Weltverhältnisses allenfalls äußerlich adaptiert haben, ohne ihr innerlich verbunden zu sein, könnte es möglich werden, aus dem Abendland eine neue Kulturgestalt hervorzutreiben: Eine solche würde das Beste des abendländischen Geistes bewahren, aber in neue Formen gießen, die seine weltzerstörenden, menschheitsüberwindenden Aspekte neutralisieren.
10. |
Wie Spengler, aber auch de Benoist betont, sind es die großen Krisen und geschichtlichen Prüfungen, die die Völker hervorbringen, und nicht umgekehrt: Nicht primär Abstammung und Sprache formen ein Volk, sondern kollektiv bestandene Herausforderungen und Unternehmungen; in diesen bildet sich zuallererst die Überzeugung, daß die nun zusammengeführten, anfangs disparaten Komponenten die Kraft besitzen, sich gemeinsam in der Welt zu behaupten: Handlungsmächtige Gemeinschaften entstehen, indem sich Segmente verschiedener Herkunft hinter einem Anführer versammeln, gemeinsam einen Krieg, eine Wanderung oder eine Schlacht bestehen, eine existentielle Krise durchschreiten.
Ein Volk konstituiert sich, wenn Menschen zu einem gemeinsamen Selbstbewußtsein, einer gemeinsamen Seelenerfahrung, einem Erlebnis des Wir erwachen. Aus dem gemeinsamen Schicksalskampf bildet sich die Volkseinheit. So stellt sich uns die Frage, ob gerade aus den gewaltigen Bedrängnissen unserer Zeit eine neue Vergemeinschaftung erwachsen, ob aus der Auseinandersetzung mit dem Transhumanismus, der den Menschen in seiner Essenz als Gattungswesen angreift, eine neue politische, behauptungswillige Einheit hervorgehen kann; und ob gerade im Widerstand gegen den »Great Reset«, mit dem die Globalisten versuchen, alle identitätsstiftenden Verhältnisse einzudampfen und uns zu Objekten eines globalen Bevölkerungsmanagements zuzurichten, ein neues handlungsmächtiges Wir sich formieren und herausbilden wird.