Zehn Thesen zur Lage der deutschen Rechten

von Simon Kießling -- PDF der Druckfassung aus Sezession 120/ Juni 2024

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1.

Eine poli­ti­sche Rech­te, die lang­fris­tig erfolg­reich sein will, muß sich fra­gen, wie es den Grü­nen gelin­gen konn­te, den poli­ti­schen Pro­zeß in Deutsch­land seit der Jahr­tau­send­wen­de nahe­zu voll­stän­dig zu beherrschen.

Sie set­zen die The­men, sie geben den Takt der öffent­lich-media­len Dis­kur­se vor, sie trei­ben die ande­ren Par­tei­en vor sich her, sie set­zen ihre Agen­da Schritt für Schritt in die Wirk­lich­keit um; ob Migra­ti­on, Ener­gie­wen­de, Gen­der-Spra­che, Homo-Ehe oder Selbst­be­stim­mungs­ge­setz – sie regie­ren das Land, auch wenn sie bei bun­des­wei­ten Wah­len nur knapp 15 Pro­zent der Wäh­ler­stim­men auf sich vereinen.

Dabei nut­zen die Grü­nen die alt-eta­blier­ten bun­des­re­pu­bli­ka­ni­schen Par­tei­en als klas­si­sche Trans­mis­si­ons­rie­men, denen die Auf­ga­be zuge­dacht ist, anfangs reser­vier­te oder wider­stre­ben­de Seg­men­te der deut­schen Gesell­schaft nach und nach an die grü­ne Agen­da her­an­zu­füh­ren und am Ende poli­tisch-par­la­men­ta­risch einzuspannen.

Zu all dem sind die Grü­nen ­imstan­de, weil sie die ein­zi­ge Par­tei sind, die von einer Idee gelei­tet und ent­schlos­sen ist, die­se Idee gegen alle Wider­stän­de durch­zu­set­zen, auch wenn noch so gro­ße Mehr­hei­ten ihre Vor­stel­lun­gen anfangs ver­la­chen oder ­mei­nen, sie als irr­sin­nig abtun zu können.

Dem­ge­gen­über sind die alt-­eta­blier­ten Par­tei­en längst kei­ne Welt­an­schau­ungs­par­tei­en mehr, son­dern las­sen sich von aller­lei Vor­teils­er­wä­gun­gen, vor allem aber von dem ­Ansin­nen lei­ten, an das groß­städ­tisch-grü­ne Milieu und sei­ne poli­ti­schen Ver­tre­ter Anschluß zu finden.

Die Grü­nen dage­gen schöp­fen nach wie vor aus der ideen­po­li­ti­schen Kraft­quel­le von 1968. Nach den Ideen von 1789 und den Ideen von 1914 sind es heu­te die Ideen von 1968, die den welt­an­schau­li­chen Kampf­platz domi­nie­ren. Die poli­ti­sche Rech­te wird nur dann nach­hal­tig erfolg­reich sein kön­nen, wenn sie selbst eine Idee ent­wi­ckelt, die imstan­de ist, es mit den Ideen von 1968 auf­zu­neh­men; die die Kraft besitzt, Men­schen eben­so stark zu mobi­li­sie­ren, zu emo­tio­na­li­sie­ren und in ihnen die Bereit­schaft zu wecken, not­falls exis­ten­ti­el­le Opfer zu brin­gen, wie die Ideen von 1968; die zuletzt jene Schwer­kraft ent­wi­ckelt, wel­che erfor­der­lich ist, um den Lin­ken die geis­ti­ge Vor­herr­schaft strei­tig zu machen.

 

2.

Das offi­zi­ell aus­ge­ge­be­ne rech­te Ziel, der Erhalt der eth­no­kul­tu­rel­len Iden­ti­tät, wird schwer­lich die not­wen­di­ge Strahl­kraft ent­wi­ckeln, um den Ver­hei­ßun­gen einer uni­ver­sel­len Erneue­rung etwas Gleich­wer­ti­ges ent­ge­gen­zu­set­zen. Denn der blo­ße Wunsch, wei­ter­hin zu exis­tie­ren, ist noch kei­ne Idee, der Daseins­wil­le noch kein Daseins­zweck. Völ­ker ­gedei­hen, wenn sie mit Fra­gen schwan­ger gehen, die noch der Beant­wor­tung har­ren; wenn sie eine Mis­si­on besit­zen, die noch zu erfül­len ihnen eine Not­wen­dig­keit ist; wenn sie Poten­tia­le in sich tra­gen, die noch geho­ben wer­den müs­sen. Selbst wenn es gelän­ge, eine Remi­gra­ti­on im gro­ßen Sti­le durch­zu­set­zen, und wir am Ende wie­der »unter uns« wären, wäre die Fra­ge noch nicht beant­wor­tet, was wir in einem sol­chen Fal­le mit uns ­anfan­gen soll­ten; wel­che (welt-)geschichtliche Rele­vanz wir für uns vor­ge­se­hen haben.

Eben­so unbe­frie­di­gend ist die Tat­sa­che, daß das Ziel des Erhalts der eth­no­kul­tu­rel­len Iden­ti­tät bewußt reduk­tio­nis­tisch for­mu­liert ist, damit die unter­schied­li­chen Strö­mun­gen des rech­ten Lagers von Liber­tä­ren bis Sozi­al­pa­trio­ten sich hin­ter ihm ver­sam­meln kön­nen. Jedoch: Die gro­ßen Auf­brü­che der Geschich­te, ob sie uns gefal­len oder nicht, haben sich stets durch eines aus­ge­zeich­net: Auch wenn die eige­nen Anfän­ge noch so beschei­den waren und es anfangs nicht mehr als die sechs Unter­zeich­ner der »For­de­run­gen der kom­mu­nis­ti­schen Par­tei in Deutsch­land« (1848), die ­sie­ben Mann der NSDAP, die zwölf Jün­ger Jesu oder die 500 Män­ner der ­Renais­sance waren, von denen Nietz­sche spricht – stets tra­ten sie vor die Welt und ver­kün­de­ten: Dies ist unser Pro­gramm, unser Glau­be, und nun wol­len wir ver­su­chen, die Welt dafür zu gewin­nen, auch wenn sie uns noch so abwei­send und schein­bar über­mäch­tig begeg­net. Die eige­ne Idee von vorn­her­ein tak­tisch zurecht­zu­stut­zen und reduk­tio­nis­tisch zu begra­di­gen scheint dem­ge­gen­über kein erfolg­ver­spre­chen­der Ansatz zu sein; gro­ße Zie­le las­sen sich nicht errei­chen, wenn wir von vorn­her­ein nur einen kleins­ten gemein­sa­men Nen­ner formulieren.

 

3.

Daß die poli­ti­sche Rech­te in Deutsch­land die Kon­ser­va­ti­ve Revo­lu­ti­on für sich wie­der­ent­deckt, kommt nicht von unge­fähr. Die­se ­Renais­sance rührt nicht nur aus der intel­lek­tu­el­len Bril­lanz und poli­ti­schen Weit­sicht ihrer Autoren; sie ent­springt auch einem Gespür dafür, daß die geschicht­li­che Situa­ti­on, in der die KR agier­te, mit unse­rer eige­nen Lage auf erstaun­li­che Wei­se kor­re­spon­diert. Denn die Initi­al­zün­dung der Kon­ser­va­ti­ven Revo­lu­ti­on war der Zusam­men­bruch des Zwei­ten Kai­ser­rei­ches, in dem jeden­falls eine gro­ße Mehr­heit der Kon­ser­va­ti­ven sich hei­misch gefühlt hatte.

Die ers­te Reak­ti­on auf das trau­ma­tisch emp­fun­de­ne Ereig­nis der Novem­ber­re­vo­lu­ti­on war inso­fern nur natür­lich: Die Mon­ar­chie wird restau­riert, der Kai­ser oder einer sei­ner Söh­ne kom­men wie­der auf den Thron, und die Zeit der natio­na­len Demü­ti­gung, der Ohn­macht und der Unord­nung ist vor­bei. Die kon­ser­va­ti­ven Revo­lu­tio­nä­re aber erkann­ten, daß die­ser Ansatz kei­ne Per­spek­ti­ve hat­te und das Ziel nicht dar­in bestehen durf­te, Vor­ge­fal­le­nes unge­sche­hen zu machen und Altes wie­der­her­zu­stel­len; daß es statt des­sen not tat, von den neu­en Rea­li­tä­ten aus­zu­ge­hen, um aus ihnen ord­nen­de Struk­tur her­vor­zu­trei­ben und das Leben neu zu binden.

Heu­te befin­den wir uns in einer geschicht­li­chen Situa­ti­on, in der nicht nur die Homo­ge­ni­tät der Völ­ker zer­stört, son­dern die gesam­te Lebens­welt des euro­päi­schen Men­schen ange­grif­fen wird. Nicht weni­ge von uns ver­zwei­feln dar­an, mit anse­hen zu müs­sen, wie alles, was uns lieb und teu­er ist, vor­ge­führt und ver­ächt­lich gemacht wird. Auch heu­te ist die ers­te Reak­ti­on auf die­se Ent­wick­lun­gen nur natür­lich: Die Zuwan­de­rer schi­cken wir nach Hau­se, die Gen­der-Fakul­tä­ten schlie­ßen wir zu, die Regen­bo­gen­fah­nen mot­ten wir ein – und der »Wahn­sinn der Mas­sen« (Dou­glas Mur­ray) ist überwunden.

Doch ist die­ser Ansatz ohne Per­spek­ti­ve, weil zu undia­lek­tisch ein­fach gedacht. Statt des­sen gilt es, mit den rea­len Gege­ben­hei­ten der mul­ti­eth­ni­schen Gesell­schaft zu arbei­ten. Wir haben nicht nur Altes zu ver­tei­di­gen, son­dern die über­lie­fer­te Sub­stanz dadurch auf­zu­be­wah­ren, daß wir sie in Neu­es, dau­er­haft Trag­fä­hi­ges ein­pas­sen. Um über­haupt bei uns selbst blei­ben zu kön­nen, sind wir gefor­dert, nicht nur Ent­ge­gen­kom­men ein­zu­for­dern, son­dern auch vom eige­nen Wesen ein Stück weit preis­zu­ge­ben und zu las­sen. Gera­de indem wir uns bereit­fin­den, mit den ein­ge­ström­ten vita­len Ener­gien Alli­an­zen und Syn­the­sen zu bil­den, könn­ten uns neue, ver­lo­ren­ge­gan­ge­ne Momen­te der Selbst­be­haup­tung und Selbst­be­ja­hung zuwachsen.

 

4.

Eine in rech­ten Krei­sen bis­wei­len zu hören­de Auf­fas­sung besagt, die mil­lio­nen­fa­che Zuwan­de­rung sei am Ende gar nicht so schlimm. Denn sobald die Mit­tel des Sozi­al­staa­tes erschöpft sei­en und der Staat die Fähig­keit ver­lie­re, sozia­le Wohl­ta­ten bereit­zu­stel­len, wür­den die Migran­ten wei­ter­zie­hen. Doch die­se Auf­fas­sung, die den Migran­ten rein mate­ri­el­le Moti­ve unter­stellt, sagt weni­ger etwas über die Zuwan­de­rer selbst als über die­je­ni­gen aus, die sie ver­tre­ten, das heißt: denen nach drei Gene­ra­tio­nen Kon­sum­ge­sell­schaft und Wohl­stands­ver­wahr­lo­sung das Den­ken in mate­ri­el­len Kate­go­rien in Fleisch und Blut über­ge­gan­gen ist.

In Wirk­lich­keit ­haben die Migran­ten viel ursprüng­li­che­re, archai­sche­re Moti­ve als die ­ihnen unter­stell­ten: die Selbst­be­stä­ti­gung, die in der Erfah­rung liegt, sich einer weich gewor­de­nen Urbe­völ­ke­rung auf­zwin­gen zu kön­nen; die Lust am Beu­te­ma­chen und das Hoch­ge­fühl der eige­nen phy­si­schen Über­le­gen­heit über die eff­emi­nier­ten indi­ge­nen Män­ner; die ich- und kollektiv­stärkende Erfah­rung einer Land­nah­me, die Stra­ße für Stra­ße, Vier­tel für Vier­tel, Stadt für Stadt voranschreitet.

Neh­men wir einen vogel­per­spek­ti­vi­schen Beob­ach­ter an, der die Sze­ne­rie in Deutsch­land betrach­tet, so wird die­ser zwei Seg­men­te von­ein­an­der unter­schei­den kön­nen: ein auto­chtho­nes Seg­ment, das jeden Tag klei­ner, wei­cher, schwä­cher, pas­si­ver und an sich sel­ber irre wird, und ein migran­ti­sches Seg­ment, das jeden Tag grö­ßer, dyna­mi­scher, selbst­be­wuß­ter und durch­set­zungs­wil­li­ger wird; wenn die­se Seg­men­te in einen schar­fen ­Gegen­satz tre­ten und es am Ende »wir oder die« hei­ßen soll, liegt es auf der Hand, wel­ches die­ser Seg­men­te eines Tages das ande­re ver­drän­gen wird. Die ­Alter­na­ti­ve dazu wäre der Ver­such, die an einer neu­en Gemein­sam­keit inter­es­sier­ten indi­ge­nen und migran­ti­schen Seg­men­te ­zusam­men­zu­füh­ren und gleich­zei­tig die rein destruk­ti­ven, res­sen­ti­ment­ge­lei­te­ten Ele­men­te auf auto­chtho­ner und migran­ti­scher Sei­te von jeder maß­geb­li­chen Ein­fluß­nah­me auf den poli­ti­schen Pro­zeß fernzuhalten.

 

5.

Ent­schie­den zu wider­spre­chen ist der Vor­stel­lung, für die deut­sche Rech­te sei­en allen­falls Seg­men­te der »assi­mi­lier­ten« oder »inte­grier­ten« Zuwan­de­rer inter­es­sant. Denn was heißt de fac­to Assi­mi­la­ti­on in die bun­des­re­pu­bli­ka­ni­sche Wirk­lich­keit, wie sie sich uns heu­te dar­stellt? ­Assi­mi­liert ist ein Migrant, wenn er ver­stan­den hat, daß das Wort »deutsch« stets mit einer gewis­sen Abschät­zig­keit aus­zu­spre­chen ist; wenn er nach Mög­lich­keit kin­der­los bleibt und damit demons­triert, daß er an die eman­zi­pa­to­risch-pro­gres­si­ven Lebens­sti­le sei­nes Ziel­lan­des Anschluß ­gefun­den hat; wenn er sich dazu bekennt, daß der Holo­caust nicht einen Teil der deut­schen Geschich­te, son­dern die Essenz der deut­schen Iden­ti­tät dar­stellt; wenn er die Regen­bo­gen­fah­ne schwenkt, den Chris­to­pher Street Day besucht und dadurch beweist, daß er den alt­mo­di­schen Sit­ten sei­nes Her­kunfts­mi­lieus ent­wach­sen ist. Assi­mi­la­ti­on bedeu­tet inso­fern nichts ande­res, als noch mehr von dem her­aus­zu­bil­den, wor­an das Land schon heu­te krankt. Denn iden­ti­täts­ge­stör­te und ‑ver­stör­te Men­schen haben wir selbst bereits über die Maßen genug.

 

6.

Wer heu­te nach dem wirk­sa­men Schutz der Gren­zen zur Ein­däm­mung der unge­re­gel­ten Zuwan­de­rung ruft, muß in Wirk­lich­keit zuerst eine geis­tig-mora­li­sche Fra­ge beant­wor­ten. Er muß dar­an arbei­ten, über­haupt wie­der eine Den­kungs­art zu eta­blie­ren, die die Errich­tung von Gren­zen im öffent­li­chen Dis­kurs mora­lisch ver­tret­bar macht. Dies ist nicht der Fall, solan­ge der radi­ka­le, sub­jek­ti­vis­tisch unter­leg­te Huma­ni­ta­ris­mus vor­herrscht, der sei­nem Wesen nach dazu führt, daß jeder Ruf nach Öff­nung einer Gren­ze, nach Über­schrei­tung des Vor­ge­fun­de­nen auf Bei­fall stößt, wäh­rend umge­kehrt jede Abgren­zung als bös­ar­tig, jede Aner­ken­nung einer Bedingt­heit als men­schen­feind­lich gilt.

Dabei soll­te bedacht wer­den, daß der radi­ka­li­sier­te Huma­ni­ta­ris­mus ein geschicht­li­ches Zer­falls­pro­dukt dar­stellt: Denn erst, wenn im Lau­fe eines lan­gen geschicht­li­chen Pro­zes­ses die Sub­stanz der Stän­de, Klas­sen, Völ­ker und Geschlech­ter zer­rie­ben wor­den ist, bleibt das rei­ne Sub­jekt, der nack­te, blo­ße Mensch zurück, der den Huma­ni­ta­ris­mus speist.

Wer nun glaubt, eine ein­mal real oder welt­an­schau­lich ent­kräf­te­te Sub­stanz vom Volk bis zur Reli­gi­on wie­der­her­stel­len zu kön­nen, wenn wir nur genü­gend Wil­lens­kraft auf­bräch­ten und aus­rei­chend Akti­vis­mus an den Tag leg­ten, gibt sich Illu­sio­nen hin. Bestän­de, die der Pro­zeß der Geschich­te ein­mal ver­braucht oder ent­weiht hat, las­sen sich nicht künst­lich-vol­un­t­a­ris­tisch wie­der in Kraft und Gel­tung set­zen. Sub­stanz, die es über­haupt wie­der gerecht­fer­tigt erschei­nen läßt, zwi­schen dem Eige­nen und dem Frem­den Gren­zen auf­zu­rich­ten, kann nicht wie­der­be­lebt, son­dern muß neu auf­ge­baut werden.

Sie kann nur ent­ste­hen, wenn wir ererb­te Bestän­de mit neu­en Ener­gien ver­bin­den, eine neue kol­lek­ti­ve Sub­stanz amal­ga­mie­ren. Dem­ge­gen­über ist die Remi­gra­ti­on ein all­zu ein­fa­ches Rezept: Die Migran­ten sind gekom­men, und nun beför­dern wir sie wie­der hin­aus. Man braucht kein Dia­lek­ti­ker zu sein, um zu erken­nen, daß die Geschich­te es uns gar so ein­fach nicht machen und uns intel­lek­tu­ell ein wenig mehr abver­lan­gen wird.

 

7.

Die dio­ny­si­sche Lin­ke der 1960er Jah­re durf­te in ihren Glanz­zei­ten anneh­men, daß ihr neu­er, indi­vi­dua­lis­tisch-hedo­nis­ti­scher Lebens­stil einen mensch­heits­ge­schicht­li­chen Durch­bruch bedeu­te: eine Errun­gen­schaft, die von nun an bis in alle Zeit das Geprä­ge mensch­li­cher Ver­ge­sell­schaf­tung bestim­men wer­de. Heu­te aber zeigt sich, daß die sexu­el­le Revo­lu­ti­on, der Femi­nis­mus, die Fei­er der Devi­anz und die Ver­flüs­si­gung der Geschlech­ter nur äußerst kurz­le­bi­ge geschicht­li­che Über­gangs­phä­no­me­ne sind. Wer heu­te aus der Gene­ra­ti­on der 68er noch lebt und sei­ne Augen nicht ver­schließt, kann im Alter erken­nen, wie die Kohor­ten bereit­ste­hen, die dem gro­ßen Expe­ri­ment ein Ende set­zen werden.

Der indi­vi­dua­lis­tisch-hedo­nis­ti­sche Lebens­stil schau­felt sich das eige­ne Grab, indem er das Land demo­gra­phisch ent­leert. An die Stel­le der aus­ster­ben­den Indi­vi­dua­lis­ten rücken neue Bevöl­ke­rungs­seg­men­te, die die sich lee­ren­den Land­schaf­ten fül­len. Zu Mil­lio­nen drin­gen jun­ge Män­ner in die nicht mehr bespiel­ten Räu­me ein. Zumin­dest teil­wei­se wer­den sie (mit uns oder gegen uns) dafür sor­gen, daß der hedo­nis­ti­sche Lebens­stil ein­ge­dämmt und die Grund­la­gen von Männ­lich­keit und Weib­lich­keit, Sexua­li­tät und Zeu­gung, Eltern­schaft und Fami­li­en­sinn wie­der in ihr Recht gesetzt werden.

 

8.

Ohne über­mä­ßig mili­tä­risch wir­ken zu wol­len, kann es bis­wei­len hilf­reich sein, das tak­ti­sche und stra­te­gi­sche Den­ken aus der Sphä­re des Mili­tä­ri­schen auf den Bereich der poli­ti­schen Aus­ein­an­der­set­zung zu über­tra­gen. In mili­tä­ri­sche Kate­go­rien gefaßt, gleicht der klas­sisch iden­ti­tä­re Ansatz (die aktu­el­le rech­te Poli­tik) dem Ver­such, sich in offe­ner Feld­schlacht, auf frei­er Ebe­ne, ohne Deckung oder schwe­re Waf­fen einem über­mäch­ti­gen, bis an die Zäh­ne bewaff­ne­ten Feind entgegenzustellen.

Dies mag hero­isch und aller Ehren wert sein, ist für den Geg­ner aber ver­gleichs­wei­se ein­fach ein­zu­schät­zen, unter Ein­satz erprob­ter Mit­tel rela­tiv leicht abzu­weh­ren und bei Bedarf aus dem Spiel zu neh­men: Der klas­sisch iden­ti­tä­re Ansatz meint, den Feind fron­tal ange­hen zu kön­nen, ohne tak­tisch agie­ren zu müs­sen, also: den Schutz des Gelän­des zu nut­zen, Ver­wir­rung in den feind­li­chen Rei­hen zu stif­ten, elas­tisch und anpas­sungs­fä­hig vorzugehen.

Die Fra­ge ist, ob es nicht mög­lich wäre, etwa die (Migrations-)Waffe, die der Glo­ba­lis­mus gegen uns mobi­li­siert, umzu­keh­ren und gegen den Feind in Stel­lung zu brin­gen; ob es nicht vor­stell­bar wäre, den Glo­ba­lis­ten die eige­ne Melo­die vor­zu­spie­len und die Ver­hält­nis­se auf eine Wei­se zum Tan­zen zu brin­gen, die sie sich nicht vor­ge­stellt haben, will sagen: die kon­ser­va­ti­ven Hal­tun­gen und tra­di­tio­na­len Ein­stel­lun­gen der Migran­ten poli­tisch zu mobi­li­sie­ren und gegen das Sys­tem des »Glo­bo-Homo« in Bewe­gung zu setzen.

 

9.

Eini­ge wei­ter­bli­cken­de Köp­fe inner­halb der deut­schen Rech­ten sind sich im kla­ren, daß die Herr­schaft des »Glo­bo-Homo« und die Poli­tik der uni­ver­sa­len Ent­gren­zung nur über­wun­den wer­den kön­nen, wenn es uns gelingt, ein grund­le­gend ande­res Welt­ver­hält­nis zu ent­wi­ckeln, das nicht von Hybris und Mach­bar­keits­glau­ben, son­dern von der Sor­ge um Bestän­de bestimmt ist.

Die Umris­se eines sol­chen Welt­ver­hält­nis­ses wären grob gefaßt: ein Den­ken, das sich in höhe­re (gött­lich gespen­de­te) Zusam­men­hän­ge ein­bet­tet, statt die umfas­sen­de Ver­fü­gung des Sub­jekts zu rekla­mie­ren; das bereit ist, das Mit­ge­ge­be­ne, Bedin­gen­de anzu­neh­men, statt die objek­tiv vor­han­de­ne Rea­li­tät ver­flüs­si­gen und kri­tisch zer­glie­dern zu wol­len, um sich eman­zi­pa­to­risch selbst zu ent­wer­fen; eine Lebens­ein­stel­lung, die den Wert der Begrenzt­heit aner­kennt, statt der Maß­lo­sig­keit im Namen des »trans« zu erlie­gen; eine Geis­tes­hal­tung, die sich auf den Ort, die Land­schaft, die ter­ri­to­ri­al begrenz­ten Ein­hei­ten rück­be­sinnt; die in der Welt hei­misch zu wer­den begehrt, statt die Welt aus­zu­spä­hen und sich ihr zu bemäch­ti­gen; die die Unzu­läng­lich­keit des Men­schen als end­li­ches Män­gel­we­sen akzep­tiert, wel­cher eines sta­bi­li­sie­ren­den Insti­tu­tio­nen­be­stan­des bedarf, der ihn vor sei­ner unkon­trol­lier­ten, in die Kata­stro­phe füh­ren­den Pro­duk­ti­vi­tät beschützt.

Doch wie Speng­ler fest­ge­stellt hat, ist die abend­län­di­sche Kul­tur bereits in ihren Urkei­men von einem Hang zum Gren­zen­lo­sen beherrscht, das in ten­den­zi­ell hei­mat­lo­sen Räu­men schwebt. Nicht von unge­fähr ist ihr Ursym­bol der unend­li­che Raum, der das jede stoff­li­che Faß­bar­keit über­schrei­ten­de, sich nach dem Ferns­ten seh­nen­de Geprä­ge einer faus­ti­schen Kul­tur­ent­wick­lung bestimmt.

Ruhe­los drängt sie dar­auf hin, alles sinn­lich Greif­ba­re und Kör­per­li­che, mate­ri­ell Begrenz­te, stoff­lich Schwe­re, raum­zeit­lich Begrenz­te zu über­win­den, sich von den Fes­seln aller äuße­ren Ein­flüs­se los­zu­rei­ßen. Inso­fern ent­spricht die Ver­flüs­si­gung der Völ­ker, Ras­sen und Geschlech­ter, zuletzt der Gat­tung Mensch über­haupt nur dem Gesetz, nach dem die abend­län­di­sche Kul­tur­ent­wick­lung ange­tre­ten ist. Der abend­län­di­sche Mensch ist im Begriff, von der Dyna­mik sei­nes eige­nen Welt­ver­hält­nis­ses ver­schlun­gen zu werden.

Sämt­li­che Appel­le, Maß zu hal­ten oder Bestän­de zu respek­tie­ren, müs­sen frucht­los blei­ben, solan­ge wir im rei­nen Modus der faus­ti­schen Kultur­entwicklung ver­blei­ben. Ein grund­le­gend ande­res Welt­ver­hält­nis ist somit nur vor­stell­bar, wenn wir den Bezugs­rah­men der abend­län­di­schen Kultur­entwicklung ein Stück weit ver­las­sen. Indem wir gemein­sa­me Sache mit neu­en Bevöl­ke­rungs­seg­men­ten machen, die die Gren­zen­lo­sig­keit des abend­län­di­schen Welt­ver­hält­nis­ses allen­falls äußer­lich adap­tiert haben, ohne ihr inner­lich ver­bun­den zu sein, könn­te es mög­lich wer­den, aus dem Abend­land eine neue Kul­tur­ge­stalt her­vor­zu­trei­ben: Eine sol­che wür­de das Bes­te des abend­län­di­schen Geis­tes bewah­ren, aber in neue For­men gie­ßen, die sei­ne welt­zer­stö­ren­den, mensch­heits­über­win­den­den Aspek­te neutralisieren.

 

10.

Wie Speng­ler, aber auch de Benoist betont, sind es die gro­ßen Kri­sen und geschicht­li­chen Prü­fun­gen, die die Völ­ker her­vor­brin­gen, und nicht umge­kehrt: Nicht pri­mär Abstam­mung und Spra­che for­men ein Volk, son­dern kol­lek­tiv bestan­de­ne Her­aus­for­de­run­gen und Unter­neh­mun­gen; in die­sen bil­det sich zual­ler­erst die Über­zeu­gung, daß die nun zusam­men­ge­führ­ten, anfangs dis­pa­ra­ten Kom­po­nen­ten die Kraft besit­zen, sich gemein­sam in der Welt zu behaup­ten: Hand­lungs­mäch­ti­ge Gemein­schaf­ten ent­ste­hen, indem sich Seg­men­te ver­schie­de­ner Her­kunft hin­ter einem Anfüh­rer ver­sam­meln, gemein­sam einen Krieg, eine Wan­de­rung oder eine Schlacht bestehen, eine exis­ten­ti­el­le Kri­se durchschreiten.

Ein Volk kon­sti­tu­iert sich, wenn Men­schen zu einem gemein­sa­men Selbst­be­wußt­sein, einer gemein­sa­men See­l­e­n­er­fah­rung, einem Erleb­nis des Wir erwa­chen. Aus dem gemein­sa­men Schick­sals­kampf bil­det sich die Volks­ein­heit. So stellt sich uns die Fra­ge, ob gera­de aus den gewal­ti­gen Bedräng­nis­sen unse­rer Zeit eine neue Ver­ge­mein­schaf­tung erwach­sen, ob aus der Aus­ein­an­der­set­zung mit dem Trans­hu­ma­nis­mus, der den Men­schen in sei­ner Essenz als ­Gat­tungs­we­sen angreift, eine neue poli­ti­sche, behaup­tungs­wil­li­ge Ein­heit her­vor­ge­hen kann; und ob gera­de im Wider­stand gegen den »Gre­at Reset«, mit dem die Glo­ba­lis­ten ver­su­chen, alle iden­ti­täts­stif­ten­den Ver­hält­nis­se ein­zu­damp­fen und uns zu Objek­ten eines glo­ba­len Bevöl­ke­rungs­ma­nage­ments zuzu­rich­ten, ein neu­es hand­lungs­mäch­ti­ges Wir sich for­mie­ren und her­aus­bil­den wird.

 

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