Thomas Müntzers Fürstenpredigt

von Erik Lommatzsch -- PDF der Druckfassung aus Sezession 120/ Juni 2024

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Die Herr­schaf­ten hät­ten wis­sen kön­nen, was da auf sie zukommt. Als ­Tho­mas Münt­zer am 13. Juli 1524 auf Schloß All­stedt vor Her­zog Johann von Sach­sen, des­sen Sohn und einem klei­nen Gefol­ge über die »Aus­le­gung des andern Unter­schieds Danie­lis, des Pro­phe­ten« pre­dig­te, waren die scharf kon­tu­rier­ten Posi­tio­nen des Refor­ma­tors längst bekannt.

Schon vor sei­nen nach­ma­lig als Fürs­ten­pre­digt bezeich­ne­ten Aus­füh­run­gen, die deut­lich die Gren­ze vom rein theo­lo­gisch Refle­xi­ven zum prak­tisch Hand­lungs­lei­ten­den über­schrit­ten, hat­te Münt­zer an höchs­ter Stel­le ent­spre­chend plädiert.

So hat­te er bereits am 4. Okto­ber 1523 in einem Schrei­ben an Kur­fürst Fried­rich den Wei­sen, den Bru­der Her­zog Johanns, erklärt: »Wenn man es gel­ten läßt, daß das Evan­ge­li­um mit mensch­li­chen Gebo­ten auf­ge­hal­ten wird […] und man dabei die Wor­te des Man­dats nicht förm­lich exse­quie­ren wird, so wird man das Volk irre­ma­chen, das die Fürs­ten mehr lie­ben als fürch­ten soll […]. Die Fürs­ten sind den From­men nicht erschreck­lich. Und wenn sich das ändert, so wird ihnen das Schwert genom­men und dem inbrüns­ti­gen Volk zum Unter­gang der Gott­lo­sen gege­ben werden«.

Der Gedan­ke der Volks­sou­ve­rä­ni­tät klingt hier an, vor allem aber: Erfüllt die Obrig­keit ihre – für Münt­zer biblisch-heils­ge­schicht­lich begrün­de­ten – Auf­ga­ben nicht, so hat sie ihre Herr­schafts­le­gi­ti­ma­ti­on ver­lo­ren. Er for­mu­lier­te schließ­lich nicht nur ein Wider­stands­recht, son­dern dar­über hin­aus eine Wider­stands­pflicht. Umfas­send führ­te er sei­ne Gedan­ken in der Fürs­ten­pre­digt aus. Der Refor­ma­tor war zum Revo­lu­tio­när gewor­den – und ver­lang­te kom­pro­miß­los, ihm in die­ser Hal­tung zu folgen.

Zwar war über die Recht­mä­ßig­keit des Tyran­nen­mor­des bereits in der Anti­ke dis­ku­tiert wor­den, doch bedeu­te­ten Münt­zers theo­lo­gisch-theo­re­ti­sche Dar­le­gun­gen einen Mark­stein im Rah­men der sich um 1500 voll­zie­hen­den Zei­ten­wen­de. Und er stand mit der Tat für sei­ne For­de­run­gen ein. Folgt man dem His­to­ri­ker Eike Wol­gast, so »spreng­te« Münt­zers Obrig­keits- und Wider­stands­leh­re »alle übli­chen Vor­stel­lun­gen, weil sie nicht mehr von vor­find­li­chen Rechts­zu­stän­den aus­ging.« Dar­in sei ihr »sin­gu­lä­rer Platz im umfang­rei­chen Geflecht poli­tisch-reli­giö­ser Wider­stands­leh­ren in der frü­hen Neu­zeit begründet«.

Über die ers­ten drei­ßig Jah­re von Münt­zers Lebens lie­gen nur spär­lich Infor­ma­tio­nen vor, oft kaum mehr als die ört­li­chen, häu­fig wech­seln­den Sta­tio­nen. Gebo­ren wur­de er um 1490 in Stol­berg im Harz, er stu­dier­te in Leip­zig und Frank­furt (Oder). In Hal­le soll er, nach einer spä­te­ren Aus­sa­ge unter der Fol­ter kurz vor sei­nem Tod, ein »Ver­bünd­nis« gegen den Mag­de­bur­ger Erz­bi­schof initi­iert haben, eine Ange­le­gen­heit, die unge­klärt geblie­ben ist. Nach der Pries­ter­wei­he bekam er 1514 eine Altar­pfrün­de in Braun­schweig. In Wit­ten­berg hielt er sich zeit­wei­se auf. Mög­li­cher­wei­se war er auch 1519 bei der Leip­zi­ger Dis­pu­ta­ti­on zwi­schen Mar­tin Luther und Karl­stadt einer­seits sowie Joan­nes Eck ande­rer­seits zugegen.

Wie eng sein Ver­hält­nis zu Luther war, muß offen­blei­ben, doch sprach er ihn noch 1523 mit »auf­rich­ti­ger Vater« an. Der Wech­sel zu einer bei­der­sei­ti­gen tie­fen Feind­schaft muß recht abrupt erfolgt sein. Zunächst emp­fahl Luther Münt­zer für Pre­di­ger­stel­len, etwa für eine Ver­tre­tung in Jüter­bog. Hier lie­gen erst­mals gesi­cher­te Zeug­nis­se über die Art von Münt­zers Wir­ken vor. Er pre­dig­te gegen die geist­li­che Gewalt des Paps­tes und griff das Geba­ren des Kle­rus an. Sei­ne Aus­füh­run­gen gin­gen in ihren Fol­ge­run­gen bereits wei­ter als Luther und des­sen Wit­ten­ber­ger Umfeld.

Münt­zer, der, was für sei­ne Zeit eher sel­ten war, neben Latein auch Alt­grie­chisch und Hebrä­isch beherrsch­te, beschäf­tig­te sich inten­siv mit anti­ken Autoren, den Kir­chen­vä­tern und den Schrif­ten der Mys­ti­ker. 1520 erhielt er eine Pre­di­ger­stel­le in Zwi­ckau, womit er nun in einer bedeu­ten­den Stadt­ge­mein­de wirk­sam wer­den konn­te. Nach Ver­wer­fun­gen ging er nach Böh­men, schließ­lich nach Prag. Münt­zer bezeich­ne­te sich jetzt zuneh­mend selbst als »Knecht der Aus­er­wähl­ten Got­tes«, das Apo­ka­lyp­ti­sche sah er in sei­ner Gegen­wart. In sei­nem Pra­ger Mani­fest von 1521 beklag­te er, »daß die unbe­fleck­te, jung­fräu­li­che Kir­che bald nach dem Tode der Apos­tel­schü­ler von den ver­füh­re­ri­schen Pfaf­fen zu einer Hure gemacht wor­den ist.«

Dage­gen woll­te er ange­hen: »Ich habe mei­ne Sichel scharf gemacht, denn mei­ne Gedan­ken sind hef­tig auf die Wahr­heit«. Gerich­tet an die Böh­men, erklär­te er, wider die »Fein­de des Glau­bens zu fech­ten« und sie »zu Schan­den« machen zu wol­len, »denn in eurem Lan­de wird die neue apos­to­li­sche Kir­che ange­hen, danach über­all«. Damit war der refor­ma­to­ri­sche Anspruch uni­ver­sell. Nach­dem der »rech­te per­sön­li­che Anti­christ« regiert habe, wer­de Chris­tus »in Kür­ze das Reich die­ser Welt sei­nen Aus­er­wähl­ten« für immer übergeben.

Ende 1521 ver­ließ Münt­zer Prag, eine Pha­se der Wan­der­schaft schloß sich an. Die Selbst­be­zeich­nung »wil­li­ger Boten­läu­fer Got­tes« führ­te er spä­tes­tens seit die­ser Zeit. Ostern 1523 über­nahm er eine Pre­di­ger­stel­le an der Johan­nis­kir­che im kur­säch­si­schen All­stedt. Hier wirk­te Münt­zer bis zu sei­ner Flucht im August 1524. Es dürf­te sich um die ertrag­reichs­te Peri­ode sei­nes Schaf­fens gehan­delt haben. Gleich zu Beginn erfolg­te eine Lit­ur­gie­re­form, das Evan­ge­li­um ver­mit­tel­te er in deut­scher Spra­che. Münt­zers refor­ma­to­ri­sche Bestre­bun­gen zeig­ten sich nicht nur in sei­nen Pre­dig­ten, son­dern etwa auch in der Grün­dung des Bun­des zum Schutz des Evangeliums.

Wei­te­re Ver­ei­ni­gun­gen, ori­en­tiert am alt­tes­ta­men­ta­ri­schen Bun­des­ge­dan­ken, soll­ten ent­ste­hen. Sein Wir­ken stieß auf Wider­stand. Münt­zer fühl­te sich bemü­ßigt, sei­ne Leh­re zu recht­fer­ti­gen, er ver­faß­te die Schrif­ten Von dem gedich­te­ten Glau­ben sowie Pro­te­sta­ti­on oder Ent­bie­tung. Hohe Wel­len schlug die Erstür­mung und Zer­stö­rung der Mal­ler­ba­cher Wall­fahrts­ka­pel­le am Grün­don­ners­tag 1524. Anlaß war das hier prak­ti­zier­te, nach Münt­zer fal­sche Glau­bens­ver­ständ­nis, er selbst war jedoch nicht betei­ligt. Luther warn­te nun vor sei­nem eins­ti­gen Anhän­ger, an die Fürs­ten von Sach­sen ver­faß­te er einen Brief über den »auf­rüh­re­ri­schen Geist«.

Wie es dazu kam, daß Münt­zer am 13. Juli 1524 vor dem Bru­der des Kur­fürs­ten und des­sen Gefol­ge auf Schloß All­stedt pre­dig­te – übri­gens wohl nicht in der Kapel­le, son­dern der Hof­stu­be –, muß wie so vie­les im Leben Münt­zers der Spe­ku­la­ti­on über­las­sen blei­ben. Eine all­ge­mei­ne, nicht aus aktu­el­lem Anlaß kon­zi­pier­te, sys­te­ma­ti­sche Aus­ar­bei­tung sei­ner Theo­lo­gie und der sich dar­aus ablei­ten­den Hand­lungs­ma­xi­men hat er nicht ver­faßt. Stell­ver­tre­tend bie­tet die Fürs­ten­pre­digt ein umfas­sen­des Tableau sei­nes Den­kens, sei­ner Bestre­bun­gen und die Begrün­dung des von ihm pos­tu­lier­ten Widerstandsrechts.

Akri­bisch durch­setzt sind die Dar­le­gun­gen mit Bibel­zi­ta­ten oder Hin­wei­sen auf die ent­spre­chen­den Pas­sa­gen, die ihm als Fun­da­ment sei­ner Argu­men­ta­ti­on dien­ten. Die Fürs­ten­pre­digt ziel­te noch klar dar­auf ab, die von ihm adres­sier­te Obrig­keit für sei­ne refor­ma­to­ri­schen Bestre­bun­gen zu gewin­nen, wobei das Wer­ben eher eine nach­drück­li­che Ermah­nung an ihre Pflicht darstellte.

Zunächst erfolgt ein Blick auf die Lage. Das Ende der gegen­wär­ti­gen Welt, so Münt­zer, ste­he unmit­tel­bar bevor. Der »armen elen­den, zer­fal­len­den Chris­ten­heit« sei »weder zu raten noch zu hel­fen« – ihre Erneue­rung war sein zen­tra­les Anlie­gen. Zwar habe Chris­tus mit den Apos­teln, und hier griff er den Gedan­ken aus dem Pra­ger Mani­fest auf, »wohl eine rech­te rei­ne Chris­ten­heit ange­fan­gen«, aber »die fau­len nach­läs­si­gen Die­ner der­sel­ben Kir­che haben dies […] nicht voll­enden und erhal­ten wol­len. Des­halb haben sie den Scha­den der Gott­lo­sen – das ist das Unkraut – kräf­tig ein­rei­ßen las­sen.« Die Gott­lo­sen ste­hen bei Münt­zer den Aus­er­wähl­ten gegen­über, die er ange­sichts sei­ner apo­ka­lyp­ti­schen Erwar­tun­gen zu sam­meln gedach­te. Die »Gott­lo­sen haben kein Recht zu leben, nur was ihnen die Aus­er­wähl­ten gön­nen wollen«.

Das zwei­te Kapi­tel des alt­tes­ta­ment­li­chen Buches Dani­el leg­te ­Münt­zer sei­ner Pre­digt zugrun­de. Der israe­li­sche Seher Dani­el deu­tet hier den Traum des baby­lo­ni­schen Königs Nebu­kad­ne­zar. Die­ser hat­te eine gro­ße Sta­tue gese­hen, auf die ein Stein »ohne Zutun von Men­schen­hän­den« gefal­len sei. Sie sei völ­lig zer­stört wor­den, die Tei­le waren nicht mehr auf­find­bar. Der Stein sei zu einem gro­ßen Berg gewor­den, der »die gan­ze Welt füllte«.

Dani­el erklärt, daß die Sta­tue, den vier unter­schied­li­chen Mate­ria­li­en zufol­ge, aus denen sie bestand, das baby­lo­ni­sche Reich und drei fol­gen­de Rei­che sym­bo­li­siert habe. Nach dem Unter­gang des letz­ten Rei­ches wer­de »der Gott des Him­mels ein Reich auf­rich­ten, das nim­mer­mehr zer­stört wird«. Aus dem Dani­el-Kapi­tel war die Vier-Rei­che-Leh­re ­ent­stan­den, die Abfol­ge der Welt­rei­che der Baby­lo­ni­er, der Per­ser, der Grie­chen und der Römer.

Die­se bibli­sche Erzäh­lung ist Münt­zers Bild sei­ner Gegen­wart, die er an einem Punkt unmit­tel­bar vor der Zer­stö­rung des letz­ten und dem Anbruch des Rei­ches Got­tes sieht. Zur Bekräf­ti­gung unter­schei­det er, ent­ge­gen der übli­chen Les­art, das Hei­li­ge Römi­sche Reich Deut­scher Nati­on als fünf­tes vom Römi­schen Reich, wobei er sich auf Aus­sa­gen des Buches Dani­el stützt, daß die Füße der Sta­tue im Unter­schied zu den ande­ren Tei­len aus zwei Mate­ria­li­en bestan­den, Eisen und Ton. Der Stein, der die Sta­tue, also die Rei­che zer­schlägt und zum Berg wird, sym­bo­li­siert für Münt­zer ­Chris­tus, der in die See­le der Aus­er­wähl­ten dringt .

Mys­ti­sche Fröm­mig­keit, Träu­me, Gesich­te und Offen­ba­run­gen waren für Münt­zer maß­geb­lich. »Es ist wahr […], daß der Geist Got­tes jetzt vie­len aus­er­wähl­ten und from­men Men­schen offen­bart, daß eine treff­li­che, unüber­wind­li­che zukünf­ti­ge Refor­ma­ti­on drin­gend von­nö­ten ist«. Der gött­li­che Geist ste­he über der Schrift, das Heil erwach­se aus dem Geist, und die­ser sei letzt­lich auch Urhe­ber der Schrift und daher ent­schei­dend. ­Münt­zer setz­te auf eine direk­te Kom­mu­ni­ka­ti­on zwi­schen Gott und Mensch. Pau­lus rede, so Münt­zer in der Pre­digt, »vom inner­li­chen Worte­zuhören in dem Abgrund der See­le durch die Offen­ba­rung Got­tes. Und wel­cher Mensch des­sen nicht gewahr oder emp­fäng­lich gewor­den ist […] der weiß von Gott nichts gründ­lich zu sagen, auch wenn er gleich hun­dert­tau­send Bibeln gefres­sen hätte«.

Nach Münt­zers Ver­ständ­nis gilt es zunächst, die sünd­haf­te Welt im Inne­ren zu über­win­den. Da die bestehen­de äuße­re Welt vom – bis­he­ri­gen – sünd­haf­ten Inne­ren geformt sei, wer­de sie ver­nich­tet, und das Reich Got­tes ent­ste­he. Der neu­en Kon­stel­la­ti­on im Inne­ren fol­ge der poli­ti­sche und sozia­le Umbruch. Münt­zer betont: »Die Furcht Got­tes muß rein sein, ohne alle Men­schen- oder Krea­tu­ren­furcht«. Damit regelt sich auch das Ver­hält­nis zu den Insti­tu­tio­nen neu. In den Wor­ten des Münt­zer-Bio­gra­phen Hans-Jür­gen Goertz: »Die äuße­ren Ord­nun­gen sind nicht objek­tiv gege­be­ne Wesen­hei­ten, sie haben kei­nen onto­lo­gisch begrün­de­ten Sta­tus, son­dern sind das Ergeb­nis von Bezie­hun­gen, die Men­schen zu ihnen ein­ge­hen – eben Verhältnisse.«

Daß sich die Her­auf­kunft des Rei­ches Got­tes in der von ihm ange­nom­me­nen Wei­se voll­zieht, stand für Münt­zer außer Zwei­fel. Das Mit­wir­ken der Obrig­keit hielt er für unab­ding­bar, »[…] wie Chris­tus es befoh­len hat. Treibt sei­ne Fein­de von den Aus­er­wähl­ten, denn ihr seid die zustän­di­gen Mitt­ler […] gebt uns kei­ne scha­le Frat­ze vor, daß die Kraft Got­tes es ohne euer Zutun mit dem Schwert tun soll, es könn­te euch sonst in der Schei­de ver­ros­ten.« Um »die Gott­lo­sen zu ver­til­gen«, sei »das Schwert nötig«. Soll­ten die Fürs­ten dem nicht nach­kom­men, »wird ihnen das Schwert genom­men wer­den«. Die­je­ni­gen, die »Got­tes Offen­ba­rung ent­ge­gen« sind, sol­le man »ohne alle Gna­de erwür­gen«. Die Obrig­keit bezieht nach Münt­zer ihre Legi­ti­ma­ti­on aus der Erfül­lung ihrer heils­ge­schicht­li­chen Auf­ga­be. Wird sie der Auf­ga­be nicht gerecht, sind ihre Herr­schafts­an­sprü­che verwirkt.

Münt­zer stell­te sich mit dem von ihm aus­ge­mach­ten Wider­stands­recht gegen Mar­tin Luther, den er nun als »Bru­der Mast­schwein und Bru­der Sanft­le­ben« apo­stro­phier­te. Auch ander­wei­tig waren deut­li­che Dif­fe­ren­zen zuta­ge getre­ten. So setz­te Luther allein auf die Hei­li­ge Schrift und nicht auf Münt­zers Ver­ständ­nis von einem dem Gan­zen über­ge­ord­ne­ten, erfahr­ba­ren Geist Got­tes. Zudem ver­trat der Wit­ten­ber­ger Refor­ma­tor strikt die Zwei-Regi­men­ter-Leh­re der Unter­schei­dung von welt­li­chem Reich und Reich Gottes.

Münt­zer hin­ge­gen war von der Idee der Ein­heit der Chris­ten­heit über­zeugt. In der Fra­ge des Wider­stan­des nun setz­te Luther auf die geläu­fi­ge Pas­sa­ge im Römer­brief des Pau­lus, die ers­ten bei­den Absät­ze des 13. Kapi­tels: »Jeder­mann sei unter­tan der Obrig­keit […]. Denn es ist kei­ne Obrig­keit außer von Gott […]. Wer sich nun der Obrig­keit wider­setzt, der wider­strebt der Anord­nung Gottes.«

Münt­zer hat­te wei­ter­ge­le­sen und bewer­te­te die bei­den fol­gen­den Absät­ze in sei­nem Sin­ne und ent­spre­chend höher: »Denn vor denen, die Gewalt haben, muß man sich nicht fürch­ten wegen guter, son­dern wegen böser Wer­ke.« Die Obrig­keit »ist Got­tes Die­ne­rin, dir zugut. […] und voll­zieht das Straf­ge­richt an dem, der Böses tut.« Damit ist zugleich ihre Auf­ga­be defi­niert, an deren Erfül­lung sie gemes­sen wird. Zudem bezog sich Münt­zer auf einen Pas­sus im 7. Kapi­tel des Dani­el-Buches, wonach die Herr­schaft »dem Volk der Hei­li­gen des Höchs­ten« gege­ben werde.

Münt­zer, der sich selbst als Pro­phet betrach­te­te und sich den Fürs­ten durch sei­ne Pre­digt als neu­er Dani­el, als Deu­ter emp­feh­len woll­te, wur­de ent­täuscht. All­stedt muß­te er drei Wochen spä­ter in Rich­tung Mühl­hau­sen ver­las­sen, wo er Mit­be­grün­der des »Ewi­gen Bun­des Got­tes« war. Da sich die Fürs­ten sei­nem Wer­ben ver­sagt hat­ten, betrach­te­te er Bau­ern und Bür­ger der Städ­te nun als Trä­ger sei­ner refor­ma­to­ri­schen Intentionen.

In Nürn­berg wur­den sei­ne letz­ten bei­den Schrif­ten, Aus­ge­drück­te Ent­blö­ßung des fal­schen Glau­bens und die gegen Luther gerich­te­te Hoch­ver­ur­sach­te Schutz­re­de, gedruckt. Er wand­te sich nach Süd­deutsch­land, wo im Früh­som­mer 1524 der Bau­ern­krieg, die Revo­lu­ti­on des Gemei­nen Man­nes, begon­nen hat­te. Im Febru­ar 1525 wur­de er an der Mari­en­kir­che in Mühl­hau­sen ange­stellt. An der thü­rin­gi­schen Auf­stands­be­we­gung war er füh­rend betei­ligt. Unter der Regen­bo­gen­fah­ne – als Zei­chen des Bun­des mit Gott – mar­schier­te man am 15. Mai 1525 in Fran­ken­hau­sen auf und wur­de von den Trup­pen Phil­ipp von Hes­sens grau­sam-kläg­lich geschla­gen. Münt­zer, der die Nie­der­la­ge nicht mit der Rol­le, die er im gött­li­chen Heils­plan ein­zu­neh­men glaub­te, in Ein­klang zu brin­gen ver­moch­te, wur­de am 27. Mai 1525 geköpft.

Die reli­giö­se Dimen­si­on, Münt­zers vor­ran­gi­ges Stre­ben nach dem Reich Got­tes ver­ken­nend, nah­men spä­te­re lin­ke und links-revo­lu­tio­nä­re Bewe­gun­gen, dann ins­be­son­de­re auch die DDR sein »Erbe« für sich in Anspruch, was zu einer bis heu­te spür­ba­ren Mar­gi­na­li­sie­rung des radi­ka­len Refor­ma­tors geführt hat. Auch wenn er im Kon­text sei­ner Lebens­welt und sei­ner Epo­che zu ver­ste­hen ist: Sei­ner grund­sätz­li­chen – in sei­nem Fall biblisch unter­leg­ten – Argu­men­ta­ti­on, daß eine Obrig­keit durch die Wei­ge­rung, ihrer Auf­ga­be nach­zu­kom­men, ihre Legi­ti­ma­ti­on ver­lie­re, ver­bun­den mit einem Wider­stands­recht, dürf­te Zeit­lo­sig­keit zukommen.

 

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