Hitlers rechte Gegner

von Claus-M. Wolfschlag -- PDF der Druckfassung aus Sezession 120/ Juni 2024

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Die jahr­zehn­te­lan­ge NS-Ver­gan­gen­heits­be­wäl­ti­gung und der dar­aus abge­lei­te­te »Anti­fa­schis­mus« haben den his­to­risch-poli­ti­schen Blick­win­kel vie­ler Zeit­ge­nos­sen verengt.

Die Fokus­sie­rung auf ein comic­ar­tig zurecht­ge­schnit­te­nes Bild des Natio­nal­so­zia­lis­mus hat zu der ein­fa­chen Gedan­ken­ket­te »Rechts = Men­schen­feind = Gefahr = Faschist = Nazi = Ausch­witz« in den Köp­fen geführt. Das dar­aus resul­tie­ren­de prä­to­ta­li­tä­re »anti­fa­schis­ti­sche« Her­den­ver­hal­ten ist natür­lich das Gegen­teil von Dis­si­denz, die sich in der Geschich­te und in vie­len Län­dern auch heu­te noch unter Inkauf­nah­me per­sön­li­cher Nach­tei­le bewäh­ren muß.

Und es hat gera­de nichts mit den schwe­ren per­sön­li­chen Ent­schei­dun­gen zu tun, denen sich Oppo­si­tio­nel­le und akti­ve Wider­stands­kämp­fer in der lebens­ge­fähr­li­chen Zeit des Natio­nal­so­zia­lis­mus zu stel­len hatten.

Als ich Mit­te der 1990er Jah­re mei­ne Magis­ter­ar­beit zum The­ma »Hit­lers rech­te Geg­ner« der Prü­fungs­kom­mis­si­on an der Uni­ver­si­tät Frank­furt am Main vor­leg­te, las der zustän­di­ge Sach­be­ar­bei­ter den Titel und frag­te erstaunt: »Ja, gab es denn wel­che, die noch rech­ter als der Hit­ler waren?« Und betrach­tet man den »Wikipedia«-Artikel zum »Wider­stand gegen den Natio­nal­so­zia­lis­mus«, begeg­net einem inhalt­lich das ver­kürz­te Resul­tat der bun­des­deut­schen Geschichtsforschung.

Die Ein­tei­lung erfolgt durch die Bril­le eines Klas­sen­sche­mas, also anhand sozia­ler Schich­ten: Arbei­ter­schaft, Bür­ger­tum, Adel, Kle­rus, Kul­tur­sze­ne, Jugend­sub­kul­tur. Es ist also von »Wider­stand aus der Arbei­ter­be­we­gung« die Rede, und ein­zig in die­sem Bereich folgt auch eine poli­ti­sche Unter­ka­te­go­ri­sie­rung: »kom­mu­nis­ti­scher« und »sozi­al­de­mo­kra­ti­scher Wider­stand«. Alle ande­ren Wider­stands­grup­pen erschei­nen ein­zig nach ihrer sozia­len Her­kunft geord­net, ohne expli­zi­te Nen­nung eines welt­an­schau­li­chen Hin­ter­grunds. W

ürde man ihn ein­be­zie­hen, käme man zu dem Ergeb­nis, daß ein erheb­li­cher Teil der Dis­si­den­ten und akti­ven Wider­stands­kämp­fer in der NS-Zeit »rechts« moti­viert war, also christ­lich-kon­ser­va­tiv, natio­nal­li­be­ral, natio­nal­kon­ser­va­tiv, natio­na­lis­tisch, sogar völ­kisch, und zwar unge­ach­tet der jewei­li­gen Berufs­grup­pe oder sozia­len Schicht. Dar­auf hin­zu­wei­sen stellt eine der moral­po­li­ti­schen Grund­an­nah­men der BRD in Fra­ge: die­je­ni­ge näm­lich, daß man heu­te »links« sein müs­se, weil dies die his­to­risch bewähr­te Posi­ti­on sei, aus der her­aus man dem »neu­en 1933« ent­ge­gen­zu­tre­ten habe.

Um die­ses Bild zu kor­ri­gie­ren, ver­öf­fent­lich­te ich 1995 das schma­le Buch Hit­lers rech­te Geg­ner (1), dem 2002 der Inter­view­band Augen­zeu­gen der Oppo­si­ti­on (2) mit letz­ten Zeit­zeu­gen aus der drit­ten Rei­he folg­te. Die Glie­de­rung ori­en­tier­te sich an Armin Moh­lers Werk zur Kon­ser­va­ti­ven Revo­lu­ti­on, was wie­der­um gän­gi­ge Erklä­rungs­mus­ter unter­lief. Ver­tre­ter der Kon­ser­va­ti­ven Revo­lu­ti­on fan­den sich jeden­falls nach 1933 sowohl in den Rei­hen des Natio­nal­so­zia­lis­mus als auch in »sys­tem­im­ma­nen­ter Oppo­si­ti­on«, in der »inne­ren Emi­gra­ti­on« und sogar im akti­ven Wider­stand wie­der. Letz­te­res zeigt der exem­pla­ri­sche Blick auf ein­zel­ne Akteu­re, die sich – die Son­der­grup­pe der »Bün­di­schen« berück­sich­ti­ge ich nicht – in die Moh­ler-Kate­go­rien »völ­kisch«, »jung­kon­ser­va­tiv« und »natio­nal­re­vo­lu­tio­när« glie­dern lassen.

 

Als »völ­kisch« wer­den heu­te häu­fig Bezug­nah­men auf die Eth­nie gebrand­markt. Das soll sie in NS-Nähe rücken und dis­kre­di­tie­ren. Dabei waren »Völ­ki­sche« und Natio­nal­so­zia­lis­ten nie deckungs­gleich. Die »Völ­ki­schen«, deren Gedan­ken sich um Volk, Ras­se, Stamm und Land­schaft dreh­ten, waren ein spä­ter Zweig der Roman­tik. Ihre Suche galt den Ursprün­gen der Iden­ti­tät, sie glitt nicht sel­ten in skur­ri­le eso­te­ri­sche Welt­erklä­rungs­mo­del­le ab.

Die Hal­tung zum Natio­nal­so­zia­lis­mus war zwie­ge­spal­ten. Vie­le der »Völ­ki­schen« ent­stamm­ten der wil­hel­mi­nisch gepräg­ten Vor­gän­ger­ge­ne­ra­ti­on der Natio­nal­so­zia­lis­ten. Sie erhoff­ten sich nach der NS-Macht­er­grei­fung Aner­ken­nung, die ihnen aber von den Macht­ha­bern ver­wei­gert wur­de, da alt­ger­ma­ni­sche Ästhe­tik und eso­te­ri­sche Ver­stie­gen­heit nicht zum tech­no­­kra­tisch-moder­nen Ant­litz des Natio­nal­so­zia­lis­mus paß­ten. Auch des­halb kam es zu Trotz- und Oppo­si­ti­ons­re­ak­tio­nen von »völ­ki­scher« Sei­te. Das wie­der­um führ­te zu einem gewis­sen Ver­fol­gungs­druck sei­tens der NS-Macht­ha­ber. Bei­spiels­wei­se gab es Ver­haf­tun­gen von Anhän­gern des Ras­sen­theo­re­ti­kers Jörg Lanz von Lie­ben­fels, die einem manich­äi­schen Welt­bild von seit Ewig­kei­ten ein­an­der bekämp­fen­den Über- und Unter­men­schen und der weib­li­chen Erb­sün­de anhingen.

Unter Ver­fol­gungs­druck litt auch die anti­kirch­li­che Luden­dorff-Bewe­gung: Die vom ehe­ma­li­gen Ers­ten Gene­ral­quar­tier­meis­ter Erich Luden­dorff und sei­ner Frau Mat­hil­de gegrün­de­te Ver­ei­ni­gung kri­ti­sier­te vor allem die NS-Reli­gi­ons­po­li­tik, die auf einer Annä­he­rung an die christ­li­chen Kir­chen beruh­te. Dar­auf­hin hat­ten »Luden­dorf­fer« mit Publi­ka­ti­ons- und Vor­trags­ver­bo­ten zu kämp­fen. (3)

Der 1882 gebo­re­ne »deutsch­na­tio­na­le« Reichs­tags­ab­ge­ord­ne­te Rein­hold Wul­le schloß sich 1922 der »völ­ki­schen« DNVP-Abspal­tung Deutsch­völ­ki­sche Frei­heits­par­tei (DVFP) an, die radi­ka­le natio­na­lis­ti­sche und anti­par­la­men­ta­ri­sche Posi­tio­nen ver­trat und zeit­wei­lig als Ersatz­grup­pie­rung für die ver­bo­te­ne NSDAP fun­gier­te. Ein Unter­schied zu den Natio­nal­so­zia­lis­ten lag in den struk­tur­kon­ser­va­ti­ven wirt­schafts- und gesell­schafts­po­li­ti­schen Posi­tio­nen, die sich gegen sozi­al­re­vo­lu­tio­nä­re Bestre­bun­gen im NS-Appa­rat rich­te­ten. Doch der Zeit­geist setz­te auf die moder­ne Mas­sen­par­tei der NSDAP, Wul­le ver­lor sein Reichs­tags­man­dat, konn­te aber in den Preu­ßi­schen Land­tag wechseln.

Nach 1933 wur­den die Archi­ve der »Deutsch­völ­ki­schen« beschlag­nahmt und eini­ge Par­tei­mit­glie­der in Kon­zen­tra­ti­ons­la­ger gesperrt. Wul­le ver­öf­fent­lich­te 1935 sei­ne Schrift Geschich­te einer Staats­idee, in der er die preu­ßi­sche gegen die natio­nal­so­zia­lis­ti­sche Kon­zep­ti­on stell­te. 1938 wur­de er ver­haf­tet und wegen »Grün­dung einer neu­en Par­tei« zu zwei Jah­ren Gefäng­nis ver­ur­teilt. Danach kam er bis 1942 ins Kon­zen­tra­ti­ons­la­ger Sach­sen­hau­sen. Dort soll er mit SS-Ärz­ten gegen kom­mu­nis­ti­sche Lager­ka­me­ra­den gear­bei­tet haben. (4) Nach dem Krieg bemüh­te Wul­le sich um die Grün­dung der erfolg­lo­sen Deut­schen Auf­bau-Par­tei (DAP), ehe er 1950 in West­fa­len starb.

 

Die »Kon­ser­va­ti­ven« der Wei­ma­rer Repu­blik teil­ten sich in zwei Lager. Tra­di­tio­nel­le Natio­nal-Kon­ser­va­ti­ve sam­mel­ten sich in der mon­ar­chis­ti­schen Deutsch­na­tio­na­len Volks­par­tei (DNVP). In der End­pha­se Wei­mars kam es unter dem Ein­fluß des Jung­deut­schen Ordens zu der gemä­ßig­ten Abspal­tung der Kon­ser­va­ti­ven Volks­par­tei unter dem spä­te­ren Exi­lan­ten Gott­fried Rein­hold Tre­vi­ra­nus. Als Front­kämp­fer­ver­ei­ni­gung im Umfeld der Deutsch­na­tio­na­len dien­te der Wehr­ver­band »Stahl­helm«. Meh­re­re Stahl­hel­mer waren in spä­te­re Atten­tats­plä­ne gegen Hit­ler invol­viert, dar­un­ter der Frei­korps­füh­rer und Publi­zist Fried­rich Wil­helm Heinz.

Den deutsch­na­tio­na­len Mas­sen­or­ga­ni­sa­tio­nen stan­den die intel­lek­tu­el­len Zir­kel der »Jung­kon­ser­va­ti­ven« gegen­über, denen – ähn­lich heu­ti­ger Mit­tel­eu­ro­pa-Kon­zep­tio­nen – ein Reich aus ver­schie­de­nen euro­päi­schen Völ­kern nach mit­tel­al­ter­li­chem Vor­bild vor­schweb­te. Ihr Wider­stand speis­te sich hier aus der christ­li­chen Ethik sowie aus dem Abscheu gegen­über den Gewalt­ta­ten und der Ras­sen­kon­zep­ti­on des Regimes.

Der in der Zell­stoff­in­dus­trie täti­ge His­to­ri­ker Paul Lejeu­ne-Jung gehör­te als christ­lich-natio­na­ler Katho­lik zu den gemä­ßig­ten Reichs­tags­ab­ge­ord­ne­ten der DNVP. 1930 betei­lig­te er sich an der Abspal­tung Kon­ser­va­ti­ve Volks­par­tei. 1942 trat er in Kon­takt zur Wider­stands­grup­pe um Carl Goer­de­ler, dem er ein wirt­schafts­po­li­ti­sches Kon­zept für die Zeit nach einem Sturz Hit­lers ent­warf. Nach dem Atten­tat vom 20. Juli 1944 wur­de Lejeu­ne-Jung ver­haf­tet und im Sep­tem­ber 1944 hingerichtet.

Zehn Jah­re zuvor hat­te bereits der »jung­kon­ser­va­ti­ve« Den­ker Edgar Juli­us Jung den gewalt­sa­men Tod gefun­den. Jung nahm als Frei­wil­li­ger am Ers­ten Welt­krieg teil, betei­lig­te sich in der Nach­kriegs­zeit als Mit­glied des Frei­korps Epp an der Nie­der­schla­gung der Münch­ner Räte­re­pu­blik und an gewalt­sa­men Aktio­nen gegen pfäl­zi­sche Sepa­ra­tis­ten. Schon aus die­ser Zeit rühr­ten sei­ne Aver­sio­nen gegen Hitler.

So ver­such­te der Autor des bekann­ten anti­li­be­ra­len Buches Die Herr­schaft der Min­der­wer­ti­gen nach der NS-Macht­er­grei­fung als poli­ti­scher Bera­ter des Vize­kanz­lers Franz von Papen ein oppo­si­tio­nel­les Netz­werk aus Kon­ser­va­ti­ven, Sozi­al­de­mo­kra­ten und Gewerk­schaf­tern zu bil­den. Am 17. Juni 1934 hielt Papen vor Mar­bur­ger Stu­den­ten die von Jung ver­faß­te Mar­bur­ger Rede, in der die poli­ti­schen Miß­stän­de in Deutsch­land kri­ti­siert wur­den. Kol­lek­ti­vis­mus wur­de dar­in zuguns­ten einer stän­disch geord­ne­ten Gesell­schaft abge­lehnt, zudem die Auf­lö­sung der NSDAP gefor­dert. Die­se Akti­vi­tä­ten blie­ben nicht unbe­merkt. So wur­de Jung weni­ge Tage danach auf Anwei­sung Hit­lers ver­haf­tet und im Zuge des »Röhm-Put­sches« im Ber­li­ner Gesta­po-Haupt­quar­tier erschos­sen. (5)

Eine Zwi­schen­stel­lung zwi­schen »Natio­nal­re­vo­lu­tio­nä­ren« und »Jung­kon­ser­va­ti­ven« hat­te der Jung­deut­sche Orden des 1890 gebo­re­nen Reichs­wehr-Haupt­manns Artur Mahraun inne. Im Gegen­satz zur Mehr­heit der Wei­ma­rer Rech­ten plä­dier­te Mahraun für ein deutsch-fran­zö­si­sches Wirt­schafts- und Mili­tär­bünd­nis nach Außer­kraft­set­zung des Ver­sailler Ver­tra­ges. Auch trat er in strikt lega­lis­ti­scher Kon­zep­ti­on für einen demo­kra­ti­schen Volks­staat auf dem Fun­da­ment von »Cha­rak­ter­men­schen« ein, sah also die Restau­ra­ti­on der Mon­ar­chie nicht mehr als ver­bind­lich an.

Hier­für wur­de ein auf basis­de­mo­kra­tisch ver­faß­ten »Nach­bar­schaf­ten« von jeweils 500 Staats­bür­gern fußen­des Sub­si­dia­ri­täts­prin­zip ent­wor­fen. Mahraun distan­zier­te sich bereits 1923 von Hit­ler, als er die­sem bei Erich Luden­dorff begeg­net war und sich erschro­cken über die »Orgie des Has­ses« in des­sen Äuße­run­gen zeig­te. Schon früh wur­den des­halb »Jung­deut­sche« von Natio­nal­so­zia­lis­ten als »Ver­rä­ter, Fran­zös­lin­ge, Juden und Juden­knech­te« beschimpft. »Jung­do ver­re­cke!« galt als einer der Rufe der SA, und so wur­den trotz »jung­deut­scher« Anbie­de­rungs­ver­su­che unmit­tel­bar nach der NS-Macht­er­grei­fung die »jung­deut­sche« Ordens­zei­tung und dann auch der Orden verboten.

Mahraun wur­de im Juli 1933 ver­haf­tet und in einem Ber­li­ner Gesta­po-Kel­ler schwer miß­han­delt, wobei er ein Auge ver­lor. Nach der Haft begab sich Mahraun ins »Inne­re Exil«, pfleg­te aber – trotz Über­wa­chung – heim­lich Kon­tak­te zu Ordens­ka­me­ra­den. Nach 1945 von den Alli­ier­ten ins Inter­nie­rungs­la­ger Reck­ling­hau­sen gesperrt, erlag er 1950 den Spät­fol­gen der Miß­hand­lun­gen von 1933. Ande­re Ordens­brü­der hat­ten in der NS-Zeit mit Haus­durch­su­chun­gen und Ver­haf­tun­gen zu kämp­fen, übten sich aber in oppo­si­tio­nel­ler All­tags­dis­si­denz und äußer­ten bis­wei­len publi­zis­tisch Kri­tik an den Ver­hält­nis­sen. (6)

 

Die »Natio­nal­re­vo­lu­tio­nä­re« als Ver­tre­ter der Front­ge­ne­ra­ti­on erleb­ten den Ers­ten Welt­krieg als epo­cha­les Ereig­nis, das in ihren Augen für den Zusam­men­bruch der bür­ger­li­chen Welt stand. Sie betrach­te­ten die »Völ­ki­schen« als Roman­ti­ker und Archäo­lo­gen, die »Jung­kon­ser­va­ti­ven« als Leu­te, die auf Trüm­mern bau­en woll­ten, ohne den Schutt weg­ge­räumt zu haben. Statt des­sen lieb­äu­gel­ten die »Natio­nal­re­vo­lu­tio­nä­re« mit dem Mahl­strom der Moder­ne, zeig­ten sich offen für neue Lösungs­ideen hin­sicht­lich der sozia­len Frage.

Natio­na­le und sozia­lis­ti­sche Ideen gin­gen eine neu­ar­ti­ge Ver­bin­dung ein. Über­gän­ge vom und ins Lager des Kom­mu­nis­mus und des Natio­nal­so­zia­lis­mus waren kei­ne Sel­ten­heit. Kon­flik­te mit dem rea­len Natio­nal­so­zia­lis­mus ent­wi­ckel­ten sich durch des­sen in »natio­nal­re­vo­lu­tio­nä­rer« Sicht unzu­rei­chen­de Umset­zung sozia­lis­ti­scher Kon­zep­te sowie die man­geln­de Koope­ra­ti­on mit der Sowjet­uni­on. Dem Natio­nal­so­zia­lis­mus wur­de also vor­ge­wor­fen, nur man­gel­haft dem zwei­ten Teil sei­nes Par­tei­na­mens gerecht zu werden.

Ein bekann­ter Ver­tre­ter war der 1889 im schle­si­schen Treb­nitz gebo­re­ne Ernst Nie­kisch. 1926 grün­de­te er mit Anhän­gern des natio­na­lis­tisch-jung­so­zia­lis­ti­schen Hof­geis­ma­rer Krei­ses die Zeit­schrift Wider­stand. Deren Wider­stand rich­te­te sich nicht nur gegen Deutsch­lands äuße­re Fein­de, son­dern auch gegen die »Agen­ten der Sie­ger­mäch­te« im Inne­ren. Bereits früh­zei­tig posi­tio­nier­te sich der Wider­stand gegen Hit­ler, der sich mit kle­ri­kal-reak­tio­nä­ren Kräf­ten ver­bün­det habe.

So erschien 1932 im Wider­stands­ver­lag die Bro­schü­re Hit­ler – ein deut­sches Ver­häng­nis. 1934 wur­de der Wider­stand ver­bo­ten, NS-kri­ti­sche Bücher aus dem Ver­lag wur­den beschlag­nahmt. 1937 kam es zur Ver­haf­tung von fast 100 Anhän­gern der »Wider­stands­be­we­gung«, dar­un­ter dem Orga­ni­sa­tor Joseph Dre­xel, der gemein­sam mit Nie­kisch 1939 wegen Vor­be­rei­tung zum Hoch­ver­rat und Ver­stoß gegen das Gesetz zur Neu­bil­dung von Par­tei­en ver­ur­teilt wur­de. Dre­xel wur­de 1943 aus der Haft ent­las­sen, um nach dem 20. Juli 1944 erneut ver­haf­tet und mit dem Ver­merk »Rück­kehr uner­wünscht« ins KZ Maut­hau­sen ein­ge­wie­sen zu wer­den, aus dem er 1945 befreit wur­de. Nie­kisch erhielt eine lebens­lan­ge Zucht­haus­stra­fe, aus der er im April 1945 halb gelähmt und fast erblin­det befreit wur­de. (7)

Ein ande­rer bekann­ter »Natio­nal­re­vo­lu­tio­när« war Otto Stras­ser. Stras­ser wur­de 1897 als Beam­ten­sohn im frän­ki­schen Winds­heim gebo­ren. Am Ers­ten Welt­krieg nahm er als Kriegs­frei­wil­li­ger teil, schloß sich nach Kriegs­en­de mit sei­nem älte­ren Bru­der Gre­gor dem Frei­korps Epp an, das an der Besei­ti­gung der lin­ken Räte­re­gie­rung in Bay­ern betei­ligt war. Zugleich war Otto Stras­ser von 1917 bis 1920 SPD-Mit­glied und frei­er Mit­ar­bei­ter der Par­tei­zei­tung Vor­wärts, doch er wand­te sich ent­täuscht von der Par­tei ab, weil sie sich umfas­sen­den Sozia­li­sie­run­gen verschloß.

Er stu­dier­te und pro­mo­vier­te in Ber­lin, arbei­te­te im Reichs­er­näh­rungs­mi­nis­te­ri­um und für einen Spi­ri­tuo­sen­kon­zern. 1925 folg­te er der Bit­te sei­nes Bru­ders Gre­gor, ihm bei der Aus­ar­bei­tung des Par­tei­pro­gramms der neu­ge­grün­de­ten NSDAP zu hel­fen. Die Stras­ser-Brü­der ent­wi­ckel­ten früh­zei­tig eine Syn­the­se aus lin­ken und rech­ten Ideen, ver­ban­den sozi­al­re­for­me­ri­sche und natio­na­le Gedan­ken zu einem »natio­na­len Sozia­lis­mus«. Dazu gehör­ten For­de­run­gen nach Abschaf­fung des pri­va­ten Eigen­tums an Pro­duk­ti­ons­stät­ten und Grund­be­sitz zuguns­ten einer Lehens­ver­ga­be durch die Nati­on, ein poli­ti­scher Staats­auf­bau nach berufs­stän­di­schen Struk­tu­ren, ein Groß­deutsch­land als Zen­trum einer spä­te­ren euro­päi­schen Föde­ra­ti­on sowie der außen­po­li­ti­sche Aus­gleich mit der Sowjetunion.

Bereits infol­ge die­ser Pro­gramm­ar­beit kam es zu ers­ten Kon­tro­ver­sen mit Adolf Hit­ler, der eine deut­lich weni­ger sozia­lis­ti­sche Linie der Par­tei bevor­zug­te und durch Stras­ser das Bünd­nis mit den bür­ger­li­chen Deutsch­na­tio­na­len gefähr­det sah. Der Kon­flikt eska­lier­te 1930, als Otto ­Stras­ser gemein­sam mit 25 Anhän­gern den Auf­ruf »Die Sozia­lis­ten ver­las­sen die NSDAP« in allen Blät­tern des von Stras­ser gelei­te­ten Kampf­ver­la­ges verbreitete.

Dar­in wur­de die »Ver­bon­zung des Par­tei­ap­pa­rats« beklagt, eben­so die aggres­si­ve außen­po­li­ti­sche Aus­rich­tung der Par­tei: »Wir faß­ten und fas­sen den Natio­nal­so­zia­lis­mus als eine bewußt anti­im­pe­ria­lis­ti­sche Bewe­gung auf, deren Natio­na­lis­mus sich beschränkt auf Erhal­tung und Sicher­stel­lung des Lebens und des Wachs­tums der deut­schen Nati­on ohne irgend­wel­che Herr­schafts­ten­den­zen über ande­re Völ­ker und Län­der.« Schließ­lich sei­en es nicht ande­re Völ­ker, son­dern der »inter­na­tio­na­le Kapi­ta­lis­mus« und der »west­le­ri­sche Impe­ria­lis­mus«, wel­che von den natio­na­len Sozia­lis­ten bekämpft wer­den sollten.

Als Auf­fang­be­cken für von Hit­ler ent­täusch­te Natio­nal­so­zia­lis­ten ent­stand die Kampf­ge­mein­schaft Revo­lu­tio­nä­rer Natio­nal­so­zia­lis­ten (KGRNS), und im Rah­men einer »Schwar­zen Front« such­te man nach Bünd­nis­part­nern. Nach der Macht­er­grei­fung gin­gen NS-Scher­gen als ers­tes gegen Stras­ser-Anhän­ger vor, die ver­schleppt und miß­han­delt wur­den. SA-Leu­te demo­lier­ten bereits im Febru­ar 1933 das Büro der »Schwar­zen Front« in Ber­lin und die Buch­hand­lung des Kampf­ver­la­ges. ­Stras­ser indes gelang es, ins Exil zu flüchten.

Sein Weg führ­te von Wien über Prag und Frank­reich ins kana­di­sche Win­ni­peg. Konn­te er wäh­rend des Exils in Eu­ropa noch einer umfang­rei­chen Wider­stands­tä­tig­keit nach­ge­hen, Radio­pro­gram­me gegen das Hit­ler-Sys­tem sen­den und Flug­schrif­ten nach Deutsch­land schmug­geln, so war ihm dies spä­ter nicht mehr mög­lich. Zum einen waren die finan­zi­el­len Mit­tel erschöpft, zum ande­ren die Widerstands­nester im Inne­ren des Deut­schen Rei­ches zer­schla­gen. Schließ­lich ver­häng­te die kana­di­sche Regie­rung auch noch ein poli­ti­sches Rede- und Schreib­ver­bot für Strasser.

Erst zehn Jah­re nach Kriegs­en­de und nach 22jährigem Exil wur­de ihm erlaubt, wie­der deut­schen Boden zu betre­ten. Bereits die Grün­dung von Stras­sers Deutsch-Sozia­ler Uni­on (DSU) war 1956 von »Ver­schwin­de, dre­cki­ger Nazi!«-Rufen lin­ker Gegen­de­mons­tran­ten über­schat­tet. Und auch die 1962 gegrün­de­te Unab­hän­gi­ge Arbei­ter­par­tei (UAP) kam nicht über den Sta­tus einer Split­ter­grup­pie­rung hin­aus. So starb Otto Stras­ser, als poli­ti­scher Fak­tor unbe­deu­tend gewor­den, 1974 in Mün­chen. (8)

Eben­falls ins Exil ging der 1906 gebo­re­ne, aus dem Christ­li­chen Wan­der­vo­gel kom­men­de Publi­zist Karl Otto Pae­tel. Als kom­pro­miß­lo­ser Geg­ner der Wei­ma­rer Repu­blik grün­de­te er die Grup­pe Sozi­al­re­vo­lu­tio­nä­rer Natio­na­lis­ten (GSRN), die sich gegen das deka­den­te Bür­ger­tum und die »Ver­su­che des west­li­chen Impe­ria­lis­mus« wand­te, Deutsch­land zur »Halb­ko­lo­nie« zu machen. Pae­tels Bestre­ben war es, natio­nal den­ken­de Kom­mu­nis­ten und Natio­nal­so­zia­lis­ten des lin­ken Par­tei­ran­des zu einer natio­nal-kom­mu­nis­ti­schen Alli­anz zusam­men­zu­füh­ren. Dafür ern­te­te er nach dem 30. Janu­ar 1933 ein Publi­ka­ti­ons- und Berufs­ver­bot. Das von ihm ver­faß­te Natio­nal­bol­sche­wis­ti­sche Mani­fest wur­de beschlagnahmt.

1934 erfolg­te Pae­tels kurz­zei­ti­ge Inhaf­tie­rung, nach der er 1935 in die Tsche­cho­slo­wa­kei floh, um von dort aus eine Exil-Rei­se durch ver­schie­de­ne Län­der anzu­tre­ten. In diver­sen Publi­ka­tio­nen warf er dem Natio­nal­so­zia­lis­mus Ver­rat an den eige­nen sozia­lis­ti­schen Ideen vor. Außer­dem wand­te er sich gegen den Aus­gleich mit der katho­li­schen Kir­che. Sei­ne Blät­ter der sozia­lis­ti­schen Nati­on wur­den ille­gal nach Deutsch­land ein­ge­schleust. Außer­dem orga­ni­sier­te Pae­tel im fran­zö­si­schen Exil Schu­lungs­tref­fen für jun­ge Deutsche.

1941 floh Pae­tel in die USA, wo er unter ärm­li­chen Bedin­gun­gen leb­te. In der Nach­kriegs­zeit konn­te er wie­der als Publi­zist arbei­ten, wur­de Gene­ral­se­kre­tär des Deut­schen Pres­se­clubs New York. Er schrieb gegen die Gleich­set­zung Deutsch­lands mit dem NS-Sys­tem und die deut­sche Tei­lung an, pro­pa­gier­te aber – ent­ge­gen Stras­sers Par­tei­grün­dung – die poli­ti­sche Arbeit inner­halb der eta­blier­ten deut­schen Par­tei­en. 1975 starb er in Forest Hills, New York. (9)

Der 1892 gebo­re­ne Josef »Beppo« Römer, ein Jurist, war 1919 als einer der Füh­rer des Frei­korps Ober­land maß­geb­lich an der Besei­ti­gung der Münch­ner Räte­re­gie­rung betei­ligt. 1932 wand­te er sich der KPD zu und trat als Her­aus­ge­ber der natio­nal­re­vo­lu­tio­nä­ren Zeit­schrift Auf­bruch in Erschei­nung. Den Kampf gegen die Ver­sailler Ord­nung woll­te er im Bünd­nis mit der Sowjet­uni­on füh­ren. Unmit­tel­bar nach der NS-Macht­er­grei­fung wur­de Römer in »Schutz­haft« genom­men, 1934 unter dem Vor­wurf »Vor­be­rei­tung zum Hoch­ver­rat« erneut eingesperrt.

Nach­dem er 1939 ent­las­sen wor­den war, orga­ni­sier­te Römer Auf­bruch-Wider­stands­grup­pen in vie­len deut­schen Städ­ten. Dabei wur­den auch Atten­tats­plä­ne gegen Hit­ler bespro­chen. In Flug­blät­tern wur­de das deut­sche Volk zum Kampf gegen Hit­ler und zur Been­di­gung des Krie­ges auf­ge­ru­fen. 1942 wur­de Römer mit eini­gen Gefolgs­leu­ten erneut ver­haf­tet und 1944 wegen »Wehr­kraft­zer­set­zung und Feind­be­güns­ti­gung« durch das Fall­beil ent­haup­tet. (10)

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(1) – Claus Wolf­schlag: Hit­lers rech­te Geg­ner, Enger­da 1995.

(2) – Claus‑M. Wolf­schlag: Augen­zeu­gen der Oppo­si­ti­on, Dres­den 2002.

(3) – Vgl. Hans Kopp: Geschich­te der Luden­dorff-Bewe­gung, Bd. 1, 1975; Gert Borst: Die Luden­dorff-Bewe­gung 1919 – 1961, Mün­chen 1969.

(4) – Vgl. Rudolf Pech­el: Deut­scher Wider­stand, Erlen­bach-Zürich 1947.

(5) – Vgl. Karl-Mar­tin Graß: Edgar Juli­us Jung, Hei­del­berg 1966.

(6) – Vgl. Klaus Hor­nung: Der Jung­deut­sche Orden, Düs­sel­dorf 1958.

(7) – Vgl. Fried­rich Kaber­mann: Wider­stand und Ent­schei­dung eines deut­schen Revo­lu­tio­närs. Leben und Den­ken von Ernst Nie­kisch, Köln 1972; Uwe Sau­er­mann: Ernst Nie­kisch und der revo­lu­tio­nä­re Natio­na­lis­mus, Mün­chen 1985.

(8) – Vgl. Gün­ter Bartsch: Zwi­schen drei Stüh­len. Otto Stras­ser, Koblenz 1990.

(9) – Vgl. Karl Otto Pae­tel: Rei­se ohne Uhr­zeit, Worms 1982.

(10) – Vgl. Oswald Bind­rich, Susan­ne Römer: Beppo Römer, Ber­lin 1991.

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